Hypnose und Anpassung

Zunehmend erlebe ich die Welt unter Hypnose gefangen. Anders gesagt: verengt im Irrlicht von Illusionen. Andere sagen «Maya». Ein Leben jenseits des Wahrheits-Bewusstseins, ein Leben im Wahn. Ich frage mich: Hat sich meine Wahrnehmung verändert, eventuell geschärft, oder ist die Welt anders geworden: unwirklicher, gefangen in einer Art von Hypnose?

Ich war ein Nachkriegskind, ein Nachkriegs-Jugendlicher. Ich verschlang die Nachkriegs-Literatur, beschäftigte mich mit grossem Entsetzen mit dem Holocaust.

Folgender Text von Günter Eich packte mich:

«Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind… Tut das Unnütze. Singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet. Seid unbequem, seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt.»                                                                      G. Eich, 1907 bis 1972

Dieses Zitat war mir ein Leitspruch während meiner Jugend. Es half mir, mich selbst zu finden, mich nicht an Fremdem, sondern an meinen eigenen Träumen zu orientieren.

Viel später beschäftigte ich mich wieder mit Anpassungs-Bereitschaft, als ich von Hannah Ahrendt hörte: Sie bezeichnete die Charakteristik des Bösen als banal, als eine Form der Anpassung bis hin zur Unterwerfung, als Gedankenlosigkeit, wo die Folgen der eigenen Gedanken und Taten nicht bedacht werden. Sie fand im Guten, im Gütigen Gedankentiefe, nicht aber im Bösen, welches sie als oberflächliche Pflichterfüllung, als Ordentlichkeit ohne Mitgefühl betrachtete.

«Es kommt immer anders, wenn man denkt.» So das Leitwort von Rubikon, dem wachen, empfehlenswerten alternativen Nachrichten-Magazin im Internet.
Kann man das Böse eventuell als Gedankenlosigkeit ansehen? Ich glaube, dass sie ein Aspekt davon ist.

Viele Trends in unserer Gesellschaft erinnern mich an Hypnose, die uns in eine Art von trance-ähnlichem Schlaf spült, in dem es spukt. Es ist ein Schlaf der uns betäubt zurück lässt, welcher es uns nicht erlaubt, klar zu denken und Entscheide zu fällen.

Zu den Herrschaftsmechanismen im Bildungsbereich äusserte sich Rainer Mausfeld* wie folgt:

«Im Gefolge der neo-liberalen «Revolution von obewurde auch das gesamte Bildungssystem ökonomischen Kategorien unterworfen. Die Aufgabe der Universität besteht nun in der marktkonformen Produktion von «Humankapital».
Dazu korrespondierend besteht die Aufgabe der Studierenden darin, ihr Fremdverwertbarkeitskompetenz zu optimieren, um so flexibel auf dem Arbeitsmarkt verwertbar zu sein. Die Verinnerlichung einer solchen Haltung und die Unterwerfung unter sie werden dann als «Selbstverwirklichung» bezeichnet. Eine solche Pervertierung der Idee einer Entfaltung eigener Neigungen und Fähigkeiten führt zwangsläufig zu geistiger und psychischer Fragmentierung der Studierenden und auch zu grossen Zukunftsängsten. Beides beeinträchtigt aus naheliegenden Gründen die Möglichkeit und die Bereitschaft, Dinge zu hinterfragen und führt zu Entpolitisierung, ja, politischer Lethargie.»*

 Ich glaube, dass die Anpassungs- und die Hinnahme-Bereitschaft bis hin zur Unterwerfung zunehmend unbewusst geschieht. Die «Intelligenz» des gesellschaftlichen Systems bewirkt, dass die Anpassungsleistungen, die die Leute erbringen, jenseits der Bewusstheit abläuft – eben in Hypnose.

Gewalt wird mit Wohlgeruch ummantelt, mit kleinen Vergnügungen. Infotainment ist eines der Mittel der Kaschierung. Euphemismen okkupieren die Sprache; die Meinungs-Vielfalt der Presse, der Medien, zerfällt zusehend. Zucker liegt auf den rohen Tatsachen.

Wir wissen immer weniger, dass wir hypnotisiert sind.

Beginnender Widerstand in der Bevölkerung wird ignoriert, unsichtbar gemacht oder ins Lächerliche gezogen. Oder: es wird ein Geschäft aus ihm gemacht, denn alles was stört, wird vermarktet und die Beschleunigung behindert das Erwachen. Das mag eine Erklärung dafür sein, warum die Lämmer schweigen.
Als Illustration zum Gesagten empfehle ich das Buch von Sibylle Berg: „GRM – Brainfuck» zu lesen. Es ist schwere Kost, aber analytisch brillant. Es geht im Buch um die total gesteuerte und überwachte Welt.

Und jetzt drängt es sich auf, das oben genannte Zitat noch einmal zu lesen:

«Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind… Tut das Unnütze. Singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet. Seid unbequem, seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt.» 

*Rainer Mausfeld: Warum schweigen die Lämmer. Westend

Beitrags-Bild: Bild von HR Giger

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert