Widerstand und Hingabe

Spiritualität ist berührtes Leben.
Spiritueller Mut ist die vertrauensvolle Aufgabe des Widerstands gegen das, was uns heilt.

Wir alle sehnen uns nach Nähe, Vertrauen, Intimität und Zugehörigkeit und gleichzeitig fürchten wir uns davor – wenn auch in unterschiedlichem Ausmass.
Wir alle wünschen uns glücklich zu sein und tun gleichzeitig so viel, uns unglücklich zu machen.
Wir alle sehnen uns nach Licht und lassen uns gleichzeigt vom flachen Nebelgrau der Gewohnheiten einlullen.

Zur Einstimmung eine kurze persönliche Geschichte
Vor vielen Jahren sah ich mit dem inneren Auge während einer Meditation ein grosses Licht vor mir, welches mich an eine geistige Sonne erinnerte. Dann sah ich, wie die Sonne zur Hälfte von einem schwarzen Schatten abgedeckt war. Nach einiger Zeit erkannte ich, dass ich selbst dieser schwarze Schatten war: «Ich stehe mir vor dem Licht, ich stehe mir im Weg», war meine Einsicht. Diese Erkenntnis machte mich sehr traurig. Ich gab mich der Trauer hin. Dadurch verschwand die Schwärze; nun wurde ich vollständig vom Licht angestrahlt. Es war wunderbar, berührend.

Der psychologische Widerstand
Nähe macht uns verletzlich. Wenn ein Mensch Distanz hält, macht es ihm nicht so viel aus, wenn er angegriffen oder hart kritisiert wird. Er kann dann auch nicht so leicht manipuliert werden, weil er sich nicht im anderen Menschen verliert. Wenn er sich bindet, tut es sehr weh, wenn er verlassen wird. Viele Leute verlassen ihre Nächsten vorsorglich, um sich den Schmerz zu ersparen, verlassen zu werden. Sie nehmen ihren möglichen Verlust präventiv vorweg. Bei nur halber Nähe, kann ein Mensch nicht so leicht missbraucht und hintergangen werden. Immer geht es um die Abwehr und die Vermeidung von Schmerz und Verlustangst. Wer Nähe vermeidet, verhindert damit auch die Erfahrung von tiefem Vertrauen, Freude und Intimität (Vergleiche den letzten Blog-Beitrag), die er wahrscheinlich zutiefst ersehnt. Die Angst in naher Beziehung missbraucht oder verurteilt zu werden, übertragen Menschen oft auch auf Gott. Die Gottessbilder (zum Beispiel das Bild vom gestrengen und strafenden Vater) erschweren oder verhindern die unmittelbare Gotteserfahrungen.

Oft, sehr oft sogar, glauben Menschen, dass sie es nicht wert seien, Zuwendung in Fülle zu erhalten.

Der gesellschaftliche Widerstand
Es gibt ein gesellschaftlicher Mechanismus, der uns Menschen vom Bedürfnis entreisst, uns von innen leiten zu lassen; es ist eine Kraft, die uns nach aussen schleudert, vergleichbar mit einer Zentrifuge. Beispiel: Neue wichtige Geräte kommen auf den Markt, die uns zu Aussenseiter werden lassen, wenn wir sie nicht bedienen können. Sie verlangen Aufmerksamkeit und viel Zeit. Eine riesige Zerstreuungsindustrie verleitet uns ständig dazu, uns im Aussen abzulenken, zu entspannen und zu vergnügen. Die ungebremste Mobilität verstärkt unsere wachsende Unruhe, die nach Erholung ruft, die überall, nicht ganz billig, zu finden ist. Diese Mechanismen bewirken, dass wir unablässig beschäftigt sind mit Dingen, die uns nicht elementar betreffen. Sie nähren das egozentrische Ich.
Die gleiche Gesellschaft, die uns stresst, bietet auch Wohlfühl-Angebote an – beide Zweige dienen dem Geschäft und halten den Menschen im Aussen gefangen.
Der aussengelenkte Mensch, der nicht mehr in der Lage ist, sich in sich selbst zu verankern, zu erden und zu erkennen, ist leicht zu führen und zu manipulieren. Es sind wahrscheinlich sowohl bewusste, wie auch unbewusste Mächte, die es dem Menschen schwer machen, von innen her, aus dem Herzen, zu leben.

Es ist ohne weiteres zu beobachten, dass innere und äussere Kräfte und Gewohnheiten existieren, die uns daran hindern, das zu beachten und anzustreben, was wir essentiell sind. Wir sehnen uns nach der Erfahrung im Leben aufgehoben zu sein, uns zugehörig zu fühlen und Freude zu erleben. Es sind die Ängste, die ich oben erwähnte, die uns zurückhalten, das zu wollen und zu tun, was uns gut tut.

Es mangelt uns wohl an Mut, den Widerstand gegen das, was uns heilt, aufzugeben. Es beginnt schon damit, dass wir es nicht wagen, den Widerstand gegen das Leben, gegen all das, was uns widerfährt an Lebens-Ereignissen und Situationen, aufzulösen. Indem wir in den Widerstand gehen, gegen das, was uns widerfährt, verwickeln wir uns in einen dauernden Kampf. So wird das Leben zu einer grossen Anstrengung. Es mangelt wohl am Glauben daran, dass dem Leben Weisheit innewohnt und dass es uns gut und wohlwollend gesonnen ist.

Hingabe
Die Hingabe ist wohl das Gegenteil von Kontrolle und Vorsicht. Hingabe bedeutet, sich vertrauensvoll, rückhaltlos und vollständig zu verschenken – es ist ein ganzheitlicher Akt der Liebe, die Annahme des Todes inbegriffen.

Jesus war wohl der Prototyp des Menschen, der sich selbst substantiell in die Welt hineingegeben (sich der Welt hingegeben) hat. Er war vollständig transparent für das ihn durchscheinende göttliche Licht. Er lebte in bedingungsloser Liebe. Seine Hingabe erlöst(e).

Gott selbst ist für mich der Inbegriff von liebender Hingabe.

Wenn dem so ist, dann muss Liebe und Hingabe als die wahre Wesens-Natur des Menschen angesehen werden. Wir sind demnach offene, strahlende, fliessende und gebende Wesen. Also Liebende. Wir untergraben unser Wesen, das wir sind, wenn wir versuchen das Leben primär durch Kontrolle und egozentrischem Eigen-Wille im Griff zu haben.

Das Welt-System fusst auf der Haben-Macht, auf Abgrenzung, Taktik und Strategie. Da gilt der Slogan: «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser».

Hingabe kann wohl erst dann tief im Herzen verstanden werden, wenn wir erleben, dass wir bedingungslos geliebt sind und dass daraus unser Leben fliesst.
Wir Menschen, so fühle ich es, sind verkörperte Hingabe; wir sind inkarnierte Liebe. Erst wenn wir diese Tatsache annehmen können, bis in die Zellen hinein, wenn wir zugelassen haben, dass uns diese Erfahrung erschüttert und transformiert, werden wir verstehen was Hingabe ist. Daraus formt sich der Mut, den Widerstand weg zu legen wie ein Kleidungsstück, das wir schon zu lange getragen haben.

Ich möchte hier den Satz wiederholen, dass Hingabe erlöst und hinzusetzen, dass Hingabe auch transformiert.

 

 

2 Gedanken zu „Widerstand und Hingabe“

  1. …und desswegen heisst für mich Hingabe, unter Anderem, die Annerkennung der Differenz im intersubjektiven Diskurs.
    Ich habe noch viel zu tun!

  2. Wunderschön gefühlt und geschrieben. Danke Dir! Das inspiriert mich, für meinen eigenen Seelenraum, in dem ich noch viel zu tun habe, und bestätigt gleichzeitig, warum wir sichere Räume, Vertrauensräume brauchen, um uns hinzugeben, transformiert zu werden, ohne dabei verletzt zu werden, dennoch aber in die Verletzlichkeit zu gehen. Du benennst auf geniale Weise, was ich probiere zu tun, und manchmal gelingt es wie von Zauberhand, und wir lernen alle dabei. Alles Liebe Dir!

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