Eintritt in das Leben

In dem Moment, in dem ich mich öffne für die mir zufliessende Liebe, aus der das Leben quillt, fange ich an ganz zu leben.

Im lichten, im sich entfaltenden Leben, umhüllt mich Zärtlichkeit, befreites Sein, tiefe Verbundenheit mit allem was lebt, Seins-Seligkeit.

Im Zustand der Verbundenheit bin ich im Bewusstsein des Einströmens der hauch-feinen Geist-Nahrung. Gleichzeitig mit dem Erleben des Einströmens lichtvoller Präsenz, empfinde ich einen sich ausdehnenden Raum unendlicher Stille. Glück.

Dies ist der natürliche und ursprüngliche Zustand des Menschen.

Sobald ich das Erleben des fortwährenden Fliessens verliere, indem ich mich zerstreue und damit zurückfalle in die Gebundenheit des verdunkelten Menschheits-Bewusstseins, falle ich zurück in den Vorhof zum Leben -und unser zivilisatorisches Leben findet eben im Vorhof zum Leben statt und nicht im vollen, im erblühten Leben. Im schattigen Vorhof des Lebens ist das Leben gedämpft.

Der Vorhof: Dieses «Leben», das auf Zweckmässigkeit, Nützlichkeit (Utilitarismus), Eigennutz und materielle Verwertbarkeit gegründet ist, schmälert sich unsere Bewusstheit sehr rasch und erstellt die alte Gebundenheit, die einer Fesselung gleicht, von Neuem. Hüten wir uns also davor, uns vereinnahmen zu lassen von den alten, saugenden Bekannten.

Es braucht die Bereitschaft des Menschen, das bedeckte Leben zu verlassen, seine Fesseln abzuwerfen und in das Licht zu treten. Den Befreiungsakt schaffen wir vielleicht nicht alleine. Wir benötigen ev. Hilfe, doch liegt es an uns, unsere Bereitschaft und unsere Sehnsucht nach einem freien Leben zu erklären.
Wir sind in unerlösten Vorstellungen über das Leben gefesselt. – Wenn wir mit dem Herzen und dem Verstand erkennen, dass wir in einer bedingten und relativen, von Angst gezeichnet Welt leben, so öffnet sich uns früher oder später das Fenster in die Freiheit.

Etwas in uns verbietet es, dass wir unser Gefesselt-sein erkennen. Was ist das?

Ich vermute, dass es oft mit Schuld zu tun hat, Schuld, die wir uns nicht eingestanden haben und die uns zu einem Gefühl von Ungenügen bis hin zu Selbstverachtung geführt hat. Viellicht spielt auch eine Art von kollektivem Unglücklichsein über unser Versagen als Menschheit mit; ich meine, dass es uns nicht gelungen ist, würdevoll und respektvoll zu leben, uns, wie dem Leben als Ganzes gegenüber. Manche denken, sie hätten Glück nicht verdient oder nur in kleinen Dosen. All das scheint uns verzagt zu machen. Hinzu kommt die Macht der Gewohnheit, die bewirkt, uns klein und im gesellschaftlichen Rahmen der Konventionen  fest zu halten und uns selbst zu vergessen.
Entbinden wir uns also, lösen wir uns von den Fesseln, von den kranken Bindungen, von falschen Selbst-Definitionen.

Definitionen und Urteile, gedacht oder gesprochen von uns selbst oder von anderen sind machtvoll und auch gewalttätig, weil sie festlegen, bestimmen und die Bewegungsfreiheit nehmen.

Hier ein Ausschnitt aus einem Buch*, das ich gerade lese. Darin spricht eine Frau mit einem Jungen, über dessen Vater:

«Kennst du die blinden Flecken der Seele? So nennt man es, wenn man etwas an sich selbst nicht sehen kann oder nicht sehen will. Das können Schwächen sein, die du nicht wahrhaben willst, aber auch Stärken, die dir unangenehm sind oder unheimlich. Und dein Vater konnte nicht sehen, dass er sich in sich selbst täuscht. Er dachte, dass er nicht lieben kann. Das habe ich inzwischen verstanden, Sam. Dass sogar die klügsten Menschen dumm sind, wenn es um die Liebe geht.»

Im Zustand der Verinnerlichung, des übergebenden, lösenden Ausatmens, der Hingabe, lässt sich erfahren, wie plötzlich, unvermittelt, alles wieder in ins Fliessen findet, in das sich Bewegende.

Manchmal beginnt die Freiheit mit einem hingebungsvollen Atemzug.

Im Atemzug der Barmherzigkeit – das ist der Moment, in dem der Odem aus dem physischen Atem aufsteigt und sich nun als Licht der Liebe enthüllt – findet Wandlung statt, öffnen sich die Gitterstäbe ohne jegliche Anstrengung und die alten Gewichte fallen von uns ab.

«ICH BIN DER WEG» meint den Weg vom äusseren, gebremsten Leben zum weichen, leichten Licht-Herz-Zentrum.

Dies ist der natürliche und ursprüngliche Zustand des Menschen.

Möge uns der Weg an Weihnachten erinnern.


*Nina George: Das Traumbuch, Knaur

Atmendes Leben

Ein Klagelied

Atmendes Leben. Darüber liegt Schwärze,
eine Luft-undurchdringliche Decke aus Angst, erstickender Kontrolle,
strangulierendem Gehorsam und seelischer Austrocknung.
Damit will „die Macht“ uns schützen. Uns, die Verstummten.
Vermummten,
gebunden an sie.

Die Kinder, die das Weinen verlernt haben.

ANGST.

Darunter, verborgen, unserem Seelenkörper nicht mehr zugänglich:
das pulsierende, das atmende Leben.

Der heilige Atem, der in allem schwingt.

Und wieder, nach Zeiten der Stille lüftet sich die schwarze Decke für Sekunden vielleicht – oder länger: und wir spüren,
dass alles, wirklich alles durchatmet ist.

Gefesselt, bandagiert ist die Kreatur in abgestumpfter Bewegung,
auf das Lächeln wartend und auf die kühlende Hand, die tröstet.

Die Kinder, vertrieben.

Oh.

Die Decke schützt nicht. Unter ihr beginnendes Ersticken.

Nadelstiche für den Frieden – für die Gesundheit?

Nein.

Unterwerfung oder Hingabe an das Leben?

Wut gegen das langsame Ersticken.

Die Klage richtet sich an das Erd-Innere,
die Bitte an die Ahnen, die ihre warmen Hände nach uns ausstrecken.

Ich singe ein Klagelied aus Trauer und Hoffnung geflochten.

Die Kriege, die das letzte Jahrhundert zeichneten, die Blutspuren noch gegenwärtig.

Traumatisierte Schwestern und Brüder: singt mit, stimmt ein in das wehmütige Klagelied, das uns vielleicht die Luft gibt, die wir jetzt so dringend benötigen.

Oh.

Die verlorenen Kinder in den Trümmerhaufen. Seht ihr sie? Sind wir sie?

Der Schmerz ruft uns.
Und die Sehnsucht.

Mit Resignation und Folgsamkeit wehren wir uns dagegen,
uns wahrzunehmen und wir ziehen die schwarze Decke noch fester über uns.

Wir buchstabieren eine schreckliche Geschichte – mechanisch.
Buchstaben-Schwärze.
Schwärze.
Es ist eine Geschichte über Angst und Gehorsam.

Ob uns der heilige, pulsierende Atem unter uns noch zu heilen vermag?

Dies ist ein Klagelied über die Schatten von Corona,
deren Krone zu Boden gefallen ist, wo Schutt liegt.

Die Winde hoch über uns, seit je.
Der Jet-Stream singt.

Den Menschensohn erretten

Gedanken zur Apokalypse. Dies ist ein gebetsähnlicher Text, der mir in die Hand geflossen ist, ohne mein kognitives Dazutun. Er ist kurz, und eher nicht an den Verstand gewandt. Ich habe ihn genau so belassen, wie er mir eingegeben worden ist, ohne Erläuterungen und Korrekturen. Hier soll er geteilt werden.

Und du wirst werden ein Mensch. Er wird über dir ausgegossen. Amen.

Der Menschensohn: Das Wesens-Selbst, die innere Bewegung des Lichtkraft-Selbst, das Werdende in mir, das, was geboren werden soll. Meine Selbst-Geburt= der Sohn/die Tochter, mein Christus-Selbst.

Den Menschensohn erretten. Diesen gilt es zu erretten. Er versinkt – er droht zu versinken – in der Verfinsterung unseres austrocknenden Selbst.
Es ist eine Austrocknung im Gange, eine Erosion – von uns selbst. Darin das innerste Leben, dem Feuchtigkeit mangelt, das Wasser des Lebens.

Exoterisch: Die Klima-Katastrophe; esoterisch: Die Austrocknung unserer Lebendigkeit, unseres Seelenlebens.

Was lebt, droht unterzugehen.

Die Apokalypse ist eine Schrift, die sich in Visionen, Träumen, Abschiedsreden, Weissagungen mit dem kommenden Weltende befasst. Sie spricht auch vom kommenden Sein und vom Werden des Menschen, dem Menschensohn.

Der Mensch errette den Menschensohn vor der Austrocknung, das heisst vor dem Absterben seiner Seele.

Genauso erlebe ich unsere Zeit.

Der Menschensohn wird einst – Gott sei uns gnädig – über uns ausgegossen.

Der Mensch ist in seiner Verfügungsgewalt gefangen. Er verfügt über sich und die Schöpfung, was tödlich ist oder tödlichen Ausgang nehmen kann.

Der Mensch ist drauf und dran, seine Neugeborenen zu maskieren! Gott möge uns davor behüten.

Gott schütze uns vor uns selbst- unserem austrocknenden Selbst.

Rufen wir den Retter in uns.

Möge der Menschensohn über uns ausgegossen werden.

Apokalypse heisst wörtlich Entschleierung. Oder Enthüllung.  Oder Offenbarung.

Möge sich Gott in uns offenbaren.


Beitragsbild: Wasseroberfläche eines Brunnens: das Muster (Form und Farbe) ist vom Wasserstrahl (Wellen) und von der Sonne (Licht, Energie) hervorgerufen. Foto WB

Die Liebe erscheint – 2. Teil

Die erste Fassung dieses Textes schrieb ich schon vor einigen Jahren. Nun in der Zeit der Corona-Krise hat er sich meiner Ansicht nach aktualisiert. Vermutlich befindet sich die Menschheit jetzt in der Phase des Schmerzes und der selbst-erzeugten Ohnmacht und Kontrolle.

Wer liebt er-scheint
Ich glaube, wir stehen an der Schwelle zum Kosmos des Herzens, wo die allgegenwärtige Liebe als Fundament des Lebens von immer mehr Menschen gefühlt und erkannt wird.

Der Sprung auf die Ebene des Herzens ist oft von Schmerzen begleitet. Es sind die Trennungsschmerzen, die wir erlitten, als wir in die Tiefe der Nacht der Seele stürzten, beim Fall aus der Verbundenheit in die Gespaltenheit. Beim Aufstieg in den Kosmos des Herzens wird dieser Schmerz reaktiviert. Schmerz auf der Rückkehr in die Einheit ist ein wesentlicher Teil des Heilungsvorganges. Schmerz ist Teil der Heilung, Leiden geht der Freude und der Licht-Erfahrung voraus.

Wer zu lieben begonnen hat, fängt an zu scheinen, zu strahlen, zu leuchten. Aus dem Liebenden breitet sich ein Lächeln aus. Ein Duft. Unendlich.
Das selbst gewählte menschliche Drama zwischen Überheblichkeit und Selbst-Vereinsamung (ich brauche niemanden!) kann zu Ende gehen, wenn sich der Mensch in das heilende Licht des Herzens fallen lassen lässt (fallow in love (engl.), tomber amoureux (franz.), in die Erfahrung des unendlichen Aufgehoben-seins, der Liebe und der Freiheit. Ob wir uns nun in einen Menschen oder ins Leben verlieben, es fühlt sich an wie ein sanftes Fallen – ausgelöst durch Vertrauen, Hingabe und Entspannung.

Wer liebt, erscheint. Wer liebt, scheint.

Aufgewühlt – Aufgerüttelt
Zuerst sucht die Liebe durch eine zarte Bewegung und Vereinigung uns zu verlebendigen. Wenn ihre sehr feinen Töne, ihre zarten und betörenden Gesten und Bewegungen mehrfach zurückgewiesen oder ignoriert werden, verwendet die Liebe vehementere Ausdrucksformen.

Wenn die Abwehr eines Menschen gegen die Kraft, die ihn rettet, sehr stark ist, stark wie ein Damm gegen näherkommende Wassermassen, muss der Damm (oder die Mauern) verstärkt werden. Der Druck, der ihn rettenden Kraft verstärkt sich ebenso. Bis zum Durchbruch. Die Liebe hat den Drang in sich, durchzubrechen, zu erreichen, gehört zu werden.

Wenn die Impulse aus dem Herzen von Menschen nicht gehört werden, so intensiviert sich die Dringlichkeit der inneren Stimme. Das ihnen Zufliessende, die Liebe, flösst ihnen Angst ein; es wird als etwas Gefährliches oder Feindseliges missdeutet. Die Kraft der Liebe wird sehr oft verkannt, weil die Liebes-Impulse uns erschüttern und vielleicht auch verwirren.
Manchmal will die Seele, dass ein Reifeschritt sehr schnell erfolgt, aus inneren Gründen, die wir vielleicht erahnen, aber nicht wissen.

Du kannst den Zug verpassen, deine Schlüssel verlieren, eine Panne haben, stürzen. Eingriffe, die etwas in deinem Leben ermöglichen sollen. Du weist diese Ereignisse als Schikane zurück, als Störung, Gemeinheit, weil Du nicht darauf vertraust, dass diese, vielleicht widrige Umstände, eine Gelegenheit in deinem Leben darstellen, etwas zu erfahren, das für dich wichtig ist, zum Beispiel dein Leben in Richtung vertiefter Liebe zu verändern.

Der Mensch baut seine Abwehr noch mehr auf, wenn er sich vor den Inhalten der Herzens-Stimme fürchtet. Der Druck, vielleicht in Form von Blut-Hochdruck, steigt an.

Wenn dem Druck nicht mehr widerstanden werden kann, kommt es zu einem System-Zusammenbruch. Das ganze System, oder ein Teil-System bricht ein. Dies gilt sowohl auf individueller, wie auch auf kollektiver Ebene.

Beim individuellen Menschen kann es sich konkret zum Beispiel um einen Herz -oder Hirnschlag handeln, in der Natur um eine Überflutung, in einer Zweier-Beziehung kann es zu einer Scheidung und/oder zu Gewalttaten führen. Dies ist eine Weise, wie sich Liebe manifestiert: Sie bewerkstelligt einen Zusammenbruch. Sie zerstört eine Abwehr-Struktur oder eine seelische Stagnation. Aus Not, weil die zarten und feinen Signale nachhaltig und über eine lange Zeitstrecke abgewiesen wurden.

Kollektiv: Stress; unruhige gespaltene Gesellschaften. Konflikte eskalieren, finden keine Lösung. Das Immunsystem der Menschen ist zunehmend überfordert, neue Krankheiten brechen auf. Wetter-Extreme wie Orkane mehren sich. Die gesellschaftlichen Strukturen zerbrechen, die natürlichen Öko-Systeme kollabieren.

Was getrennt war, muss einmal wieder zusammenfinden. Das im Wesen angelegte Ziel, will erreicht werden, wie der Strom erst im Meer zur Ruhe kommt. Die Mutter kann sich erst beruhigen, wenn sie das verlorene Kind wiederfindet, so wie der Hirte nicht ruht, solange er das verlorene Lamm nicht gefunden hat. Die natürliche Ordnung „leidet“, wenn das, was fundamental zusammengehört, sich nicht trifft. Die Liebe verbindet, um sich zu erfüllen.

Es ist von grosser Tragik, wenn Menschen, das, was sie im Innersten sind, nämlich Licht und Liebe, weg-projizieren und abspalten, weil sie diese Tatsache ablehnen, nicht aushalten, weil die Selbst-Verachtung zu gross ist. Dies aber geschieht häufig. Es ist bekannt, dass Menschen Schattenanteile veräussern, weniger, dass sie das von sich abspalten, was ihre Essenz ist.
Für die Erneuerung des Menschen ist die Zurücknahme der Projektionen von ausserordentlicher Bedeutung.

Wenn also die natürliche Ordnung schwer gestört ist, zerstört die Liebe das, was stört und Störungen erzeugt. Die Liebe wirft ihre Fesseln ab.
Die Liebe möchte wieder Wohnsitz nehmen, da, wo sie hingehört.

Die Liebe will, dass wir dem begegnen, was uns hilft liebende Menschen zu werden. Durch wahrhaftige Begegnungen, erwacht die Liebe ins uns.

Es sind immer innerliche und äusserliche Begegnungen, die wir brauchen, um glückliche Menschen zu werden.

Innerlich: Wir verbinden unsere äussere Personalität mit unserem Wesenskern, unsere Individualität mit unserer Universalität.
Äusserlich: Wir treffen die Menschen, mit denen wir seelenverwandt sind oder solchen, die uns durch Zuneigung oder Forderungen entwickeln lassen.

Das Leben will uns helfen. Wir können dazu beitragen, indem wir die Liebesbeziehungen in unserem Leben mehren und stärken. Dadurch kräftigen wir die immer existierende Kraft der Liebe, die stets helfend und kräftigend wirkt. Die Seele hilft uns bei der Verwirklichung unseres Lebens. Sie stellt uns alle Informationen zu Verfügung, die wir für unsere Evolution benötigen. Sie kreiert aber auch alle Situationen in unserem Leben, die uns helfen, uns wahrzunehmen, uns zu entwickeln und zu vervollkommnen. Sie weist uns aber auch auf die Beziehungen hin, die zu unserem Wohle sind. Es sind geistige Wesen am Werk, die diese Beziehungen und Zusammenkünfte vorbereiten und begleiten.

Es gibt im Leben jedes Menschen eine Kraft, die unser Bestes will. Wir erkennen sie oft dann nicht, wenn um uns eine anscheinend gefährliche oder ungewohnte Dynamik aufkommt. Die Liebe ist nicht immer süss. Wie die Rose, die manchmal ihren Duft verströmt und manchmal sticht.

Doch immer meint es die Liebe, die vor allem in unserer Seele wohnt, gut mit uns.

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Liebe erwacht – 1. Teil

Schon immer hat mich die Schöpfungsgeschichte der Bibel berührt. Ich erzähle sie hier mit meinen Worten. Sie zeigen, wie ich die Welt verstehe.
Der Mensch ist heute ganz besonders und mit Dringlichkeit gefragt, wie er wirklich leben möchte und was für ihn die Basis seines Lebens ist. Nicht die Mächtigen sollen es uns sagen, sondern wir selbst mögen es in uns er-hören.


Begegnung erweckt

Atem – Bewegung, aus Liebe
Als der Eine, Gott, das Andere, das Gegenüber erschuf, hauchte er seinem Geschöpf seine ganze Liebe und Barmherzigkeit, als sein Erbe, seinen Segen und sein Vermächtnis ein, und liess es frei seinen Weg wählen. Dieser Hauch übermittelte dem Geschöpf die schönste Liebeserklärung, die es je gab. Wenn wir Menschen bewusst einatmen und auf die subtile Dimension des Atems achten, spüren wir diese uns bewegende Liebeserklärung.
Der Hauch, der subtile Atem, wie wir auch sagen können, übermittelt uns die unbedingte Liebe und Solidarität Gottes auf unserem Weg. Dieses liebende Einströmen bewegt uns.
Die Liebeserklärung liegt auf dem Grund unserer Seele. Sie erinnert an eine Melodie.

Die Geburt der Seele – Die Bewegung wird zur Wanderschaft
In diesem liebenden Odem wurde unsere Seele geboren. Ursprünglich ist sie sich in dieser ersten Regung / Berührung als wanderndes und gesegnetes, beseeltes Leben bewusst. Die Liebeserklärung Gottes an sein geliebtes Menschengeschöpf wohnt also der Seele inne. Die erste Bewegung (Regung), ist die Antwort auf den göttlichen Odem. Diese erste Regung wird zum Fluss des Lebens, der uns aus dem Ursprung durchströmt. Er ist Leben gewordene Liebe. Aus dem Ein-Hauch floss und fliesst der Strom der bedingungslosen Liebe, als Urkraft und Ur-Bewegung auf unserer Wanderschaft durch die Welt. Dieser Ein-Hauch ist die Innenseite unseres Atems.

Die Ur-Bewegung als Anfang der menschlichen Geschichte.

Diese erste ursächliche Bewegung (die erste Regung des lebendigen Wesens Mensch) ist die Grundlage aller Bewegungen und Prozesse, aller geschichtlicher Ereignisse, aller Lebensrhythmen und Wandlungsgeschehen.

«da bildete der Herr, Gott, den Menschen aus Staub vom Erdenboden und blies Lebensatem in seine Nase. So wurde der Mensch ein lebendiges Wesen.» (Genesis 2,7)

Der Odem brachte uns in die Bewegung des Lebens.

Der ursprüngliche Segens-Gestus brachte die Seele auf den Weg durch Raum und Zeit, in die geschichtliche Welt.

Die erste ursprüngliche Regung (Ur-Bewegung) als lebendiger Ausdruck der göttlichen Liebe und Barmherzigkeit ist das Erbe, das wir in uns tragen. Die ursächliche Bewegung (Primum mobile) ist Trägerin der Lebensenergie Die erste Regung/Bewegung ist eine geistig-seelische. Der heilige Atem, der Odem belebt uns. Auf der daraus folgenden Stufe der Lebensentwicklung, wo sich überall Lebensenergie (Prana) gebildet hat, entstehen die ersten archetypischen seelisch-körperlich Bewegungen, also die ersten Grundformen der Bewegung als Ausdruck der Lebensenergie:

Lebensenergie ist das, was uns bewegt. Die archetypischen Grundformen der Lebensenergie (Prana, Ki) sind rund, meist wellenförmig, wirblig (Kreiswellen) und spiralförmig. Diese Bewegungsformen sind Trägerinnen des Lebenslichts, fähig Licht zu bilden und zu transportieren. Diese Formen finden sich auf allen Ebenen der Schöpfung, insbesondere im Wasser, welches ja auch für Leben und Emotion (e-motion= Energie in Bewegung) steht. Das Wasser schlängelt sich, mäandert, bildet Wellen Wirbel und Spiralen. Werden Flussläufe begradigt, so häufen sich Überschwemmungen und die Wasserqualität sinkt ab. Dieselben Urformen findet man im All; die Galaxien bilden Spiralen. Man findet aber die lebenserzeugenden Ur-Formen aber auch bei Tänzen und in Liebesspielen wieder (man vergleiche: Willhelm Reich: Die kosmische Überlagerung).

Werden natürliche seelische Bewegungsabläufe im Menschen blockiert, wodurch die Lebenskraft abfällt, so bilden sich, Spannungen, Verkrampfungen und Krankheiten, in der Natur Stauungen und katastrophale Durchbrüche und Explosionen, zum Beispiel Erdbeben.

Unsere Kultur und Zivilisation wiederspiegelt unsere inner-seelische Verfassung:
So wie wir im Äusseren Natur begradigen (Flüsse) und uns in eine rechteckige Architektur zwängen (anstelle einer organischen), so mindern wir auch unsere Lebendigkeit durch ein dominantes lineares und funktionelles Denken, in welchem die Intuition nur eine untergeordnete Rolle spielen darf. Der Mangel an «runden Denkformen» und Emotionen, an innerer und äusserer Beweglichkeit (wie Tanz) schwächt uns Menschen, entwurzelt, entpersönlicht und entfremdet uns in einem Ausmass, das als gesundheits-schädigend bezeichnet werden muss.


Wieder-Erinnerung – Wieder-Erkennen

Zurück zum Odem, dem heiligen Atem:
Im Gebet und in der Meditation und speziell im achtsamen Atem können wir uns an diese Ursprungs-Bewegung, welche Trägerin der Liebe und der Barmherzigkeit und damit auch des Lebens ist, wieder erinnern und damit an unsere Liebesgeschichte mit Gott, der uns sowohl begleitet, wie auch frei lässt. Die Wieder-Erinnerung öffnet sich auch, wenn wir berührt, angerührt werden und damit in Bewegung kommen, insbesondere durch ein Ereignis liebevoller zwischenmenschlicher Begegnung. Wir nennen diesen Vorgang auch Erwachen.
Tiefe Begegnungen bewegen und beleben uns emotional und körperlich. Sie wiederspiegeln uns die ursprüngliche Mensch-Werdung und sie lassen uns auf dem Weg der Menschwerdung weiterkommen.

Erweckung – Einigung

Die Liebe sucht zu erlösen, zu befreien, zu vervollkommnen und zu einen. Immer. Ich glaube, dass es eine wahrhaftige und sehr tiefe Begegnung braucht, damit die Liebe erwacht. Die Begegnung kann sich sowohl in einer sehr zarten Berührung ereignen, in einem intensiven, vehementen Zusammenkommen, einem Akt der Liebe, oder durch einen Zusammenprall und Zusammenbruch. Oder: es fühlt sich als einen Licht-Schimmer an oder einen Ruf in der dunklen Nacht der Seele an. Lesen wir die Schilderung im Prolog des Buches des Sufi-Meisters, Pir Vilayat Inayat Khan «Der Ruf des Derwisch»:

«Wenn wir vorbereitet sind, einen Schritt zu tun weg vom normalen Zustand der Entfremdung, und den Mut haben, durch die dunkle Nacht zu gehen, wenn alle unsere Bemühungen erfolglos scheinen und wir dem Abgrund in uns selbst gegenüberstehen, wenn Verzweiflung uns packt angesichts unserer Unfähigkeit, ihn zu überwinden – selbst wenn wir bis zum Äussersten der Verlassenheit geprüft werden-, in dem Moment, wo alles sinnlos und verloren scheint ,kommt manchmal ein winziger Hinweis – Ayat, wie die Sufis sagen -, ein Zeichen oder vielleicht ein Symbol, so als würden wir das Signal eines Wesens draussen im Weltraum empfangen, das uns zuwinkt, um uns von seiner Anwesenheit zu überzeugen – eine schweigende Stimme, in die wir plötzlich eintauchen…»

Entwicklung, Menschwerdung geschieht im Herzen des Menschen.

Beitrags-Bild: Foto Niklaus Bayer

Durchlässigkeit

Oft weise ich darauf hin, wie zum Beispiel im vorletzten Artikel «Bewegungsruhe», dass die meisten Menschen in sich Abwehr-Mechanismen gegen das einströmende Liebeslicht errichtet haben. Wir sondern uns vom Licht, das uns erschaffen hat, ab. Diesen Vorgang nennen wir auch Sünde, wodurch wir uns von dem abspalten und entfremden, was wir im Kern sind. Diese «Widersacher-Kräfte», so kann man auch die Angst besetzten Abwehrmechanismen nennen, sind meistens sowohl persönlicher, wie auch kollektiver Natur.

In Kontemplation oder Meditation können wir uns selbst über die Schultern schauen und unseren Prozess des Eintretens in unser Inneres beobachten.
Dann erkennen wir -ich denke damit rede ich für Viele-, dass wir uns, bildlich gesprochen, mit Gedankenfetzen bewerfen, manchmal geradezu froh darüber sind, dem beginnenden Liebes- und Lichtstrom, etwas gegenübersetzen zu können. Vielleicht beobachten wir, dass die Rastlosigkeit der Gedankensplitter und Erinnerungen gerade dann überhandnehmen, wenn das Herzenslicht heller und leuchtender zu werden beginnt. Es benötigt auch Mut, uns die gewalttätigen Aspekte in uns zuzugeben.

Wir kennen wohl auch die Erfahrung, dass es uns nicht gelingt, jenes innere Reden zu stoppen. Eventuell regen wir uns dann über uns selbst auf, wenn wir unfähig sind, dieses innere Gerede anzuhalten.

Ja, es ist schon auch traurig, wenn wir sehen, wie gross unsere Scheu vor dem inneren Licht und der inneren Liebe ist. Wir selbst stehen uns vor dem Licht – immer wieder. –
Nun, was hilft?

Mir persönlich hilft es, wenn ich mir meine Schwächen, meine Ängste und die innere Unruhe, die oft die Folge der Ängste sind, eingestehe und mir selbst zugebe, dass ich nicht immer in der Lage bin, sie zu stoppen. Es ist mir gewiss -und wie oft habe ich es auch erfahren- dass die göttliche Liebe es mit mir durchwegs gut meint und mich nie eingeengt oder mich bedrängt und vereinnahmt hat. Nie! Und doch sind offenbar alte persönliche, familiäre und kollektive Ängste mit einer Zähigkeit am Werk, die ich kaum für möglich halte.

Das Eingeständnis, dass es so ist, aber auch die Reue darüber, dass ich nicht immer mit der nötigen Geduld meinen inneren Widerständen und Schwächen begegne, hilft mir, mich zu öffnen. Bewusst stelle ich meine Fehler, Mängel und Widersprüche ins Licht der Liebe und befreie mich so, mindestens ansatzweise von ihrer Hartnäckigkeit. Indem ich sie ins Licht halte, entbinde ich mich von ihrer Herrschaft.

Dieser innere Schritt erlebe ich als sehr hilfreich, ja heilend. Mit ihm beginnt die Öffnung und die Wandlung.

Nun ist Geduld wichtig, die Bereitschaft, der göttlichen Antwort Raum zu geben. Die Antwort kann darin bestehen, dass der sich hingebende Mensch eingekleidet wird in einen Lichtmantel, gewoben aus Milde, Barmherzigkeit und Wärme. Dieses Lichtkleid durchstrahlt unsere Seele, löst auf, was verknotet ist, befreit, lockert. Der Charakterpanzer schmilzt oder zerstäubt. Gleichzeitig wird der im Wesen ruhende Lichtkörper des Menschen wieder aktiviert und verlebendigt.

Also: Die Milde und Barmherzigkeit, die über uns gelegt wird, belebt den Lichtkörper.

Nun kann es geschehen, dass uns die sanfte Kraft zufliesst, die uns in Beziehung kommen lässt mit der strahlenden Liebe, Bewusstseinskraft, Seligkeit und Schönheit, die den Lebensgrund bilden, auf dem unsere Existenz sich vollzieht und die uns zudem erhebt.

Diese Augenblicke, wo wir uns frei fühlen, uns vom Geschenkten durchströmen und durchscheinen zu lassen, sind unvergesslich. Sie lassen uns erfahren, was Aufgehoben-sein meint. Der transparente Mensch, in welchem Freude aufsteigt, reflektiert den Glanz jener mysteriösen Präsenz, die ihn nun durchströmt und durchscheint. Dieser Glanz ist manchmal auch in seinen Augen zu erkennen, wie dies bei Verliebten oft auch der Fall ist.

Im Moment dieser Erkenntnis öffnet sich auch die Wahrnehmung dafür, dass alles, die werdende, wie auch die sterbende Welt, wie auch die noch nicht entfaltende Potentialität von ewiger, bedingungsloser Liebe durchwirkt ist.

Im Grunde, in der ursprünglichen, natürlichen Verfassung, ist alles Leben miteinander verbunden und dementsprechend durchlässig, vom Geist durchatmet. Zunehmendes Vertrauen mündet in Intimität, führt in den Raum der Übergabe, wo es keine Trennung gibt.

Selbst die noch verbliebenen Abwehrmechanismen, wie auch die noch tätigen Ego-Muster werden, wie das innere Herzens-Auge erkennen kann, von Gnade durchflutet, wodurch sie ihre Dominanz und Prägekraft verlieren.

Selbst unsere Schwächen, Fehler und Barrieren werden nun durchlichtet und wir sehen: Es gibt nichts, ausserhalb des göttlichen Lichts. Nichts, das definitiv ausgeschieden, abgespalten wäre. Alles ist vereint, eins in der all-umfassenden Liebe.

Diese Erfahrung legt den Grund zur Heilung der so gefährdeten Welt, in der wir leben.

Manches in diesem Artikel mag auch an Ostern erinnern. Das Eingeständnis und die Reue erinnern an den Karfreitag und an die Bitte um Erbarmen: Kyrie eleison, die alles durchscheinende Präsenz, die Vergebung und die aufgehende Sonne an die Auferstehung.

Der fragile Mensch

«Die Rükkehr zum Anfang wird immer feiner –
Zärtlichkeit über der Quelle.
Netze deine Stirn über dem Wasser.»

Aus einem Gedicht von WB

Ich erlebe den Menschen als verletzt und verletzlich. Er ist eine physiologische Früh-Geburt. Nach seiner körperlichen Geburt, ist er, im Gegensatz zu den Tieren, nicht fähig zu stehen und zu gehen. Er lebt während seiner Säuglingszeit in einem sozialen Uterus. Er muss nun möglichst oft am Körper getragen werden, braucht unendlich viel Nähe und Zärtlichkeit, körperliche und emotionale Wärme und Aufmerksamkeit, damit er Ur-Geborgenheit tanken und sich in späteren Jahren gut entwickeln kann. Er benötigt etwa zwanzig Jahre, bis er als selbstständig gelten kann und in der Lage ist, für sich selbst zu sorgen – eine lange Zeit, etwa eine Viertel seiner Lebenszeit. Schon kürzere Trennungen (ein paar Tage) zwischen Eltern und Kind verursachen im Kleinkind-Alter seelischen Trennungsschmerz, der nicht leicht verarbeitet werden kann.

Der Mensch ist ein überaus komplexes, differenziertes, hoch entwickeltes Wesen, bewusstseinsfähig, feinfühlig, welches, vor allem in der Kindheit, einfühlsam begleitet sein will, damit es Wurzeln bilden und sich erden kann.

So fein der Mensch auch ist, er ist auch irritierbar, verführbar und ablenkbar. Seit Jahrhunderten wird er in eine Welt geboren, die fast pausenlos durch Kriege zerrüttet wird, in einer Welt, in der sehr Viele an Hunger leiden oder auf der Flucht verelenden.

Der Mensch ist im Allgemeinen traumatisiert und brutalisiert durch unzählige verletzende und grausame Eingriffe in seine Integrität. Hauptverantwortlich für diese Entwicklung sind, gesellschaftlich gesehen, primär das Patriarchat, welches für die Unterdrückung der Frau und des Weiblichen verantwortlich ist und seit ca. zweihundert Jahren der immer rücksichtsloser funktionierende Kapitalismus, welcher die Rendite über das Menschenwohl stellt.

Der Mensch, der dazu neigt, sich mit dem Angreifer zu identifizieren, verinnerlichte die Härte, mit der er behandelt wurde und schuf somit eine Welt, die ihn selbst bedrohte. Da er Nähe oft als gefährlich erlebte, baute er Abwehrmechanismen gegen Nähe, Liebe und Zärtlichkeit auf und schuf sich eine kühle und funktionale Welt, die ihn selbst zum Frieren brachte – und bringt.
Eine Welt, die seiner zarten Wesenheit widerspricht!

Der Wärmebedürftige friert nun. Der Zartfühlende baut sich Türme aus Stahl und Beton, um sich darin einzuschliessen.

Die menschliche Gesellschaft ist krank geworden. Ihre Welt ist materiell, funktional. Die Menschen verordnen einander Distanz. Sie gehen auch in Distanz zu ihrer Seele, wodurch ihre physische Existenz, nun entseelt, auszudorren droht. Die Menschheit hat ihre Medizin verloren und vergessen. Seine Medizin trägt der Mensch in sich, zum Beispiel im Atem, in seiner Stimme, in seiner Fähigkeit, sich durch Bewegungen (Tanz) auszudrücken, und in seiner Empathie-Fähigkeit).
Weil er die Beziehung zu seiner Medizin teilweise vergessen und vernachlässigt hat, sucht er sie im aussen, etwa in pharmazeutischen Produkten.

Wir Menschen brauchen eine Kultur der Zärtlichkeit. Wir sind auf Zärtlichkeit aufgebaut. Sie ist unser Fundament. Wir sind Kinder des Zärtlichen. Zärtlichkeit ist unser Fluidum, der Duft, der uns stärkt, der unserer wahren Wesenheit entspricht. Das Aussen korrespondiere mit dem Innen. Oder: wie innen so auch aussen.

Wir brauchen eine Kultur des Zuhörens, wo einer dem Anderen zuhört und Anteil nimmt.
Eine Kultur auch, wo Menschen auf die Sprache der Natur und Mutter Erde lauschen.

Wir haben, um uns zu finden, zu lernen, auf unser Herz zu hören und das Gehörte umzusetzen. Dazu gehört es, uns auch von Konventionen zu befreien.

Nur so finden wir zu einem Miteinander.

Der Zuhörende ist unter uns. Es gibt ein Hörendes und Anteil-nehmendes in allem, was ist.

Hier ein Gedicht* von mir:

„Seine leise Gestalt

Jetzt ist der Hörende mitten unter uns
und wir fühlen seine flammenden Schatten,
die sein Vorbeigehen werfen,
die unsere Stirne kühlen
im Branden neuer Sternenwelten.

Nun tritt aus dem Kosmos lächelnd
seine leise Gestalt,
Sterne küssen seine Füsse.

Und wir sehen,
wenn der Sternenmantel sachte fällt
und wir die Augen schliessen,
sehen, was kein Auge je gesehen hat,
hören, was kein Ohr bisher vernahm,
fühlen, was sich unsere Seele
seit je ersehnte.»

 

*Werner Binder: Der Quelle zu, SEBIL-Verlag 2013.
bei mir zu bestellen. Fr. 10.–

Der Mensch – ein gebärendes Wesen

«Denn die Zeit wird aus Melodie geboren und Melodie aus Gnade.»   Martin Buber

«Es ist gut, wenn uns die verrinnende Zeit nicht als etwas erscheint, was uns verbraucht, sondern als etwas, das vollendet.»
Antoine de Saint-Exupéry

 Mit einer gewissen Scheu möchte ich mich einem mir sehr bedeutungsvollem Thema tastend annähern: dem Menschen als ein gebärendes Wesen. Ich möchte mich dieser menschlichen Wirklichkeit, die in uns angelegt ist, nähern, in dem ich sie ahnend umkreise.

Die Einbettung des inneren Kindes
In der ersten Lebenshälfte ist es äusserst hilfreich, wenn wir Menschen das innere Kind – ich meine das Kind, das wir einmal waren und das stets wirksam Teil unseres Lebens ist – aktiv und bewusst annehmend integrieren. Wir integrieren es, indem wir es lieben, mit ihm reden und ihm Lebens-Raum geben. Das innere Kind kann dann als integriert angesehen werden, wenn es in seinen Stärken und Schwächen, in seiner Bedürftigkeit und in seinen Begabungen, also als Ganzes, akzeptiert worden ist.

Manchmal vervollständigt sich der Prozess der Integration des inneren Kindes erst in der zweiten Lebenshälfte. Auch das ist gut. «Die Zeit als etwas betrachten, das uns vollendet» (Siehe Zitat oben.) Während wir uns mit dem inneren Kinde befassen, entwickelt wir unsere Mütterlichkeit und Väterlichkeit, unsere Fürsorglichkeit zu uns selbst, die schliesslich auch nach aussen abstrahlt und uns zu mitfühlenden Menschen macht.

Nun ist der Boden bestellt für die zweite Geburt: unsere göttliche Natur.

Die Erweckung des hohen Selbst
Folgende Worte sind – so glaube ich – zu uns gesprochen, oder sie werden einmal so oder anders, aber im Sinne ähnlich, zu uns gesprochen werden:

«Deine Liebe führt dich zu dir selber.
Wenn du mich erblickst, fühlst, so führt dich dies zu dir selbst, in dein Inneres, in dein wahres Selbst, das dich erblickte, erschaute und gebar.
Das wahre Selbst hat dich geboren.
Du bist im Prozess der Geburt und des Werdens, Ausdruck dessen, was ICH in dir bin.
Du bist die Ursache, der Grund meiner Liebe
und die Licht-Projektion deiner selbst.
Du bildest dich im Liebes-Licht, das ich in dir bin.

Was wandelt bin ICH. ICH BIN die Liebe. Ich verkörpere (inkarniere) mich in dir und durch dich.»

Nun ereignet sich das Bewusstsein für unsere Gottes-Kindschaft. Unsere geistdurchwirkte Seele wird sich nun selber bewusst. Wir können sie Bewusstseins-Seele nennen. Die Geburt ist Ereignis. Die Geburt ist Gnade.
Dieser Prozess beginnt meistens damit, dass wir spüren, dass wir weit mehr sind, als unsere biografischen Prägungen und mehr sind als die Einflüsse der jetzt wirkenden Kultur, in der wir leben. Der Moment des Erwachens ist dann gegeben, wenn wir uns zutiefst berührt oder ergriffen fühlen vom Leben schlechthin. Es ist ein grosser Glücksmoment, der kaum beschreibbar ist, weil er mehr ist als alle uns bekannten Formen und Strukturen.

Der Geburtsraum – der Raum des Herzens
Aus Liebe quillt Geburtsraum. Der Kosmos des Herzens ist auch ein Raum der Geburt, ein Raum höchster Lebendigkeit. Der mächtige Selbst-Impuls hat im Herzens-Kosmos seinen Raum des Wachstums und der Entfaltung gefunden. Das Männliche (der Impuls) und der Geburts- und Wachstumsraum, das Weibliche: sie sind nun in fruchtbarer Vereinigung.
Lebendige Potentialität; Geist und Materie in liebender Umarmung, im Liebesspiel: Dies ist der Raum der Geburt im Herzen. Hier ist unendliche Zuneigung, das allen und allem gilt: All-Geliebt-Sein. Hier ist tanzendes Strömen, berührtes Bewegt-Sein, gehalten in der Ruhe, im Ursprung des Quell-Grundes.

Wenn wir Menschen es uns erlauben in die Stille des Seins abzutauchen, wird uns ein Bewusstseinsbereich erreichen, den ich als fötale Stille bezeichnen möchte. Dieser Bereich tritt vielleicht als eine Art von Dämmerlicht in Er-Scheinung.
Wir fühlen uns vielleicht umgeben von Licht-Wasser oder geistigem Fruchtwasser, obwohl diese Begriffe nur Hilfen der Annäherung zu diesem geheimnisvollen Prozess sind, in dem unser höheres, göttliches Selbst ins Bewusstsein tritt. Allmählich.
Die Geburtssphäre kann aber auch so fein sein, dass sie sich wie ein Nichts anfühlt. Viele verlassen dann die Meditation, weil sie denken, dass da nichts mehr weiter geschehe. Aber genau dieser Punkt des «Verschwindens» ist derselbe Punkt der Neuwerdung .

Der Prozess des Erwachens und des Erwachsenwerdens, also des Reifens, dessen was schon immer da war, erfüllt sich bis zu einem uns möglichen Grad – bis hin zu unserem Sterben. In diesem langen Reife-Prozess werden wir zu Liebenden und zu bewussten Menschen, die sich als Ausdruck des All-Einen erkennen. Wahrscheinlich benötigen wir viele Inkarnationen auf dem Weg der Menschwerdung bis sich unsere Lichtgestalt (unser Christus-Selbst), die wir in Wirklichkeit sind, ganz in die Entfaltung kommt. Wichtig scheint mir der Weg, das Unterwegssein und die Beharrlichkeit des Weitergehens.

Das schöpferische Selbst.
Wenn der Mensch seinen Lichtkörper zu verwirklichen beginnt, entwickelt sich auch sein schöpferisches Selbst. Dies ist daran erkennbar, dass die Ausatmung des Menschen vermehrt Leben zu erzeugen beginnt. Sie wird hauchartig, gleichzeitig substantiell. Heilender Liebes-Atem oder: Geburts-Atem. Alles in tiefer Stille. Es ist denkbar, dass in grosser Herzens-Intimität nicht nur Leben, sondern auch Lebe-Wesen geboren werden.

Eine neue Menschheit – eine neue Erde
Der Ort der Geburt unseres wahren, göttlichen Selbst ist unser Herz.
Der Ort der Geburt unseres wahren Menschheits-Körpers ist der Kosmos des Herzens.
Ebenso findet die Regeneration des Erden-Körpers im Kosmos des Herzens statt.

Ich glaube nicht, dass in der heutigen Übergansphase mit Reformen (so gut und nötig sie auch sind) allein die Menschheitskrise überwunden werden kann. Auch nicht durch Revolutionen.

Ich glaube, dass wir Menschen guttun, um das grosse Ereignis einer Neu-Geburt zu bitten.

Was wir tun können ist, uns dafür vorzubereiten, indem wir uns reinigen, uns für unsere Wesenhaftigkeit interessieren, bereit sie wahrzunehmen – in Dankbarkeit.
Was wir tun können ist, unser Herz zu öffnen dem Unbekannten, nicht Definierbaren, dem, was uns übersteigt. Vertrauen wir dem, was uns ins Leben ruft, in unsere eigene Geburt führt, also in ein Geschehen oder Ereignis, das wir weder kontrollieren, noch herstellen können,
… uns also öffnen mit und trotz allen Ängsten und Unzulänglichkeiten, um uns dem zu übergeben, was uns zu uns selbst hin wandelt – vertrauensvoll, hingebungsvoll,

vielleicht wird dann die Melodie der Gnade erklingen.

Interview mit dem Autor – ein Trauer-Gesang

„Der Mensch ist heilig und seine Würde ist unantastbar.“  (kcm)

Der erste Teil des Gesprächs besteht aus den Antworten auf die Fragen einer Freundin, der zweite Teil aus den Erörterungen auf eine Frage, die der Autor, also ich, sich selbst gestellt hat.
Beim Durchlesen merkte ich, dass es sich um eine Art von Trauer-Gesang handelt.

 Was ist aus deiner Sicht das grösste Problem, dass wir momentan auf unserem Planeten haben?

Ich glaube, dass das grösste Problem, das wir auf unserem Planeten haben, ist, dass wir Menschen uns in den letzten Jahrzehnten bedrohlich stark von unserer Seele abgelöst und abgetrennt haben.
Ohne Seele verhungern wir… und weil wir verhungern, fressen wir uns selber auf und die Erde auf der wir leben, weil wir unterernährt sind.
Befänden wir uns in unserer Seele, wäre unsere körperliche Existenz umgeben und durchströmt von unserer seelischen Wirklichkeit, dann wären wir vollständig genährt und könnten ohne Einschränkungen bescheidener und ruhig leben.

Ja. – Dazu kann ich nicht mehr sagen.

Wie siehst du aus deiner Sicht den Weg, wie es uns möglich sein könnte, uns mit unserer Seele wieder zu verbinden, also die Trennung zu überwinden?

Ich verspüre nun Trauer, weil wir Menschen im Allgemeinen so weit weg von unserer Seele sind, weil wir uns so stark von ihr abgetrennt und abgespalten haben.
Es gibt einen langen Weg zurück, der sehr langsam ist und einen anderen Weg, der sehr schnell und höchst intensiv ist und auch mit Schmerzen verbunden ist. Der zweite, schnelle Weg drängt sich auf, weil die Dringlichkeit so gross ist. Um zu verstehen, wie dringlich er ist und warum wir Menschen uns so weit vom eigenen Zentrum entfernt haben, bräuchte es eine Erschütterung unserer eigenen Fehl-Meinungen, die wir uns angewöhnt haben. Der Veränderungsschritt, der nötig ist, ist enorm, so dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie dieses Ereignis geschehen könnte.
Wir können nur hoffen, dass wir Mensch bereit sein werden, uns für die Ganzheit und die Befreiung zu öffnen, und wir bereit sein werden, uns in diesem Öffnungs-Prozess zu helfen und uns zu ermutigen, zugänglich zu werden für das Leben und unsere Seele.

*

Wie zeigt sich die Abtrennung des Menschen von seiner Seele im gesellschaftlichen Alltag?

Wenn wir Menschen nicht in Verbindung mit unserer Seele sind, sind wir den zerstörerischen Impulsen, die in und um uns wirken, ausgeliefert. Sie können dann ungehindert auf uns «einschlagen». Wir sind dann jeder Indoktrination, allen brutalen Impulsen, der Gewalttätigkeit schlechthin, ausgesetzt. Es ist sehr schwer in einer weitgehend seelenlosen Verfassung, sich gegen negative Impulse zu wehren, und bei vollem Bewusstsein zu handeln, noch ist es möglich, empathisch zu sein.

Was wir gesellschaftlich erleben sind Eingriffe des Menschen gegen sich selbst, gegen das Leben schlechthin, die immer weiter gehen und wo das Gefühl «jetzt ist es genug» und «jetzt ist es zu viel» nicht mehr vorhanden ist. Was bleibt ist ein rationales Zweckdenken, ein «Machen», wann immer es geht – eine Art von Trauer-unfähigem Dasein. Die Unfähigkeit zu trauern * und mitzufühlen ist das Resultat einer seelenlosen Gesellschaft. In ihr zeigen sich akute Mangelerscheinungen. Es fehlt an ausreichender Zärtlichkeit, an erfüllter und geerdeter Sexualität und an einem liebvollen Miteinander.
In einer solchen Gesellschaft unterjochen wir das Leben unter unserem brutalisierten Eigenwillen. Die zwischenmenschliche Distanz vergrössert sich. Lebendige Nähe wird ersetzt durch digitale, oberflächliche Kontakte. Natürliche Erkenntnis- und Heilungsprozesse werden ersetzt durch pharmazeutische und nano-technische Eingriffe bis in die Kleinst- Bausteine des Lebens. Die Menschheit beginnt sich selbst zu überwachen und zu verwalten.
Es wird unheimlich auf dieser Welt zu leben, weil das Herz gefangen ist.
Ich beobachte Selbstmord-Impulse, selbst-destruktive Prozesse aller Art, Prozesse der Entfremdung und Entmenschlichung, Tendenzen zur Bildung von Autokratien und Diktaturen. Der Reichtum verlagert sich zunehmend schnell von unten nach oben. Wohlfahrt und soziale Verantwortung wird privatisiert, in Enklaven verlegt und funktionalisiert. Starre Regeln statt Mitgefühl regieren. Eine diabolische Welt baut sich auf, wenn wir unsere Seelen vernachlässigen, sowohl in unserer individuelle Seele, wie auch in der Seele der Welt.

Also müssten wir lernen zurückzufinden zu unserer Innenwelt, sollten wieder lernen zu trauern, damit wir fähig werden zu erschrecken über die selbst-destruktiven Mächte in uns, die sich breit machen, wenn ein Vakuum vorhanden ist, ein Vakuum, wo einst Seele war.

Corona ist vor allem eine soziale und moralische Krise, eine kulturelle und wirtschaftliche Krise der Menschheit, die sich um ein Virus rankt, das sich weder fassen, noch isolieren lässt. Möglicherweise die erste Welle von mehreren gewaltigen Erschütterungen**.

Da, wo Begegnungen Kern des Lebens waren, sind es nun digitale, eher kalte Kontakte, die das wahre Miteinander niemals ersetzen werden.

Wir leben in einer Zeit des Hungerns und des Durst-Habens, welche sich ausbreitet.

Und so wie wir Menschen die Seele grob vernachlässigen, vernachlässigen wir auch die Natürlichkeit und die Natur, das Leben von Pflanzen und Tieren.

Es ist eine Art von Vernachlässigung im Gange, die uns verdorren lässt, wenn wir den Weg zurück nicht bald antreten.

Wir werden den Weg bald antreten, wenn wir solidarisch sind und auf die LIEBE horchen, die sich in uns zusammengeduckt hat in den letzten Jahrzehnten. Zusammengedruckt wie ein vergessenes Kind. Sie möge sich aufrichten. Das erfordert Stärke. Das ist der einzige Weg, der zurück zum wahren Menschsein führt, zurück zum Beseeltsein und zum Erkennen der Heiligkeit allen Lebens.

LIEBE versetzt das Entworfene und Bereitgestellte
ins Leben.
Liebe versetzt das schon Vor-Geformte,
das Gebackene,
also die Vision des freien Menschen
ins Leben,
versetzt das Schlafende
in Bewegung.

 

*Alexander und Margarete Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern. – Dieses Buch, vor über 50 Jahren geschrieben, beschäftigt sich mit der traumatischen, nicht beweinten Nachkriegszeit in Deutschland. Es ist auch heute aktuell.

** Die Erschütterungen können sowohl positiver wie auch negativer Art sein. Sowohl Schmerz wie auch Freude enthalten eine transformative Kraft.

Zum Beitrags-Bild: Diese Blume ist Bild und Symbol für das erwachende Herz.

 

 

 

Die Vision des Menschen

I Der Mensch in seiner Vision

Der Mensch
hat sich in seine Vision zurückgezogen,
wo er auf uns wartet,
damit wir ihn wiederentdecken.

II   Was uns rettet

Was uns rettet
ist die Erfahrung
der Schönheit
in ihrer höchsten Ausprägung.
Sie bildet die Krone aus Licht
unseres höchsten
ICH BIN.
Sie zieht uns empor.
In ihr lebt
die Vision unseres wahren Mensch-seins.
Diese Vision kann und soll
nun geweckt werden –
im reinen Herzen:
Sie offenbart uns, wer und wie wir sind.

III   Schönheit

Schönheit ist ent-zündetes Leben.
Millionen kleinster Funken
bewegen sich über deine Gestalt.,
bringen deine Seele ins Leuchten,
deine Haut ins Vibrieren,
deine Aura ins Strahlen.

Und danach:

Tau,
für deinen Durst,
der sich in Frieden verwandelt,
welcher dich begleitet
in jedem Moment
und deine Augenlider
zu kleinen Flügeln verwandelt.

IV   Wiederentdecken

Der wahre Mensch hat sich
– nach den langen Jahren der Trockenheit –
in seine Vision zurückgezogen,
wo er über uns
auf uns wartet,
damit wir ihn wieder in seiner alles bewegenden Schönheit
wahrnehmen,
uns an seine schwebende und tanzende Existenz erinnern.

V   Der Beweggrund

Die Vision des wahren Menschen
ist der Grund
auf dem sich das neue Zeitalter der Liebe erbaut.

***

Die folgende wunderbare Hymne von Tchaikovsky (Hymn of the Cherubim) kann ein Gefühl für die wahre Vision des Menschen erzeugen:

Beitrags-Bild; Cherubim, Thronengel.