Bewegungsruhe

Einmal habe ich eine Quelle im Wald entdeckt. Ich habe sie betrachtet und mir ist ihre Art wie sie sprudelt, aufgefallen. Es war ein pulsierendes, quirliges Austreten von runden kleinen Wellen, welches ich auch wahrnehme, wenn ich auf meinen Körper, insbesondere mein Herz, horche. Das Betrachten und das Trinken von der Quelle hat mich gleichzeitig beruhigt und belebt. Ich habe Ruhe und Bewegung gleichzeitig erlebt, BEWEGUNGSRUHE.
Dasselbe erlebe ich oft in Meditationen, nämlich, dass Ruhe (der Ursprung) und Bewegung (das Leben) eines sind und beides zusammen die Wirklichkeit sind.

Anerkennen wir das, was uns gegeben ist -das Reich Gottes- in Dankbarkeit an, beginnt es, in uns zu pulsieren und verändert unsere Wahrnehmung vollständig. Die eben noch eindimensionale, getrennte Sicht, wird nun «rund», gegenwärtig, vollständig. In der Einheits-Schau ist alles von Licht und Liebe durchpulst und durchstrahlt. Nichts ist allein gelassen, abgetrennt; alles ist vereint und in Wärme aufgehoben.

Der Schlüssel zur Ganzheits-Schau, oder einer der Schlüssel, besteht also in der dankbaren Annahme des Gegebenen.

Die Menschen haben während langer Zeiträume gelernt, das Geschenkhafte des Lebens (wir sagen auch Gnade) von uns abzuspalten, es als unwirklich und unwahr abzuwerten, es deshalb abzuweisen. Viele denken auch, dass alles, was nicht erkämpft und erlitten wurde, substanzlos sei.
Dies erlebe ich mehr oder weniger stark ausgeprägt in allen Menschen, die ich kenne. Viele glauben, die uns zufliessende Güte nicht verdient zu haben oder sie denken, sie sei eine illusionäre Floskel, eine süsse Sentimentalität. Diese Abwertungsprozesse spielen sich in der Regel sehr schnell ab und sie sind uns zum grossen Teil nicht bewusst, weil sie Teil gewohnter Abwertungs-Muster in uns sind, die sich reflexartig, seit Jahrhunderten, abspielen.

Diese Abwertungsmuster gilt es zu unterbrechen. Immer wieder. Dadurch entstehen Lücken, Öffnungen für das Durchkommen des goldenen Fadens.

Es gibt starke Mächte auf Erden, zum Teil sind es Gedankenmächte, auch Kräfte des Bösen, welche das Liebeslicht nicht zulassen, weil sie über bedrücktes Leben verfügen wollen. Den Absonderungs-Reflex, den wir auch Sünde oder Entfremdung nennen können, ist tief verinnerlicht und entsprechend wirksam. Es sind oft auch unbewusste Schuldgefühle an diesem Reflex beteiligt.

Das dankbar empfangende Annehmen, der uns pausenlos zufliessenden Liebe, die immer existiert und deren Fluss nie unterbrochen ist, ist, wie schon gesagt, ein Schlüssel dafür, das Muster der Resignation und Abwehr zu durchbrechen und schliesslich aufzulösen. Wenn nötig, können wir darum auch bitten. Wer bittet, dem wir aufgetan.

Alles was wir benötigen, ist die Bereitschaft, das, was uns gegeben ist, zuzulassen, anzuerkennen und zu integrieren. Zuzulassen also, dass wir geliebt sind.

Fällt die Barriere gegen das Leben, das uns gegeben ist, erleben wir, dass alle Daseins-Schichten und Bewusstseins-Ebenen durchpulst und durchströmt sind von einer lichten Liebeskraft und von grenzenloser Schönheit und inmitten fühlen wir die absolute Ruhe, die uns hält und uns schon immer liebend gehalten hat.

BEWEGUNGSRUHE.

In der gegenwärtigen labilen Weltlage sind alle Menschen, die in Verbindung sind mit dem Licht des Lebens oder neu mit Lebenslicht in Kontakt kommen, von grosser Bedeutung. Sie führen der Welt, der Mutter Erde und dem Menschheitsleib, jene Einheits-Energie zu, welche sie und wir brauchten, um zu genesen und zu regenerieren.

Beitragsbild: Foto WB: Regentropfen auf Scheiben.

Umkehr der Perspektive

Die aussen orientierte Lebensweise

Die Energie, die von mir in die Welt einwirkt, z.B. indem ich kommuniziere, mich politisch, künstlerisch oder wie auch immer ausdrücke, ist der Fokus, auf den ich mich ausrichte. Jedenfalls war das bei mir lange so.

Ich bin, was ich tue, leiste, hervorbringe. Es gibt kein Zweifel darüber, dass aktives, engagiertes und kreatives Tun erfüllend ist. Die einseitige Fixierung aber auf das von mir Ausgehende, also auf meine Aktionen, bewirken, dass ich früher oder später in einen Zustand der Erschöpfung falle.
Der arbeitende, leistungsbetonte, nach aussen gerichtete Mensch, der sich mit seinem Tun identifiziert, bis hin zur Selbst-Ausbeutung, ist oft gefangen in der Einseitigkeit dieser doch eher männlichen Sichtweise des In-der-Welt-seins.

Das uns Zufliessende

Sind wir Menschen also damit beschäftigt, uns zu beobachten, wie wir uns in der Welt darstellen, was uns, so denken wir, Bedeutsamkeit verleiht, so verkennen und unterschätzen wir jenen uns zufliessenden Energiestrom*, der uns die Lebenskraft gibt, produktiv, hilfreich und aufbauend in die Welt zu gehen, unseren Lebensweg zu erspüren, der nach vorne ausgerichtet ist.
Durch die einseitige Ausrichtung unserer Aufmerksamkeit nach aussen und vorne, verkümmert das uns Zufliessende, weil wir es kaum beachten und somit bleiben wir seelisch unterernährt.

Alle Lebewesen, Menschen, Tiere, Pflanzen sind in der Lage, uns auf ihre Weise wahrzunehmen. Wir werden gesehen, gehört, gerochen oder sonst in einer uns unbekannten Weise wahrgenommen. Wenn wir spüren und erfahren, dass Interesse, Zuneigung, usw. uns entgegen fliesst, werden wir dadurch genährt, wie auch die Lebewesen, die von uns freundlich wahrgenommen werden. Das gilt auch für die unsichtbaren Wesenheiten.

Wenn ich achtsam sehe und höre gebe ich den Wesen, die mir begegnen möchten, Raum, Lebensraum, wodurch sie mir ihre Seins-Qualitäten mitteilen können und sich darüber womöglich erfreuen. Welch ein Reichtum!

Der Zustand des Empfangens in der Kontemplation

In Kontemplation wirkt im Menschen oft der Archetypus des Pilgers auf dem Weg, der auf den Berggipfel führt oder an einen sehr stillen Ort in der Wüste. Wir gehen, so in unserer Vorstellung, achtsam und bewusst Schritt für Schritt unseren Weg dem Licht zu.
Dies ist ein schönes kraftvolles und hilfreiches Bild.
Haben wir die Perspektive gewechselt – und manchmal ist die Zeit dafür gekommen- so bleiben wir am Ort, an dem wir sind und empfangen die Kräfte, die den Weg zu uns finden möchten.
Das Bild hierfür: Wir sind ein empfangender Kelche oder eine weit geöffnete Schale, ganz offen, hingebend im Vertrauen darauf, dass das Licht und die göttliche Präsenz uns finden, die Strahlen unser Herz erreichen, welches sich mehr und mehr weitet. Dabei ist es wichtig, dass wir dem, was zu uns möchte, bewusst und vertrauensvoll Raum geben.
Dabei erfahren wir möglicherweise, dass wir gesehen, gehört, geliebt und erkannt werden. Wir erfahren auch, falls wir ganz offen und zugänglich sind, dass uns genau das gegeben wird, was wir in diesem Augenblick benötigen: «Unser tägliches Brot gib uns heute“, was auch Einsicht bedeutet – jene Einsicht, die uns jetzt dienlich ist.

Als Kontemplierender bin ich nun bereit mich bis in die Tiefe meiner Seele anschauen zu lassen. Ich übergebe mich dem gebenden, strahlenden, Leben erzeugenden Auge Gottes und ich lasse mich erkennen in meiner Totalität, in meiner Ganzheit und Wesenhaftigkeit.

Dieses Erschauen und Erkannt-werden ermöglicht es mir nun, mich selbst in meiner ganzen Wirklichkeit zu erkennen. Ich erkenne mich nun so, wie ich erkannt worden bin. Ich fange an, mich derart uneingeschränkt lieben zu lernen, wie ich nun weiss, dass ich geliebt bin.

Das Erleben, gesehen und geliebt zu werden wie ich bin, ist wunderbar – und in diesem «wunderbar» sind alle erhabenen und freudvollen Gefühle enthalten, die man sich nur denken kann – wirklich ausdrückbar, mit Worten, ist dieses Erleben nicht.

Also: Zuerst lasse ich das, was mich heilt, in mich einfliessen und in Dankbarkeit empfangen.
Danach integriere ich behutsam das, was mir hinzugeströmt ist und gebe es an mich und an die Mitwelt weiter, wechsle nun in den aktiven Modus.
Warum ist es gut, die Gaben in Dankbarkeit zu empfangen? Durch Dankbarkeit intensiviert sich das Empfangene. Zudem: Dankbarkeit bewirkt, dass der Empfänger ganz im Hier und Jetzt verankert bleibt. Wahre Dankbarkeit ist weder in der Vergangenheit, noch in der Zukunft zu erleben (was übrigens leicht ausprobiert und erfahren werden kann).

In Bezug auf Gott sind wir Menschen (Frauen wie Männer) primär weiblich-empfangende Wesen. Deshalb ist es auch wichtig, den Einen auch als die Eine zu erkennen.

Entwickeln wir den Mut, uns in Fülle geben zu lassen vom Geber, der Geberin allen Lebens.

Viele Menschen, die ich kenne, verspüren den Impuls, die zufliessende Kraft und Gnade zu begrenzen, weil sie sich nicht als würdig erachten, die Flut der Liebe und Güte in ihrer Fülle anzunehmen. Sie stoppen die einfliessende Kraft, weil sie glauben, soviel Liebe nicht verdient zu haben oder weil sie Angst haben, ihre Kontrolle zu verlieren über die machtvolle Wirklichkeit, die sich ihnen naht.
Deshalb wählte ich das Wort Mut. Hingabe an das, was einwirkt, braucht einerseits Mut und andererseits so etwas wie Übung und die Bereitschaft, über den Rahmen, den wir uns gesetzt haben, hinaus zu wachsen und ihn damit (das Ego) zu sprengen, den wir mit unserem Kontroll-Bedürfnis gesetzt haben.

Seit Jahren meditiere ich meistens im Modus des Empfangens und bin bemüht, mich dem Wandlungs- und Liebes-Geschehen der unendlichen Schöpferkraft zu übergeben.
Ich lasse mich also einfach anschauen bis auf den Grund meiner Seele und beachte fein, was mit mir geschieht. Die Meditation/Kontemplation selbst hat mich dahin geführt, mich auf diese Weise mit der Liebe und dem daraus hervorgehenden Leben zu verbinden.

ICH BIN, WAS MIR ENTGEGEN KOMMT.
ICH BIN, WAS MIR AUS DER TIEFE MEINER SEELE ENTGEN KOMMT.

* Der uns zufliessende Lebensstrom kann von innen oder von aussen zu uns gelangen.

Innerer Halt – am Beispiel meines Vaters

Mein Vater, der strenge Mann, war innerlich verletzt: physisch durch seine chronische Herzkrankheit, seelisch durch seine Scheidung, die er als ausgesprochen schrecklich erlebte und sozial-beruflich durch sein berufliches Fiasko: er scheiterte als Geschäftsmann, als Erbfolger einer kleinen Textil-Fabrik. Ich war das vierte Kind seiner zweiten Ehe.
Gescheitert zwar, verletzt und verletzlich und gesundheitlich sehr gefährdet (er starb mit 59 Jahren; ich war knapp zwölf) war er doch ein Vorbild für mich, weil ich sah und erlebte, dass er von einer inneren Kraft getragen war.

„Er war ein hoch sensibler Mann. Ich suchte hinter seiner eisernen Strenge und Verschlossenheit seine zärtliche und spirituelle Seele, die spürbar, aber verborgen war.

„Sein Studierzimmer in unserer Wohnung war sein Reich. Dort lebt er. Wenn ich etwas wollte von ihm, so hatte ich anzuklopfen. Das kam nicht selten vor. Bevor ich anklopfe spürte ich heftiges Herzklopfen. Würde ich die Wand seiner Strenge und Diszipliniertheit durchdringen können, würde ich ihm begegnen oder an seiner Strenge abprallen?“
Zitat aus meinem Blog: „Männliche Lebenskraft, vom 24. Nov. 2018“

Ich erinnere mich: eines frühen Morgens -ich war unruhig, hatte schlecht geschlafen und geträumt – kam ich an die besagt Zimmertür meines Vaters, und ich glaube, dass ich sie ohne anzuklopfen geöffnet hatte – da sah ich meinen Vater knieend im Pyjama vor dem offenen Fenster knien, völlig versunken, trotz der Kälte im Zimmer. Offenbar kniete er schon lange, irgendwie entrückt in der Kälte, die in das Zimmer eingedrungen war. Stille erfüllt den Raum.
Nun erschrak er, als mich plötzlich wahrnahm. Er schnellte auf. Ich hatte ihn unterbrochen in seiner Andacht.
Es war mir intuitiv klar, dass sein Gebet//Kontemplation diese immense Stille hervorgebracht hatte und ich wusste nun, dass mein Vater aus einer inneren, geistigen Quelle schöpfte.

Eine weitere Erinnerung:
Täglich, vor dem Einschlafen, setzte sich mein Vater an mein Bett und betete mit mir das Vaterunser. Dabei legte er seine Hand auf meine Stirne. Seine Hand bewirkte ein kleines Licht auf meiner Stirne (am Ort des Dritten Auges. Ich schloss daraus, dass mein Vater Zugang zu seinem inneren Licht hatte und mir diese durch seine ruhige Hand mit-teilte.
Die klare Erinnerung daran, öffnete sich mir aber erst Jahre später.

Ich spürte also nicht nur seine erworbene, strenge Autorität, die er auf mich ausübte, sondern auch eine innere Kraft, also eine stille Autorität, die ihn selbst trug und die mir vermittelte, dass es eine Kraft und Präsenz gab, jenseits vordergründiger Macht und Erfolg. An diese konnte ich mich halten, lange über seinen frühen Tod hinaus – bis heute. Diese war sein Erbe an mich. Dafür bin ich dankbar.

Seine Tugenden, von denen er oft sprach und die er wahrhaftig lebte, waren: Würde und Bescheidenheit.
Alles an ihm strahlte Würde aus. Er ging und bewegte sich wie ein kranker König. Krank, aber doch König.
Ich nahm an ihm keine materiellen Ansprüche wahr. Er genoss auch einfachste Malzeiten. Seine Anzüge waren viele Jahre alt; an ihm wirkten sie wie neu.
Heute: In der verschwenderischen, ausbeuterischen Konsum-Gesellschaft in der wir leben, wäre Bescheidenheit wohl eine sehr stimmige Antwort auf die herrschenden Zustände, wie auch Würde, die gute Antwort wäre in einer Welt-Gesellschaft, die auf Propaganda, Manipulation und billige ideologische Beeinflussung setzt.

Ich frage mich, ob es viele Kinder und Jugendliche gibt, die zumindest in einem Elternteil eine tiefliegende Erfahrung spüren, also eine Tragkraft, die unabhängig von ihrem äussern Glück und Erfolg als innere Realität spürbar ist.

Kraft und Würde nahm ich deshalb bei meinem Vater wahr, weil er die Verbindung mit seiner Innenwelt trotz Problemen nicht abbrach. Die Macht und die Niederlagen im Aussen hatte keine Chance seine Würde zu brechen.

Darin erlebe ich bewundernswerte Stärke.

Bei vielen Menschen spüre ich, dass sie leicht hin und her zu stossen sind, weil sie keinen Rückhalt haben und bewusst auch keinen Halt zu suchen scheinen, weil sie offenbar annehmen, dass es keine höhere Realitäten zu finden gäbe und/oder gelernt haben, derartige Ahnungen schon im Entstehen in sich abzuwerten.
Ich glaube, dass es gesellschaftliche Abwehr-Strategien gibt, welche die Bildung von höheren Bewusstseinsebenen verhindern oder zumindest sehr erschweren.
Es erscheint mir als hilfreich, wenn Menschen lernen, solche Mechanismen (zum Beispiel Abwertungen), die inneres Wachstum verhindern oder erschweren, zu erkennen, denn eine Weltgesellschaft, die kaum fähig ist, bei ihren Mitgliedern innere Stärke aufzubauen und/oder zu fördern, ist manipulierbar und verführbar.
Abwehr-Strukturen, welche die Bewusstwerdung verhindern, können meditativ geortet, gefunden und zum Beispiel durch sakrale Gesänge oder Mantras überwunden werden.

Mein Vater hatte offensichtlich den Willen, sich von seiner Seelenkraft leiten zu lassen. Für sein Vermächtnis bin ich dankbar.

Lebensmut

Die LIEBE weitet sich aus,
unendlich …

Ich glaube es kaum,
wie innig, wie stark, wie unsagbar gross sie ist.
Ich schwebe weg, bin über den Bergen
und die Sonne wird gross und grösser
und Lichtstrahlen, bündelweise,
wie orchestriert
fallen wie ein Blumenmeer über mich, –

Und dann: ein Aussetzer. Stillstand –
und etwas später bemerke ich,
dass sich alles zusammengezogen hat,
wie ein Kind mit Blähungen,
ein Mensch, der zu viel gegessen hat,
ein Kranker, bevor er sich übergibt.

Alles hat sich zusammengezogen.
So wirkt die Angst oder die Strenge:

«So jetzt genug! Was glaubst du denn,
wer du bist, dass du dich so aufblähst.
Noch kein Baum ist je in den Himmel gewachsen!
Wage nicht,
über die bemessene menschliche Kraft hinauszugehen.»

Alles hat sich zusammengezogen:
Es ist die Angst vor der Weite, die Angst vor dem Leben;
die Angst vor dem Glück.
Es kann auch Schuld oder Scham sein
oder es sind Minderwertigkeitsgefühle,
oder unbewusste Selbstbestrafungsbedürfnisse.

Ist denn jemand da, der für mich atmet,
wenn mein Atem stockt?

Millionenfach, milliardenfach geschieht dies täglich.
Es ist abgewürgte, erdrosselte LIEBE,
abgewehrt, abgeschüttelt,
von uns, die ihre unendliche Kraft ablehnen, mindern,

wir Mangelwesen!

Also:
Lasst uns in der Kraft bleiben.
Lassen wir es zu
(wir Ängstlichen),
dass uns die Mutter trägt
und uns all ihre Wärme gibt,
ihre Milch, ihr Lebenswasser.

Das ist der wahre Mut: uns der LIEBE, die uns über die Grenze führt,
anzuvertrauen, sie zu halten in Dankbarkeit,

zu wagen, die Wärme zu ertragen, die sich manchmal zur Hitze steigert,
die Feuchtigkeit der unzähligen Küsse anzunehmen,
die Früchte, die vielen, zu essen,
mit den Tautropfen zu spielen,
uns von der LIEBE völlig erweichen zu lassen,
bis wir schmelzen und uns auflösen,
wissend, dass wir wieder zusammengesetzt werden
und uns erheben, uns der Sonne entgegenstrecken,
weinend und lachend – leidenschaftlich.

Es bedeutet Mut, die Freude gross und mächtig werden zu lassen,
weit und unendlich.

Es ist die Kraft des Ja zum Leben, zu uns, zur Welt, zu IHM
Möge sie wachsen, Tag für Tag
Nacht für Nacht, durch alles Leid,
durch unser kleines wimmerndes Ich hindurch.

Zum Schluss Khalil Gibran:

«Meister ,Meister, aller Sänger,
deine Tränen waren Maischauer
und dein Lachen wie die gischtweissen Wellen
des Meeres,
deine Worte waren das Flüstern
vom Feuer entfachter Lippen.
Du lachtest für ihren innersten Nerv,
der noch nicht zum Lachen bereit war,
du weintest für ihre Augen,
die noch trocken waren.»

(aus Jesus Menschensohn)

Beitragsbild: Ausschnitt eines Bildes von W. Turner

Danke, Frau Sa

Ich verdanke Frau Sa – so will ich sie nun einmal nennen – so viel. Ihren Vornamen kenne ich nicht. Sie war die Frau des von mir so bewunderten Pfarrers der Gemeinde, in der ich wohnte.

Als ich 18 oder 19 Jahre alt war, traf ich sie eines Tages im Zug von Zürich, wo ich meine Buchhändler-Lehre machte, auf dem Nach-Hause-Weg nach W., meiner Wohngemeinde. Wir sassen uns gegenüber und erzählten uns, was wir in Zürich denn so täten. Sie sagte mir, dass sie immer montags in der Stadt Ballett-Unterricht hätte – schon seit Jahren tanze sie Ballett.

Auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause – im Gespräch vertieft, wir waren beim Pfarrhaus angelangt – fragte sie, ob sie mich zu einem Glas Wein einladen dürfe. Gerne nahm ich ihr Angebot an, fühlte mich geschmeichelt.

So sassen wir uns dann in einem Zimmer gegenüber: die junge, schlanke Frau, die wohl etwas über 40 war und ich, ein Jugendlicher in der Adoleszenz, unsicher in allem, doch am Leben interessiert. – Ihr Gesicht, profiliert und ausdrucksstark, drückte Eigenwille, Zartheit und Trauer aus. Sie schien ein wenig entrückt zu sein, in einer anderen Welt.

Es dauert nicht lange und sie begann über die Schwere ihres Lebens zu erzählen. Ich hörte ihr zu – mit beiden Ohren – und voller Mitgefühl. Sie wuchs in Deutschland auf. Im Krieg, unter ständigem Bomben-Alarm, Tage langen beklemmenden Wartens in kalten Kellern. Und Angst, Angst.
Frau Sa war ein traumatisierter Mensch. Ein Teil von ihr lebte immer noch im Keller, im Alarm-Zustand. In der Angst, im Schrecken.

Frau Sa wurde von den meisten Kirchgemeinde-Mitgliedern abgelehnt, weil sie sich der Rolle «der Frau Pfarrer», die damals ein Muss war, verweigerte. Sie wollte ihr eigenes Leben führen, zu dem besonders der Tanz gehörte. Ihr Mann akzeptierte ihre Eigenständigkeit.
Sie verbrachte ein Leben in Schlaflosigkeit, zumindest ohne Tiefschlaf. Es gelang ihr nicht zu entspannen und loszulassen in den Nächten. Jahrelang. Darüber klagt sie, ohne zu klagen. Sie erzählte mir, wie es sich anfühlte, all die Nächte wach und erschöpft schlaflos dazuliegen. Über Jahre!

Ich hörte ihr einfach zu, stellte ihr vielleicht einmal Zwischen-Fragen, über Wochen, über Monate. Unsere Montags-Gespräche waren zur Tradition geworden.

Ich erzählte ihr, was mich beschäftige. Sie war eine wunderbare Zuhörerin. Ich weiss nicht mehr, was ich ihr berichtete, aber ich erinnere mich, wie gut mir ihr Interesse tat. Meine Mutter, mit der ich alleine zusammenlebte – mein Vater war längst gestorben, meine ältere Schwester verheiratet – war eine denkbar schlechte Zuhörerin. Sie monologisierte, während ich mich einsam fühlte.
Und nun Frau Sa: sie fragte und hörte zu, bis in ihr Herz hinein. – Es fanden sich zwei, die sich nach Zuhörenden sehnten.

Es war eine Art nicht sexueller Liebesbeziehung mit einem leichten Hauch von Erotik. Sie war geprägt von Respekt und Achtsamkeit. Wie dankbar ich doch bin für diese Erfahrung, bis heute, weshalb ich diesen Blog-Beitrag schreibe.

Durch sie lernte ich, wie wunderbar und erfüllend eine solche Beziehung ist, die im Zeichen empathischen Zuhörens steht.

Nach einigen Monaten löste sich diese Beziehung wie von selbst auf, wie ein wunderbarer Wind, der abgeklungen war. Die Begegnung hatte sich erfüllt und ich frage mich, ob ich ohne diese Gespräche Psychotherapeut geworden wäre. Auf jeden Fall war der inter-generative Austausch und das Erleben jener zarten Intimität für mein Leben grund-legend. Seither verstehe ich mich als einen Beziehungs-Menschen, als ein allseits Verbunden. Wovon mein Nachname, Binder, auch zeugt.

Im Islam nennt man solche schicksalshaften Begegnungen, die oft Weichenstellungen im Leben einleiten, Kismet. Es können auch Wieder-Begegnungen seelischer Verwandter sein. Sie lassen sich weder verhindern noch erfolgreich unterdrücken. Sie sind von hohen seelischen, beziehungsweise göttlichen Mächten vorbereitet und arrangiert.

Ich danke Ihnen, Frau Sa. Ich weiss nicht, ob sie noch leben. Wie auch immer: Ich grüsse Sie in bester Erinnerung.

 

 

 

 

Sommer

Sommertime and the living is easy*,
Sonnenbrand zwischen meinen letzten Locken.
Die warmen Sommertag mit leichter Brise
sind geschmolzen,
die wahren üppigen, heissen, schwülen Sommertage
haben begonnen.
Der schwere rote Samtvorhang geht auf,
gibt die Sommerfestspiele preis:
Eine pompöse Kulisse: Rot-orange steigt die Sonne hoch.
Drachen am Himmel und die Linden versprühen ihre
süssen Duft-Wolken.
Träge und schwer fliesset die Aare dahin.
Laszive jungen Frauen mit hoch geschlitzten Maxi-Jupes
tauchen ihre Füsse in die kleinen Uferwellen
und die Fische, schon leicht überhitzt, schnappen nach Luft:
fish are jumpin and the cotton is high*.
Die langen sanften Sommerabende schmeicheln sich ein
und ein sanfter Rausch nimmt von uns liebevoll Besitz.
Nicht dieser harte Gin-Rausch kalter Wintertage,
nein: es ist ein warmer Rausch, der uns einhüllt
und endlich jene langsame, schwere Erotik wieder freisetzt,
auf die wir seit Monaten gewartet haben.
Es ist die Zeit der Rosen, des kühlen gespritzten Weissweines,
der Oliven und Salzmandeln auf dem Jugendstiltischlein am Strand,
oder in der Altstadt, wo eben eine Katze mit hochgestelltem Schwanz
so langsam, irgendwie aufreizend, durch die Gassen stolziert,
dass es unvermeidbar ist, dass die Löffelnden (schau dort diese schwarze Katze!)
Eiscrèmsaft auf ihre Shorts vertröpfeln lassen.

Solche Kleinigkeiten, kaum erwähnenswert, werden jetzt wieder wichtig.
Non-sense in den schönsten Tönen.
Brummender Jazz von nebenan;
ein Velofahrer kämpft sich den Hang hoch, fällt fast um.
Er, dort am Tischchen,
wischt sich die Schweissperlen von der Stirne und sie
schaut gedankenverloren in ihren Ausschnitt,
als ob dort eine kleine Wahrheit darauf warten würde,
von ihr (oder von ihm?) gefunden zu werden.
Alle scheinen zu müde zu sein, um zu denken, zu überlegen.
Wärme, Sinnlichkeit liegt über allem und das Gezwitscher der Schwalben,
die den trägen Mücken nachsausen.
Und dann am Morgen danach wieder Gershwin:
One of these mornin’s you goin’ to rise-up singin’*.
Dies ist die Antwort auf die Wunder des Sommers – und
Gracias a la vida, https://www.youtube.com/watch?v=w67-hlaUSIs
Danke dem Leben.

*Summertime, Gershwin

 

 

 

 

ATEM – 1. Teil

Die Arbeit mit Atem halte ich für eine grundlegende und bedeutende spirituelle Praxis, die immer und überall und bei jeder Gelegenheit anwendbar ist. Dennoch, meine ich, ist sie unterschätzt, ausser in den mystischen Traditionen aller Glaubensrichtungen, wo der Atem als heilig gilt.

Wir sind atmende Wesen. Von grosser Wichtigkeit bei der Atem-Praxis ist auch der Aspekt der Transformation und Wandlung. Insofern könnte dieser Text auch als Teil 4 der Artikel-Serie zum Thema Wandel angesehen werde. Da das Thema aber so wichtig ist und so viele Anwendungsbereiche hat, soll es einen eigenständigen Raum einnehmen.- Übungs-Empfehlungen sind kursiv aufgeführt.

Der zweite Teil des Artikels wird in einer Woche folgen.

Vor vielen Jahren erlebte ich in einer Atem-Sitzung meiner Körper-Psychotherapie-Ausbildung auf einmal, wie sich das Einatmen verwandelte: Es war nun nicht mehr einfach Luft, die in mich eintrat, sondern Nahrung, Seelen-Nahrung, die in mich einfloss beim Einatmen, Substanz des Lebens. Sie erinnerte mich an die Muttermilch in den ersten Lebensmonaten meines Lebens. Dieses Mal aber war es weniger physische Nahrung, als vielmehr Lebens-Substanz. «Mit jedem Atemzug empfange ich Leben», so wurde es mir damals bewusst. Die «Luft» trat nicht einfach nur durch die Nase in mich ein, sondern durch alle Poren meines Körpers.

In einer späteren Lebensphase erlebte ich beim Ausatmen Schwere und Beengung, die von mir abfiel, wie auch eine befreiende Ausweitung und Ausdehnung meiner Seele. Mein Atem bekam die Qualität von Licht. Licht-Atem.

Als ich mich, nochmals in einer späteren Lebensphase, mit dem Herzensgebet und damit mit der «Christus-Atmung» beschäftigte, erfuhr ich die transformative Wirklichkeit des Atems.
Ich erkannte, wie sich mein Atem von der Ego-Angst-Steuerung ablöste und zur kosmischen Atmung wurde, gehalten und gelenkt von der Herzenskraft, der universellen Liebe und Barmherzigkeit. Obwohl diese Erfahrungen jeweils zeitlich begrenzt waren, veränderten sie mein Leben massgeblich. Atem, Licht und Liebe verschmolzen zu einer einzigen Bewegung des Lebendigen. Es war eine Erfahrung, die mir offenbarte, wie sich Leben aus der Quelle anfühlt: unaussprechlich schön und frei, Glück, unbegrenzt.

Ich empfehle meinen Leserinnen und Lesern für eine bestimmte Zeit, z.B. 10 Minuten, beim Atmen diesen mit Licht und Liebe zu verschmelzen. Denke: Licht-Liebes-Atem. Günstig ist es, nach einiger Zeit, diese Weise zu atmen, zu wiederholen, ja, immer wieder in kleineren oder grösseren Abständen zu wiederholen.

Atem nährt, verbindet und transformiert. Er kann dich von der Ego- zur Wesensatmung führen.

Der Atem ist eine Art rhythmisches System, welches die drei grossen Bereiche des menschlichen Lebens umfasst: Körper, Seele und Geist.

Der atmende Körper
Beim Laufen und Bergsteigen etwa, oder beim Tanzen, spüren wir wie unser Körper aufgeladen wird mit Sauerstoff, mit Vital-Energie, wie auch mit Lebensenergie (Ki). Wir spüren unsere Kraft. Wir fühlen uns energisch, erregt und zupackend, in vollem Körperbewusstsein.

Die atmende Seele
Im Kontakt mit unserer Seelen-Atmung können wir leicht verschiedene Punkte, Organe, Orte, Pole und Menschen miteinander in Verbindung setzen. Fühlen wir zum Beispiel unsere verletzte Hand können wir den Atem zu ihr leiten, ihr so Aufmerksamkeit und Energie zukommen lassen. Ebenso ist es möglich einem Menschen Atemkraft zuzuführen, wenn wir liebevoll an ihn denken. Die Energie folgt der Aufmerksamkeit! Wir können den Atem zu Orten lenken, die wir visualisieren.
Beim Ein -und Ausatmen verbinden wir Innen- und Aussenwelt und wir können leicht fühlen, dass wir die Luft mit anderen Lebewesen teilen. Die Luft als das verbindende Element – im Atem erfahrbar. Während wir bei flachem Atem unsere Gefühle drosseln, verstärken wir unsere Emotionen und bringen sie zum Fliessen bei vollem und bewusstem Atem. Voller und bewusster Atem verlebendigt, dynamisiert und öffnet Blockaden, leitet Heilung ein.

Geist-Atem
Der geistige Atem ist das Innerste, Subtilste unserer Atmung: Odem, Hauch. Er ist zartestes Strömen. Im ersten Atemzug unseres Lebens kommen wir auf diese Welt. Geist-Atmung ist Schöpfungs-Atem. Er gibt uns das Leben. Er hilft uns, in Beziehung zu Gott zu kommen, zu unserem Ursprung. Wir erfahren ihn oft auch als geistiges Licht, welches mit physischem Licht nicht zu verwechseln ist. Das geistige Licht berührt uns zärtlich! In der äussersten Verfeinerung von uns (manchmal erleben wir diese äusserste Feinheit wie ein Nichts), spüren wir den Geist-Atem als machtvoll-zart und beglückend. In ihm sind wir aufgehoben. Deshalb sprechen wir auch vom heiligen Atem; er ist zugleich universell und persönlich. Atem-Bewusstsein ist da ein treffender Begriff. Im geistigen Atmen sind wir dauernd in Verbindung mit der Kraft und Liebe, die uns hervorgebracht hat und auch jetzt hervorbringt. Im Atem der Dankbarkeit können wir nichts anderes, als präsent sein.

Die Gleichzeitigkeit von bewusstem Atmen und dem Empfinden strömender Dankbarkeit bringt uns ohne weitere Bemühungen ins Hier und Jetzt. Es ist ein Versuch wert.

***

Ich möchte hier die Unterscheidung zwischen dem persönlichen kleinen Atem und der grossen Wesens-Atmung treffen.

Der kleine Atem ist eine Art von Drehen um sich selbst. Der Drehpunkt ist die Illusion, dass wir vom Ganzen getrennte, also isolierte Existenzen sind. In diesem Drehen ist viel Angst enthalten, die wir aus- und wieder einatmen.

Der Wesens-Atem, den ich als gross bezeichne, ist eher spiralförmig. Sein Mittel- und Drehpunkt ist das Herz als Verkörperung der bedingungslosen Liebe. Von ihm geht der Lenkungs-Impuls und das erweiterte und kosmische Bewusstsein aus.

Die Wirkung des bewussten Atmens auf die geistige Verfassung des Menschen kann rasch und überraschend eintreten, wenn wir bereit sind beharrlich unseren Atem ins Bewusstsein zu heben. Es verbindet uns mit dem Innersten, das wir sind, lässt uns unsere Wesenheit erleben. Er beseelt uns.
Der Atem erweckt, wenn wir uns bewusst sind, die Seele.

Es wird gesagt: Wenn Gott ausatmet, kommen wir, ja das ganze Universum, ins Leben (zur Welt), atmet Er ein, so kehren wir zu Ihm zurück. Wenn wir Menschen einatmen, kommen wir zur Welt, wenn wir ausatmen, kehren wir – insbesondere, wenn wir Sterben – zum Schöpfer/zur Schöpferin zurück.

——-
Im nachfolgenden Text-Teil werde ich auf das Herzensgebet (eine christliche Tradition) eingehen und auf das «Tonglen» (eine buddhistische Tradition). Beide Methoden stellen grossartige Entwicklungswege der Wesens-Werdung des Menschen dar. Beide Methoden betonen die Entfaltung des Mitgefühls.

Titel-Bild: «Atemzug», eine Zeichnung von Werner Binder