Ein Funke reinen Lebens

«Die unverfälschte Substanz unseres Wesens ist Liebe. Wir sind ontologisch Liebe. Und auch Gott ist wie ein einziger Liebesschrei, eine unendliche Leidenschaft und ein unendlicher Durst nach Liebe. Unsere einzige Daseinsberechtigung ist diese Liebe.»
Ernesto Cardenal

Je länger ich mein Interesse auf meine Seele richte und mich auf ihren Kern, den Seelen-Kern, konzentriere, desto deutlicher kristallisiert sich mir das menschliche Wesen heraus in seiner Würde, Grossartigkeit und unendlicher Weite.

Unser wahres Wesen, welches gleichsam unter der aussen gerichteten Persönlichkeit, halb verborgen, existiert, ist reines Leben, aus Liebe hervorgehend – und diese Liebe drückt sich in einer Schönheit aus, die unsere äusseren Augen nicht wahrnehmen kann. Diese Tatsache zu erleben, wirft uns aus dem Rahmen, den wir uns ausgesucht haben, in eine Ekstase ausserhalb dieses Rahmens und in ein Entzücken, das der Verstand weder auffassen, noch wiedergeben kann. Hier ist alles belebt bis in jeden Winkel unserer Person. Es ist flammendes Sein in Freude und Begeisterung.

Unser Wesen ist in Ausdehnung begriffen. Sein «Flug» führt uns durch unzählige Dimensionen des Seins bis hin zum grossen Geheimnis des Nicht-Wissens.

So etwa, ganz in Kürze, sei meine Erfahrung angetönt, für die ich mehr als gerne lebe.

Im Gegensatz dazu fühlt sich mein Alltags-Ich, welches klein ist und meine kleine Persönlichkeit widerspiegelt, flach an, bestimmt von eingewöhnten Mechanismen und Gewohnheiten, aber auch von äussern Reizen und engen gesellschaftlichen Konventionen und Strukturen.

Ich vermute, dass die Menschheit als Ganzes, Ausnahmen bestehen natürlich, ermattet ist. Sie ist aus der Einheit gefallen in ein tiefes, erniedrigtes Bewusstsein, in einen Zustand der Selbst-Vergessenheit und der Selbst-Verlorenheit. Es gibt ja sehr viele Menschen, die sagen: «Ich funktioniere nur noch, lebe nicht wirklich. Ich bin erschöpft.» Diese viel gehörte Aussage zeigt deutlich das verflachte, ermattete, maschinenartige Lebensgefühl zahlreicher Menschen an. Und alle wissen, dass Zerstreuung höchstens kurzfristig dagegen hilft. Jetzt, während der Kontaktarmut in der Corona-Krise verbreitet sich dieses sub-depressive Lebensgefühl hinter Mauern von Anpassung und Ängstlichkeit.

Viele Menschen kennen diesen Zwiespalt zwischen dem grossen, erwachten, strahlenden Selbst und ihrem abgeflachten Dasein, welches sich in den eigenen Schatten eingehüllt hat, um sich vor dem Licht zu verstecken, dass ja tief innen so ersehnt wird.

Der himmlische Mensch lebt im Exil.
Es ist von Gutem diese beiden Lebens-Wirklichkeit als Tatsache anzuerkennen und keine dieser geschilderten Anteile weg zu reden oder zu verdrängen.
Spirituelle Kraft heisst auch, diese Zweiseitigkeit, diesen harten Kontrast auszuhalten, wie auch das Leiden, welches dadurch erzeugt wird.
Dadurch wird es möglich eine Brücke zu bauen, zwischen diesen beiden Welten, wobei einzuwenden wäre, dass es nur eine übergreifende Wirklichkeit gibt: Die leuchtende, göttliche (absolute) Wirklichkeit bedingungsloser Liebe, während die Schattenwelt (die relative Welt) deshalb existiert, weil wir uns selbst vor dem Licht stehen, bedingt durch alle unsere Ängste und Verletzungen in dieser manchmal recht harten und grausamen Welt. Deshalb ist es nicht nötig, uns Vorwürfe zu machen, wenn wir oft lichtscheu durch die Welt gehen.

Was aber hilf, ist Verständnis.

Gelingt uns der Brückenbau, dann wird es uns möglich sein, Licht über die Brücke zu «tragen», von der lichten Seite her in die verdunkelte Nacht-Seite, ins Exil.

Wie aber finden wir Boden in der Wirklichkeit unserer Wesenheit, mit anderen Worten, wie vertiefen wir unsere Beziehung zum inneren Menschen, der erkannt werden möchte?

Wer schon einmal in den Raum des wahren inneren Menschen (unserem wahren Wesen) hat blicken dürfen, wird diese Ein-Sicht nie mehr vergessen, wird den Glanz dieses Raumes verinnerlicht haben und sein Sehnen, in diesen Raum ganz eintreten zu können, bleibt in der Regel erhalten. Unsere Seele, ein Speicher des Wissens, lässt sich befragen, in welcher Weise es uns möglich ist, unsere «Heimatland» zu betreten. Sie wird uns auf den Weg, zu uns selbst weisen, wenn wir gelernt haben, unseren inneren Meister, unsere innere Meisterin nach unserem Weg zu befragen. Viele alte Weisheits-Traditionen stehen uns zusätzlich zur Verfügung. Sie weisen uns auf bewährte Eckpunkte des höheren Wissens hin, die uns zusätzlich helfen, den Weg nach innen zu unserer Wesenheit zu finden.

Jedenfalls braucht es eine spirituelle Alltags-Praxis, die uns hilft, uns dem Sog unserer Ego-Dominanz zu entziehen und uns auf das innere, göttliche Licht auszurichten.

Für mich jedenfalls ist die Hingabe an das, was jenseits dessen ist, was ich im Griff zu haben meine, von grosser Bedeutung, das Interesse an all den Dimensionen, die ausserhalb meines abgegrenzten Rahmens mir zu lächeln. Ich habe auch gelernt, jene inneren Erfahrungen, die mich ausweiten und beglücken, ernst zu nehmen, sie zu schätzen und nicht abzuwerten.

Würde ich mich nur an die Gegebenheiten meiner konditionierten Persönlichkeit halten und an die entsprechenden gesellschaftlichen Gegebenheiten und Normen -oh du meine Güte! – wie schrecklich langweilig und bedrückend ist diese Vorstellung. – Seit langer Zeit fühle ich Gewissheit darüber, dass diese Welt der Erlösung und Bewusstwerdung bedarf, weil sie der Erschöpfung nahe ist, durch die Ausbeutung durch uns Menschen. Und wir beuten ersatzhaft uns selbst und die Erde aus, weil wir die Beziehung zu unserem wahren Seelen-Wesen, dem inneren Lichtmenschen vernachlässigt haben und dadurch unterernährt sind.

Wenn ich vom Lichtmenschen spreche, dann meine ich das exakt im Wortsinn. Wer geduldig in seinem Leben regelmässig nach innen geschaut hat, über Jahre hinweg, wird vielleicht ab und zu die Quelle des Lichtes in sich erspürt und gesehen haben – oder doch ein Funke reinen Lebens.

Ein Funke reinen Lebens kann genügen, um unser Leben von Herzen zu leben.

 

Ein Gedanke zu „Ein Funke reinen Lebens“

  1. Lieber Werner
    Dein heutiger Funke reinen Lebens hat in mir viel Resonanz gefunden. Ich freue mich schon auf dein weiteres Funkensprühen.
    Herzlich
    Reto

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert