Umkehr der Perspektive

Die aussen orientierte Lebensweise

Die Energie, die von mir in die Welt einwirkt, z.B. indem ich kommuniziere, mich politisch, künstlerisch oder wie auch immer ausdrücke, ist der Fokus, auf den ich mich ausrichte. Jedenfalls war das bei mir lange so.

Ich bin, was ich tue, leiste, hervorbringe. Es gibt kein Zweifel darüber, dass aktives, engagiertes und kreatives Tun erfüllend ist. Die einseitige Fixierung aber auf das von mir Ausgehende, also auf meine Aktionen, bewirken, dass ich früher oder später in einen Zustand der Erschöpfung falle.
Der arbeitende, leistungsbetonte, nach aussen gerichtete Mensch, der sich mit seinem Tun identifiziert, bis hin zur Selbst-Ausbeutung, ist oft gefangen in der Einseitigkeit dieser doch eher männlichen Sichtweise des In-der-Welt-seins.

Das uns Zufliessende

Sind wir Menschen also damit beschäftigt, uns zu beobachten, wie wir uns in der Welt darstellen, was uns, so denken wir, Bedeutsamkeit verleiht, so verkennen und unterschätzen wir jenen uns zufliessenden Energiestrom*, der uns die Lebenskraft gibt, produktiv, hilfreich und aufbauend in die Welt zu gehen, unseren Lebensweg zu erspüren, der nach vorne ausgerichtet ist.
Durch die einseitige Ausrichtung unserer Aufmerksamkeit nach aussen und vorne, verkümmert das uns Zufliessende, weil wir es kaum beachten und somit bleiben wir seelisch unterernährt.

Alle Lebewesen, Menschen, Tiere, Pflanzen sind in der Lage, uns auf ihre Weise wahrzunehmen. Wir werden gesehen, gehört, gerochen oder sonst in einer uns unbekannten Weise wahrgenommen. Wenn wir spüren und erfahren, dass Interesse, Zuneigung, usw. uns entgegen fliesst, werden wir dadurch genährt, wie auch die Lebewesen, die von uns freundlich wahrgenommen werden. Das gilt auch für die unsichtbaren Wesenheiten.

Wenn ich achtsam sehe und höre gebe ich den Wesen, die mir begegnen möchten, Raum, Lebensraum, wodurch sie mir ihre Seins-Qualitäten mitteilen können und sich darüber womöglich erfreuen. Welch ein Reichtum!

Der Zustand des Empfangens in der Kontemplation

In Kontemplation wirkt im Menschen oft der Archetypus des Pilgers auf dem Weg, der auf den Berggipfel führt oder an einen sehr stillen Ort in der Wüste. Wir gehen, so in unserer Vorstellung, achtsam und bewusst Schritt für Schritt unseren Weg dem Licht zu.
Dies ist ein schönes kraftvolles und hilfreiches Bild.
Haben wir die Perspektive gewechselt – und manchmal ist die Zeit dafür gekommen- so bleiben wir am Ort, an dem wir sind und empfangen die Kräfte, die den Weg zu uns finden möchten.
Das Bild hierfür: Wir sind ein empfangender Kelche oder eine weit geöffnete Schale, ganz offen, hingebend im Vertrauen darauf, dass das Licht und die göttliche Präsenz uns finden, die Strahlen unser Herz erreichen, welches sich mehr und mehr weitet. Dabei ist es wichtig, dass wir dem, was zu uns möchte, bewusst und vertrauensvoll Raum geben.
Dabei erfahren wir möglicherweise, dass wir gesehen, gehört, geliebt und erkannt werden. Wir erfahren auch, falls wir ganz offen und zugänglich sind, dass uns genau das gegeben wird, was wir in diesem Augenblick benötigen: «Unser tägliches Brot gib uns heute“, was auch Einsicht bedeutet – jene Einsicht, die uns jetzt dienlich ist.

Als Kontemplierender bin ich nun bereit mich bis in die Tiefe meiner Seele anschauen zu lassen. Ich übergebe mich dem gebenden, strahlenden, Leben erzeugenden Auge Gottes und ich lasse mich erkennen in meiner Totalität, in meiner Ganzheit und Wesenhaftigkeit.

Dieses Erschauen und Erkannt-werden ermöglicht es mir nun, mich selbst in meiner ganzen Wirklichkeit zu erkennen. Ich erkenne mich nun so, wie ich erkannt worden bin. Ich fange an, mich derart uneingeschränkt lieben zu lernen, wie ich nun weiss, dass ich geliebt bin.

Das Erleben, gesehen und geliebt zu werden wie ich bin, ist wunderbar – und in diesem «wunderbar» sind alle erhabenen und freudvollen Gefühle enthalten, die man sich nur denken kann – wirklich ausdrückbar, mit Worten, ist dieses Erleben nicht.

Also: Zuerst lasse ich das, was mich heilt, in mich einfliessen und in Dankbarkeit empfangen.
Danach integriere ich behutsam das, was mir hinzugeströmt ist und gebe es an mich und an die Mitwelt weiter, wechsle nun in den aktiven Modus.
Warum ist es gut, die Gaben in Dankbarkeit zu empfangen? Durch Dankbarkeit intensiviert sich das Empfangene. Zudem: Dankbarkeit bewirkt, dass der Empfänger ganz im Hier und Jetzt verankert bleibt. Wahre Dankbarkeit ist weder in der Vergangenheit, noch in der Zukunft zu erleben (was übrigens leicht ausprobiert und erfahren werden kann).

In Bezug auf Gott sind wir Menschen (Frauen wie Männer) primär weiblich-empfangende Wesen. Deshalb ist es auch wichtig, den Einen auch als die Eine zu erkennen.

Entwickeln wir den Mut, uns in Fülle geben zu lassen vom Geber, der Geberin allen Lebens.

Viele Menschen, die ich kenne, verspüren den Impuls, die zufliessende Kraft und Gnade zu begrenzen, weil sie sich nicht als würdig erachten, die Flut der Liebe und Güte in ihrer Fülle anzunehmen. Sie stoppen die einfliessende Kraft, weil sie glauben, soviel Liebe nicht verdient zu haben oder weil sie Angst haben, ihre Kontrolle zu verlieren über die machtvolle Wirklichkeit, die sich ihnen naht.
Deshalb wählte ich das Wort Mut. Hingabe an das, was einwirkt, braucht einerseits Mut und andererseits so etwas wie Übung und die Bereitschaft, über den Rahmen, den wir uns gesetzt haben, hinaus zu wachsen und ihn damit (das Ego) zu sprengen, den wir mit unserem Kontroll-Bedürfnis gesetzt haben.

Seit Jahren meditiere ich meistens im Modus des Empfangens und bin bemüht, mich dem Wandlungs- und Liebes-Geschehen der unendlichen Schöpferkraft zu übergeben.
Ich lasse mich also einfach anschauen bis auf den Grund meiner Seele und beachte fein, was mit mir geschieht. Die Meditation/Kontemplation selbst hat mich dahin geführt, mich auf diese Weise mit der Liebe und dem daraus hervorgehenden Leben zu verbinden.

ICH BIN, WAS MIR ENTGEGEN KOMMT.
ICH BIN, WAS MIR AUS DER TIEFE MEINER SEELE ENTGEN KOMMT.

* Der uns zufliessende Lebensstrom kann von innen oder von aussen zu uns gelangen.

Der Mensch – ein gebärendes Wesen

«Denn die Zeit wird aus Melodie geboren und Melodie aus Gnade.»   Martin Buber

«Es ist gut, wenn uns die verrinnende Zeit nicht als etwas erscheint, was uns verbraucht, sondern als etwas, das vollendet.»
Antoine de Saint-Exupéry

 Mit einer gewissen Scheu möchte ich mich einem mir sehr bedeutungsvollem Thema tastend annähern: dem Menschen als ein gebärendes Wesen. Ich möchte mich dieser menschlichen Wirklichkeit, die in uns angelegt ist, nähern, in dem ich sie ahnend umkreise.

Die Einbettung des inneren Kindes
In der ersten Lebenshälfte ist es äusserst hilfreich, wenn wir Menschen das innere Kind – ich meine das Kind, das wir einmal waren und das stets wirksam Teil unseres Lebens ist – aktiv und bewusst annehmend integrieren. Wir integrieren es, indem wir es lieben, mit ihm reden und ihm Lebens-Raum geben. Das innere Kind kann dann als integriert angesehen werden, wenn es in seinen Stärken und Schwächen, in seiner Bedürftigkeit und in seinen Begabungen, also als Ganzes, akzeptiert worden ist.

Manchmal vervollständigt sich der Prozess der Integration des inneren Kindes erst in der zweiten Lebenshälfte. Auch das ist gut. «Die Zeit als etwas betrachten, das uns vollendet» (Siehe Zitat oben.) Während wir uns mit dem inneren Kinde befassen, entwickelt wir unsere Mütterlichkeit und Väterlichkeit, unsere Fürsorglichkeit zu uns selbst, die schliesslich auch nach aussen abstrahlt und uns zu mitfühlenden Menschen macht.

Nun ist der Boden bestellt für die zweite Geburt: unsere göttliche Natur.

Die Erweckung des hohen Selbst
Folgende Worte sind – so glaube ich – zu uns gesprochen, oder sie werden einmal so oder anders, aber im Sinne ähnlich, zu uns gesprochen werden:

«Deine Liebe führt dich zu dir selber.
Wenn du mich erblickst, fühlst, so führt dich dies zu dir selbst, in dein Inneres, in dein wahres Selbst, das dich erblickte, erschaute und gebar.
Das wahre Selbst hat dich geboren.
Du bist im Prozess der Geburt und des Werdens, Ausdruck dessen, was ICH in dir bin.
Du bist die Ursache, der Grund meiner Liebe
und die Licht-Projektion deiner selbst.
Du bildest dich im Liebes-Licht, das ich in dir bin.

Was wandelt bin ICH. ICH BIN die Liebe. Ich verkörpere (inkarniere) mich in dir und durch dich.»

Nun ereignet sich das Bewusstsein für unsere Gottes-Kindschaft. Unsere geistdurchwirkte Seele wird sich nun selber bewusst. Wir können sie Bewusstseins-Seele nennen. Die Geburt ist Ereignis. Die Geburt ist Gnade.
Dieser Prozess beginnt meistens damit, dass wir spüren, dass wir weit mehr sind, als unsere biografischen Prägungen und mehr sind als die Einflüsse der jetzt wirkenden Kultur, in der wir leben. Der Moment des Erwachens ist dann gegeben, wenn wir uns zutiefst berührt oder ergriffen fühlen vom Leben schlechthin. Es ist ein grosser Glücksmoment, der kaum beschreibbar ist, weil er mehr ist als alle uns bekannten Formen und Strukturen.

Der Geburtsraum – der Raum des Herzens
Aus Liebe quillt Geburtsraum. Der Kosmos des Herzens ist auch ein Raum der Geburt, ein Raum höchster Lebendigkeit. Der mächtige Selbst-Impuls hat im Herzens-Kosmos seinen Raum des Wachstums und der Entfaltung gefunden. Das Männliche (der Impuls) und der Geburts- und Wachstumsraum, das Weibliche: sie sind nun in fruchtbarer Vereinigung.
Lebendige Potentialität; Geist und Materie in liebender Umarmung, im Liebesspiel: Dies ist der Raum der Geburt im Herzen. Hier ist unendliche Zuneigung, das allen und allem gilt: All-Geliebt-Sein. Hier ist tanzendes Strömen, berührtes Bewegt-Sein, gehalten in der Ruhe, im Ursprung des Quell-Grundes.

Wenn wir Menschen es uns erlauben in die Stille des Seins abzutauchen, wird uns ein Bewusstseinsbereich erreichen, den ich als fötale Stille bezeichnen möchte. Dieser Bereich tritt vielleicht als eine Art von Dämmerlicht in Er-Scheinung.
Wir fühlen uns vielleicht umgeben von Licht-Wasser oder geistigem Fruchtwasser, obwohl diese Begriffe nur Hilfen der Annäherung zu diesem geheimnisvollen Prozess sind, in dem unser höheres, göttliches Selbst ins Bewusstsein tritt. Allmählich.
Die Geburtssphäre kann aber auch so fein sein, dass sie sich wie ein Nichts anfühlt. Viele verlassen dann die Meditation, weil sie denken, dass da nichts mehr weiter geschehe. Aber genau dieser Punkt des «Verschwindens» ist derselbe Punkt der Neuwerdung .

Der Prozess des Erwachens und des Erwachsenwerdens, also des Reifens, dessen was schon immer da war, erfüllt sich bis zu einem uns möglichen Grad – bis hin zu unserem Sterben. In diesem langen Reife-Prozess werden wir zu Liebenden und zu bewussten Menschen, die sich als Ausdruck des All-Einen erkennen. Wahrscheinlich benötigen wir viele Inkarnationen auf dem Weg der Menschwerdung bis sich unsere Lichtgestalt (unser Christus-Selbst), die wir in Wirklichkeit sind, ganz in die Entfaltung kommt. Wichtig scheint mir der Weg, das Unterwegssein und die Beharrlichkeit des Weitergehens.

Das schöpferische Selbst.
Wenn der Mensch seinen Lichtkörper zu verwirklichen beginnt, entwickelt sich auch sein schöpferisches Selbst. Dies ist daran erkennbar, dass die Ausatmung des Menschen vermehrt Leben zu erzeugen beginnt. Sie wird hauchartig, gleichzeitig substantiell. Heilender Liebes-Atem oder: Geburts-Atem. Alles in tiefer Stille. Es ist denkbar, dass in grosser Herzens-Intimität nicht nur Leben, sondern auch Lebe-Wesen geboren werden.

Eine neue Menschheit – eine neue Erde
Der Ort der Geburt unseres wahren, göttlichen Selbst ist unser Herz.
Der Ort der Geburt unseres wahren Menschheits-Körpers ist der Kosmos des Herzens.
Ebenso findet die Regeneration des Erden-Körpers im Kosmos des Herzens statt.

Ich glaube nicht, dass in der heutigen Übergansphase mit Reformen (so gut und nötig sie auch sind) allein die Menschheitskrise überwunden werden kann. Auch nicht durch Revolutionen.

Ich glaube, dass wir Menschen guttun, um das grosse Ereignis einer Neu-Geburt zu bitten.

Was wir tun können ist, uns dafür vorzubereiten, indem wir uns reinigen, uns für unsere Wesenhaftigkeit interessieren, bereit sie wahrzunehmen – in Dankbarkeit.
Was wir tun können ist, unser Herz zu öffnen dem Unbekannten, nicht Definierbaren, dem, was uns übersteigt. Vertrauen wir dem, was uns ins Leben ruft, in unsere eigene Geburt führt, also in ein Geschehen oder Ereignis, das wir weder kontrollieren, noch herstellen können,
… uns also öffnen mit und trotz allen Ängsten und Unzulänglichkeiten, um uns dem zu übergeben, was uns zu uns selbst hin wandelt – vertrauensvoll, hingebungsvoll,

vielleicht wird dann die Melodie der Gnade erklingen.

BETEN

Für mich ist Beten fundamental. Beten ist das Fundament, der Urgrund, der Wesensgrund.

Im Gebet ereignet sich Beziehung zwischen Liebenden, also Liebesbeziehung.
Der Gebetsraum, der sich im Zwischenraum der Liebenden aufbaut, nenne ich auch den Raum der Begegnung, der Intimität und der Innigkeit.

Wenn zwei aufeinander hören, bildet sich Hör-Raum, Schwingungsraum. Resonanz. In ihm bildet sich Substanz.
Gebet ist Tiefen-Kommunikation. Kommunikation heisst Teilen.

Bleiben wir vorerst beim Gebet des Menschen zu Gott – vielleicht sprichst Du lieber von Allah oder von Mutter-Vater, oder vom All-Einen, vom Geliebten oder vom Ursprung oder der Quelle. Wie auch immer. Da die göttliche Quelle auch im Seelenkern anwesend ist, so kann man Beten auch verstehen als ein Dialog mit sich selbst, also als ein Selbst-Gespräch, ein Gespräch mit dem höheren Selbst.

Wenn der Betende durch offenes und hingebendes Da-Sein den Begegnungsraum aufgebaut hat, beginnt der Herzens-Dialog.

Um in Resonanz zu kommen zum grossen DU, benötigen wir eine für uns günstige Balance sowohl von weiblichen, wie auch von männlichen Eigenschaften:

Die männlichen Qualitäten: Eine sehnende, vielleicht sogar leidenschaftliche Hinwendung zur Geliebten, zum Geliebten. Der Betende ist ausgerichtet, konzentriert auf das DU. Er erinnert an einen Liebhaber, der vor seiner Angebeteten niederkniet, flehend, sehnend mit einer Rose in der Hand. Er ruft nach ihr oder er flüstert, erregt, hingebend, feurig.

Die Sprache der Liebs-Mystik, insbesondere in der Tradition der Sufis, kennt keine Scheu, die spirituelle Liebesbeziehung auch in erotischer Sprache auszudrücken.

Die weiblichen Qualitäten: Das spirituelle Herz bildet eine empfangende Form: ein Schale oder einen Kelch. Die Empfindung weit, warm und fliessend, lauschend, das Gefühl sanft-fein, zart-berührt.
Das Weibliche umhüllt auch, spendet liebevoll Geborgenheit, schätzt, akzeptiert, glüht, überschäumt.

Beide Qualitäten in Ergänzung schaffen das gute Klima für das Gebet. Manchmal hilft uns eher die weibliche Seite, manchmal die männliche, um in Beziehung zu gehen.

Ich glaube, dass die meisten Menschen von uns, die weibliche Qualität des Empfangens mehr zu entwickeln haben – und wahrscheinlich ist es auch so, dass das empfangende Lauschen wichtiger ist, als das Finden des eigenen Ausdrucks und des Formulierens, weil unsere Gesellschaft das «Machen», das nach Aussen gehen, einseitig betont. Gleichwohl ist es sehr bewusstseinsbildend, wenn wir tiefste Empfindungen, Anliegen und Bitten feinfühlig in Sprache bringen. Was wir auf diese Weise zum Ausdruck bringen, wird gehört. Daran habe ich keinen Zweifel, denn es ist etwas Zuhörendes und Anteilnehmendes in allem, was ist.

Der Dialog beim kontemplativen Gebet ist in Stille eingebettet. Manchmal entwickelt sich ein wortloser Austausch, ein inniges Zusammensein, wo sich Geben und Nehmen nicht mehr so klar unterscheiden lässt; vielmehr entsteht ein liebendes Zusammen-Sein in Freude und Seligkeit. Daraus fliessen manchmal sehr tiefe Einsichten.

Sat-cit-ananda, auch saccidanana geschrieben, heisst in der hinduistischen Tradition nach Aurobindo: «Sein-Bewusstsein-Seligkeit; Kraft und Sein eins geworden in Seligkeit; die höchste Wirklichkeit als das im Selbst existierende Sein.»
Saccidananda ist eine Drei-Einheit oder Trinität. Im Gebet wird sie oft erlebbar.

Das kontemplative Gebet ist ein non-dualer intimer Austausch in Liebe. Zwei in Einheit, das Eine in Zweiheit. In den Räumen der Begegnung, die sich untereinander verbinden, entsteht das Fundament, auf dem sich Mensch und Menschheit entfalten.

Es muss wohl kaum noch gesagt werden, dass es weder das Internet, noch sonst welche Netzwerke sein können, die eine Alternative dafür sein können für den Boden (Humus im Sinne von Humanität, der sich durch die Herzensbeziehungen aufbaut), der sich betend bildet. Es ist Licht-Erde, die entsteht.

Der erwachte, innere Mensch ist in einem Zustand des Gebetes. Er ist in einem immerwährenden Gebet. Wir sprechen hier vom Herzensgebet. (Vergl. Blog: Atem, 2. Teil, 5. Jan. 19)

«In der ewigen Geburt, die im Grund und im Innersten der Seele geschieht, ergiesst sich Gott mit solchem Licht in die Seele, dass ihr Wesensgrund davon ganz erfüllt wird und das Licht sich hinausschleudert in die Kräfte der Seele und überfliesst in den äusseren Menschen.»
Meister Eckhart, aus Predigt 103

Ich bin überzeugt, dass Meister Eckhart hier eine sowohl persönliche, wie auch eine allgemein menschliche Tiefenerfahrung auf eine wunderbare, treffliche Art beschreibt, wie man sie wahrer und schöner kaum ausdrücken könnte.

Gebet ist auch Geburts-Raum, denn in der Begegnung der Liebes-Beziehung entsteht neues Leben, aus LIEBE geboren.

Wenn zwei Menschen, die sich lieben, im andern auch den göttlichen Kern sehen und diesen begrüssen – Namaste – beten sie dann?

Ja, ich glaube, dass dies auch eine Form von Gebet ist. Es ist ja nicht von ungefähr, dass vor allem Männer von der Angebeteten sprechen, nämlich dann, wenn sie das Wesen ihrer Geliebten erahnen oder mehr noch, fühlen, also nicht nur den äusseren Mensch schätzen, sondern mehr noch den inneren.

Wenn sich im Gebet Geist (Himmel) und Erde verbinden entsteht das Fundament der «neuen Erde»: Licht-Materie.
Es ist die LIEBE im Begegnungs-Raum, welche den Humus/die Licht-Erde bildet.

Die Ehe, der Bund zwischen Gott und Mensch wird genährt durch die gelebte Liebes-Beziehung, das Gebet. Jüdische Mystiker sagen: «Bei der Ehe-Scheidung weint der Altar».
In esoterischer Lese-Art meint «Scheidung» oder «Ehebruch», die Trennung von Gott und Mensch und die Trennung von Geist und Materie.

Und deshalb ist das Gebet so fundamental, weil die Trennungen auf verschiedenen Ebenen weit fortgeschritten sind und es das heilende, Leben erzeugende Gebet braucht.

Ich habe das Bedürfnis, es noch einmal zu sagen: Das Gebet ist das Fundament.

Gewaltfreies Leben

Dieselben Menschen, die an menschliches Leben auf dem Mars glauben, bezweifeln, dass es möglich ist, gute Medikamente ohne Tierversuche zu entwickeln. Oder ist ihr Zweifel nur vorgegeben, um an alten Zuständen festzuhalten?

Menschen lassen durch Tricks gute Produkte veralten, um neue Produkte-Palletten zu lancieren, welche grössere Gewinne versprechen.

Menschen schneiden Organe aus den Organismen anderer Menschen, um künstliche Organe oder nano-technische Vorrichtungen einpflanzen zu können – für gutes Geld.

Menschen verbrennen Wälder im Glauben dadurch neue Anbauflächen zu erhalten, um gefragte landwirtschaftliche Produkte (z.B. Palmöl) anzupflanzen und für gutes Geld zu vermarkten. Sie glauben, dass es unbedingt dieses Produkt in grossen Mengen brauche und dass dafür Wälder weichen müssen.

Brauchen wir wirklich Pestizide, von Multis entwickelt, die durch ihre Gewinne weitere Gifte erfinden?
Ist es wirklich sinnvoll, Häuser abzureissen, nur wenige Jahre nach dem sie fertiggestellt wurden, mit dem Ziel an gleicher Stelle grössere Häuser zu bauen, die mehr Rendite versprechen?
Ist es wirklich nötig, Bäume zu fällen, längt bevor sie ausgewachsen sind und Tiere zu schlachten längst bevor sie ihre Jugend erreicht haben?

Ist es so, dass immer zuerst etwas getötet werden muss, um Fortschritt zu erzielen? Ist Wachstum ohne Vernichtung nicht möglich? Ist jede Kultur von Sünden-Böcken abhängig und von ausgegrenzten Minderheiten? Weshalb kann das Vorübergehende, Alte, nicht integriert werden und ins Werdende eingebracht werden?

Kann neue Kultur nur entstehen, wenn die alte ins Ghetto verbannt wird (z.B. die Indianer)?

Kann eine neue Ära beginnen, die auf einem Rufmord oder auf Ächtung beruht?

Die Energie des Tötens: wohin geht sie? – woran bindet sich die Gewalt?
Geht sie womöglich in das sogenannte Neue ein?
Karma, der ewige Kreislauf. Karma, die Gewalt-Spirale. – Wenn das stimmt, dann geht die Gewalt an Millionen von Tieren, die bei Tierversuchen elendiglich sterben in Medikamente über, die Genesung versprechen!? Und in uns, die wir sie millionenfach schlucken.
Heilung durch Tötung – durch Gewalt?

Wenn etwas nicht durch Gewalt, Anstrengung und Verzicht erworben worden ist, so kann es nicht wertvoll sein – so glauben Viele. Alles, so sind wir erzogen worden, muss durch die Gewalt gehen. Nichts ist geschenkt. Es gibt keine wirkliche Liebe. Alles was hält, ist in Härte errungen. Dies sagt MANN uns.

Deshalb glauben dieselben Menschen, die überzeugt sind, dass sich keine guten Medikamente ohne Tierversuch entwickeln lassen, an eine Zivilisation auf dem Mars (dem Kriegs-Gott).

Ich will hier nicht sagen, dass es nie aggressive Eingriffe brauche. Was ich ausdrücken möchte, ist, dass wir in einer Kultur leben, in der Zerstörung und Tötung von Leben zu einer dunklen, nur halb-bewussten Gewohnheit, ja zu einem Gesetzt, vergleichbar mit einem finsterer Opfer-Mythos geworden ist, die fest in unserer Gesellschaft und in unseren Seelen eingeschrieben zu sein scheint.
Haltungen und Handlungsweisen, die auf Gewalt basieren wirken verunreinigend. Sie behindern den Einfluss von Liebeskraft und von geistiger Durchstrahlung. Aber wir brauchen für unserer Entwicklung als Menschen und Menschheit einfliessende Liebeskraft und geistige Durchstrahlung.

Oft träume ich von einer Kultur, wo Entwicklung gewaltlos geschieht, ohne Tötung von Lebewesen und ohne Ausbeutung, – wo Christus leben darf.
Ja, oft.

Dennoch: Tot und Opfer gehen aller substantieller Erneuerung voraus. Jenseits des finsteren Opfer-Mythos steht die tiefliegende Erkenntnis, dass das Trennende, das sich aus dem Ganzen abisolierende Prinzip, das sich im Ego manifestiert, überwunden werden will. Die Illusion der Trennung, der Eigenwille, die Eigenmacht, die sich dem Gewahrsein der umfassenden Zusammengehörigkeit entgegenstellt, soll sterben und nicht das Andere, das, was wir als fremd ausgrenzen wollen.

Im Lamm Gottes kommt die überfliessende sanfte Hingabe, die umfassende, alles berührende Zärtlichkeit in die Welt, welche die Gewaltspirale dahinschmelzen lässt.

Diese letztere Behauptung weckt im Allgemeinen eine grenzenlose Wut aus, Zweifel, Resignation oder Unglauben. In ihr fliessen ganze Ströme von erlittenen Enttäuschungen und nicht geheilter Traumata.

Wir haben die Chance, sie in die umfassende Zärtlichkeit zu legen.

 

Was mich freut

Die weltweiten Demonstrationen von Kindern und Jugendlichen für die Wiederherstellung eines erträglichen Klimas freut mich ungemein, ebenso, dass sachte eine Bewegung aufzukommen scheint, welche die weibliche Kraft und Sexualität aufwerten will – ich denke da auch an den Film «Female Pleasure»- Das sind gute Gründe Hoffnung aufkommen zu lassen.

Klima: Der Aufschrei junger Menschen zum Handeln jetzt
Greta Thunberg, die alles in Bewegung gebracht hat, sah sich vor einem Jahr einen Film-Beitrag über den Plastikmüll in den Meeren an, der sie aufrüttelte. Danach weinte sie oft, hörte auf zu essen, weigerte sich später in die Schule zu gehen. Stattdessen sass sie vor dem schwedischen Parlament mit einem Protest-Plakat. Sie sagt, dass sie nicht Hoffnung geben wolle, sondern Panik erzeugen wolle, so wie sie selbst in Panik sei.

Ihr Mut wirkte ansteckend. Nun demonstrieren weltweit Tausende gegen die verbreitete Ignoranz, Lethargie und Halbherzigkeit bezüglich der Umsetzung der Klimaziele, wo es doch jetzt um entschiedenes Handeln geht.
Die Ernsthaftigkeit der Lage wird in der Klima-Diskussion gerne weg-geredet: Von Rationalisierung wird in der Psychologie die nachträgliche, verstandesmässige Rechtfertigung eines aus irrationalen oder triebhaften Motiven erwachsenen Verhaltens gesprochen. Dieser Abwehr-Mechanismus ist in unserer patriarchalischen Kultur sehr weit verbreitet. Der Mechanismus «dient» der Unterdrückung und Verleugnung jener Gefühle, die der jeweilen Situation angemessen wären. «Der Verlust der Gefühle ist recht eigentlich die Neurosenform der heutigen Zeit, wo durch Kopflastigkeit, Rationalität und Objektivität sich allmählich ein Bewusstseinspatriarchat um den Preis weiblicher Werte (nicht geschlechtsspezifisch verstanden) herausgebildet hat.»*

Da brauchte es eine Greta mit dem Asperger-Syndrom, die in der Lage war, unmittelbar, auf eine gesunde Art, rücksichtslos emotional zu agieren.

Lange war ich der Meinung, dass die Jugend völlig a-politisch sei und damit hatte ich wahrscheinlich so recht, wie Unzählige, die das auch so beurteilten. Das hat sich aber jetzt fast schlagartig geändert und darüber freue ich mich riesig.
Ein wenig beschämend für uns Erwachsene ist es ja schon, dass uns eine 15-Jährige helfen musste, uns aus unserer Sprachlosigkeit zu befreien.

Weibliche Kraft – weibliche Sexualität
In meinem Artikel «Das Unglück der Spaltung und die Freude der Wiedervereinigung» äusserte ich die Ansicht, dass es dringend an der Zeit wäre, das Weibliche, Mutter Erde und die Weltseele in unser Selbst-Befinden und Bewusstsein einzubeziehen. Dazu gehört auch die weibliche Erotik und Sexualität, die weltweit gewaltsam unterdrückt wurde und wird, was der erwähnte Film «Female Pleasure» sehr eindrücklich zeigt.
Die Kirche, wie auch alle (ja, alle!) Gross-Religionen über Jahrhundert, glaubte, dass es ihr zustünde, den Menschen ihre Mündigkeit, was ihr Liebes- und Beziehungsleben, aber auch was ihre Sexualität betraf, abzusprechen – dies ganz besonders den Frauen.
Diese Meinungshoheit und Deutungsmacht der Religionen haben heute weitgehend die kapitalistischen Mächte übernommen, insbesondere alle jene Unternehmen, die den sexuellen Milliarden-Markt bedienen.

Sie sprechen sich für die alten Sexual-Konventionen aus, deren problematische Beibehaltung es ihnen erlaubt, grosse Geschäfte mit Ersatzbedürfnissen zu machen wie Schönheits-OPs, Pornografie, Web-Begegnungs-Plattformen, Kosmetik, Mode, Klatsch-Presse, etc.
Wie ich immer wieder betone, glaub ich, dass unsere Gesellschaften auf Kompensation (Ersatz) aufgebaut sind. Das Loch, das die verleugnete Seele und der drangsalierte menschlichen Körper hinterlässt, versucht man durch künstlich geschaffene Schein-Bedürfnisse und entsprechenden energie-verschleissenden Konsum zuzuschütten, wodurch wir unsere Welt verunstalten.

Es scheint die Zeit gekommen zu sein, dass Menschen, vor allem Frauen, sich nun auch in sexueller Hinsicht mündig, selbstverantwortlich und autonom fühlen, und dementsprechend leben und handeln wollen.
Das ist eine sehr gute Nachricht mit globalen Auswirkungen. Der Mensch, insbesondere die Frau, erklärt sich als mündig!

Gerechtigkeit und wahre, auf Respekt beruhende Partnerschaft zwischen Frau und Mann bilden die Grundlage für eine friedvolle und kreative Welt – die Basis für den Welt-Frieden.

Männer des Friedens werden alles dafür tun, sich für die Gleichberechtigung und Würde der Frau einzusetzen. Sie wissen, dass davon auch ihr Glück abhängt – und ihre eigene Würde.

Wie es zusammenhängt
Beim Schreiben über die beiden behandelten Themen wurde es mir immer klarer, zuerst intuitiv-emotional, dann gedanklich, wie diese miteinander in Beziehung stehen:
Ich behaupte, dass der Klimawandel und die mögliche Klimakatastrophe die Folge der unharmonischen und teilweise gestörten Beziehung zwischen Frau und Mann, zwischen männlichen und weiblichen Energien und Qualitäten sind. Der Mensch wurde als Frau und Mann geschaffen. Sie stehen sich polar und in Ergänzung gegenüber. Beide, sowohl Mann wie Frau tragen das Gegen-Geschlecht auch in sich. Individuation nach Jung meint unter anderem, dass der Mann seine weiblichen Qualitäten (Anima) und die Frau ihre männlichen Eigenschaften (Animus) entwickeln. Somit treten beide Geschlechter mit dem anderen Geschlecht in zweifacher Hinsicht, im Aussen und im Innen, in Beziehung. Dies ist ein laufender Prozess; eine Art von leichtem, elegantem Tanz. Dieser schöpferische Tanz wird in weiten Teilen der Welt unterbunden durch strikte Normen, Konventionen, welche das Verhältnis zwischen den Geschlechtern in starre, alle persönlichen und kulturelle Unterschiede übergreifende, zwanghafte Formen presst. Sehr oft auf Kosten der Frau, die sich dem Manne unterstellen soll – sozial und sexuell. Die katholische Kirche steht dafür als ein schreckliches Beispiel.

Während der liebevolle, partnerschaftliche Tanz zwischen Frau und Mann Freude, Friede und Kreativität erzeugt – davon bin ich überzeugt- bewirkt verordnete Unmündigkeit Einengung und Angst. Dadurch wird das menschliche Fundament geschwächt, denn nur die wahre, gleichberechtigte Partnerschaft, welche die mündige Sexualität einbezieht, schafft Friede und Harmonie auf der Welt und die nötige Kraft, Verletztes zu heilen.
Das Loch, das die verleugnete Seele und der Mangel an freier, mündiger Liebe und Sexualität verursacht, wird im Konsumrausch zugepflastert. Das Erzeugen und die Befriedigung von künstlich erzeugten Bedürfnissen, führt zur Ausbeutung der Erde. Natürliche Systeme kollabieren (jetzt z.B. das Insektensterben), die Erde-Atmosphäre erhitzt sich.

Die Klima-Katastrophe ist das Resultat des mangelnden Verständnisses über die ursächlichen, zentralen menschlichen Bedürfnisse.

Dies ist wohl eine wichtige, wenn auch nicht die einzige Ursache der planetaren Krise.
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*Kathrin Asper: Verlassenheit und Selbstentfremdung, S. 43, Patmos Verlag

 

Männliche Lebenskraft

Mein Vater

Er war ein hoch sensibler Mann. Ich suchte hinter seiner eisernen Strenge und Verschlossenheit seine zärtliche und spirituelle Seele (siehe Titel-Foto), die spürbar, aber verborgen war.

Sein Studierzimmer in unserer Wohnung war sein Reich. Dort lebt er. Wenn ich etwas wollte von ihm, so hatte ich anzuklopfen. Das kam nicht selten vor. Bevor ich anklopfe spürte ich heftiges Herzklopfen. Würde ich die Wand seiner Strenge und Diszipliniertheit durchdringen können, würde ich ihm begegnen oder an seiner Strenge abprallen?

Wenn meine Mutter sich zum täglichen Einkauf bereit gemacht hatte, musste sie ihn – den Herrn des Hauses – um das nötige Einkaufs-Geld bitten. Sie streckte ihm die leere, hohle Hand entgegen. Zögerlich warf er ein paar Frankenstücke in die Hand. Niemals genug. Sie wartete solange bis es reichte, um einkaufen zu können. Sie nahm täglich dieses Demütigungs-Ritual auf sich, sie beugte sich, obwohl sie es war, die das Geld, das unserer Familie brauchte, erarbeitete. Sie war Filialleiterin eines Warenhauses. Mein Vater erarbeitete sich mit wenigen Artikeln, die er für Zeitungen schrieb eine Art von Taschengeld.
Auch ich beugt mich, bekam einen runden Rücken.

Mein Vater war so zwanghaft diszipliniert zu sich selbst, wie er zu allen anderen Menschen auch war.

Staub gab es in seinem Zimmer nie. Er staubte täglich alles ab. Hochglanz und Einsamkeit, auch Selbstverlorenheit waren hinter seiner Strenge spürbar.
Manchmal explodiert er; er neigte zu Jähzorn. Aber selten.

Der disziplinierte Mann hält sich und seine Lebenskraft an kurzer Leine

Viele Männer, so wie ich, lernten ihre Lebenskraft zu bändigen. Wir haben gelernt unsere Aggressionen, unsere Wildheit und unsere Lebenskraft in einen Käfig zu sperren oder an die Leine zu nehmen. An eine kurze Leine, denn wir misstrauen ihr. Wir denken zurück an die Kriege, die wir Männer, vor allem im letzten Jahrhundert geführt haben. Diszipliniert wie sie waren, liessen sich die Soldaten an die Front schicken. Millionen von Toten. Hunderttausende von vergewaltigen Frauen. Wir denken an die grossen Reiche des Nationalsozialismus; wir denken an die Zaren, an den Stalinismus, an Napoleon. – Meist unbewusst.
Nach all dem trauen wir unserer männlichen Lebenskraft nicht wirklich, wir Mars-Männer. Wir sind oft auch Frauen gegenüber zurückhaltend. Zurückhaltender als es diesen lieb ist. Wir sind gefährlich. Unsere Kräfte haben ein zerstörerisches Potential. Das sagen uns auch manche Frauen. Also halten wir uns an kurzer Leine.

An einem Männer-Seminar zum Thema «Der wilde Mann» geleitet vom Franziskaner Richard Rohr sah ich viele traurige Männer.

Viele Männer sind traurig darüber, dass sie nicht mehr wild, sondern gebändigt und diszipliniert sind und nicht wissen, wie sie ihre Kraft mit Zärtlichkeit verbinden können.

 

Inzwischen

Inzwischen sind die Jahre vergangen. Ich habe gelernt Kraft und Zärtlichkeit zu vereinen und habe schrittweise gelernt (und lerne immer noch) meiner Kraft zu vertrauen, sie «wildern» zu lassen, sie ihre Wege gehen zu lassen, zu streunen, intuitiv und instinktiv.

Ich lerne, dass meine Aggressionen mir helfen, mich zu verwirklichen.
Aggression kommt von aggredi = sich zubewegen, heran schreiten, sich nähern und nicht zerstören. Nur die unterdrückte, gestaute und verdrängte Aggression/Kraft verwandelt sich in Gewalt.

Das weiss ich inzwischen. Dennoch müssen viele Männer-Menschen wieder einen positiven Zugang finden zu ihrer Kraft, zu Mars.
Inzwischen haben viele Frauen einen gelösteren Umgang gefunden zu ihrer Kraft, als die Männer im Allgemeinen.

Wir Männer müssten noch tiefer in unseren weiblichen Seelen-Anteil vorstossen, um von dieser Tiefe aus wieder erneuert und belebt in unserem eigenen Geschlecht Einzug zu halten. Nun aber elastischer, erneuert im weiblichen Eros und in Verbundenheit mit Liebe.

Weniger Disziplin – mehr schöpferische Freiheit

Wie erwähnt müssten wir Männer wieder Vertrauen gewinnen in unser aggressives und kämpferisches Potential, nachdem es eine lebensbejahende Verbindung mit unserer zärtlichen und liebenden Seite in uns eingegangen ist. Dafür bräuchten wir wahrscheinlich die Hilfe von Frauen.

Von der Leine nehmen

Lassen wir also das wilde Tier in uns, unsere archaische und schöpferische Seite, ja auch die kämpferische Lebenskraft frei! Sie wird sich mit der Lebensfreude (ihrer Schwester) verbünden.

Wenn wir Gutes tun wollen für unsere leidende Welt, so benötigen wir Männer Vertrauen in unsere Kräfte.

 

Gebrochene Sexualität – erfüllte Sexualität

Die Kraft der Sexualität
Sexualität, die im Orgasmus gipfelt, ist ein sehr kraftvoller Ausdruck der Lebenskraft und der Lebensfreude, welche im Kosmos ebenso existiert wie in den einzelnen Lebewesen.
Vor dieser intensiven Kraft, die kaum zu bändigen und zu kontrollieren ist, hatten und haben wir Menschen offenbar Angst, gerade weil wir ihre Wildheit und ihre zärtliche und schmelzenden Kraft der Vereinigung nicht zu ertragen scheinen.

Geschwächte und gebrochene Sexualität
Deshalb schwächen und brechen wir ihre unmittelbare Kraft, die auch eine transformatorische ist, mit folgenden Mitteln:

  • Wir verteufeln sie, bezeichnen sie als Sünde;
  • Wir entwurzeln sie, entkörperlichen sie und nehmen ihr die Seele, reduzieren sie auf visuelle Anreize.
  • Wir halten sie an der Oberfläche fest, kommerzialisieren sie.

Nicht-befreite und zurückgehaltene Sexualität führt zu Auswüchsen, wie alles Verdrängte. Das Verdrängte will wiederkehren. Ein aktuelles Beispiel sind die zahlreichen pädophilen Übergriffe in der katholischen Kirche.
Da wir Menschen unsere Sexualität zu lange von uns abgespalten haben, kehrt sie verkümmert und entstellt wieder in unser Bewusstsein, eingezwängt in Scham- und Schuldgefühle. Sie zeigt sich als Suchtverhalten oder in Impulsen, die uns ängstigen, weil wir sie nicht als ich-synton (zu unserem Ich gehörend) erleben können. Lange unterdrückte sexuelle Impulse verwandeln sich oft in Gewalt.
Viele Menschen leiden unter einer unerfüllten Sexualität. Sie legen sie resigniert beiseite und glauben nicht mehr an friedvollen sexuellen Austausch. Sie kompensieren ihre Abwesenheit mit Essen und Trinken, durch Unterhaltungen aller Art, durch unruhiges Reisen oder durch arbeitssüchtiges und stressiges Arbeiten.

Teilen und Mehren der Lebenskraft – Wilhelm Reich
Ohne ein tiefes vertrauensvolles Miteinander von Frau und Mann und ohne freudvollen sexuellen Austausch der Geschlechter entgeht der Menschheit jene Energie, die sie unbedingt braucht, um sich selbst und die Erde vor dem Verfall zu retten.

Nebst der Fortpflanzung des Lebens brauchen wir ein reiches befriedigendes sexuelles Leben, um den Fluss der Lebensenergie aufrechtzuerhalten, zu teilen und zu mehren.

An eine Liste aller Arten von Missbrauch der Lebenskraft durch unterdrückten und gewalttätigen Sex mag ich gar nicht denken, geschweige denn eine solche zu erstellen. Sie würde kaum enden.

Wilhelm Reich, der Psychoanalytiker und Forscher, der ein Leben lang an die Wichtigkeit einer fliessenden und bejahten Lebenskraft und Sexualität erinnerte, wurde, wo immer er war in seinem Leben, abgelehnt und verspottet. Er schrieb in seinem Buch «Christusmord» folgendes:

„Das lebendige Leben wird von Christus repräsentiert. Er ist einfach ungeniert gesund – und allein. Weil er so ist, wie er ist, erinnert er alle anderen Menschen an ihre emotionelle Verkrüppelung. Er ist faszinierend, die Menschen saugen sich mit seinem brillanten Charisma voll, doch sie können nicht so sein wie er, obwohl jeder Mensch diesen Christus, das ungepanzerte, nur lebendige Leben in sich trägt. Die Erkenntnis, dass sie so sein könnten wie Christus und dass sie dieses lebendige Erleben niemals erfahren werden, dass es nicht zu „haben“ ist, diese Erkenntnis ist ein unerträglicher Schmerz. Die einzige Methode, sich Christus zu bemächtigen, ist seine Vernichtung. Und deshalb müssen sie ihn ermorden. Sie ermorden den Christus seither in allen Kindern, sie ermorden ihn in der natürlichen Umgebung und in sich selbst.“

Sexualität und Alter – Spiritualisierung der Sexualität
Viele Mensch unterdrücken ihre Sexualität oder mindern sie, wenn sie älter werden. Sie drosseln ihre Flamme und damit ihre Lebensenergie, wodurch sie krankheitsanfälliger werden. Und: ihre Lebensfreude vermindert sich.

Wir benötigen die Flamme der sexuellen Kraft solange wir leben, ob wir nun unsere Sexualität aktiv (physisch) ausleben oder nicht: sie sollte brennen. Dafür müssen wir ev. den Schmerz darüber aushalten lernen, sie mangels Gelegenheit oder Krankheit nicht immer ausleben zu können oder zu wollen.

Ich glaube, dass der Mensch eine gewisse Reife erlangen muss, um die kosmische Dimension (die ich besonders als Kraft und Schönheit erfahre) in die Sexualität integrieren zu können. Gerade der gereifte, ältere Mensch hat die Möglichkeit, sich dafür zu öffnen.

Die Sexualität will «spiritualisiert» werden, damit sie sich erlösen kann – damit die unsägliche Spaltung von Geist und Materie, von Spiritualität und Sexualität überwunden werden kann. Wäre dies nicht eine wunderbare Alters-Vision?

Zum Schluss Friedrich Nietsche:

Denn alle Lust will Ewigkeit -,
tiefe, tiefe Ewigkeit.