Erschütterung durch Schmerz und Schönheit

Garry Zemp, der ehemalige Co-Präsident der IP (Integrale Politik), schreibt auf der Web-Seite der IP:

„Die Menschheit, mindestens die des abendländischen Kulturkreises, steht vor einer existenziellen Wahl. Entweder bleibt sie weiter auf dem durch die kapitalistische Moderne vorgezeichneten Weg der Selbstzerstörung, oder sie entscheidet sich für den kreativen und konstruktiven integralen Weg, ein Weg der persönlichen und sozialen Bewusstseinsentwicklung.“

Ich stimme dieser Analyse zu: Die globale Entwicklung, die sich der Rendite und dem wirtschaftlichen Erfolg auf Kosten von Minderheiten und der Natur verschrieben hat, ist selbstzerstörerisch. Das globale, moderne kapitalistische System verspricht alle Probleme lösen zu können und bietet dafür technisch-wirtschaftliche Reparaturen an, selbst wenn die Ursachen zwischenmenschlicher Art sind. Es verleugnet die wahren Ursachen. Das System ist darauf angelegt, sich selbst zu erhalten, indem es sich für alles zuständig und fähig erklärt. So – um ein Beispiel zu nennen – wollen die USA einfach Palästina kaufen (wir bringen euch allen Wohlstand), um den Preis, dass dieses sich politisch stille hält und seine Forderung nach einem eigenen Staat begräbt.

Die für mein Dafürhalten dringliche und tiefgreifende Bewusstseins- und Verhaltensänderung ist über vernünftige Argumentationen nicht oder nicht alleine zu erwarten.

Deshalb glaube ich, dass es die Erfahrung von Erschütterung, ausgelöst durch Schmerz und Schönheit, braucht, welche bis auf den Grund der Seele wirkt.

Das heute verbreitete rationale und funktional-technische Denken und Handeln („was nützt es mir…“) ist bis in die Knochen verinnerlicht. Es basiert auf Trennung und Zersplitterung.

Die Erschütterung kann sowohl von aussen (gesellschaftliche Umwälzungen, Krisen, Erdbeben, Kriege, usw., wie auch von innen (Krisen, Krankheiten, Träume, Trennungen, usw.) kommen.
In der jetzigen Übergangsphase von einem nun vergehenden Zyklus der Menschheitsgeschichte in einen anderen, höheren, bewussteren, herz-zentrierten Zyklus sind sehr starke Kräfte der Umwälzung am Werk und sehr starke Emotionen wie Angst, Schmerz, Trauer, Auflehnung, Hoffnung und Sehnsucht wahrnehmbar. Aber auch Licht aus hohen Ebenen und Heilkraft. Diese starken Ströme des Wahrheits-Bewusstseins und der damit verbundenen Emotionen sind eingepackt, also isoliert von unserer Alltags-Wahrnehmung. Die allgemeine Verdrängung und Verleugnung sind mächtig.
Hellfühlende, erwachte Menschen, zum Beispiel feinfühlige Künstler*, nehmen aber das gleichsam unterirdische Brodeln und Beben sehr stark wahr.

Die Erschütterung will wahrgenommen und gefühlt werden, will uns Menschen erreichen, damit die inner-seelischen Bewegungen und Prozesse geschehen können,
damit die nötigen Entwicklungsschritte stattfinden. Indem uns die Veränderungsprozesse klar werden, auch emotional, gewinnen sie an Kraft und Realisationsvermögen. Wir können erst dann von „Einsicht“ sprechen, wenn diese alle Schichten der Persönlichkeit durchdrungen hat.

Meistens sind es Erfahrungen von Schmerz oder von Schönheit, die uns helfen, letztlich heilsame Erschütterungen zuzulassen. Sowohl Schmerz, wie auch die Erfahrung von Schönheit können berühren, aufrütteln und erschüttern!

Wenn Menschen lange genug das unterdrückt haben, was ihnen helfen kann, zur Einsicht zu finden, bildet sich Schmerz, der sich schlussendlich durchsetzt in verschiedenen Formen. Dies gilt sowohl für die individuelle, wie auch für die kollektive Ebene. Diese schmerzlichen Erfahrungen, Krisen, bewirken die dringend nötigen Veränderungen und Entwicklungsschritte.

Positive Erschütterungen resultieren meist aus der Erfahrung von Schönheit, wie sie nicht selten in meditativen Zuständen, in der Kunst oder bei Nahtod-Erlebnissen vorkommen. Sie sind umwälzend. Erfahren wird: Schönheit als Ausdruck der LIEBE, wie sie in der ganzen Schöpfung wirkt und Leben entstehen lässt. Das Erleben ursächlicher stupender Schönheit, führt bei Vielen zu einer kompletten Neuorientierung ihrer Lebensweise. Sie fangen an zu staunen und wissen nun Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Sie werden sich für den Geist und nicht für das Geld entscheiden.

Ich glaube, dass die meisten Menschen, sowohl das Erleben von Schmerz wie auch von Schönheit für ein Leben in Bewusstheit benötigen. Vermutlich gilt dies auch für die menschliche Gesellschaft.

Meine Grund-Frage ist: Was hilft uns, tiefgreifende heilende Berührungen, die bewegen und erschüttern und damit zur Umwandlung führen, offen zuzulassen?

 

*Die Symphonie Nr. 2 von Thomas Trachsel handelt von der Angst unserer Zeit. Höre hier den 1. Satz der Symphonie. Es ist ratsam, sich ganz in diese moderne, expressive Musik zu versenken. Sie drückt etwas vom Brodeln und Beben dieser Zeit aus:

 

 

 

 

 

2 Gedanken zu „Erschütterung durch Schmerz und Schönheit“

  1. Danke lieber Werner! Für mich eine sehr schöne und passende Beschreibung für die Wandlungsvorgänge, die jetzt im Gange sind!

    Wie können wir dazu beitragen, dass diese Transformationen offen stattfinden können? Jede/jeder ist aufgefrufen, sein Seelenlicht so mutig und liebevoll zu offenbaren wie es ihm/ihr möglich ist. Das himmlische Management scheint mit uns ganz zufrieden zu sein und uns kraftvoll und voller Liebe zu unterstützen. Natürlich sind auch die unlichten Kräfte am Werk und bäumen sich sichtbar und geräuschvoll auf. Ihre Nahrungsgrundlage, das ist unsere Angst und Abhängigkeit, wollen sie sich auf keinen Fall nehmen lassen!

    Vielen dämmert es, dass wir uns mit jeder liebevollen Handlung, jedem Gefühl der Wertschätzung, jedem lichtvollen Gedanken positiv an der Transformation in das neue Lichtzeitalter beteiligen. Dass jede negative Bewertung, jedes Äussern oder Veröffentlichen von Angstszenarien, jede negative Emotion oder Handlung aus Unselbständigkeit, das Unlicht nährt. Gleichzeitig spüre ich aber auch, dass mich das Angstvolle aufruft, etwas zu Verändern.

    Und so ist alles darauf angelegt, Schritte des Erwachens zu machen. Wir sind alle im Schulhaus Erde und dürfen lernen, dürfen Fehler machen und uns entwickeln.

    Die Zuversicht, dass wir als Menschheit die nächste Stufe schaffen, wird immer grösser und führt in die unbedingte Liebe, die Gemeinschaft aller Wesen, die Zusammenarbeit mit unseren feinstofflichen Geschwistern.

    Herzlich Wolfgang

  2. Lieber Werner

    Ich möchte an dieser Stelle über eine sich mir eröffnete Methode zur Bewusstseinsentwicklung berichten und ein paar Gedanken anfügen, die mich seit geraumer Zeit umtreiben. Ich finde, dass es gut zu Deinen wirklich sehr wohltuenden und weisen Ausführen passen könnte.

    Es gibt seit den 40ern des 20. Jh. die Praxis des Naikan, eine in Japan entwickelte Methode der Selbstbeobachtung und Selbstreflexion. Darüber hat Gregg Krech ein schönes Buch geschrieben, das mir die liebe Anne Amgwerd vor längerer Zeit geschenkt hat. Drei einfache Fragen stehen im Zentrum dieser, mein persönliches Leben und Verstrickt-Sein in dieses möglichst real zu fassen:

    1. Was habe ich von …. bekommen
    2. Was habe ich an …. gegeben
    3. Welche Probleme und Schwierigkeiten habe ich …. bereitet.

    Wenn ich konsequent die Übungen mache, die die Praxis des Naikan vorschreibt, kann ich nicht anderes als schonungslos offenlegen, was meine eigene Rolle an den Entwicklungen um mich, in meinem Lebensfeld und vielleicht noch weiter, ist. Ich höre dann erst einmal auf, die Ursachen woanders zu suchen als bei mir selbst. Die Triebfeder der Suche nach Wahrheit, meine Verstrickungen ins Leben, liegt vor allem in meinen erfahrenen (eigenen) Leiden und Schmerzen und, das kommt im Naikan weniger vor, finde ich ich aber sehr treffend von Dir dargestellt, in den Erfahrungen der Schönheiten in Natur und Kunst. „Schönheit ist die Tochter der Freiheit“, sagte Schiller. Unser Freiheitsweg der Selbstbestimmung geht demnach durch Leid/Schmerz und Erkenntnis des Schönen/Wahren/Guten im individuellen wie kollektiven-politischen Bereich hindurch.

    Der Naikan kann (anthroposophisch gesprochen) im Zeitalter der „Bewusstseinsseele“ als ein Element zur Ich-Werdung im Kontext des grossen Selbst, des Wir begriffen werden. Ich-Entwicklung als Liebe-Entwicklung und Kapitalismus gehören offensichtlich zuzsammen(?) Erst die Hässlichkeit gewinnorientierten und habgierigen Verhaltens, an dem ich ja ständig beteiligt bin, ob ich will oder nicht, das sich in der Hässlichkeit einer Entstellten gebauten Umwelt, in stinkenden Flüssen, stinkender Luft, dröhnender Maschinen, Steitsucht und Krieg (auf allen Ebenen des menschlichen Lebens) ausdrückt, weckt in mir die das Verlangen nach Schönheit, Wahrheit und Güte. Die Erfahrung von Schmerz und Tod sind Teil des Lebens, wenn der Lebensbegriff auch karmisch, schicksalhaft aufgefasst wird.

    Ich erlebe den Kapitalismus als zentrale Stosskraft der Zerstörung auch in mir, genährt durch meine eigenen Triebe, Begierden und übersteigerten Wünsche, als Gesteinsbrocken in der Strömung eines begradigten Todes-Lebensflusses, gegen den das Wasser des Lebens prallt. Der Gesteinsbrocken bewirkt Widerstand (Wirbel, Strudel usw.) und: Beschleunigung. Durch die Verengung des Flusses wird das Wasser beschleunigt, entstehen Wirbel, die uns verschlingen können. Wenn jemand durch so eine Stromschnelle mit einem Boot fährt, wird er/sie sofort wach und aufmerksam. Vorher ging die Fahrt plätschernd und gemütlich/dösend vor sich, jetzt wird sie wild und unübersichtlich. Angst kann uns packen, Ohnmachtsgefühle ob der Kräfte, die wirken. Dadurch wird das Leben bewusster. Das ist merkwürdig: Braucht die menschheitliche Bewusstseinsentwicklung den Kapitalismus sogar um innerlich weiterkommen zu können?

    Der Kapitalismus hat, so gesehen sogar eine wachrüttelnde Dimension, vielleicht zunächst für diese drei einfache Fragen. In dem Moment, wo ich dann beginne Dankbarkeit zu empfinden, zunächst und vor allem für die kleinen Dinge des Lebens und dann auch für die Schmerzen und Schönheiten die mir durch die Welt zuteil werden (weil sie ja durch mein Erwachen erst in meinen Bewusstseinshorizont gelangt sind) und schlussendlich den Geistern der Welt, die mich geschaffen haben, die die Natur mit den Geschenken für uns erschaffen haben, löse ich meinen eigenen, innerseelischen Kapitalismus in mir auf. Das bewirkt, dass der Lebensfluss mäandrieren darf, die Begradigung organisch aufgehoben wird und so zu einer Entschleunigung des Lebensflusses beiträgt. So entsteht (in mir) Spiritualität. Ich beginne, das Leben zu (be-)greifen, tiefer zu empfinden, wie auch immer…

    Ein anderes Bild, was mir kam ist, dass zur Zeit auf einem verwüsteten Feld überall kleine grüne Pflänzchen wachsen; heilende Tätigkeiten von bereits erwachten Menschen, die der Zentralstosskraft des Kapitalismusdenkens ihre Rammkraft wegnehmen, sie in dezentrale Initiativkraft verwandeln.

    Herzliche Grüsse
    Joachim

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