Leiden – Teil 2

Während ich im ersten Teil die Bedeutung des Mit-Leidens in den Fokus genommen habe, möchte ich dieses Mal noch mehr den leidenden Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen. Hier stelle ich Aspekte des Leidens dar, weise auf den Sinn des Leidens hin im Bewusstsein, dass es sich hier nur um einzelne Aspekte des Phänomens handelt.

Das echte Leiden – ich denke dabei vor allem an schwere Krankheiten und Verluste (zum Beispiel den Tod eines Kindes), Kriegstraumata und Missbrauchs-Erlebnisse – trifft oft unvermittelt, oft auch «Unschuldige», wie eben Kinder und die Frage drängt sich auf, weshalb manchen Menschen so viel Schmerz zugemutet wird.

In der Regel sind die Ursachen des Leides, des Schmerzes vielfältig und eine monokausale Sichtweise ist in der Regel ungenügend, dient einem umfassenden Verständnis wenig.

Das Leiden einseitig als Folge von Sünde und Fehlhandlungen (Karma) zu deuten ist für mich ebenso unbefriedigend, obwohl die genannten Betrachtungsweisen Teil-Wahrheiten darstellen, wenn sie nicht einfach auf eine moralisierende Weise als Strafe gedeutet werden.

Der Leidende ist vor erst einmal dem Leid, das ihm zusetzt, ausgeliefert.

Was in der Regel das Leiden verstärkt ist, es zu verdrängen oder es ausschliesslich als schlimmes, absolut ungerechtes und nicht abänderbares Schicksal (als einen Schlag, einen Schicksals-Schlag) anzusehen.
Ich möchte hier wiederholen, was ich im ersten Teil des Essays gesagt habe: Verleugnetes Leiden ist der Anfang fast jeden Übels.

Falls dem Leiden, das einem zugefallen ist, auch eine ev. positive Seite zugestanden wird, oder ein Positives nicht einfach ausgeschlossen wird, öffnet sich die Möglichkeit zu den Fragen:

Was will mir das zu Erleidende sagen? – Und: Was will es mir zu erkennen geben?

Es ist nicht hilfreich eine sofortige Antwort erzwingen zu wollen. Wichtig ist, dass diese oder ähnliche Fragen aus dem Herzen gestellt sind und eine Bereitschaft aufgebaut ist, für eine Antwort bereit zu sein, wann immer diese kommen mag.

Untersuchungen im Bereich der Psychologie haben aufgezeigt, dass Menschen, die auf solche Weise offen fragend auf traumatische Ereignisse reagieren können, Traumas weit besser verarbeiten können, als solche, die Leid nur als Ungerechtigkeit zu betrachten geneigt sind.

Hilfreich ist es, Leid anzunehmen, als eine Tatsache, die sich im Leben ereignet, im Vertrauen darauf, dass eine solche Erfahrung zum Leben gehört, sogar sinnvoll ist (auf das Ganze gesehen) und als Teil des Lebens integriert werden möchte. Wenn ich alles, was in meinem Leben geschieht, als Tatsache, als Realität akzeptiere, bekommt mein Leben eine völlig andere Färbung, als wenn die Geschehnisse bei mir in der Regel auf Widerstand prallen: «Warum muss gerade ich dies erleben?» Wenn ich das, was mir geschieht, ablehne, bin ich in einem Dauer-Kampf-Modus, was mir meine Kräfte nimmt und mich hindert, eine tiefere Ebene, nämlich die des Seins, zu betreten.

Ich selbst erlebte und erlebe den Lebensweg bis zum Punkt der ganzen Annahme, insbesondere des Leidens, als langwierig und manchmal mühsam. Aber seelisch gesehen, habe ich keine andere Wahl. Ich habe deshalb keine andere Wahl, weil mir der Weg des Vertrauens als der einzig gangbare Weg erscheint, als ein Weg der Liebe und der Heiterkeit.

Leiden ist Leben auf der Suche nach dem Licht der Erkenntnis, des Bewusstseins und der Liebe. Es stösst uns manchmal geradezu auf jene Bereiche in uns, die nach Licht rufen.

Das Gefordert-sein durch Leiden und Schmerz ist manchmal Ausdruck der fordernden Liebe Gottes und manchmal sogar eine Art von Vorbereitung oder Einstimmung auf künftige Lebensaufgaben.

Indem wir Menschen uns einlassen auf unser Leiden und uns durch es entwickeln, bescheidener oder weiser werden, mildern wir das Leiden auf der Welt, tragen unseren Teil zur Erlösung bei – lösen Unbewusstes aus den Verstrickungen des Dunklen, bewusster und unbewusster Gewalt und weichen Verhärtungen auf.

Es ist also sehr hilfreich und sinnvoll Leid und Leiden als Resultat sowohl des persönlichen, familiären, sowie kollektiven und über-persönlichen Lebens zu erkennen und zu verstehen.

Wir Menschen sind Individuen und Menschheit und was wir auf der persönlichen Ebene angehen und annehmen, wirkt sich auch in der Menschheits-Familie heilbringend aus.

Wenn Du also Dein Leiden annimmst, reichst Du damit deine Hand all dem, was in der Menschheit auf Versöhnung wartet.

 

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