Beten

Ein Raum der Liebe

In der Liebesbeziehung erschafft sich, entzündet durch die Liebe, ein Raum der Liebe, der Heilung und der Schönheit. Wenn zwei oder mehrere sich lieben, wird ein Drittes geboren.
Zuerst entsteht der Liebes-Raum, dann wird darin ein Wesen geboren.

Den Liebes-Raum wage ich Gebet zu nennen.

Gott als Wesenheit

Das Wort Gott mögen viele Menschen nicht, u.a. deshalb, weil sie nicht so recht glauben, dass Gott ein lebendiges Wesen ist, das man ansprechen kann. Vielleicht haben sie auch Angst, dass dieses allmächtige Wesen sie kontrollieren könnte. Viele Leute übertragen die Erfahrungen die sie mit Vater und Mutter gemacht haben auf Gott, der dadurch Züge unserer eignen Vorstellungen und Projektionen bekommt. So ist es Vielen wohler, von einer höheren Macht zu sprechen, welche alle Informationen und Energie in sich vereinigt – ein Gedanke, der nicht falsch ist, aber das Wesenhafte von Gott ausklammert, ohne welches ich nicht von Gebet sprechen könnte.

Dual-Union

Für mich bedeutet Gebet Dialog, Zwiesprache, Austausch, Beziehung, Liebe in Bewegung. Für mich bedeutet Gebet auch ein non-dualer Austausch. Es sind zwei Personen und gleichzeitig nur ein Wesen. Wenn ich also mit Gott spreche, oder auf ihn höre, ist es mir bewusst, dass ich mit meinem Innersten spreche, meinem Wesenskern – und, so wird es mir klar: ICH BIN DIE MITTE MEINES WESENS. Ich spreche also mit mir selbst, wenn ich bete. Es ist eine Art von Selbst-Gespräch, denn ich spreche mit meinem hohen, wahren Selbst, das ich bin, aber welches sich in mir noch nicht ganz verwirklicht hat.
Es sind ZWEI IN EINEM, eine Dual-Union. Im Raum der Zweiheit, der Beziehung findet Erkenntnis statt, baut sich Vertrauen und Hingabe auf. Hier geschieht Vereinigung.
LEBE vereinigt. Damit sich diese entwickeln kann, braucht es Zweiheit. Bewusstwerdung und Einigung benötigt Beziehung.

LIEBE entwickelt sich in Beziehungen. In Liebes-Beziehungen.

Die Ur-Beziehung

Die Ur-Beziehung ist die zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen dem Einen, dem Liebenden und dem Geliebten, der Geliebten.
Im Menschen ist es die Beziehung zwischen dem äusseren Menschen und seinem Wesen, welches das Göttliche in sich trägt.

Alle anderen Liebes-Beziehung sind Ausformungen und Ausdruck der grossen, ursächlichen Beziehung.

Das Gebetshaus

Das Gebet ist ein Haus, ein Gebets-Haus, welches von Freude, Vertrauen und Dankbarkeit durchdrungen ist, und durch diese drei emotionalen Schwingungen ist es entstanden.

Ist Beten also eine Art von Bauen? Ja, das Gebetshaus baut sich in und durch die Liebeskraft und es begleitet uns auf unserem Lebensweg; es ist also nicht ortsgebunden und von daher auch mit einem Zelt zu vergleichen, das überall, wo wir sind, aufgeschlagen werden kann.

Im «Haus» wirkt heilender Geist. Die Atmosphäre im Raum des Gebetes ist von grösster Dichte, Lebendigkeit und zärtlicher Intimität.
Es braucht auch die menschliche Treue dem Geber allen Lebens gegenüber, damit sich das Gebetshaus, das in unserem Herzbereich und in unserer Aura entsteht, festigt.

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Ich versuche hier ein paar Merkmale des Betens zu beschreiben, die mir in meiner Gebets-Praxis von grosser Wichtigkeit sind:

In Stille lauschen

Wenn sich die Alltags-Gedanken und die Anzeichen von Stress beruhigt haben und Stille einkehrt, ist der Moment gegeben, lauschend innerliche Wirklichkeit und Wahrheit zu erfahren. Nun wird alles ein grosses Lauschen, das innere Ohr des Herzens hat sich geöffnet. Wir können nun einfach dem zuhören, was Gott uns jetzt sagen möchte oder wir können die eine oder andere Frage stellen, die aus der Tiefe aufsteigt. In offener und geduldiger Weise lauschen wir dann dem, was für uns jetzt wichtig und bedeutsam ist und dabei achten wir darauf, durch welchen Kanal uns Hinweise oder Antworten gegeben werden. Zu manchen Zeiten kommt die Antwort zu uns durch Worte, andere male durch Stimmungen, heilende Bilder oder Symbole, etc.
Manchmal fliessen uns Antworten, Erkenntnisse, Einsichten zu ohne Wort und Bild. Gerade sie sind oft von grosser Kraft aufgeladen. Sie wirken durch unsichtbare, nicht sinnliche Kanäle und verändern und wandeln uns auf eine sehr subtile Weise. Das sehr feine Lauschen nimmt diese zarten Ein-Strömungen wahr und leitet sie unserem Herz-Zentrum zu.
Edith Stein, die jüdisch-stämmige Karmeliterin, die im zweiten Weltkrieg in Ausschwitz umgebracht wurde, sagte:

«Das Entscheidende ist das innere Berührtwerden von Gott ohne Wort und ohne Bild. Denn in dieser persönlichen Begegnung findet das innere Kennenlernen Gottes statt.»
(Wege der Gotteserkenntnis)

Wenn die Nähe zwischen dem Liebenden und dem Geliebten, zwischen Gott und Mensch sich also intensiviert hat, wird die Kommunikation zwischen Gott und Mensch unmittelbarer und direkter und es sind immer weniger Übermittlungshilfen wie zum Beispiel Symbole nötig, weil nun die Übermittlung und Vermittlung ganz auf die Herz-Ebene gelangt ist, wo intuitiv gesendet und empfangen wird und wo es auf einmal  nicht mehr klar ist, ob da noch zwei da sind, oder nur einer, bzw. eines.

Darbringen und übergeben

Es ist hilfreich, tröstend und heilend, wenn wir uns Gott gegenüber rückhaltlos und nackt zeigen, IHM und uns alle unsere Schwächen, Abhängigkeiten, Bösartigkeiten und Bedürfnisse   offen eingestehen. Mehr noch, wir können uns IHM als ganze Persson darbringen und übergeben – in liebender Hingabe. Das ist uns vielleicht nur am Ende unserer Reise möglich.

Aber es kann ja sein, dass wir IHM zunehmend mehr und mehr von uns zeigen:

«Schau, so bin ich, schau: ich lege alles, was ich bin vor Dich auf den strahlenden Altar. –
Nichts will ich zurückhalten, nichts beschönigen, nichts bagatellisieren.
Schau, so steht es um mich.»
Etwa in dieser Art können wir sprechen. Wie ein Kind, das wagt, sich anzuvertrauen.

Natürlich weiss ER schon alles, längst bevor wir es ausgesprochen haben, denn ER ist ja unsere Mitte, unser Wahrheits- und Liebes-Zentrum.

Wir tun diese Offenlegung für uns, weil uns diese Geste der Offenheit und des Vertrauens stärkt – und schon während wir in dieser Weise zu sprechen beginnen, setzt die Heilung womöglich schon ein, denn diese Art aus dem Vertrauen zu reden, ist heilend und die Intimität im Gebetsraum erhöht sich.

Meine Erfahrung ist es und auch die zahlreicher anderer Menschen, dass wir gehört werden, wenn wir aus dem Herzen sprechen.

Ich schrieb schon in früheren Blogs: «Es gibt etwas Anteilnehmendes und Hinhörendes in allem, was ist.» Deshalb gehen wir nie verloren, wenn wir uns öffnen.  Die Aufgehobenen sind die, die sich gewagt haben, sich darzubringen und sich zu übergeben.

Eins-Werden

Wir werden, was wir sind: eins, zugehörig mit allem, was existiert.
Wir können auch von Er-Innerung reden. Wir erinnern uns an unsere All-Verbundenheit, daran, dass wir eins sind in Vielfalt, also dass der eine Geist in allem Geschaffenen lebendig ist.
Im Gebetsraum entfaltet sich diese Wahrheit, Schritt für Schritt und wirkt heilend auf uns ein und in dem Tempo, das für uns möglich und zuträglich ist. Da nämlich, wo Stille und Bewusstsein ist, wird die Art wie etwas geschieht und das zuträgliche Tempo vom grossen Wissen (der Wahrheit und der Weisheit) eingebracht – und dieses Wissen reichert sich ständig an, je öfter wir im Gebetshaus leben.

 

Die Liebe erscheint – 2. Teil

Die erste Fassung dieses Textes schrieb ich schon vor einigen Jahren. Nun in der Zeit der Corona-Krise hat er sich meiner Ansicht nach aktualisiert. Vermutlich befindet sich die Menschheit jetzt in der Phase des Schmerzes und der selbst-erzeugten Ohnmacht und Kontrolle.

Wer liebt er-scheint
Ich glaube, wir stehen an der Schwelle zum Kosmos des Herzens, wo die allgegenwärtige Liebe als Fundament des Lebens von immer mehr Menschen gefühlt und erkannt wird.

Der Sprung auf die Ebene des Herzens ist oft von Schmerzen begleitet. Es sind die Trennungsschmerzen, die wir erlitten, als wir in die Tiefe der Nacht der Seele stürzten, beim Fall aus der Verbundenheit in die Gespaltenheit. Beim Aufstieg in den Kosmos des Herzens wird dieser Schmerz reaktiviert. Schmerz auf der Rückkehr in die Einheit ist ein wesentlicher Teil des Heilungsvorganges. Schmerz ist Teil der Heilung, Leiden geht der Freude und der Licht-Erfahrung voraus.

Wer zu lieben begonnen hat, fängt an zu scheinen, zu strahlen, zu leuchten. Aus dem Liebenden breitet sich ein Lächeln aus. Ein Duft. Unendlich.
Das selbst gewählte menschliche Drama zwischen Überheblichkeit und Selbst-Vereinsamung (ich brauche niemanden!) kann zu Ende gehen, wenn sich der Mensch in das heilende Licht des Herzens fallen lassen lässt (fallow in love (engl.), tomber amoureux (franz.), in die Erfahrung des unendlichen Aufgehoben-seins, der Liebe und der Freiheit. Ob wir uns nun in einen Menschen oder ins Leben verlieben, es fühlt sich an wie ein sanftes Fallen – ausgelöst durch Vertrauen, Hingabe und Entspannung.

Wer liebt, erscheint. Wer liebt, scheint.

Aufgewühlt – Aufgerüttelt
Zuerst sucht die Liebe durch eine zarte Bewegung und Vereinigung uns zu verlebendigen. Wenn ihre sehr feinen Töne, ihre zarten und betörenden Gesten und Bewegungen mehrfach zurückgewiesen oder ignoriert werden, verwendet die Liebe vehementere Ausdrucksformen.

Wenn die Abwehr eines Menschen gegen die Kraft, die ihn rettet, sehr stark ist, stark wie ein Damm gegen näherkommende Wassermassen, muss der Damm (oder die Mauern) verstärkt werden. Der Druck, der ihn rettenden Kraft verstärkt sich ebenso. Bis zum Durchbruch. Die Liebe hat den Drang in sich, durchzubrechen, zu erreichen, gehört zu werden.

Wenn die Impulse aus dem Herzen von Menschen nicht gehört werden, so intensiviert sich die Dringlichkeit der inneren Stimme. Das ihnen Zufliessende, die Liebe, flösst ihnen Angst ein; es wird als etwas Gefährliches oder Feindseliges missdeutet. Die Kraft der Liebe wird sehr oft verkannt, weil die Liebes-Impulse uns erschüttern und vielleicht auch verwirren.
Manchmal will die Seele, dass ein Reifeschritt sehr schnell erfolgt, aus inneren Gründen, die wir vielleicht erahnen, aber nicht wissen.

Du kannst den Zug verpassen, deine Schlüssel verlieren, eine Panne haben, stürzen. Eingriffe, die etwas in deinem Leben ermöglichen sollen. Du weist diese Ereignisse als Schikane zurück, als Störung, Gemeinheit, weil Du nicht darauf vertraust, dass diese, vielleicht widrige Umstände, eine Gelegenheit in deinem Leben darstellen, etwas zu erfahren, das für dich wichtig ist, zum Beispiel dein Leben in Richtung vertiefter Liebe zu verändern.

Der Mensch baut seine Abwehr noch mehr auf, wenn er sich vor den Inhalten der Herzens-Stimme fürchtet. Der Druck, vielleicht in Form von Blut-Hochdruck, steigt an.

Wenn dem Druck nicht mehr widerstanden werden kann, kommt es zu einem System-Zusammenbruch. Das ganze System, oder ein Teil-System bricht ein. Dies gilt sowohl auf individueller, wie auch auf kollektiver Ebene.

Beim individuellen Menschen kann es sich konkret zum Beispiel um einen Herz -oder Hirnschlag handeln, in der Natur um eine Überflutung, in einer Zweier-Beziehung kann es zu einer Scheidung und/oder zu Gewalttaten führen. Dies ist eine Weise, wie sich Liebe manifestiert: Sie bewerkstelligt einen Zusammenbruch. Sie zerstört eine Abwehr-Struktur oder eine seelische Stagnation. Aus Not, weil die zarten und feinen Signale nachhaltig und über eine lange Zeitstrecke abgewiesen wurden.

Kollektiv: Stress; unruhige gespaltene Gesellschaften. Konflikte eskalieren, finden keine Lösung. Das Immunsystem der Menschen ist zunehmend überfordert, neue Krankheiten brechen auf. Wetter-Extreme wie Orkane mehren sich. Die gesellschaftlichen Strukturen zerbrechen, die natürlichen Öko-Systeme kollabieren.

Was getrennt war, muss einmal wieder zusammenfinden. Das im Wesen angelegte Ziel, will erreicht werden, wie der Strom erst im Meer zur Ruhe kommt. Die Mutter kann sich erst beruhigen, wenn sie das verlorene Kind wiederfindet, so wie der Hirte nicht ruht, solange er das verlorene Lamm nicht gefunden hat. Die natürliche Ordnung „leidet“, wenn das, was fundamental zusammengehört, sich nicht trifft. Die Liebe verbindet, um sich zu erfüllen.

Es ist von grosser Tragik, wenn Menschen, das, was sie im Innersten sind, nämlich Licht und Liebe, weg-projizieren und abspalten, weil sie diese Tatsache ablehnen, nicht aushalten, weil die Selbst-Verachtung zu gross ist. Dies aber geschieht häufig. Es ist bekannt, dass Menschen Schattenanteile veräussern, weniger, dass sie das von sich abspalten, was ihre Essenz ist.
Für die Erneuerung des Menschen ist die Zurücknahme der Projektionen von ausserordentlicher Bedeutung.

Wenn also die natürliche Ordnung schwer gestört ist, zerstört die Liebe das, was stört und Störungen erzeugt. Die Liebe wirft ihre Fesseln ab.
Die Liebe möchte wieder Wohnsitz nehmen, da, wo sie hingehört.

Die Liebe will, dass wir dem begegnen, was uns hilft liebende Menschen zu werden. Durch wahrhaftige Begegnungen, erwacht die Liebe ins uns.

Es sind immer innerliche und äusserliche Begegnungen, die wir brauchen, um glückliche Menschen zu werden.

Innerlich: Wir verbinden unsere äussere Personalität mit unserem Wesenskern, unsere Individualität mit unserer Universalität.
Äusserlich: Wir treffen die Menschen, mit denen wir seelenverwandt sind oder solchen, die uns durch Zuneigung oder Forderungen entwickeln lassen.

Das Leben will uns helfen. Wir können dazu beitragen, indem wir die Liebesbeziehungen in unserem Leben mehren und stärken. Dadurch kräftigen wir die immer existierende Kraft der Liebe, die stets helfend und kräftigend wirkt. Die Seele hilft uns bei der Verwirklichung unseres Lebens. Sie stellt uns alle Informationen zu Verfügung, die wir für unsere Evolution benötigen. Sie kreiert aber auch alle Situationen in unserem Leben, die uns helfen, uns wahrzunehmen, uns zu entwickeln und zu vervollkommnen. Sie weist uns aber auch auf die Beziehungen hin, die zu unserem Wohle sind. Es sind geistige Wesen am Werk, die diese Beziehungen und Zusammenkünfte vorbereiten und begleiten.

Es gibt im Leben jedes Menschen eine Kraft, die unser Bestes will. Wir erkennen sie oft dann nicht, wenn um uns eine anscheinend gefährliche oder ungewohnte Dynamik aufkommt. Die Liebe ist nicht immer süss. Wie die Rose, die manchmal ihren Duft verströmt und manchmal sticht.

Doch immer meint es die Liebe, die vor allem in unserer Seele wohnt, gut mit uns.

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Liebe erwacht – 1. Teil

Schon immer hat mich die Schöpfungsgeschichte der Bibel berührt. Ich erzähle sie hier mit meinen Worten. Sie zeigen, wie ich die Welt verstehe.
Der Mensch ist heute ganz besonders und mit Dringlichkeit gefragt, wie er wirklich leben möchte und was für ihn die Basis seines Lebens ist. Nicht die Mächtigen sollen es uns sagen, sondern wir selbst mögen es in uns er-hören.


Begegnung erweckt

Atem – Bewegung, aus Liebe
Als der Eine, Gott, das Andere, das Gegenüber erschuf, hauchte er seinem Geschöpf seine ganze Liebe und Barmherzigkeit, als sein Erbe, seinen Segen und sein Vermächtnis ein, und liess es frei seinen Weg wählen. Dieser Hauch übermittelte dem Geschöpf die schönste Liebeserklärung, die es je gab. Wenn wir Menschen bewusst einatmen und auf die subtile Dimension des Atems achten, spüren wir diese uns bewegende Liebeserklärung.
Der Hauch, der subtile Atem, wie wir auch sagen können, übermittelt uns die unbedingte Liebe und Solidarität Gottes auf unserem Weg. Dieses liebende Einströmen bewegt uns.
Die Liebeserklärung liegt auf dem Grund unserer Seele. Sie erinnert an eine Melodie.

Die Geburt der Seele – Die Bewegung wird zur Wanderschaft
In diesem liebenden Odem wurde unsere Seele geboren. Ursprünglich ist sie sich in dieser ersten Regung / Berührung als wanderndes und gesegnetes, beseeltes Leben bewusst. Die Liebeserklärung Gottes an sein geliebtes Menschengeschöpf wohnt also der Seele inne. Die erste Bewegung (Regung), ist die Antwort auf den göttlichen Odem. Diese erste Regung wird zum Fluss des Lebens, der uns aus dem Ursprung durchströmt. Er ist Leben gewordene Liebe. Aus dem Ein-Hauch floss und fliesst der Strom der bedingungslosen Liebe, als Urkraft und Ur-Bewegung auf unserer Wanderschaft durch die Welt. Dieser Ein-Hauch ist die Innenseite unseres Atems.

Die Ur-Bewegung als Anfang der menschlichen Geschichte.

Diese erste ursächliche Bewegung (die erste Regung des lebendigen Wesens Mensch) ist die Grundlage aller Bewegungen und Prozesse, aller geschichtlicher Ereignisse, aller Lebensrhythmen und Wandlungsgeschehen.

«da bildete der Herr, Gott, den Menschen aus Staub vom Erdenboden und blies Lebensatem in seine Nase. So wurde der Mensch ein lebendiges Wesen.» (Genesis 2,7)

Der Odem brachte uns in die Bewegung des Lebens.

Der ursprüngliche Segens-Gestus brachte die Seele auf den Weg durch Raum und Zeit, in die geschichtliche Welt.

Die erste ursprüngliche Regung (Ur-Bewegung) als lebendiger Ausdruck der göttlichen Liebe und Barmherzigkeit ist das Erbe, das wir in uns tragen. Die ursächliche Bewegung (Primum mobile) ist Trägerin der Lebensenergie Die erste Regung/Bewegung ist eine geistig-seelische. Der heilige Atem, der Odem belebt uns. Auf der daraus folgenden Stufe der Lebensentwicklung, wo sich überall Lebensenergie (Prana) gebildet hat, entstehen die ersten archetypischen seelisch-körperlich Bewegungen, also die ersten Grundformen der Bewegung als Ausdruck der Lebensenergie:

Lebensenergie ist das, was uns bewegt. Die archetypischen Grundformen der Lebensenergie (Prana, Ki) sind rund, meist wellenförmig, wirblig (Kreiswellen) und spiralförmig. Diese Bewegungsformen sind Trägerinnen des Lebenslichts, fähig Licht zu bilden und zu transportieren. Diese Formen finden sich auf allen Ebenen der Schöpfung, insbesondere im Wasser, welches ja auch für Leben und Emotion (e-motion= Energie in Bewegung) steht. Das Wasser schlängelt sich, mäandert, bildet Wellen Wirbel und Spiralen. Werden Flussläufe begradigt, so häufen sich Überschwemmungen und die Wasserqualität sinkt ab. Dieselben Urformen findet man im All; die Galaxien bilden Spiralen. Man findet aber die lebenserzeugenden Ur-Formen aber auch bei Tänzen und in Liebesspielen wieder (man vergleiche: Willhelm Reich: Die kosmische Überlagerung).

Werden natürliche seelische Bewegungsabläufe im Menschen blockiert, wodurch die Lebenskraft abfällt, so bilden sich, Spannungen, Verkrampfungen und Krankheiten, in der Natur Stauungen und katastrophale Durchbrüche und Explosionen, zum Beispiel Erdbeben.

Unsere Kultur und Zivilisation wiederspiegelt unsere inner-seelische Verfassung:
So wie wir im Äusseren Natur begradigen (Flüsse) und uns in eine rechteckige Architektur zwängen (anstelle einer organischen), so mindern wir auch unsere Lebendigkeit durch ein dominantes lineares und funktionelles Denken, in welchem die Intuition nur eine untergeordnete Rolle spielen darf. Der Mangel an «runden Denkformen» und Emotionen, an innerer und äusserer Beweglichkeit (wie Tanz) schwächt uns Menschen, entwurzelt, entpersönlicht und entfremdet uns in einem Ausmass, das als gesundheits-schädigend bezeichnet werden muss.


Wieder-Erinnerung – Wieder-Erkennen

Zurück zum Odem, dem heiligen Atem:
Im Gebet und in der Meditation und speziell im achtsamen Atem können wir uns an diese Ursprungs-Bewegung, welche Trägerin der Liebe und der Barmherzigkeit und damit auch des Lebens ist, wieder erinnern und damit an unsere Liebesgeschichte mit Gott, der uns sowohl begleitet, wie auch frei lässt. Die Wieder-Erinnerung öffnet sich auch, wenn wir berührt, angerührt werden und damit in Bewegung kommen, insbesondere durch ein Ereignis liebevoller zwischenmenschlicher Begegnung. Wir nennen diesen Vorgang auch Erwachen.
Tiefe Begegnungen bewegen und beleben uns emotional und körperlich. Sie wiederspiegeln uns die ursprüngliche Mensch-Werdung und sie lassen uns auf dem Weg der Menschwerdung weiterkommen.

Erweckung – Einigung

Die Liebe sucht zu erlösen, zu befreien, zu vervollkommnen und zu einen. Immer. Ich glaube, dass es eine wahrhaftige und sehr tiefe Begegnung braucht, damit die Liebe erwacht. Die Begegnung kann sich sowohl in einer sehr zarten Berührung ereignen, in einem intensiven, vehementen Zusammenkommen, einem Akt der Liebe, oder durch einen Zusammenprall und Zusammenbruch. Oder: es fühlt sich als einen Licht-Schimmer an oder einen Ruf in der dunklen Nacht der Seele an. Lesen wir die Schilderung im Prolog des Buches des Sufi-Meisters, Pir Vilayat Inayat Khan «Der Ruf des Derwisch»:

«Wenn wir vorbereitet sind, einen Schritt zu tun weg vom normalen Zustand der Entfremdung, und den Mut haben, durch die dunkle Nacht zu gehen, wenn alle unsere Bemühungen erfolglos scheinen und wir dem Abgrund in uns selbst gegenüberstehen, wenn Verzweiflung uns packt angesichts unserer Unfähigkeit, ihn zu überwinden – selbst wenn wir bis zum Äussersten der Verlassenheit geprüft werden-, in dem Moment, wo alles sinnlos und verloren scheint ,kommt manchmal ein winziger Hinweis – Ayat, wie die Sufis sagen -, ein Zeichen oder vielleicht ein Symbol, so als würden wir das Signal eines Wesens draussen im Weltraum empfangen, das uns zuwinkt, um uns von seiner Anwesenheit zu überzeugen – eine schweigende Stimme, in die wir plötzlich eintauchen…»

Entwicklung, Menschwerdung geschieht im Herzen des Menschen.

Beitrags-Bild: Foto Niklaus Bayer

Die beiden Tore: Abschied und Neu-Beginn

Die Zweiheit ist eine göttliche Anordnung, die dem Menschen gegeben wurde, um zu lernen. Zum Beispiel Beziehungsfähigkeit, die auf Unterschiedlichkeit, oder auf Gegensätzlichkeit beruht, zu lieben also, wenn es anscheinend nicht passt, versöhnlich zu sein, selbst wenn es schmerzt. In diesem Artikel will ich die übermächtigen Tendenzen des Weltgeschehens betrachten, die uns, ob es uns bewusst ist oder nicht, in Atem halten: Das Abschiednehmen und die Resonanz mit dem Neuen, das sich abzeichnet.

Das Tor des Abschieds
Viele spüren, dass die einseitige materielle Ausrichtung auf Rendite, äusseren Erfolg, Ansehen und Macht ein Ende haben muss, da wir nicht mehr verbrauchen und vernichten dürfen, als es das Wachstum erlaubt. Der Kapitalismus, der sich zum seinem wohl letzten, wankenden Höhepunkt herauf schraubt, dem Überwachungs-Kapitalismus, kommt seinem Ende nahe, da er sich selbst verschlingt.
Ebenso kommt das Prinzip des Herrschens und Beherrschens, der eisernen Kontrolle zum notwendigen Zerfall, weil Mensch und Erde sich auf die Dauer nicht der Machbarkeit unterwerfen können, weil sie lebendige Organismen sind und nicht einseitig rational steuerbar sind.
Ich glaube, dass es nicht nötig ist, die Zerfalls-Symptome aufzuzählen. Sie sind all-gegenwärtig und überall wahrzunehmen. Die Zeit ist nahe, wo auch Abgebrühte, nicht mehr in der Lage sein werden, den Zerfall zu bagatellisieren.
Manche sprechen von Ökozid.

Nun sind die anteilnehmenden Betrachter, die sehen, wie sich die Türe zum Tor des Abschieds öffnet, ihrer Trauer und ihrem Schmerz ausgesetzt. Ihr Leiden ist bewusst und es ist gepaart mit Mitgefühl. Sie geben der sterbenden Kreatur eine ursprüngliche Stimme. Sie sind erschüttert. Sie stellen sich dem Prozess des Abschieds; sie fühlen mit. Sie seien gesegnet, getröstet.

Ohne sie, kann das Neue nicht erscheinen! Ohne sie verliert die menschliche Kultur ihre Wurzeln, das Gefühl für den Ursprung, für die Basis, für die Herkunft. Ohne sie, verliert die Menschheit ihr Herz.


Das Tor des Neu-Beginns
Der Neu-Beginn der kommenden Entwicklungsphase des Menschen beinhaltet, so vermute ich, ein sich ausdehnendes, umfassendes Gefühl für das Ganze, das integrale Bewusstsein. Mein inneres Auge sieht liebende Menschen, deren Seelen vibrieren.
Die Lichtpartikel/Zellen in uns sehnen sich danach, sich auszudehnen, ihr Volumen zu vergrössern. Es gibt den Drang in den Lebewesen, sich wieder aufzurichten und den Atem frei fliessen zu lassen.
Liebeslicht wird den erneuerten, den neu-geborenen Menschen erfüllen.

Das sich langsam öffnende, Wohlwollen, Güte und Empathie verströmende Licht-Tor, wird die Herzen der Betrachter beglücken. Sie werden aber ihre Aufnahmekapazitäten erhöhen müssen, um die einströmende Lichtkraft zu fassen und zu integrieren. Sie haben ihre alte Konditionierung, also den Zwang, ihre Wesenheit zu schmälern, sie zu reduzieren und zu unterdrücken, abzulegen und zu überwinden.

Die Betrachter des goldenen Tores spüren, dass ihre Spezies vor der grossartigen Herausforderung steht, leben zu lernen.
Beim Schreiben des eben gesetzten Satzes ist mir bewusst geworden, was ich geschrieben habe und ich möchte es nochmals, ähnlich gesagt, wiederholen:

Wir Menschen stehen vor der grossartigen, schönen und anspruchsvollen Aufgabe Leben zu lernen. Dazu gehört vordringlich, dass wir es wagen, unsere Herzen zu öffnen. Es ist gut, wenn wir uns dabei helfen.

Nun denken wir Menschen ernsthaft daran, uns das Sonnensystem «untertan» zu machen und müssen feststellen, dass wir gar nicht gelernt haben, zu leben, weil wir uns zunehmend von unserer Seele abgetrennt haben. Wenn es so ist, müssen wir also Leer-Raum, Empfangs-Raum in uns schaffen, indem wir uns befreien von Gedankenmüll, der sich in uns festgesetzt hat. Das Leben liegt gleichsam unter einer Glocke aus bleischweren Gedanken, Zahlen und Messwerten. Im gereinigten Raum, kann das ursprüngliche, reine Leben uns lehren, was Leben bedeutet.

Es ist nicht eben leicht für unser Grössenselbst zuzugeben, dass wir so vieles können, nur nicht wahrhaftig leben.
Die, welche sich dem reinen Leben zuwenden seien gesegnet.

Solche Perspektiven mögen auftauchen, wenn wir den Raum hinter dem goldenen Tor, stückweise erkennen.

Dazwischen
Wenn es dem Betrachter gelungen ist, durch die sich öffnenden Tore Einblick zu nehmen, dabei berührt zu sein und gleichzeitig unerschrocken das Gesehene anzunehmen, dann wird sich zwischen den Polen des Abschiedes und des Neu-Beginns ein dynamischer hoch-intensiver Zwischen- oder Begegnungs-Raum bilden.
Dieser Zwischenraum, wird er in Liebe gehalten, wird fruchtbar werden. Im Kreis des Umarmten bildet sich neues Leben, neue Form. In diesem Fall ist es vielleicht eine Brücke, die den Übergang ermöglicht.

Ohne diese haltende Mitte, würde sich vielleicht ein Abgrund auftun.

Ich stelle mir vor, dass auf der Mitte der Brücke ein Licht-Feuer brennt. Oder: eine Person steht in der Brückenmitte und breitet seine Arme aus.

Der Prototyp des all-umarmenden, alles versöhnenden Wesens ist für mich Christus, der auch in uns lebt.

Wir Menschen sind -zumindest viele von uns- Übergangswesen, weil wir in dieser Epoche des Übergangs geboren wurden.

„Die Übergangswesen* sind Begleiter*innen, von denen gefordert ist, Spannungen auszuhalten und zu halten in Hoffnung. Sie stehen zwischen dem Alten, das sich verabschiedet und dem Neuen, das in Geburtswehen liegt. Sie empfinden und bejahen den nötigen «Spannungs-Schmerz», der sich im Prozess des Übergangs ausdrückt.
Viele Menschen – sicher auch Leser*innen dieses Blogs – spüren diese Zeit des Übergangs als eine Erschütterung und als eine Aufforderung handelnd und betend Verantwortung zu übernehmen und mehr noch: sich selbst dem Wandlungsgeschehen zur Verfügung zu stellen, denn wer wandeln will, wird gewandelt, wer das Neue ersehnt, wird erneuert. Die Übergangswesen, sind Begleiter*innen, von denen gefordert ist, Spannungen auszuhalten.“
aus meinem Blog Übergangswesen (siehe unten)

Für Übende:
Eine meditative Imagination: Du siehst die beiden, halb geöffneten Tore vor Dir. Du lässt ihren Gehalt auf Dich einwirken. Du bist ganz geöffnet, Anteil nehmend. Sobald Du die Ausstrahlung beider Tore gleichzeitig spürst, wendest Du Dich dem Beziehungsfeld der Mitte, dem Beziehungsraum, zu. Die Konzentration liegt auf Deinem Herzen. Lass die Dynamik der Mitte zu, halte die mögliche Spannung aus und höre, was die „Dritte Kraft“, die der kreativen Mitte, dir sagen möchte.- Wenn es Dir sinnvoll erscheint, wiederhole diese Meditation während Tagen einige Male.

*Vergleiche Übergangswesen, Blog vom 18. Januar 2020. Siehe unter «ältere Beiträge» unterhalb der Schlagwörter.

Beitragsbild: Aquarell WB

 

BETEN

Für mich ist Beten fundamental. Beten ist das Fundament, der Urgrund, der Wesensgrund.

Im Gebet ereignet sich Beziehung zwischen Liebenden, also Liebesbeziehung.
Der Gebetsraum, der sich im Zwischenraum der Liebenden aufbaut, nenne ich auch den Raum der Begegnung, der Intimität und der Innigkeit.

Wenn zwei aufeinander hören, bildet sich Hör-Raum, Schwingungsraum. Resonanz. In ihm bildet sich Substanz.
Gebet ist Tiefen-Kommunikation. Kommunikation heisst Teilen.

Bleiben wir vorerst beim Gebet des Menschen zu Gott – vielleicht sprichst Du lieber von Allah oder von Mutter-Vater, oder vom All-Einen, vom Geliebten oder vom Ursprung oder der Quelle. Wie auch immer. Da die göttliche Quelle auch im Seelenkern anwesend ist, so kann man Beten auch verstehen als ein Dialog mit sich selbst, also als ein Selbst-Gespräch, ein Gespräch mit dem höheren Selbst.

Wenn der Betende durch offenes und hingebendes Da-Sein den Begegnungsraum aufgebaut hat, beginnt der Herzens-Dialog.

Um in Resonanz zu kommen zum grossen DU, benötigen wir eine für uns günstige Balance sowohl von weiblichen, wie auch von männlichen Eigenschaften:

Die männlichen Qualitäten: Eine sehnende, vielleicht sogar leidenschaftliche Hinwendung zur Geliebten, zum Geliebten. Der Betende ist ausgerichtet, konzentriert auf das DU. Er erinnert an einen Liebhaber, der vor seiner Angebeteten niederkniet, flehend, sehnend mit einer Rose in der Hand. Er ruft nach ihr oder er flüstert, erregt, hingebend, feurig.

Die Sprache der Liebs-Mystik, insbesondere in der Tradition der Sufis, kennt keine Scheu, die spirituelle Liebesbeziehung auch in erotischer Sprache auszudrücken.

Die weiblichen Qualitäten: Das spirituelle Herz bildet eine empfangende Form: ein Schale oder einen Kelch. Die Empfindung weit, warm und fliessend, lauschend, das Gefühl sanft-fein, zart-berührt.
Das Weibliche umhüllt auch, spendet liebevoll Geborgenheit, schätzt, akzeptiert, glüht, überschäumt.

Beide Qualitäten in Ergänzung schaffen das gute Klima für das Gebet. Manchmal hilft uns eher die weibliche Seite, manchmal die männliche, um in Beziehung zu gehen.

Ich glaube, dass die meisten Menschen von uns, die weibliche Qualität des Empfangens mehr zu entwickeln haben – und wahrscheinlich ist es auch so, dass das empfangende Lauschen wichtiger ist, als das Finden des eigenen Ausdrucks und des Formulierens, weil unsere Gesellschaft das «Machen», das nach Aussen gehen, einseitig betont. Gleichwohl ist es sehr bewusstseinsbildend, wenn wir tiefste Empfindungen, Anliegen und Bitten feinfühlig in Sprache bringen. Was wir auf diese Weise zum Ausdruck bringen, wird gehört. Daran habe ich keinen Zweifel, denn es ist etwas Zuhörendes und Anteilnehmendes in allem, was ist.

Der Dialog beim kontemplativen Gebet ist in Stille eingebettet. Manchmal entwickelt sich ein wortloser Austausch, ein inniges Zusammensein, wo sich Geben und Nehmen nicht mehr so klar unterscheiden lässt; vielmehr entsteht ein liebendes Zusammen-Sein in Freude und Seligkeit. Daraus fliessen manchmal sehr tiefe Einsichten.

Sat-cit-ananda, auch saccidanana geschrieben, heisst in der hinduistischen Tradition nach Aurobindo: «Sein-Bewusstsein-Seligkeit; Kraft und Sein eins geworden in Seligkeit; die höchste Wirklichkeit als das im Selbst existierende Sein.»
Saccidananda ist eine Drei-Einheit oder Trinität. Im Gebet wird sie oft erlebbar.

Das kontemplative Gebet ist ein non-dualer intimer Austausch in Liebe. Zwei in Einheit, das Eine in Zweiheit. In den Räumen der Begegnung, die sich untereinander verbinden, entsteht das Fundament, auf dem sich Mensch und Menschheit entfalten.

Es muss wohl kaum noch gesagt werden, dass es weder das Internet, noch sonst welche Netzwerke sein können, die eine Alternative dafür sein können für den Boden (Humus im Sinne von Humanität, der sich durch die Herzensbeziehungen aufbaut), der sich betend bildet. Es ist Licht-Erde, die entsteht.

Der erwachte, innere Mensch ist in einem Zustand des Gebetes. Er ist in einem immerwährenden Gebet. Wir sprechen hier vom Herzensgebet. (Vergl. Blog: Atem, 2. Teil, 5. Jan. 19)

«In der ewigen Geburt, die im Grund und im Innersten der Seele geschieht, ergiesst sich Gott mit solchem Licht in die Seele, dass ihr Wesensgrund davon ganz erfüllt wird und das Licht sich hinausschleudert in die Kräfte der Seele und überfliesst in den äusseren Menschen.»
Meister Eckhart, aus Predigt 103

Ich bin überzeugt, dass Meister Eckhart hier eine sowohl persönliche, wie auch eine allgemein menschliche Tiefenerfahrung auf eine wunderbare, treffliche Art beschreibt, wie man sie wahrer und schöner kaum ausdrücken könnte.

Gebet ist auch Geburts-Raum, denn in der Begegnung der Liebes-Beziehung entsteht neues Leben, aus LIEBE geboren.

Wenn zwei Menschen, die sich lieben, im andern auch den göttlichen Kern sehen und diesen begrüssen – Namaste – beten sie dann?

Ja, ich glaube, dass dies auch eine Form von Gebet ist. Es ist ja nicht von ungefähr, dass vor allem Männer von der Angebeteten sprechen, nämlich dann, wenn sie das Wesen ihrer Geliebten erahnen oder mehr noch, fühlen, also nicht nur den äusseren Mensch schätzen, sondern mehr noch den inneren.

Wenn sich im Gebet Geist (Himmel) und Erde verbinden entsteht das Fundament der «neuen Erde»: Licht-Materie.
Es ist die LIEBE im Begegnungs-Raum, welche den Humus/die Licht-Erde bildet.

Die Ehe, der Bund zwischen Gott und Mensch wird genährt durch die gelebte Liebes-Beziehung, das Gebet. Jüdische Mystiker sagen: «Bei der Ehe-Scheidung weint der Altar».
In esoterischer Lese-Art meint «Scheidung» oder «Ehebruch», die Trennung von Gott und Mensch und die Trennung von Geist und Materie.

Und deshalb ist das Gebet so fundamental, weil die Trennungen auf verschiedenen Ebenen weit fortgeschritten sind und es das heilende, Leben erzeugende Gebet braucht.

Ich habe das Bedürfnis, es noch einmal zu sagen: Das Gebet ist das Fundament.

Eine Kultur der Zärtlichkeit Teil 2

Im ersten Teil dieses zweiteiligen Blog-Beitrages äusserte ich mich primär zu den psychologischen und erdnahen Aspekten der Zärtlichkeit. Im zweiten Teil betone ich die spirituelle Seite dieser Wachstumskraft und stelle einen Bezug zu Weihnachten her.

Im Kommentar zum letzten gleichnamigen Artikel machte mich Christoph Albrecht, SJ, auf eine Text-Passage von Kurt Marti* aufmerksam, die mich aufhorchen liess und zu einem fast hörbaren «Ja, so ist es» stiess.

Hier das Zitat:

„Die vollkommene Aufmerksamkeit
Worauf weisen die Begriffe Allgegenwart und Allwissenheit Gottes hin? Vielleicht auf jene universelle, vollkommene Aufmerksamkeit, wie sie altrussische Ikonen als „das nichtschlafende Auge Gottes“ dargestellt haben. Diese universelle, zugleich engagierte Aufmerksamkeit ist weder als Auge des Weltgesetzes noch als das eines „Kosmopolizisten“ (Jan Milič Lochmann), vielmehr als vollendete Zärtlichkeit zu denken: Zärtlichkeit als intensivste Form der Aufmerksamkeit.“

Das leuchtet mir ein; es entspricht meiner inneren Erfahrung: Die Zärtlichkeit als intensivste Form der Aufmerksamkeit.
Ich erfahre Zärtlichkeit auch als eine Schicht der all-gegenwärtigen, universellen Barmherzigkeit.
In der Sphäre der Zärtlichkeit wirkt Trost und Heilung.

Wenn wir uns – zum Beispiel in einer Meditation/Kontemplation – betrachten lassen, so nehmen wir wahr, dass das göttliche Lichtauge, das ev. an eine Sonne erinnert, uns schaut und erschaut, vollkommen zärtlich, liebevoll und tröstlich. So wird es auch in vielen Berichten von Nahtod-Erfahrungen gesagt (die sich manchmal tiefen mediativen-kontemplativen Erfahrungen sehr ähnlich sind), dass eine Lichtwesenheit mit der betreffenden Person in einen Herzens-Dialog eintritt, indem sich die Betroffene oder der Betroffene völlig aufgehoben und geliebt fühlt. Es ist zärtliches Licht, das auch an das Lächeln von Buddha erinnert.
Die Begegnung mit Licht-Wesen verdichtet sich manchmal zu der Frage hin: Bin ich es selbst, der mir begegnet, also mein inneres Licht-Wesen, das in mir angelegt ist?

Dieses zärtliche Licht, so will ich es nun nennen, ist vollendete Aufmerksamkeit, vollendete Präsenz und Zugewandtheit. Es ist erfahrbar, dass es ein Zuhörendes und Anteilnehmendes in allem gibt, was ist.

Sie ist, wie im ersten Artikel schon gesagt, der Boden auf dem wir stehen und die Atmosphäre in der wir wachsen und gedeihen und uns beheimatet fühlen.

Es ist bemerkenswert, dass in kirchlichen und theologischen Kreisen eher selten von Zärtlichkeit gesprochen wird und ich frage mich, warum das so ist. Ist es vielleicht die patriarchalische Prägung dieser Kreise?

Weit öfter findet im Bereich der Mystik die Erfahrung von Zärtlichkeit Ausdruck, so etwa bei Johannes vom Kreuz. Ich zitiere hier zwei Strophen seines wunderbaren Gedichtes aus die Lebendige Liebesflamme **:

„O Flamme, von Liebe lebendig,
die du zärtlich verwundest
meine Seele in tiefster Mitte!
Da du nicht mehr quälend bist,
komm schon ans End‘, wenn’s dir gefällt;
zerreiss den Schleier zur süssen Begegnung!

Wie sanft und liebkosend
erwachst du in meinem Schoss,
wo du allein insgeheim wohnest!
Und in deinem köstlichen Hauch
von Gutem und Herrlichkeit voll,
wie zartkosend machst du mich verliebt!“

Dies ist eine Beschreibung der mystischen Weihnachten.

Zärtlichkeit ist sowohl ein Bewusstseins-Zustand, wie auch ein Gefühl und ein wundervoller Ausfluss bedingungsloser LIEBE.
Die Erfahrung von reiner Zärtlichkeit ist Grund-legend. Sie hat nichts zu tun mit falscher, sentimentaler Süsse, kitschiger Peinlichkeit oder einer hübschen Fassade.

Sie ist Ausdruck einer umfassenden Intimität, die durch Empathie und Nähe entsteht, in einem non-dualen Dialog, der die Einheit allen Lebens atmet.

*

Zärtlichkeit ist erstens eine fundamentale Kraft, die uns Menschen erdet, sowohl in unserm Körper, wie auch auf Mutter Erde. Sie ist die Kraft, die uns hier wachsen lässt, mütterliches Fluidum;

und zweitens: sie ist ebenso die Kraft, die uns mit der geistigen Welt verbindet, die uns zu Anteilnehmenden und Zugehörigen werden lässt,

und drittens ist Zärtlichkeit die Kraft, die eine Brücke bildet zwischen der Erden-Welt und der Geist-Welt, aus der wir kommen und wohin wir gehen.
Sie verbindet Himmel und Erde, die physische Welt mit der geistigen Welt.

Die Kraft der Zärtlichkeit wirkt all-gegenwärtig im Universum, wie auch auf Erden. Hier aber ist sie bedeckt von einer verwundeten und zum Teil abgestorbenen Oberfläche. Die darunter liegende Zärtlichkeit und die damit verbundene Heilkraft können wir bewusst einatmend befreien und sie ausatmend einer werdenden Kultur zärtlichen Erdenlebens zukommen lassen.
Dies ist wohl die wahre Weise, Weihnachten zu feiern.

 

*Kurt Marti, Zärtlichkeit und Schmerz, Darmstadt 81. Vergriffen.
**Johannes vom Kreuz:  Die lebendige Liebesflamme, Herder TB 5049

 

 

Danke, Frau Sa

Ich verdanke Frau Sa – so will ich sie nun einmal nennen – so viel. Ihren Vornamen kenne ich nicht. Sie war die Frau des von mir so bewunderten Pfarrers der Gemeinde, in der ich wohnte.

Als ich 18 oder 19 Jahre alt war, traf ich sie eines Tages im Zug von Zürich, wo ich meine Buchhändler-Lehre machte, auf dem Nach-Hause-Weg nach W., meiner Wohngemeinde. Wir sassen uns gegenüber und erzählten uns, was wir in Zürich denn so täten. Sie sagte mir, dass sie immer montags in der Stadt Ballett-Unterricht hätte – schon seit Jahren tanze sie Ballett.

Auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause – im Gespräch vertieft, wir waren beim Pfarrhaus angelangt – fragte sie, ob sie mich zu einem Glas Wein einladen dürfe. Gerne nahm ich ihr Angebot an, fühlte mich geschmeichelt.

So sassen wir uns dann in einem Zimmer gegenüber: die junge, schlanke Frau, die wohl etwas über 40 war und ich, ein Jugendlicher in der Adoleszenz, unsicher in allem, doch am Leben interessiert. – Ihr Gesicht, profiliert und ausdrucksstark, drückte Eigenwille, Zartheit und Trauer aus. Sie schien ein wenig entrückt zu sein, in einer anderen Welt.

Es dauert nicht lange und sie begann über die Schwere ihres Lebens zu erzählen. Ich hörte ihr zu – mit beiden Ohren – und voller Mitgefühl. Sie wuchs in Deutschland auf. Im Krieg, unter ständigem Bomben-Alarm, Tage langen beklemmenden Wartens in kalten Kellern. Und Angst, Angst.
Frau Sa war ein traumatisierter Mensch. Ein Teil von ihr lebte immer noch im Keller, im Alarm-Zustand. In der Angst, im Schrecken.

Frau Sa wurde von den meisten Kirchgemeinde-Mitgliedern abgelehnt, weil sie sich der Rolle «der Frau Pfarrer», die damals ein Muss war, verweigerte. Sie wollte ihr eigenes Leben führen, zu dem besonders der Tanz gehörte. Ihr Mann akzeptierte ihre Eigenständigkeit.
Sie verbrachte ein Leben in Schlaflosigkeit, zumindest ohne Tiefschlaf. Es gelang ihr nicht zu entspannen und loszulassen in den Nächten. Jahrelang. Darüber klagt sie, ohne zu klagen. Sie erzählte mir, wie es sich anfühlte, all die Nächte wach und erschöpft schlaflos dazuliegen. Über Jahre!

Ich hörte ihr einfach zu, stellte ihr vielleicht einmal Zwischen-Fragen, über Wochen, über Monate. Unsere Montags-Gespräche waren zur Tradition geworden.

Ich erzählte ihr, was mich beschäftige. Sie war eine wunderbare Zuhörerin. Ich weiss nicht mehr, was ich ihr berichtete, aber ich erinnere mich, wie gut mir ihr Interesse tat. Meine Mutter, mit der ich alleine zusammenlebte – mein Vater war längst gestorben, meine ältere Schwester verheiratet – war eine denkbar schlechte Zuhörerin. Sie monologisierte, während ich mich einsam fühlte.
Und nun Frau Sa: sie fragte und hörte zu, bis in ihr Herz hinein. – Es fanden sich zwei, die sich nach Zuhörenden sehnten.

Es war eine Art nicht sexueller Liebesbeziehung mit einem leichten Hauch von Erotik. Sie war geprägt von Respekt und Achtsamkeit. Wie dankbar ich doch bin für diese Erfahrung, bis heute, weshalb ich diesen Blog-Beitrag schreibe.

Durch sie lernte ich, wie wunderbar und erfüllend eine solche Beziehung ist, die im Zeichen empathischen Zuhörens steht.

Nach einigen Monaten löste sich diese Beziehung wie von selbst auf, wie ein wunderbarer Wind, der abgeklungen war. Die Begegnung hatte sich erfüllt und ich frage mich, ob ich ohne diese Gespräche Psychotherapeut geworden wäre. Auf jeden Fall war der inter-generative Austausch und das Erleben jener zarten Intimität für mein Leben grund-legend. Seither verstehe ich mich als einen Beziehungs-Menschen, als ein allseits Verbunden. Wovon mein Nachname, Binder, auch zeugt.

Im Islam nennt man solche schicksalshaften Begegnungen, die oft Weichenstellungen im Leben einleiten, Kismet. Es können auch Wieder-Begegnungen seelischer Verwandter sein. Sie lassen sich weder verhindern noch erfolgreich unterdrücken. Sie sind von hohen seelischen, beziehungsweise göttlichen Mächten vorbereitet und arrangiert.

Ich danke Ihnen, Frau Sa. Ich weiss nicht, ob sie noch leben. Wie auch immer: Ich grüsse Sie in bester Erinnerung.

 

 

 

 

Ausrichten auf den Ursprung

Die Schule des Lebens, wenn wir das Leben so verstehen wollen, kann für uns ihr Bestes tun, wenn wir uns klar auf die göttliche, universelle Liebe und auf das Wahrheits-Bewusstsein ausrichten. Damit öffnen wir das Tor unserer Seele der göttlichen Wirkkraft und wir geben uns damit der höchsten Leitung und Begleitung hin.
Damit ist die Seele, da sie nun mit dem Ursprung verbunden ist, in der Lage, uns die nötigen Impulse und Situationen zu kreieren, die wir für die nötigen Entwicklungsschritte brauchen.
Die zahlreichen Störungs-Felder in und um uns -unerlöste Gedanken, Konzepte und Meinungen- vermögen unsere Seele anzugreifen und zu beeinträchtigen. Von diesen Störungen ausgenommen ist unser Seelenzentrum: dieses ist unverletzlich, weil es in Gott ruht.

Ich glaube, dass wir uns immer wieder neu auf das Höchste und Innerste ausrichten und innere Klärung und Reinheit erbitten sollten, damit unserer Seele den Schutz und die Orientierung zufliesst, die sie benötigt, um uns subtil und stimmig zu leiten.

Wenn wir unseren Atem bewusst auf den Ursprung, die Quelle hin, ausrichten, die sich auch im Zentrum unserer Seele befindet, wird sich diese harmonisieren und damit auch unser Körper. Das Innerste unserer Atmung ist Geist. Deshalb können wir auch von Geist-Atmung oder von Odem sprechen.
Die Verbindung zwischen Geist und Seele ist befruchtend. Aus ihr geht Leben hervor.

Durch die stetige Neu-Ausrichtung auf das höchste Ziel, durch ständige Reinigung und Klärung unserer seelischen Verfassung mit Hilfe des bewussten Atmens, welches auch eine Art von Gebet oder Meditation ist, kann uns der innere Lehrer oder die innere Meisterin, die in uns wirkt, direkt erreichen, uns fördern und für uns jene Lebensstationen und Situationen kreieren, die wir brauchen, um uns zu entfalten, hin zur Verwirklichung unseres Mensch-seins.
Natürlich ist die Frage, worin das höchste Ziel unserer Lebens-Reise besteht, von grösster Bedeutung. Die tiefste Sehnsucht in uns, drängt der Antwort zu, wie die Blume der Sonne.

Die Seele ist eine wissende Substanz. Sie trägt alle Informationen in sich, damit sich unser wahres Wesen entfalten kann. Wir können sie mit einem Licht-Gewebe vergleichen, welches ausserdem auch hoch empfänglich für Freude und die Erfahrung von Seligkeit (Glückseligkeit, Ananda) ist. Sie ist darauf angewiesen, dass wir ihr Geistatem zukommen lassen, damit sie ihr wunderbare Tätigkeit voll entfalten kann.

Wie eben gesagt, kreiert uns unsere Seele, jene Lebens-Situationen, die geeignet sind, uns zu erkennen und zu fördern. Sie führt uns aber auch in jene Bewusstseins-Ebenen, die uns jetzt zuträglich sind. Einmal ist es nötig, dass die Erde oder die Ur-Materie zu uns spricht, ein anderes Mal führt uns die Sprache des Lichtes weiter oder wir benötigen eine uns tief ansprechende menschliche Begegnung, usw. Wie auch immer: Die gereinigte Seele, die mit der Geist-Kraft in Verbindung steht, wird uns heilend und fördernd zur Seite stehen, wenn wir uns ihr öffnen. Die innere Führung kann sich nun ausdrücken und wir dürfen fest vertrauen, dass uns die richtigen Lebensumstände und Einsichten zur rechten Zeit gegeben werden, die uns liebevoll und manchmal auch fordernd, helfen, die jetzt nötigen Erfahrungen zu machen und zu integrieren.

ATEM – Teil 2

Im ersten Teil des Artikels «Atem» versuchte ich aufzuzeigen, dass uns die Mittel gegeben sind, um uns zu entfalten und in eine höhere Schwingung, in ein höheres Bewusstsein zu gelangen. Dies gilt vor allem für unser Atemsystem, mit welchem wir mit unserem Körper, unserer Seele und unserem Geist verbunden sind.

Der Atem, insbesondere in Kombination mit Wort (Mantra) und Stimme (Klang) helfen uns die Gedanken-Schwere und die damit verbundene Trägheit unseres Alltags-Bewusstsein zu überwinden.

Was meine ich mit Gedanken-Schwere? Viele Gedankenformen sind aufgeladen mit der Vorstellung, dass wir alles mit Leistung zu erringen haben, dass auch nur Wenige Erfolg haben können, nämlich die Stärkeren. Die beiden spirituellen Wege/Methoden helfen uns, unser Bewusstsein auszuweiten und zu erfahren, dass alles da ist, was wir benötigen,um uns zu entfalten.

Das Herzensgebet
Das Gebet entstand bei den Wüstenvätern und Wüstenmüttern in Ägypten, entwickelte sich weiter bei den Mönchen auf Berg Athos und verbreitete sich vorerst in Ost-Europa.
Es ist ein mantrisches Gebet. Die wenigen Worte, die bei jedem Atemzug gedacht, gesagt und gefühlt werden, sollen sich von der Zunge ins Herz fortpflanzen. Ziel ist, dass das Herz selbsttätig und fortwährend betet. – Beten bedeutet in Resonanz mit unserem innersten göttlichen Kern zu kommen.

Eine ursprüngliche Formel lautet: Herr Jesus Christus, Sohn Gottes (beim Einatmen), erbarme dich mir/unser (beim Ausatmen).
Eine verkürzte Formel: Jesus Christus (einatmen), Barmherzigkeit (ausatmen)

oder nur:
Jesus (einatmen) – Christus (ausatmen).

Es ist sinnvoll, zwischen dem Ein und Aus des Atems eine kleine Pause zu machen; in ihr entfaltet sich das Bewusstsein der Einheit, des Einsseins.

Die Worte können zu Beginn gesagt oder gesungen werden. Beim Einatmen sollen sie den Weg zum Herzen finden und beim Ausatmen sollen sie rundum verströmen. Während das Mantra zu Beginn gesagt wird, entwickelt es sich nach einiger Zeit zur gefühlten, erlebten und erfahrenen Wirklichkeit. Was erfahren wird ist Barmherzigkeit, Liebe, Mitgefühl, Schutz und Segen. Dabei wird der Atem sehr weit, kosmisch, alles umhüllend, lichtvoll und wärmend. Natürlich werden nicht bei jedem Menschen genau dieselben Gefühle geweckt*. Im tiefsten Seelengrund wird aber die bedingungslose Liebe und Akzeptation, wie sie in Christus lebt, aktiviert und die Beziehung zu seiner Wesenheit, die immer jetzt präsent ist, vertieft sich dabei.
Es ist der Dreiklang von Wort/Stimme – Atembewusstsein – und die Ausrichtung auf das Herz, die zusammen die Wandlung und die Erfahrung der Ausweitung des psychischen Herzens schneller und nachhaltiger geschehen lassen, als wenn nur eines der genannten Elemente zum Ausdruck fände.
Normalerweise ist es so, dass Projektionen, hervorgerufen durch unsere Erziehung und durch kirchlichen Prägungen, die unmittelbare direkte Erfahrung der Christus-Wirklichkeit beeinträchtigen. Das Herzensgebet erlaubt uns wieder Zugang zu finden zur unmittelbaren, direkten Begegnung mit dem Christus, der dadurch in uns zum Erblühen kommt, wenn wir dazu bereit sind. Unser Beitrag aber wird Geduld sein müssen. Es ist wie bei einer zwischenmenschlichen Begegnung: Zwei, die sich voneinander angezogen fühlen, nehmen sich zuerst wahr, gehen zart aufeinander ein, bis die Seelen der Zwei in Schwingung kommen. Feinfühlig gehen sie dann in Resonanz mit der jeweiligen Schwingung des anderen. Sie treffen sich in der Mitte, im Binnen-Raum, zwischen ihren Herzen, wodurch die Beziehungsebene ins Wachsen kommt. Vielleicht wächst da eine Rose – oder wie auch immer wir es bildlich wahrnehmen. Es ist Hingabe-Bereitschaft, die eine Begegnung ermöglicht, in der es zu einem vertraulichen Austausch, zu Intimität kommt.
Beim Herzensgebet ist die Bereitschaft, eine Liebes-Beziehung zu wagen zentral.

Genau so ist es bei allen Arten von zwischenmenschlichen Liebes-Beziehungen: Wir brauchen den Mut, unser Sicherheits-Dispositiv hinter uns zu lassen, uns verletzlich zu zeigen, uns rückhaltlos zu öffnen. Erst dann kann das Herzensgebet, das seine dazu beitragen.

Tonglen
Diese Atem-Meditation, welche die Entfaltung des Mitgefühls bezweckt, wird vor allem im tibetischen Buddhismus praktiziert:
Beim Einatmen verbinden wir uns mit dem Leiden, dem Schmerz von Lebewesen. Wir nehmen uns dieses Leid zu Herzen. Wir fühlen mit, lassen dieses Leid, diesen Schmerz im Lichte unseres Herzens wandeln in Segen, Glück und Wohlwollen für die betreffenden Wesen. Auf diese Weise atmen wir verströmend, schenkend, gebend aus.
Wir können mit uns selbst beginnen, indem wir unser eigenes Leiden anerkennen, verstehen, es in unserer Herzens-Lichtkammer in Glück und Segen verwandeln, den wir liebevoll uns zuatmen. Dasselbe könne wir tun für das Leiden unserer Freunde und unserer Feinde, auch für Gruppen von Menschen oder Völker – schliesslich für das globale Leid, für den gepeinigten Planeten, die ausgebeutete Natur.

Bei dieser wunderbaren Meditation ist es wichtig, dass wir das Tonglen gut vorbereitet beginnen. Wir erden uns zuerst gut, verbinden uns mit der Welten-Seele, öffnen unser Herz und lassen es warm und anteilnehmend werden. Dann beginnen wir die Tonglen-Atmung wie beschrieben.

Auf diese Weise kann der Graben zwischen uns und den anderen überwunden werden. Wir erleben, dass wir alle zusammengehören.

Das Herzensgebet und das Tonglen sind zwei Wege, wie wir uns bei der Heilung von uns selbst, wie auch dem Planeten beteiligen können/dürfen. Dabei kann es geschehen, dass wir uns als leuchtende und strahlende Wesen erleben können, was unserer wahren Natur entspricht.

Natürlich gibt es zahlreiche Literatur für die hier in Kürze vorgestellten Atem-Meditationen.

*Uns werden immer jene Qualitäten zuerst zufallen, die wir gegenwärtig besonders benöti-
gen und sie werden jene körperlichen und seelischen Regionen berühren, in denen ein
Mangel und ein Bedürfnis zu erkennen ist. Dies ist eine der Weisen, wie die Liebe wirkt.

 

SCHÖNHEIT ALS BEGEGNUNG UND TANZ

Es gibt verschiedene Aspekte der Schönheit: Hier möchte ich mich beschränken auf jenen dynamischen und spielerischen Aspekt der Schönheit, welcher aus einem Zusammenspiel zweier unterschiedlicher Kräfte, Qualitäten oder Wesen hervorgeht.

Kann es sein, dass uns Menschen das Gesetzt der Polaritäten gegeben wurde, um unsere Liebes- und Beziehungsfähigkeit zu entwickeln?

Es braucht ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und des Einsseins, damit der Impuls des Abstossens und Wegweisens (bis hin zum Krieg) überwunden werden kann und stattdessen die Kraft der Anziehung und der Liebe Begegnung wagt.

Ein Konzert, technisch brillant gespielt, fehlerlos, kann uns merkwürdigerweise kühl lassen, würde es aber nicht nur perfekt, sondern auch mit Leidenschaft gespielt werden, so würde es uns entzücken und wir würden ausrufen: Oh, wie schön, wie zauberhaft, wie Wunder-voll.

Dieses Zusammenkommen von Emotion/Begeisterung und klarer Form/Strenge eröffnet den Tanz der Schönheit, der uns oft zu Tränen rührt.

Charly Rivel, der grosse, unterdessen verstorbene spanische Clown, verknappte und verdichte seine clownesken Szenen im Alter immer mehr (auch ein Aspekt von Schönheit) bis hin zu wenigen, vollendeten Gesten und Tönen. Er vereinte die Weisheit des Alters mit kindlichem, sprühendem Witz und Würde mit Scheitern. Dieses Zusammenwirken dieser so unterschiedlichen Seiten verlieh ihm eine betörende und überwältigende Ausstrahlung und Schönheit. Ein kleiner Abstecher ins Internet zu Charlie Rivel lohnt sich auf jeden Fall.

In den wenigen, letzten Strichen grosser Kunstmaler, kurz vor ihrem Dahinscheiden, kann man ihr ganzes Leben extrem verdichtet ablesen; also in jenen irgendwie glitzernden, spröden und zarten Strichen Erschöpfung und kindlichen Übermut erkennen, und es lässt sich erahnen, wie Leiden und Glück ein Drittes, Übergeordnetes ausgebildet haben.

Es ist die einende und vereinigende Kraft der Liebe, die Schönheit schafft. Dem Herzen wird diese Kraft der Vereinigung und Integration zugesprochen, die zum Ausdruck und Erleben berührender Schönheit führt.

Hier, im Herzen treffen sich Energie und Form, Weibliches und Männliches, Himmlisches und Irdisches. Da beginnen diese Kräfte miteinander zu tanzen und ihr Tanz wird begleitet von Gesängen der Liebe. Die Schönheit, die sich in diesem Tanz offenbart spricht von der Liebe, aus welcher sie hervorgegangen ist.

«Der Zweck der Liebe ist Schönheit», sagen manche Sufi-Mystiker.

Der beseelte Körper des Menschen verleiht ihm Schönheit, weit mehr als jede äussere Verschönerung durch Kosmetik.

Doch auch jedes Äussere kann schön sein, wenn der Zauber der Liebe in ihm steckt, wie auch die Liebe des Kochs in jedem guten Gericht spürbar ist, auch wenn es nicht ins Bewusstsein der Essenden dringt.

Es ist die DRITTE KRAFT im Dazwischen die zum Tanze einlädt.
Diese Kraft hat auch viele andere Namen: Die Kraft der Mitte, die Herz-Mitte, der Heilige Geist, etc. In jeder Begegnung wirkt sie: sie belebt, weckt Kreativität, gibt ein Zusammengehörigkeitsgefühl, welches weiterträgt. Dies umso mehr, wenn zwei sich Liebende sich dieser Dritten Kraft in ihrer Mitte bewusst sind.

Die Drei verweist immer auf die Eins, das heisst auf die Einheit von allem was es gibt.

Aus diesem Liebestanz geht ein Licht, ein Kind oder ein Werk hervor.

Der Tanz der Liebe ist voller Wunder, wundervoll. Er ist voller lebendiger, berührender und bewegender Schönheit.
Wann immer wir spüren, dass aus einer Manifestation, einer Begegnung zum Beispiel, die Kraft durchschimmert, die zu dieser Manifestation geführt hat, wenn also ein Werk, ein Ding oder eine Situation durchlässig und transparent ist für die Kraft, die es geschaffen hat, erleben wir Schönheit, die uns berührt. Und die schaffende Vereinigungskraft, die uns so sehr berührt und alles schön macht, ist die Liebe.