Vor etwa drei Monaten begann es: Zuerst schwoll mein Fuss an, dann der Unterschenkel, der Oberschenkel. Das rechte Bein wurde zum «Elefanten-Bein». Ein vergrösserter Lymphknoten drückte in der Beckenregion auf Venen, verursachte einen Stau. Bestrahlung wurde mir empfohlen, nebst Lymphdrainage.
Im Folgenden schildere ich einen Gang (von zwanzig) in die Radio-Therapie.
Nach dem mich der Rotkreuz-Fahrer vor der Türe des Glashauses der Klinik aussteigen gelassen hat, trete ich in den hoch modernen Kubus ein.
Der Lift, rundum aus Stahl, der Lift-Boden wie alle Böden der Klinik mit Teppichplatten belegt -Anthrazit- bringt mich mit leisem Summen ins dritte Untergeschoss. Ich melde mich an der Réception. «Guten Tag Herr Binder, nehmen sie doch noch einen Moment Platz.»
Ich setzte mich auf einen dieser eckig-spitzig geformten Sessel: Leder schwarz und hell-braun. Der Empfang gleicht einem drei – oder vier-Sterne Hotel. Am Eckpunkt der Theke eine grosse, weisse Orchidee. Alle Räume, auch hier, haben eine braune Wand (braun gestrichene Span-Platten oder Kork?) die anderen Wände und die Decke sind weiss. Viele Air-Condition-Anlagen sind an der Decke. Natürlich gibt es keine Fenster, wir sind im 3. UG – Endlager-Atmosphäre. Dafür ein riesiges Aquarium mit Zier-Fischen. Gegenüber der Fische eine Ablage mit Prospekten, welche die Klinik und ihre Dienste anpreisen.
Wahrscheinlich ein internationales Innen-Architekten-Team hat diese Spital-Kette einheitlich gestylt. Auch der Dress-Code der MitarbeiterInnen (weiss mit ein bisschen hell-blau) ist Teil der Präsentation.
Nach zwei Minuten kommt die junge, nette Assistentin: «Guten Tag, Herr Binder, wie geht es ihnen» Ich spüre ihre Anteilnahme. Sie führt mich zu den Behandlungsräumen, vorerst in die Umkleide-Kabine. Dort habe ich meine Hose auszuziehen. Die gegenüberliegende Tür geht auf. «Bitte schön: sie können kommen.»
Das Beitragsbild zeigt diese riesige Apparatur der Bestrahlung. Ich lege mich auf die Liege. Mein Bauch ist nackt und zeigt die Markierungen – rote Kreuzchen. Die Licht-Markierungen der Bestrahlungsanlage müssen nun genau mit den Farbstift-Markierungen auf meinem Bauch übereinstimmen. Dafür wird das Leintuch auf dem ich liege, millimeterweise hin- und her gerückt, bis ich präzise, Kreuz zu Kreuz, daliege. Nun wird mir ein Plastikring in die Hände gedrückt. Diesen Ring soll ich mit beiden Händen auf der Brust festhalten, was hilft, mich komplett stabil zu halten.
Die Bestrahlung beginnt: ein Surren, Summen und Klicken ertönt. Ich versinke in Meditation.
Zu Hause hatte ich die Form dieser Meditation eingeübt: Ich stellte mir ein Lichthaus vor, welches den Ort der radioaktiven Bestrahlung umfasst, gleichsam überdacht und in seiner göttlichen Strahlkraft heilsam durchwirkt, mich schützt und allenfalls schädliche Einwirkungen transformiert.
Mit dem Surren fällt die geistige Strahlkraft augenblicklich über mich und ich fühle mich aufgehoben in heilsamer Stille.
Die äusseren Erscheinungen nehme ich nach wie vor wahr, zum Beispiel die Radio-Musik im Hintergrund – Swiss-Pop – ohne mich davon irritieren zu lassen.
Die Apparatur, die sich eben noch drehte, steht nun still.
«So das wäre es wieder einmal gewesen. Sie können mir den Ring nun wieder geben.»
Ich stehe auf, gehe in die Kabine, nach dem ich mich verbschiedet habe, ziehe mir Hosen und Regenjacke an (Dauerregen da draussen), nehme den stählernen Lift, der mich aus der Unterwelt wieder ans Tageslicht hebt, steige ins Auto und gebe mich der zunehmenden Müdigkeit hin, die stets der Bestrahlung folgt.
PS: Das Bein findet allmählich zu seiner ursprünglichen Form zurück.
Vielen Dank Herr Binder für Ihren „Erfahrungsbericht“ einer Strahlungsbehandlung aus einer kontemplativen Haltung heraus. Sehr ermutigend. Vor einigen Jahren durchlebte ich eine Krebsdiagnose und deren Behandlungsmöglichkeiten. Der Umgang mit schulmedizinischen Methoden in Verbindung mit transpersonalen Zugangsweisen, hat mir damals sehr geholfen, mich den möglichen Heilungspotientialen der modernen Gerätemedizin gegenüber öffnen zu können.
Danke, dass Sie uns Ihre Erfahrungen mitgeteilt haben. Danke, dass Sie den Blog weiterführen, auch in Zeiten eines Erfahrungsweges mit einer Erkrankung.
In unbekannter Verbundenheit, Petra Reiners
Lieber Werner, dein Lichthaus- was für eine gesundheitsunterstützende Idee für jeden erkrankten Menschen, der sich in der kargen, medizinischen „Unterwelt“ behandeln lassen muss. Nun ist dort Gottes heilende Lichtkraft dank dir! Erinnert mich an die Meditationen mit dir, bei denen wir mit OM- Gesang einen sakralen Raum gestalteten.Herzlich Maja.