Alles ist da. Nichts fehlt. Anwesenheit in Fülle. Alles ist einbezogen, nichts ausgeschlossen. Alles ist angenommen, vollständig geliebt.
Du bist unfassbar Geliebtes, verkörpertes Geliebt-sein. Immer, stets, uneingeschränkt.
So etwa könnte man eine der Kernerfahrungen des mystisch erlebenden Menschen formulieren. Das wahre Leben basiert also auf der Fülle – und niemals auf Manko und Fehlendem.
Das moderne, eindimensionale und rein materielle Verständnis des menschlichen Wesens beruht auf dem Defizit: Der Mensch, das Mangelwesen, muss verbessert, optimiert werden, angereichert werden durch künstliche Intelligenz, durch Medikamente, Drogen und eingepflanzte Nano-Partikel, zum Beispiel mittels Impfungen, und durch implantierte Messgeräte und damit verbundenen winzigen Depots, welche die Fähigkeiten haben, zur rechten Zeit, benötigte Stoffe abzugeben, wie etwa Vitaminen. Messgeräte lassen sich auch am Handgelenk tragen. Sie geben dir Auskunft darüber, wie viele Schritte du heute noch tun solltest und wann du ins Bett gehen solltest.
Menschen, so denken «Gescheite», sind wie kleine Kinder, denen man solche Sachen mit modernsten Mittel sagen sollte oder noch besser, man sollte sie einfach automatisch optimieren, ohne auf ihr träges Bewusstsein zu warten. Dazu bleibt einfach nicht die Zeit. Zu Vieles liegt auf dieser Welt im Argen. Demokratische Lern-Prozesse sind zäh und langwierig. Der Mensch muss geführt werden, so wird gedacht, und es gibt einige intelligente, umsichtige Leute (Philanthropen), die wissen, wie die Masse geführt werden muss. Diese wissen auch, welche Hilfsmittel dazu benötigt werden, wie Algorithmen, PR-Büros, chemische Prozesse zur Verbesserung des Welt-Klimas, zum Beispiel durch die Herstellung von Wolken und Regenzonen, die Verbesserung der Böden, der Haltbarmachung von Produkten, gesundheitsfördernder, billiger Lebensmittel, Verteilnetze, usw.
Die Menschheit ist steuerungsbedürftig, ihrer Tendenz zur Infantilisierung muss entgegenkommen werden mit Brot und Spielen, Unterhaltung, Pornografie, Fernsehen, das beruhigt, Hintergrund-Musik, welche stimuliert und ausgleicht – je nach Tages- und Jahreszeit, Gesichtserkennung, um Kriminelle und Andersdenkenden rasch auszumachen und dingfest zu machen. Überwachung also, soweit nötig. Die digitalen Mittel stehen zur Verfügung.
Was zählt ist Gesundheit, bzw. die Verschleierung und Unterdrückung von Krankheit und Unwohlsein. Der Charakter soll formbar sein und bleiben. Kontrolle ist nötig. Sie soll optimiert werden.
Also: Perfektionieren bis zum Tode. Dieser Satz ist nicht einfach nur so hingeschrieben. Ab einem gewissen Masse ist Perfektion tödlich (ich denke an Euthanasie), da sie spontanes, von der Seele geschaffenes Leben, Schwächen, Scheitern und Bedürftigkeit ausschliesst, ja vernichtet.
Viel spüren intuitiv, dass
nun ein natürliches Vorgehen ein künstliches, automatisiertes werden soll.-
Der Einfühlsame spürt, dass Hilfsmittel, insbesondere technische, mit Bedacht, massvoll, einfühlsam und bewusst zu gebrauchen sind. Dies soll für jede Art von Eingriffen und Interventionen gelten.
Die Menschheit hat die natürlichen Grenzen, die auf Einfühlsamkeit und auf Dialog mit dem Lebendigen beruhen, überschritten.» – «Zuerst sei der Hügel zu befragen, wie er bebaut werden möchte», sagte der Religionsphilosoph Alan Watts einmal. Die Einfühlung gehe also der Tat, dem Eingriff, voraus.
Die Mitmacher reiben sich die Hände. Wir sollten sie dabei stören, ohne gewaltsam zu werden. Und wir sollten sie, insbesondere durch unser Vorbild, darauf hinweisen, dass alles in der Tiefe schon da ist.
Ich meine: es gibt ein Recht auf Fehlerhaftigkeit und Unvollkommenheit, auf ein Lernen durch Versuch und Irrtum; es gibt ein Recht auf menschliche Schwächen und Nicht-Wissen, auf Abhängigkeit und Unsicherheit. Alles ist eingebettet und aufgehoben in bedingungsloser, vollkommener LIEBE, in der Präsenz des Einen, welcher keine Mängel und Fehler ausschliesst, im Gegenteil, sie liebend aufhebt und uns tröstet in unserer Unsicherheit und Sehnsucht.
- Scheitern ist Teil des Ganzen, Misserfolg ist Teil, wie Erfolg ein anderes Teil ist.
- Krankheit gehört zum Ganzen, wie Gesundheit auch. Beides, Gesundheit und Krankheit bilden das Ganze.
- Schwäche und Stärke gehören zusammen, bilden ein Ganzes.
- Das Unvollkommene ist integraler Teil der Vollkommenheit.
- Die Liebe zwischen dem Tröster und dem Getrösteten bildet eine lebendige, pulsierende Zusammengehörigkeit.
Die Beziehung zwischen dem Einen und dem Andern, verbindet, eint, macht ganz, was getrennt war. Durch die Liebes-Beziehung lernt der Erden-Mensch, vermenschlicht er sich, heilt er und nicht durch seine narzisstische eigene Optimierung und Perfektion, die ihn in die Einsamkeit und Gewalttätigkeit führt. Die Kehrseite der Perfektion ist Ohnmacht, Hilflosigkeit und Verletztheit. Der Perfektionist oder der Super-Idealist schliesst diese Gefühle aus und ist deshalb in Wirklichkeit eben alles andere als perfekt.
Der Liebende weiss:
Alles ist da. Nichts fehlt. Anwesenheit in Fülle. Alles ist einbezogen, nichts ausgeschlossen. Alles ist angenommen, vollständig geliebt.
Du bist unfassbar Geliebtes, verkörpertes Geliebt-sein, mit all deinen Mängeln. Immer, stets, uneingeschränkt.
Fülle.