Der Turmbau zu Babel

Ich träumte kürzlich:
Ich besichtige eine Festung, die auch ein Turm ist. Bald habe ich das Bedürfnis, den Festungsbau zu verlassen. Ich finde aber keine Ausgänge, realisiere dann, dass ich ganz oben im Festungsturm bin und im Turminneren abzusteigen habe. Der Abstieg gestaltet sich sehr beschwerlich. Abgründe, immer neue, tun sich auf. Die Stein-Quader und Balken, die herumliegen sind nicht mehr fest, alles zeigt sich als wacklig, bröcklig. Der Turm, so wird es offenbar, ist am Zerfallen. Einmal ist der Schlund, in dem ich bin, so furchterregend, dass ich um Hilfe rufe, die ich auch bekomme. Ein Mann zeigt mir die noch begehbaren Stufen. Der Abstieg dauert sehr lange, immer neue Abgründe zeigen sich. Ich brauche alle Kraft, allen Mut und alles Vertrauen, um die Konzentration und Aufmerksamkeit hoch zu halten. Schliesslich komme ich unten an und ich erwache.

Vor ca. sieben Jahren hatte ich einen ähnlichen Traum. Auch damals war mir klar, dass es sich um den Turm zu Babel handelt. Dieser Turm symbolisiert mir die menschliche Hybris (Überheblichkeit). Ich erlebe die menschliche Verfassung und Zivilisation als bröcklig, hochgeschraubt, nicht wahrhaftig gegründet und verankert, sondern eben als schwankend, dem Zerfall nahe.

Hierzu die Deutung des jüdischen Mystikers Friedrich Weinreb*:

«Die Überlieferung berichtet, dass man das irdische Leben bis in den Himmel ausbreiten wollte. Den Himmel erobern… Man glaubte, dies mit Hilfe der materiellen Mittel zu erreichen.
Die ganze Menschheit musste an dem Bau mitarbeiten… insgesamt 600 000 Arbeiter…
Wenn eine Welt endet, tritt die Zahl 6 auf. Sie ist das Kennzeichen des Endes einer Vielheit, einer materiellen Kraft, eines Rausches.
Nicht der Wohlfahrtsstaat mit all seiner technischen Entwicklung ist das Ziel des Menschen in dieser Welt. Mit allem, dem der Mensch hier begegnete, kann er die Verbindung knüpfen mit Gott, eben mit der anderen Welt. Ist man jedoch einmal auf dem Weg der Entwicklung, dann fällt es unheimlich schwer, seinen Eigensinn einzugestehen. Natürlich soll man sich untereinander auch materiell helfen, aber der Mensch soll nicht materiell gebunden und gefangen werden.

Weil der Turm kein starkes Fundament hat und auch zu hoch gebaut ist, droht sein Einsturz.
Der Weg, so zeigte mir der Traum eindringlich, führt nach unten – und es ist keine Zeit zu verlieren.
Dieser Weg nach unten ist sowohl kollektiv, wie auch individuell zu verstehen.

Kollektiv-gesamtgesellschaftlich: Ich schätze, dass der gebildete, zivilisierte Mensch in den wohlhabenden Ländern etwas 70% seiner Zeit (meine Schätzung) vor Bildschirmen (PC’s, TV, Smartphones, etc.) verbringt und vor Tellern mit Snacks, wo keine Zärtlichkeiten, keine tieferen Gespräche, keine Sinnlichkeit stattfinden und dieser emsige, kopflastige Betrieb in natur-fernen Räumen, in grauen Büros und Küchen passiert. – Dies als ein Bild für den gefangenen, in sich gekehrten, einsamen Menschen. Der Mensch, in sich selbst geschaffener Einsamkeit und Isolation – was für ein trauriges Bild!

Individuell: Wir sind dazu erzogen worden, konkurrenzierend und leistungsbezogen den Weg nach oben anzustreben: zu mehr Prestige, Geltung und materiellem Reichtum. Wir sind es gewohnt in einer dauernden Anspannung zu funktionieren, uns anzupassen und unsere innere Welt zurückzunehmen. Hier ist mit dem Weg nach oben, nicht das Geistige gemeint, sondern das egozentrische Oben im Sinne von Selbst-Erhöhung.
Wir kapseln uns ein, mauern uns ein. Der Turm, in den wir uns einmauern, hält uns zurück, verhindert unsere Ausstrahlung. (Die Corona-Sicherheits-Bestimmungen machen es auch nicht einfacher – im Gegenteil.) Leben und Wachstum wollen sich ausdehnen, Licht will ausstrahlen. Eingekapselt, verkümmern wir. Wir müssen den Turm verlassen – gut, wenn er zerbröckelt. Gut gelang es Rapunzel eine Art von goldenem Seil aus ihren Haaren zu flechten, an denen sich der Retter (der Prinz) festhalten konnte. Auf welche Weise auch immer wir den Turm verlassen, es ist gut, denn es ist kein Leben in ihm.

Der Abstieg zu dem, was uns zusammenhält, unseren Wesensgrund, ist, so meine ich, die zentrale Herausforderung unserer Zeit.

Es ist also Zeit, tiefer zu gehen, das Fundament zu erneuern (vergleiche den letzten Blog-Beitrag: Beten). Da unten ist das einfache Leben – Leben in Beziehung.

Tiefer gehen heisst für mich: Die bestehenden Beziehungen zu anderen Menschen, zur Natur, zur Erde und zur geistigen Welt zu vertiefen: nackt, ich meine ohne Schutzhülle, sich verletzlich zeigen, hingebungsvoll und bereit zu lernen, Nähe einzugehen und auszuhalten.

Tiefer gehen heisst für mich aber auch: auf die Stimme des Herzens zu lauschen, auf die Seins-Kraft, die unter unserem Charakterpanzer und unter unserer vordergründigen Persönlichkeit gegenwärtig ist. Und dies möglichst täglich.

Während eher aussengeleitete Menschen manipulierbar und damit sehr anpassungsfähig sind, sind innengeleitete, im Seelengrund verwurzelte Menschen intuitiver im Denken, in Verbindung mit den sie begleiteten Wesenheiten und damit von innerer Wahrheit geleitet; sie sind unabhängiger, freier und kaum manipulierbar. Die Mächtigen der Welt haben an ihnen wenig Interesse und entziehen ihnen die Wertschätzung und Unterstützung. Sie, die von innen her Befreiten, bleiben klar und entschieden. Durch sie kann sich das Fundament erneuern.

*Friedrich Weinreb: Der göttliche Bauplan der Welt. Origo
Der Mystiker, Gelehrte, Lehrer und Autor lebte ab 1970 in Zürich, wo er 1988 verstarb.
Sein grossartiges Wirken und Werk fand bis heute nicht die verdiente Anerkennung.

 

 

 

 

 

 

3 Gedanken zu „Der Turmbau zu Babel“

  1. Dein Festungsturm im Traum kommt mir vor wie ein Symbol für das zu Ende gehende Zeitalter der Moderne. Individuell und kollektiv bauten sich die Menschen geistig und materiell immer grössere Türme. Die sind heute marode geworden. Die zukünftige Entwicklung beginnt mit dem Weg des Individuums nach innen. Könntest Du Dein Überbewusstsein nicht noch um einen Traum bitten, der aufzeigt, wohin der Weg des Kollektiven führt.

  2. Lieber Werner
    Dein Traum vom Turmbau zu Babel und wie Du ihn deutest, zeigt deutlich die menschliche Verfassung und Zivilisation.
    Auch die Zeit des Corona Virus weist auf viel Wackliges und Bröckelndes hin, dessen sich die Menschheit unbedingt bewusst werden sollte.
    Deine letzten sechs Beiträge sind mit ihren eindrücklichen Bildern wie eine Leitlinie. Du schenkst uns mit diesen Themen viel, lieber Werner!

    Bei den Informationen der Bundesräte und den Verantwort-lichen mit anschliessender Fragerunde fehlt mir etwas. Ich vermisse den Tiefgang. Ich frage mich, warum diese Führungskräfte nicht vermehrt auch z.B. Philosoph*en beiziehen, die diese Perspektive eines Adlers haben, der von oben das Ganze sieht – mit erweitertem Blick. Die Antwort des Hopi-Indianers finde ich grossartig.

    Die Zeit des Virus hat mich nicht in eine Schockstarre versetzt. Vielmehr in eine Trauer. Werden wir als Menschheit die richtigen Schlüsse ziehen und den Weg nach innen finden?
    Werden wir um Hilfe rufen und diese auch erhalten und annehmen?
    Werden wir aus dem aussteigen, was uns schadet?
    Werden wir tiefer gehen und unser Fundament finden?
    Werden wir auf die Weisheit des Indianers hören?
    Werden wir uns entscheiden: Für das Loch oder die Pforte?

    Die Corona Zeit betrifft alle. Wir sehen aber auch, dass es viele Menschen härter trifft (Ärmste, Migranten …). Es gibt eine grössere Hilfsbereitschaft. Menschen zeigen wiederholt Dankbarkeit gegenüber dem Pflegepersonal. Aber genügt das?
    Für mich ist die EU eine Farce, statt eine echte Gemeinschaft, die Akzeptanz z.B. Ungarns eine Schande.

    Kürzlich hatte ich diese Gedanken: Es hat ihn wohl gebraucht, diesen totalen Stopp. Wir sollten der Zeit vor Corona nicht nachtrauern und Angst haben, es werde nie mehr so, wie es vorher war.

    War die Zeit vorher denn so gut und gesund?
    So Vieles sollte anders, besser, einfacher sein.

  3. Lieber Werner
    Dein Traum ist sehr präzis und zeigt – wie Du ihn deutest – klar die menschliche Verfassung und Zivilisation: Bröckelnd, schwankend, zerfallend, auf keinem Fundament gegründet, kein Leben im Turm.
    Auch die Zeit des Virus zeigt das. Viele Missstände treten augenscheinlicher auf.

    Als die Zeit des Virus kam, wurde die weite Welt plötzlich eng. Wo sie uns genommen ist, die Weite, spüren wir, wie sehr wir sie brauchen. Wie elementar wir vom Gefühl leben, aufbrechen zu können, frei atmen zu können. Für eine gewisse Zeit wird uns die reale Weite, die Möglichkeit auch zu reisen, verwehrt bleiben. Aber mit unserer Sehnsucht lassen sich dennoch Räume öffnen. Vielleicht müssen wir jetzt öfter unsere Augen schliessen und uns dorthin träumen, wo der Horizont unendliche Weite verheisst.

    Weite ist auch eine Herzensqualität: Ein Herz ist weit, wenn es Raum hat für alle Menschen.

    Deine letzten sechs Themen beschenken uns wieder reich. Sie beschäftigen sich alle mit der Krisenzeit, mit den Umständen, auf die wir dabei stossen. Danke lieber Werner, für diese „Leitlinie“ durch diese Zeit. Es hilft mir, mich konstruktiv mit dem Ausnahmezustand auseinander zu setzen.

    Social Distancing wird für unbestimmte Zeit zur Notwendig-keit, doch es verändert auch unsere Wahrnehmung der Menschen um uns herum. Die Pandemie wird Spuren in der Gesellschaft hinterlassen, selbst, wenn die Bedrohung nicht mehr akut ist. Im Miteinander, in der Beziehung zu uns selbst und in der Beschäftigung mit existenziellen Fragen.

    Der wöchentliche Grosseinkauf mutet an wie eine Exkursion in feindliches Gebiet. Der Feind ist wiederum unsichtbar und könnte überall lauern: In der jungen Frau mit dem Einkaufswagen, dem schnaufenden Jogger unterwegs, selbst im Kleinkind der Nachbarsfamilie. Das Coronavirus hat unser Empfinden gegenüber andern verändert. Die Pandemie bündelt und verstärkt Tendenzen, die in der Gesellschaft bereits existieren, die Begegnung mit dem Fremden mit latenter Abwehr, jetzt körperlich stark erfahrbares Grundmoment: Der andere ist eine mögliche Bedrohung. In Kriegs- und Nachkriegsgesellschaften zeigen sich mit Blick auf Gefahrenvermeidung Ähnlichkeiten.

    Dem gegenüber steht eine vielfach beschriebene Welle der Solidarität, die Fremde zum Helfer macht. Hilfsbereitschaft überrascht uns, da Solidarität gegenüber Fremden in der Wohlstandsgesellschaft unter normalen Umständen nicht nötig ist. Jetzt greift die Solidarität. Es stellt sich die Frage, ob diese genügend verankert ist oder nur eine pragmatische Notwendigkeit darstellt.

    Wie wird sich die Solidarität zwischen den Generationen entwickeln? Jetzt sind die Massnahmen, das Social Distancing, zwischen Jung und Alt entscheidend. Auch Junge müssen auf ihren gewohnten Alltag verzichten. Solidarität zerbricht immer, wenn ein „wir“ und ein „die“ konstruiert wird: „Wir“ dürfen etwas nicht, um „die“ zu retten.
    Es gilt einen „Wir“-Sinn zu schaffen. Wir wollen nicht, dass unsere Alten sterben, wir wollen eine Gesellschaft sein, die sich um alle kümmert. Diese Erkenntnis wäre auf die ganze Welt auszuweiten, auf alle Völker untereinander. Wir verhalten uns weltweit dumm!

    Die Pandemie wäre auch ein möglicher Ausgangspunkt für einen Pfadwechsel in der Auseinandersetzung mit uns selbst. Ein Grossteil der Bevölkerung verzeichnet eine gähnende Leere im Terminkalender. Vieles ist abgesagt, eingestellt, die Hamsterräder angehalten. Die unfreiwillige Entschleunigung wird nicht von allen als angenehm empfunden. Die freie Zeit könnte aber nützlich sein, um herauszufinden, was (einem) tatsächlich wichtig ist und bietet Raum, um mit diesen wichtigen Fragen (entscheidenden Welt- und Umweltfragen) in Verbindung, in Resonanz zu treten.

    Die Frage ist nur: Werden die Wirtschaft und alle Lebensbereiche möglichst schnell wieder hochgefahren und das normale Tempo wieder aufgenommen, individuell und gesamtgesellschaftlich?

    So, als ob nichts gewesen wäre.
    Ausser Spesen, nichts gewesen.

    In der Frage, ob die Pandemie tatsächlich auch im Hinblick auf den Kampf gegen die Klimaveränderung positive Langzeitfolgen haben wird, äussern sich Experten vorsichtig optimistisch. Wir sollten dafür plädieren, das Bisschen Erholung der Natur als Ermutigung zu betrachten. Die Coronakrise zeigt, dass sich auch mit eingeschränkten Flugmöglichkeiten leben und grössere Restriktionen im Flug- oder Autoverkehr verkraften liessen.

    Es gibt durchaus Chancen für Veränderung. Die vergleichsweise erfolglose Klimapolitik der letzten Jahrzehnte haben bei Menschen zu einer „gewaltigen Ohnmachts-erfahrung“ geführt. Grüne Parteien, Klimagipfel,
    Verpflichtungserklärungen, nichts hat zu einem entscheiden-den Kurswechsel geführt.
    Dann kommt ein Virus und wir machen die Erfahrung, dass wir tatsächlich politisch handeln und die Räder zum Stillstand bringen können, wenn wir wollen. Die politische Schlagkraft im Kampf gegen die Pandemie steht im Kontrast zum Gefühl der Unkontrollierbarkeit, die das Virus bislang mit sich bringt.

    Kein Impfstoff, keine Medikamente und unterschiedlichste
    Krankheitsverläufe. Themen Tod und Sterben beschäftigen anders als in normalen Zeiten die gesamte Gesellschaft. Diese Allbetroffenheit wirft Fragen auf, denen man sich ungern stellt. Das Bedürfnis nach einem Gefühl für eine Verbindung mit dem „Umgreifenden“ nimmt hoffentlich zu. Die Verletzlichkeit und die Unverfügbarkeit des Lebens ein wiederkehrendes Thema in der Bibel. Ich glaube das Coronavirus ist wie ein Anruf an die Gesellschaft.

    Mich hat die Zeit des Virus nicht in eine Schockstarre versetzt. Vielmehr in eine Trauer, Chancen würden verpasst. Wir sollten der Zeit vor dem Virus nicht nachtrauern und Angst haben, dass es nach dem Virus nie mehr so werden wird wie vorher.

    Die Medienkonferenzen des Bundesrates und der Verantwortlichen haben mich enttäuscht. Es fehlt die Tiefe. Es war zu keiner Zeit erkennbar, dass diese Leute etwas in dieser Situation hinterfragt haben, Philosophen oder Psychologen einbezogen und das Thema mit der Perspektive eines Adlers, der das Ganze von oben sieht, mit erweitertem Blick.

    Etwa wie die Philosophin der Sendung „Sternstunde Philosophie“, die sich sehr kritisch mit dem Thema Pandemie auseinandergesetzt und die richtigen Fragen gestellt hat. Sie meint, dass die EU eine Farce sei und eine Schande, statt in dieser Zeit als echte Gemeinschaft zu wirken und sie befürchtet, dass wichtige Chancen verpasst werden.

    Werden wir den Abstieg zu dem, was uns zusammenhält, wagen und den Turm verlassen?
    Werden wir auf die grossartige Antwort von White Eagle hören und uns eine schöne, freud- und lichtvolle Schwingung bewahren!

    Herzlich Doris

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