Warmes Warten – Geduld

Nun, das ist kein spektakulärer Titel. Wer wartet schon gerne – und was will das sagen: warmes Warten?

Ich empfinde mich sowohl als einen geduldigen Menschen, wie auch als einen ungeduldigen. Wenn ich zum Beispiel in einem Restaurant bin und nicht gleich bedient werde, so fühle ich mich übergangen und vergessen. Das hat natürlich mit entsprechenden Kindheits-Erlebnissen zu tun. Früher, als ich noch rauchte, habe ich auch kleine Wartezeiten, zum Beispiel an einer Bus-Haltestelle, mit schnellem, nervösem Rauchen überbrückt.

Warten war für mich höchst unangenehm. Es hatte den Beigeschmack von Ungewissheit: Werde ich wohl gesehen, beachtet? Wird das Erwartete eintreffen?

Erwartungen haben etwas Zwingendes an sich. Sie erinnern mich an Erziehung und Wohlverhalten und an Unfreiheit.

Ich bin aber geduldig, wenn es darum geht einem Menschen die Zeit einzuräumen, die er für einen Entwicklungsschritt braucht.

Es ist noch nicht lange her, als ich herausfand – ich weiss nicht mehr bei welcher Gelegenheit-, dass es möglich ist mit einem guten, warmen Gefühl zu warten, mit einem Gefühl, dasjenige, worauf ich warte, zu wärmen, bereit, wenn es dann kommt, freundlich zu empfangen.
So stelle ich mir eine gute und schöne Schwangerschaft und Geburt vor. Die Mutter wartet auf den Tag ihrer Geburt. Sie freut sich darauf, sie wärmt das Werdende. Sie nährt das wachsende Kind, das sie austrägt.

Dies ist ein Modell für schöpferisches Warten. Wärmendes Warten ist ein schöpferischer Wachstum-Prozess, indem sich Leben entfaltet; Leben, welches vielleicht noch nicht sichtbar ist, aber in stiller Entfaltung auf seine Vollendung wartet.

Ich warte auf meine Geliebte – und wenn ich auf sie warte geschieht eine Art von festlicher Vorbereitung auf die kommende Begegnung. Oder: Sie wartet auf den Geliebten und während sie wartet, macht sie sich schön. Was für eine festliche Vorbereitung Warten doch sein kann. Sie ist Leben. Eine Knospe vor dem Aufgehen.

Was für kostbare, lebendige Momente es doch vor dem Erblühen gibt.

Es könnte ja sein, dass ich vor dem Wiedersehen sterbe, dass das Tram, auf das ich warte, entgleist, bevor es bei mir ist, dass die Dinge nicht auf diese Weise erscheinen, wie ich es erhoffe. Jedoch: Ich habe das Leben erwärmt, egal auf welche Weise es auch immer eintrifft. Und diese Wärme, die ich ausstrahle, findet einmal in der für mich richtigen Form zu mir zurück.

Warmes, wärmendes Warten nährt die Zukunft, das Kommende, das Wachsende. Es ist Warten ohne Erwartung, die verpflichtet.

Das, was unterwegs ist, wird geachtet oder gar geliebt, wenn ich das Werdende wärme.

In dieser Zeit, wo so viele Menschen leiden und sich ein erfüllteres, sozialeres und kulturelleres Leben erhoffen und sich eine offenere und zärtlichere Gesellschaft wünschen (und zu denen zähle ich mich auch), ist es so wichtig, dass wir in wärmender Weise da sind für unsere Träume und Visionen. Wir halten die Zeitspanne, die sie benötigen, um sich zu verwirklichen voller Wärme im Herzen.
Vertrauendes Warten ist wahre Geduld.
In diesem Sinne ist der Weg schon das Ziel. Wenn das Brot im Ofen ist, geschieht ja nicht nichts, sondern sehr viel: Das Brot geht auf, wird knusprig und entfaltet seinen Duft. Das Werden und Reifen findet oft im Unsichtbaren, im Bereich des Seelischen statt. Wenn wir den Lebewesen zu-atmen in Liebe, erschaffen wir ihnen den nötigen Wachstums-Raum.

Wir sprechen manchmal auch vom Werden des Menschen. Ich glaube tatsächlich, dass der Mensch im Werden ist, noch lange nicht angekommen in seiner Reife, in seinem Potential. Er hat sich im allgemeine noch lange nicht erkannt als göttliches, lichtes Wesen in einem irdenen Körper. Deshalb scheint es mir so wichtig, dass wir im Prozess des Reifens bewusst und gross und frei atmen und das Geschehen im Herzen erkennen und für es da sind.

Wir können dem vertrauensvollen Warten auch Advent sagen: Es ist die Zeit der Vorbereitung auf die Ankunft des Herrn. Kein Ereignis hat die Welt so tiefgreifend verändert wie die Geburt des Jesus Christus, dessen Ankunft wir nun erneut feiern.
Warmes Warten bedeutet die innere Vorbereitung auf ein bedeutendes, vielleicht ein umwälzendes Ereignis.  Ohne Vorbereitung würde es uns überfordern. Den Einbruch des Christus-Impulses hat die Menschheit bis heute noch nicht in der ganzen Tiefe und Breite vollzogen. Das Erkennen dieses Ereignis wartet noch auf unser volles Verstehen und auf seine Verwirklichung. Warmes Warten setzt die Voraussetzung dafür, dass wir in die Lage kommen, den wunderbaren Impuls des Lebens zu empfangen und ihn auszutragen wie das werdende Kind, oder die Vision, die in uns Gestalt annehmen möchte.
Durch warmes, wärmendes Warten werden wir womöglich zu Geburtshelfern des Erlösers in uns.

Steht uns jetzt oder in den nächsten paar Jahren eine Metamorphose bevor?

Sprachlos

Wenn mich etwas berührt, das mich überrascht oder gar erschreckt, etwa Neues, das ich noch nicht kenne, so bin ich erst einmal sprachlos, weil ich es noch nicht formulieren kann, also nicht in Form bringen kann.
Es ist formlos gegenwärtig, als einen Eindruck, eine Stimmung, ein Vor-Gefühl, eine Ahnung, noch kein klares Gefühl, deshalb nicht zu kategorisieren, weder dies noch das und doch klar anwesend. Dieses Etwas: es sucht nach seiner Form, zögert aber, sich festzulegen, einen Namen anzugeben. Es ist also namenlos, noch namenlos, aber allmählich nach einer Form und einem Namen ringend. Doch es (ja, es ist ein es) lässt sich Zeit. Es ist die Zeit des Reifens und der Klärung, der Identitätsfindung.

Sprachlos machen mich Ereignisse, die ich so niemals erwartet oder gedacht hätte: Wie kann es nur sein, dass…

Sprachlos machen mich Gefühle und Empfindungen, die mir auf diese Weise noch nicht begegnet sind und für die ich keine Worte finde, die mir zutreffend erscheinen.

Wenn ich genau hinsehe, kann ich nach einiger gewissen Weile unterscheiden, ob der sich regende Impuls etwas ist, dass mich erschreckt, angreift, verletzt, oder ob ich mit einer guten Macht in Berührung komme, die mir etwas aufzeigen will, das mich etwas erkennen lassen will, das ich benötige.

In Meditation versinke ich manchmal in eine ursächliche Stille, jenseits der schöpferischen Vielfalt, wo nichts ist, aber alles angelegt ist, was einmal wird. Reine Stille, Schweigen in Ehrfurcht, Heiligkeit.

*

Ich weiss, dass es nicht gut ist, mich dem Neuen, das sich ankündigt, gleich zu bemächtigen, es zu ergreifen und festzuhalten, bevor ich ihm, dem Neuen, die Zeit zugestanden habe, sich zu zeigen und in die Erscheinung zu gelangen.

Gehe ich mit etwas schwanger, dann drückt sich damit mein Einverständnis aus, geduldig dem Werde-Vorgang, beziehungsweise der Vision, Raum und Zeit zu gewähren, damit es sich ausformen und ausformulieren kann. Erste Laute, Regungen, die ich ganz innen wahrnehmen, bedürften noch des Schutzes, der schweigenden Umhüllung, solange, bis der Moment gekommen ist, das Neue zu offenbaren. Vor der Offenlegung bin ich im intimen Raum des Werdens und des Wachsens, des Lauschens und der Anteilnahme mit dem, was erscheinen möchte.

*

Die jetzigen Corona-Zeit macht mich immer wieder sprachlos. Ich verstehe die Krise nur stückwerkhaft, dazwischen klaffen Lücken des Nicht-Verstehens und der Sprachlosigkeit.
Ich ahne unterschwellige Wellen einer sprachlosen Kommunikation, von Erkenntnissen, die jetzt (noch) nicht geäussert werden können.

Wer hütet diese stimm- und wortlosen Stimmen?
Wer lauscht in den langen Nächten dem geheimen Vermächtnis.
Wer hütet die Flammen der nächtlichen, lodernden Feuer?
Wer stellt behutsam die lautlosen Fragen, die noch keine Worte gefunden haben?
Wer öffnet sein Ohr dem Kommenden, das sich annähert, sich aber noch nicht artikuliert?

Die Schwangere, in der sich Erbarmen regt. Sie trägt das werdende Kind: behutsam, achtsam.

Ich glaube daran, oder vielmehr ich ahne, dass heilsame Prozesse und Gestaltungskräfte jetzt oder in naher Zeit «geboren» werden sollen. Diese Impulse suchen nun von Barmherzigkeit erfüllte Menschen, die sich bereit fühlen Hebammen-Dienste zu leisten.

Aus meinem Blog-Beitrag Barmherzigkeit vom 19. Sept. 2020 zitiere ich hier zwei Stellen, die zeigen, wie wichtig die Kraft der Barmherzigkeit ist, wenn wir uns dafür einsetzen, dass das Menschenbild der Liebe (vergleiche letzter Blog) hier auf Erden an Kraft und Ausdehnung gewinnt:

– „Rachme (aramäisch für Barmherzigkeit) bildet die Grundlage, die «fliessenden Räume», welche die gegenwärtigen Prozesse ermöglichen, die jetzt nötig sind.
Sie ermöglichen, die jetzt stimmigen Prozesse, die der inneren Notwendigkeit des Momentes entsprechen.
Barmherzigkeit ist die Hebamme der zeit-räumlichen Welt und verbindet diese mit der Welt in Gott, mit Seinem Heiligen Geiste.“

-„Im Althochdeutsch bedeutet Barm: der Geborene. Barmen ist auch austragen, gebären, eng verbunden mit Mutterschoss.“

Barmherzigkeit können wir verstehen als eine mitfühlende, gebärende, schöpferische Kraft, die auf Erden, wie auch im Kosmos stets wirksam ist. Sie begleitet und unterstützt werdendes Leben.

Die mütterliche Kraft der Barmherzigkeit, zusammen mit Geduld, hilft uns, dem Wachstumsprozess jene Aufmerksamkeit zu schenken, damit das in Stille Keimende allmählich die richtige Form und die nötige Kraft finden kann.
Das Keimende manifestiert sich zuerst als sanfte Energiewellen, die noch auf der Suche sind nach ihrer Form, nach ihrem Wort, ihrer Sprache.

Wer hütet diese stimm- und wortlosen Stimmen?

Durchlässigkeit

Oft weise ich darauf hin, wie zum Beispiel im vorletzten Artikel «Bewegungsruhe», dass die meisten Menschen in sich Abwehr-Mechanismen gegen das einströmende Liebeslicht errichtet haben. Wir sondern uns vom Licht, das uns erschaffen hat, ab. Diesen Vorgang nennen wir auch Sünde, wodurch wir uns von dem abspalten und entfremden, was wir im Kern sind. Diese «Widersacher-Kräfte», so kann man auch die Angst besetzten Abwehrmechanismen nennen, sind meistens sowohl persönlicher, wie auch kollektiver Natur.

In Kontemplation oder Meditation können wir uns selbst über die Schultern schauen und unseren Prozess des Eintretens in unser Inneres beobachten.
Dann erkennen wir -ich denke damit rede ich für Viele-, dass wir uns, bildlich gesprochen, mit Gedankenfetzen bewerfen, manchmal geradezu froh darüber sind, dem beginnenden Liebes- und Lichtstrom, etwas gegenübersetzen zu können. Vielleicht beobachten wir, dass die Rastlosigkeit der Gedankensplitter und Erinnerungen gerade dann überhandnehmen, wenn das Herzenslicht heller und leuchtender zu werden beginnt. Es benötigt auch Mut, uns die gewalttätigen Aspekte in uns zuzugeben.

Wir kennen wohl auch die Erfahrung, dass es uns nicht gelingt, jenes innere Reden zu stoppen. Eventuell regen wir uns dann über uns selbst auf, wenn wir unfähig sind, dieses innere Gerede anzuhalten.

Ja, es ist schon auch traurig, wenn wir sehen, wie gross unsere Scheu vor dem inneren Licht und der inneren Liebe ist. Wir selbst stehen uns vor dem Licht – immer wieder. –
Nun, was hilft?

Mir persönlich hilft es, wenn ich mir meine Schwächen, meine Ängste und die innere Unruhe, die oft die Folge der Ängste sind, eingestehe und mir selbst zugebe, dass ich nicht immer in der Lage bin, sie zu stoppen. Es ist mir gewiss -und wie oft habe ich es auch erfahren- dass die göttliche Liebe es mit mir durchwegs gut meint und mich nie eingeengt oder mich bedrängt und vereinnahmt hat. Nie! Und doch sind offenbar alte persönliche, familiäre und kollektive Ängste mit einer Zähigkeit am Werk, die ich kaum für möglich halte.

Das Eingeständnis, dass es so ist, aber auch die Reue darüber, dass ich nicht immer mit der nötigen Geduld meinen inneren Widerständen und Schwächen begegne, hilft mir, mich zu öffnen. Bewusst stelle ich meine Fehler, Mängel und Widersprüche ins Licht der Liebe und befreie mich so, mindestens ansatzweise von ihrer Hartnäckigkeit. Indem ich sie ins Licht halte, entbinde ich mich von ihrer Herrschaft.

Dieser innere Schritt erlebe ich als sehr hilfreich, ja heilend. Mit ihm beginnt die Öffnung und die Wandlung.

Nun ist Geduld wichtig, die Bereitschaft, der göttlichen Antwort Raum zu geben. Die Antwort kann darin bestehen, dass der sich hingebende Mensch eingekleidet wird in einen Lichtmantel, gewoben aus Milde, Barmherzigkeit und Wärme. Dieses Lichtkleid durchstrahlt unsere Seele, löst auf, was verknotet ist, befreit, lockert. Der Charakterpanzer schmilzt oder zerstäubt. Gleichzeitig wird der im Wesen ruhende Lichtkörper des Menschen wieder aktiviert und verlebendigt.

Also: Die Milde und Barmherzigkeit, die über uns gelegt wird, belebt den Lichtkörper.

Nun kann es geschehen, dass uns die sanfte Kraft zufliesst, die uns in Beziehung kommen lässt mit der strahlenden Liebe, Bewusstseinskraft, Seligkeit und Schönheit, die den Lebensgrund bilden, auf dem unsere Existenz sich vollzieht und die uns zudem erhebt.

Diese Augenblicke, wo wir uns frei fühlen, uns vom Geschenkten durchströmen und durchscheinen zu lassen, sind unvergesslich. Sie lassen uns erfahren, was Aufgehoben-sein meint. Der transparente Mensch, in welchem Freude aufsteigt, reflektiert den Glanz jener mysteriösen Präsenz, die ihn nun durchströmt und durchscheint. Dieser Glanz ist manchmal auch in seinen Augen zu erkennen, wie dies bei Verliebten oft auch der Fall ist.

Im Moment dieser Erkenntnis öffnet sich auch die Wahrnehmung dafür, dass alles, die werdende, wie auch die sterbende Welt, wie auch die noch nicht entfaltende Potentialität von ewiger, bedingungsloser Liebe durchwirkt ist.

Im Grunde, in der ursprünglichen, natürlichen Verfassung, ist alles Leben miteinander verbunden und dementsprechend durchlässig, vom Geist durchatmet. Zunehmendes Vertrauen mündet in Intimität, führt in den Raum der Übergabe, wo es keine Trennung gibt.

Selbst die noch verbliebenen Abwehrmechanismen, wie auch die noch tätigen Ego-Muster werden, wie das innere Herzens-Auge erkennen kann, von Gnade durchflutet, wodurch sie ihre Dominanz und Prägekraft verlieren.

Selbst unsere Schwächen, Fehler und Barrieren werden nun durchlichtet und wir sehen: Es gibt nichts, ausserhalb des göttlichen Lichts. Nichts, das definitiv ausgeschieden, abgespalten wäre. Alles ist vereint, eins in der all-umfassenden Liebe.

Diese Erfahrung legt den Grund zur Heilung der so gefährdeten Welt, in der wir leben.

Manches in diesem Artikel mag auch an Ostern erinnern. Das Eingeständnis und die Reue erinnern an den Karfreitag und an die Bitte um Erbarmen: Kyrie eleison, die alles durchscheinende Präsenz, die Vergebung und die aufgehende Sonne an die Auferstehung.

Das Eingeständnis

Ich bin wieder einmal, wie so oft, meiner mir so bekannten Schwäche begegnet, die ich seit meiner Kindheit kenne, die mit Zahlen, Statistik und Formularen zusammenhängt, die in mir sowohl alte Autoritätsprobleme auslöst, die letztlich auf meinen strengen Vater zurückzuführen sind, wie auch innere Verwirrung und eine Art von erlernter Dummheit in Gange setzt. Das passiert meistens dann, wenn mein PC und/oder mein Smartphone ernstere Störungen aufweisen, wie gerade neulich, als ich keine Mails mehr weder empfangen, noch senden konnte. Auch keine Fachleute in den verschiedenen digitalen Shops konnten mir helfen, bis ich dann – wieder einmal meinen kleinen hilfsbereiten Inder in jenem Laden am Bahnhof der I-phon-Klinik traf, der mir lächelnd in einer Minute alles wieder herstellen konnte, was ich verloren glaubte.

Natürlich stelle ich in solchen Momenten zweierlei fest: Erstens, dass diese alte Angst, diese Verwirrung, mich immer noch mit unverminderter Heftigkeit packen kann, verbunden mit dem Gefühl von dumm, ohnmächtig und hilflos zu sein, und zweitens, dass diese Schwäche (wie andere Schwächen auch) es schafft, mich herauszureissen aus dem inneren Gefühl, getragen zu sein, wie ich es in meinem Blog «Im Seins-Raum» (17. August 19) beschrieben habe. Das Gefühl von Scham hilft nicht weiter, hingegen das Eingeständnis, dass diese Schwäche in mir ist und immer noch eine solche Macht über mich hat.

Oft mache ich dieselbe Erfahrung, nämlich die, dass mich das Eingeständnis und das Zugeben einer Schwäche, einer Schuld oder eines Mangels tröstet. Auch in der geschilderten Situation war dies der Fall. –Wenn ich mich dem höchsten Wesen wieder annähere, fallen alle Ängste von mir ab. Schon alleine diese Erfahrung ist Trost genug.

Geholfen hat mir der Hinweis meiner Tochter, ich solle doch, jetzt an diesem wundervollen Tag (an welchem ich mit ihr telefonierte) die Sonne und die Wärme geniessen, es sei dann immer noch Zeit genug, nach dem Genuss des gegenwärtigen Tages, mich weiter mit dem Problem zu beschäftigen.

Es gibt noch ein Zweites, das mir in solchen Fällen hilft: Ich bitte die Kraft des Geistes, mich wieder zu öffnen für die göttliche Gegenwart. Diese Bitte wird meistens oder immer erhört und ich entspanne mich im Seins-Raum, der wieder aufgeht, in dem alles liebevoll gesehen, gehört und erhört wird – ohne Schuldzuweisung und ohne Strafandrohung.
Im beschuldigenden und strafenden «Gott» begegnen wir in Wirklichkeit unserer eigenen Projektion. Ich glaube das Gott in seiner Manifestation als Wahrheit unsere Authentizität, unsere Ehrlichkeit sucht – und damit unsere Bereitschaft, unsere Schwächen und Mängel einzugestehen. Das genügt – wohl in den meisten Fällen.
Dies ist eine Übung in Geduld: also immer wieder mit mir Geduld zu üben, wie auch mit anderen, was auch auf die Dauer meinen Willen stärkt.

Und: Ich gestehe mir ein, dass es Bereiche gibt, in denen mein Lernen ein langsames, mühevolles Gehen ist: Schrittchen für Schrittchen.

 

Geduld

Seit ich lebe, übe ich mich in Geduld. Sie ist mir nicht in die Wiege gelegt worden; ich muss (darf) sie erarbeiten.

Geduld ist die Zeit, die es braucht, damit sich eine Vision verwirklichen kann, die Zeit, die nötig ist, damit sich das Leben erfüllen kann und im Kleinen ist Geduld die Zeit, damit sich eine Emotion oder ein Impuls voll aufbauen und entfalten kann.

In Ruhe bei dem verweilen, was ist, ist Geduld. Verweile ich zum Beispiel bei aufkommender Trauer und der sich langsam breit werdenden Bewegung, mit der sie sich aufbaut, dann komme ich langsam in die Tiefe meiner selbst und ich erkenne die Ursache meiner Trauer, die zum Beispiel darin bestehen kann, dass ich in meinem Leben zu wenig auf mein Herz gehört habe. Nur wenn ich mir die benötigte Zeit nehme, mich in meine Trauer* (oder wie immer das jeweilige Gefühl ist) zu versenken, kommt es zur nötigen, tiefen Einsicht, die zu einer Verhaltensänderung führt, zu einer Einstellungsänderung oder gar zu einem Wachstumsschub.
Das Abschneiden und Töten aufkommender Impulse und Gefühle, lange bevor sie sich in ihrer ganzen Gestalt aufbauen können, schadet uns. Es ist als, ob wir Blumen ausrupfen würden, lange vor ihrem Erblühen. Es handelt sich hier um Micro-Tötungs-Impulse, meist unbewusst, die damit zu tun haben, dass wir uns nicht vollständig erlauben, zu lieben und zu leben.

Seit Wochen höre ich immer wieder Klaviermusik von Erik Satie, der jeden Ton in sich erlauscht haben muss, bevor er ihn zu Papier gebracht hatte. Es ist langsame, perlende Musik, melancholisch und verträumt, die stark von der lebendigen Zeit der Pausen zwischen den Tönen lebt. (Erik Satie: Gymnopédies oder Gnossienne.)

Nun, da ich älter werde, akzeptiere ich meine Verlangsamung und erfahre, dass dadurch mehr Ruhe und Friede, die Früchte der Langsamkeit, aufkommen können.

Nun lehne ich zurück und atme tief ein und aus. Ich will diesen Artikel langsam und mit Geduld schreiben.

Der Druck, rasch ein Ziel zu erreichen führt zur Ungeduld, zu Stress und oft zu Gewalt. Nur schon der kontinuierliche Druck, den Menschen auf sich selbst ausüben, ist beginnende Gewalt, die krank machen kann. Ungeduld, ständiges Tempo und Gewalt bedingen sich gegenseitig.

Damit etwas Gestalt annehmen kann, braucht es Zeit. Die Zeit fliesst aus der absoluten Welt der Zeitlosigkeit in unsere zeiträumliche, relative Welt.
Zeit ist ein zartes, feines Strömen: Wachstums-Elixier. Sie fliesst in der Geschwindigkeit und in den Rhythmen, die ihr aus höherer Weisheit immanent ist. Manche verstehen Zeit als ein Attribut Gottes.

Zeit ist zart. Zeit ist natürlich, wenn sie nicht durchgeplant, chronologisch ist.

Liebe Leserin, lieber Leser: Wenn Du magst, lehne dich jetzt zurück, schliesse die Augen und denke: Ich lass mir alle Zeit, die ich brauche, um mich ganz selbst zu sein.
Atme und spreche diesen Satz ein paar Mal langsam und liebevoll zu dir selbst.

Vermutlich wirst Du eine Veränderung in Deinem Befinden und in deinen Organen fühlen. Vielleicht fühlst Du alten, sich nun lösenden Druck und aufkommende Leichtigkeit.

Ungeduld und dauernde Beschleunigung führen dazu, dass wir Mensch immer heftiger in die natürlichen Abläufe eingreifen. Bis hin zu massloser Gewalt. Die ganze Welt dreht in dieser Beschleunigungsspirale der Ungeduld, die atemlos und rücksichtslos macht. Durch die überdüngten Böden, Monokulturen und den Einsatz von Mega-Maschinen veröden Landschaft, erodieren und vertrocknen Böden, sterben Wälder. Dies als ein Beispiel von vielen.
Es ist wohl Panik, die zu ständig heftigeren Eingriffe in die Natur der Erde und des Menschen führt.

Ohne Entschleunigung keine Natürlichkeit. Ohne Verlangsamung und Geduld kein Gesundheitswesen, das auf Salutogene beruht.

Salutogenese beinhaltet die Fähigkeit, die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen, der Glaube an die eigene Wirksamkeit und der Glaube an den Sinn des Lebens. Diese Fähigkeiten entwickeln sich langsam und stetig; sie setzen Geduld voraus.

Langsamkeit und Geduld lassen uns erkennen, dass die Seele, in der wir leben, eine milde, sanfte und wissende Substanz ist. Von ihr getragen finden wir in ein friedvolles Leben, jenseits von Stress und Hetze und fernab von Gewalt.
Die Seele umhüllt und durchströmt uns zärtlich und erfüllt uns mit Seins-Seligkeit. Sie gibt uns den Schutz, den wir in dieser hektischen Welt brauchen. Durch Geduld und Geruhsamkeit wird sie uns immer zugänglicher.

Erst jetzt dürfen wir von Nachhaltigkeit sprechen. Sie baut sich auf der Ebene der Seins-Erfahrung auf.

Wenn wir also noch einmal zurücklehnen, ruhig, tief und liebevoll mit dem Satz atmen:
Ich lasse mir alle Zeit, die ich brauche, um mich ganz selbst zu sein,

werden wir vielleicht spüren können, dass sich eine heilende Energie aufbaut, die unter dem Deckel von Ungeduld und Betriebsamkeit darauf gewartet hat, erkannt und gelebt zu werden.

Ich werde nicht damit aufhören, Geduld einzuüben.

*zur Trauer: Die zur Trauer gehörende Energie-Bewegung geht meist sowohl in die Breite, wie auch in die Tiefe, verbunden auch mit einem Lösen von Spannung und Druck, oft im Bauch-Bereich. Nach einiger Zeit kann sich eine Aufwärts-Bewegung einstellen. Wenn diese Bewegungs-Gestalt abgebrochen wird, kann sich der nachfolgende Entwicklungsschritt kaum oder gar nicht einstellen. Dies gilt für alle Gefühle. Es scheint eine Zeit-Krankheit zu sein, nicht bei einem einzelnen Gefühl verweilen zu können.
E-Motion kann man auch lesen und verstehen als Energie (E) in Bewegung (Motion).

ATEM – Teil 2

Im ersten Teil des Artikels «Atem» versuchte ich aufzuzeigen, dass uns die Mittel gegeben sind, um uns zu entfalten und in eine höhere Schwingung, in ein höheres Bewusstsein zu gelangen. Dies gilt vor allem für unser Atemsystem, mit welchem wir mit unserem Körper, unserer Seele und unserem Geist verbunden sind.

Der Atem, insbesondere in Kombination mit Wort (Mantra) und Stimme (Klang) helfen uns die Gedanken-Schwere und die damit verbundene Trägheit unseres Alltags-Bewusstsein zu überwinden.

Was meine ich mit Gedanken-Schwere? Viele Gedankenformen sind aufgeladen mit der Vorstellung, dass wir alles mit Leistung zu erringen haben, dass auch nur Wenige Erfolg haben können, nämlich die Stärkeren. Die beiden spirituellen Wege/Methoden helfen uns, unser Bewusstsein auszuweiten und zu erfahren, dass alles da ist, was wir benötigen,um uns zu entfalten.

Das Herzensgebet
Das Gebet entstand bei den Wüstenvätern und Wüstenmüttern in Ägypten, entwickelte sich weiter bei den Mönchen auf Berg Athos und verbreitete sich vorerst in Ost-Europa.
Es ist ein mantrisches Gebet. Die wenigen Worte, die bei jedem Atemzug gedacht, gesagt und gefühlt werden, sollen sich von der Zunge ins Herz fortpflanzen. Ziel ist, dass das Herz selbsttätig und fortwährend betet. – Beten bedeutet in Resonanz mit unserem innersten göttlichen Kern zu kommen.

Eine ursprüngliche Formel lautet: Herr Jesus Christus, Sohn Gottes (beim Einatmen), erbarme dich mir/unser (beim Ausatmen).
Eine verkürzte Formel: Jesus Christus (einatmen), Barmherzigkeit (ausatmen)

oder nur:
Jesus (einatmen) – Christus (ausatmen).

Es ist sinnvoll, zwischen dem Ein und Aus des Atems eine kleine Pause zu machen; in ihr entfaltet sich das Bewusstsein der Einheit, des Einsseins.

Die Worte können zu Beginn gesagt oder gesungen werden. Beim Einatmen sollen sie den Weg zum Herzen finden und beim Ausatmen sollen sie rundum verströmen. Während das Mantra zu Beginn gesagt wird, entwickelt es sich nach einiger Zeit zur gefühlten, erlebten und erfahrenen Wirklichkeit. Was erfahren wird ist Barmherzigkeit, Liebe, Mitgefühl, Schutz und Segen. Dabei wird der Atem sehr weit, kosmisch, alles umhüllend, lichtvoll und wärmend. Natürlich werden nicht bei jedem Menschen genau dieselben Gefühle geweckt*. Im tiefsten Seelengrund wird aber die bedingungslose Liebe und Akzeptation, wie sie in Christus lebt, aktiviert und die Beziehung zu seiner Wesenheit, die immer jetzt präsent ist, vertieft sich dabei.
Es ist der Dreiklang von Wort/Stimme – Atembewusstsein – und die Ausrichtung auf das Herz, die zusammen die Wandlung und die Erfahrung der Ausweitung des psychischen Herzens schneller und nachhaltiger geschehen lassen, als wenn nur eines der genannten Elemente zum Ausdruck fände.
Normalerweise ist es so, dass Projektionen, hervorgerufen durch unsere Erziehung und durch kirchlichen Prägungen, die unmittelbare direkte Erfahrung der Christus-Wirklichkeit beeinträchtigen. Das Herzensgebet erlaubt uns wieder Zugang zu finden zur unmittelbaren, direkten Begegnung mit dem Christus, der dadurch in uns zum Erblühen kommt, wenn wir dazu bereit sind. Unser Beitrag aber wird Geduld sein müssen. Es ist wie bei einer zwischenmenschlichen Begegnung: Zwei, die sich voneinander angezogen fühlen, nehmen sich zuerst wahr, gehen zart aufeinander ein, bis die Seelen der Zwei in Schwingung kommen. Feinfühlig gehen sie dann in Resonanz mit der jeweiligen Schwingung des anderen. Sie treffen sich in der Mitte, im Binnen-Raum, zwischen ihren Herzen, wodurch die Beziehungsebene ins Wachsen kommt. Vielleicht wächst da eine Rose – oder wie auch immer wir es bildlich wahrnehmen. Es ist Hingabe-Bereitschaft, die eine Begegnung ermöglicht, in der es zu einem vertraulichen Austausch, zu Intimität kommt.
Beim Herzensgebet ist die Bereitschaft, eine Liebes-Beziehung zu wagen zentral.

Genau so ist es bei allen Arten von zwischenmenschlichen Liebes-Beziehungen: Wir brauchen den Mut, unser Sicherheits-Dispositiv hinter uns zu lassen, uns verletzlich zu zeigen, uns rückhaltlos zu öffnen. Erst dann kann das Herzensgebet, das seine dazu beitragen.

Tonglen
Diese Atem-Meditation, welche die Entfaltung des Mitgefühls bezweckt, wird vor allem im tibetischen Buddhismus praktiziert:
Beim Einatmen verbinden wir uns mit dem Leiden, dem Schmerz von Lebewesen. Wir nehmen uns dieses Leid zu Herzen. Wir fühlen mit, lassen dieses Leid, diesen Schmerz im Lichte unseres Herzens wandeln in Segen, Glück und Wohlwollen für die betreffenden Wesen. Auf diese Weise atmen wir verströmend, schenkend, gebend aus.
Wir können mit uns selbst beginnen, indem wir unser eigenes Leiden anerkennen, verstehen, es in unserer Herzens-Lichtkammer in Glück und Segen verwandeln, den wir liebevoll uns zuatmen. Dasselbe könne wir tun für das Leiden unserer Freunde und unserer Feinde, auch für Gruppen von Menschen oder Völker – schliesslich für das globale Leid, für den gepeinigten Planeten, die ausgebeutete Natur.

Bei dieser wunderbaren Meditation ist es wichtig, dass wir das Tonglen gut vorbereitet beginnen. Wir erden uns zuerst gut, verbinden uns mit der Welten-Seele, öffnen unser Herz und lassen es warm und anteilnehmend werden. Dann beginnen wir die Tonglen-Atmung wie beschrieben.

Auf diese Weise kann der Graben zwischen uns und den anderen überwunden werden. Wir erleben, dass wir alle zusammengehören.

Das Herzensgebet und das Tonglen sind zwei Wege, wie wir uns bei der Heilung von uns selbst, wie auch dem Planeten beteiligen können/dürfen. Dabei kann es geschehen, dass wir uns als leuchtende und strahlende Wesen erleben können, was unserer wahren Natur entspricht.

Natürlich gibt es zahlreiche Literatur für die hier in Kürze vorgestellten Atem-Meditationen.

*Uns werden immer jene Qualitäten zuerst zufallen, die wir gegenwärtig besonders benöti-
gen und sie werden jene körperlichen und seelischen Regionen berühren, in denen ein
Mangel und ein Bedürfnis zu erkennen ist. Dies ist eine der Weisen, wie die Liebe wirkt.