Innerer Friede

Innerer Friede stellt sich ein, wenn ich zu mir gefunden habe, wenn ich akzeptiere, was und wer ich bin. Friede baut sich auf, wenn ich mit mir versöhnt bin, wenn ich alle Facetten, die mich ausmachen, angenommen, als Teil von mir integriert habe.
Alles, was ich bin, will angenommen, mehr noch, geliebt sein.

Es steht geschrieben: «Den Frieden gebe ich euch». Friede ist ein Geschenk, nicht machbar, herstellbar. Doch können wir unsere Empfänglichkeit für ihn erhöhen.
Die Erfahrung, geliebt zu sein ist wohl die Voraussetzung dafür, dass wir Menschen in die Lage kommen, uns selbst zu lieben. Diese Erfahrung -sie übersteigt alles, was wir uns vorstellen können- ist die Basis des Lebens, auf deren Grund sich Friede in uns einsenken kann.

Es gibt Ideale in uns, die uns aufgepfropft worden sind, also wesensfremd sind; Ideale, die sich in uns eingegraben haben und teilweise oder ganz unbewusst wirken, uns vorwärtstreiben, stossen, auf Idealzustände hin, die uns nur teilweise bewusst sind und sich als Ehrgeiz, Aktivismus, Stress und Unruhe bemerkbar machen.

Diese Fremd-Ideale, um sie mal so zu benennen, wurden meist von unseren Eltern auf uns übertragen, irgendwie übergossen in der Hoffnung, dass wir, ihre Kinder, einst das verwirklichen würden, was ihnen nicht vergönnt war. Es sind Aufträge, die zu verwirklichen uns überstülpt worden sind. Bewusst oder eher unbewusst, haben wir diese Forderungen akzeptiert und oft noch modifiziert und ausgebaut. – Etwas anderes sind jene Ideale, die aus unserem wahren Wesen heraus wirken und helfen, es zu verwirklichen.

Die Fremd- Idealbilder wirken ständig in uns. Beispiele: Wir streben nach Ansehen, wollen Grosses leisten, die Welt verbessern, gerechter machen, wollen gütig sein, hilfreich sein im grossen Stil, der Welt Erfindungen schenken, die nützlich sind, beglückende Kunstwerke schaffen, von denen man noch lange reden wird, uneigennützig für Viele da sein, usw.

Diese Ideale sind nicht einfach schlecht, im Gegenteil, sie können uns helfen, innere, wertvolle und hilfreiche Qualitäten zu entwickeln, Lebenssinn zu finden.

Die Schatten dieser Ideale bestehen darin, dass sie die Tendenz haben, uns zu überfordern, uns über unsere natürlichen Grenzen hinweg zu stossen in der ständigen dunklen, unbewussten Angst, nicht zu genügen, den Lebenssinn zu verfehlen, das uns Beauftragte zu verfehlen, die Ziele nicht zu erreichen. Der spirituelle Lehrer J. Krishnamurti, der von der Leitung der Theosophischen Gesellschaft genötigt wurde Weltlehrer zu werden (was er verweigerte), sagte: «Es ist etwas Brutales, Ideale zu haben.»

Wie schon gesagt, verlaufen diese Prozesse oft in Dunkeln, Unbewussten. Sie wirken sich auf der Befindlichkeitsebene aus: Ich fühle mich nicht recht wohl in meiner Haut, es fehlt noch etwas; ich bin betrübt, meine Stimmungslage ist gedämpft, vermeintliche Misserfolge beschäftigen mich auch während den Nächten, ich fühle Unrast in mir, mache immer etwas mehr als mir gut tut, denke zu viel, bewege mich in Ideenfluten, die mir aufzeigen, was ich alles sonst noch tun könnte.
Hinter den hohen Idealen verstecken sich oft seelische Verletzungen. Zum Beispiel: ich wurde als Kind nicht voll wahrgenommen. Nun muss ich beweisen, dass ich Dinge vollbringe, die nicht zu übersehen sind.

Die daraus hervorgehenden Spannungen richten mich auf ferne Ideale aus, binden mich an die Zukunft. Sie schweben immer über meinen Möglichkeiten und sie halten mich davon ab, ganz im Hier und Jetzt zu sein.
Nur als Versöhnte, als Versöhnter bin ich gegenwärtig.

Da unsere kranke, im Streben nach Machbarkeit gefangene Gesellschaft von dieser Problematik durchzogen ist, wirkt sie in den Meisten von uns so oder so ähnlich, mehr oder weniger stark. Wir sind daher wie gespannte, ja, überspannte Bogen, mit in die Zukunft gerichteten Pfeilen. Wir vertagen Ruhe und Entspannung auf die illusionären Zeiten danach.

Unsere Lebens-Bilanz, die wir üblicherweise ziehen, wenn wir älter geworden sind, befriedigt uns kaum, oder nur in Stücken und wir wollen sie unbedingt noch optimieren.

Es stellt sich die Frage, ob wir bereit sind, uns mit unseren Grenzen (vergleiche den letzten Blog-Beitrag) zu versöhnen, sie als Teil unseres Lebens anzuerkennen.
Die Frage: Bin ich bereit, mich mit allen Schwächen und Unzulänglichkeiten zu akzeptieren, mehr noch: mich zu lieben. Zu lieben, mit allen Grenzen, mit allem., was ich nicht erreicht habe und wohl auch nicht mehr erreichen werde – ohne jegliche Resignation und Selbstvorwürfe. Unerleuchtet, wie ich bin?

Wenn ich mich also so liebe, so umfassend und bedingungslos, wie ich geliebt werde, stellt sich der innere Friede und Dankbarkeit ein – und vielleicht werde ich mich früher oder später im jetzigen Moment niederlassen und erkennen: alles ist da, alles ist gut. Und nun tue ich das mir Mögliche in Ruhe und Freude, werde vielleicht Friedenstifter.

Nur als Versöhnte, als Versöhnter bin ich gegenwärtig.

Beitragsbild: Sonnenlicht-Reflex auf weisser Wand. Foto

 

 

 

3 Gedanken zu „Innerer Friede“

  1. Lieber Werner

    Ich bin davon überzeugt, dass wir ein vorgeburtliches und nachtodliches Sein haben, will heissen, dass wir uns immer wieder reinkarnieren. Was wir auf Erden tun und erleben, hat einen Einfluss auf den Zeitraum zwischen Tod und neuer Geburt und umgekehrt. Wir waren schon vorher unzählige Mal da und werden es auch in Zukunft sein. Irgendwann allerdings wird dieser Zyklus zu Ende sein so wie er irgendwann begonnen hat, weil es wichtig war den Tod durch die Materie erleben zu können…Das kann man tief spüren.

    Auf was es mir dabei ankommt ist: Bevor wir jeweils heruntersteigen auf die Erde, bevor wie unser Wesen mit einem materiellen Leib umkleiden, der uns dann vieles wegspiegelt,was wir in diesem Leib nicht ertragen könnten, suchen wir uns die Aufgabe für das anstehende Erdenleben, die wir brauchen, um uns weiterentwickeln zu können. Wir sind ja die Schöpfer unseres eigenen Schicksals, individuell wie auch kollektiv, und das in unterschiedlichsten Menschheitszusammenhängen…Vielleicht lautet die selbst gestellte Aufgabe: ständige Überforderung, um daran zu lernen, Grenzen und einen Fokus zu setzen? Oder vielleicht lautet sie: Schwere Krankheit um an ihr zu lernen, dass ich nicht mein Körper bin, dass sie der Ausfluss von Verdrängungen ist oder einfach zeigt, dass wir im Prinzip nicht körperlich sind. Oder vielleicht lautet sie auch als kollektive Aufgabe, an diesem neoliberalen System aufzuwachen: So können wir diesem System sogar dankbar sein, dass es so unmenschlich ist, denn wir brauchen es, um Menschlichkeit als Wert entdecken oder gar vertiefen zu können, so paradox und schräg das klingen mag. Schicksal als Widerstand, um an diesem Schicksal vertieftes Bewusstsein zu entzünden…Das Erdenleben als Widerstandskraft in einer „Petrischale“, zur Züchtung von Bewusstsein?

    Wenn man das vertieft, kann, obwohl wir vielleicht gerade in einer Phase des Unwohlseins, Schmerzes, Unsicherheit sind, tiefer Friede in uns einziehen, weil wir plötzlich bemerken, dass wir einem Grossen und Ganzen angehören, weil wir einen festen Platz im Universum haben und nicht sterben können. Wir leben alle zusammen als grosses Selbst und machen gemeinsam unsere Erfahrungen indem wir uns die Aufgabe suchen, die wir brauchen, um zu diesem grossen Selbst zu werden (uns der gegenseitigen Verbundenheit allmählich bewusst zu werden), indem zugleich der/die Einzelne in Selbstbestimmung leben kann.

    So viel in relativer Kürze

    Sei herzlich im Pfingstgeist gegrüsst
    Joachim

  2. Lieber Werner
    Deine Grundidee, dass wir mit uns im Frieden sein müssen, um segensreich leben zu können, finde ich sehr wichtig.
    Besonders gefällt mir dein Satz: „Wir sind daher wie gespannte, ja, überspannte Bogen, mit in die Zukunft gerichteten Pfeilen“. Er zeigt prägnant auf, woran wir leiden.
    Im übrigen kommt mir in deinem Text das Wort „ich“/“mich“ etwas viel vor. Es scheint, wie wenn es dir im Zentrum der Welt stehen würde. Es muss geliebt, gepflegt werden. Tun wir das heute nicht schon zu viel? Ich kenne jemand, der diese Selbstliebe betont, um Hingabe zu vermeiden.

  3. Innerer und äußerer Frieden

    Lieber Werner

    Ergänzend zu deinen einfühlsamen Worten möchte ich auf etwas Wesentliches hinweisen. Es ist wichtig zu erkennen, dass der innere Friede von dem äußeren nicht zu trennen ist. Der äußere Friede ist das Abbild des inneren. Das bedeutet auch: Der äußere Unfriede ist das Abbild des inneren Unfriedens. Der innere Unfriede in jedem Menschen ist die Wahrheit, die von diesem nicht gesehen werden will, weil sie so schmerzhaft ist, und die nicht leicht gesehen werden kann, weil drei der vier Teilsysteme der Psyche alles daran setzen, das Erkennen der Wahrheit zu verhindern. Sie sind an der Wahrheit nicht interessiert, weil diese die Befriedigung ihrer Bedürfnisse in Frage stellt. Die Wahrheit ist schmerzhaft, weil sie nicht in das Wunschbild passt, das diese drei Teilsysteme von sich selbst erstellen. Das Nicht-Erkennen-Wollen und -Können führt dazu, dass der Wunsch nach Frieden nach außen, auf Dritte, projiziert (übertragen) wird. Andere sollen (friedlich) sein, was der projizierende Mensch (noch) nicht ist. Das führt zu keinem Ergebnis.

    Die Lösung erfordert, die Projektion zurückzunehmen. Das bedeutet, das Ziel, in diesem Falle der Friede, nicht zuerst bei den anderen erreichen zu wollen, sondern es zuerst bei sich selbst zu tun. Das setzt voraus, die Struktur der eigenen Psyche und darin die Ursache für den eigenen Unfrieden zu erkennen. Die Ursachen sind nicht zuerst fremdbestimmt. Wenn es so wäre, läge die Schuld bei den andern. Das ist der Weg der Projektion. Die anderen können wohl als Verstärker (in beide Richtungen) wirken, aber sie sind nicht die Ursache. Die Ursache des Unfriedens liegt im Informationsprogramm der eigenen Psyche. Sie ist in den kompetitiven und gegensätzlichen Wünschen und Funktionen begründet, welche die Psyche, das Leben, konstituieren.

    Es ist richtig, dass sie als Teile der Psyche integriert werden wollen und sollen. Aber das Wort integrieren/integral beschreibt nur das Ziel. Es beschreibt nicht, wie die Integration gelingen kann und soll. Tatsächlich geht es bei der Integration/beim Integralen um die Versöhnung, wie du schreibst. Dazu sind die Instinktiven, Affektiven und Instrumentellen Teilsysteme der Psyche nicht bereit und nicht in der Lage. Sie sind nur zu Koalitionen, zu Kompromissen, zum Tausch und zur Täuschung, zu Geschäften und zu Verträgen bereit, wenn und so lange diese zu ihrem Vorteil sind. Darüber hinaus ignorieren, unterdrücken, verdrängen, verneinen, bekämpfen, fragmentieren (zerstückeln), projizieren, spalten, verletzen und zerstören sie alle Wünsche und Funktionen (Informationen), die der Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse im Wege stehen, unbewusst und automatisch. Zur Versöhnung, zum Frieden, ist allein die Empathische Intelligenz, die wir auch Seele nennen, fähig. Sie allein kann die Instinkte, die Gefühle und den rationalen Verstand, die zum Unfrieden führen, annehmen, besänftigen, beruhigen und so verwandeln, dass sie nicht mehr destruktiv, sondern konstruktiv sind. Diese Metamorphose bedeutet, dass sie nicht mehr nur ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen suchen, sondern bereit sind, sich in den Dienst der ganzen Psyche, des ganzen Lebens, zu stellen. Das ist das Integrale.

    Zu versöhnen sind zuerst die kompetitiven, gegensätzlichen und komplementären Wünsche und Funktionen im Innern der Psyche. Das setzt voraus, diese präzise erkennen, unterscheiden und im System der Psyche zuordnen zu können. Es bedeutet, die Gegensätze zu verbinden und aufzulösen. Es erfordert die bewusste Führung des eigenen Lebens durch die Seele. Das ist die Führung durch die Liebe, die Schönheit, die Wahrheit und das Leiden, durch die Sanftheit, die Bescheidenheit, die Berührtheit und die Bewusstheit.

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