Dein Wille geschehe

Der Wille wird nicht strukturiert und nicht als Plan vollzogen und durchgeführt. Er ist nicht etwas, das fertig vorliegt und nun auf eine vorgefertigte Weise abläuft, nein der Wille, und ich spreche vom höchsten, weisen, göttlichen Wille- geschieht.

Wille ist hier also nicht ein Vorgehen, das an eine Anstrengung gebunden ist, sondern ein Geschehen, ein Ereignis, das aufgrund weiser Beschlüsse, die auf einer grossartigen Übersicht und aus einer Haltung feinfühliger LIEBE geschieht.

Der bekannte Satz aus dem Vaterunser heisst:
Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden
und aramäisch, der Sprache von Jesus, heisst es

Nehwê tzevjânach aikâna d’bwaschmâja af b’arha,

was etwa so viel heisst wie:

Dein eines Verlangen wirkt dann in unserem – wie in allem Licht, so in allen Formen.*

Der Mensch, der seine engen Begrenzungen verlässt, öffnet sich also dem höheren Willen, in dem er Raum schafft für diesen. Damit überlässt er die Lenkung seines Lebens, an eine ihn übersteigende Wirklichkeit, ohne diese als fremd zu erleben, denn er weiss, dass der höchste Wille auch in seiner Wesens-Mitte wirkt.

Der hohe Wille ist also ein Geschehen, dem ich mich sowohl in passiv-empfänglicher wie auch in einer aktiven Weise hingebe.

Die passiv-empfängliche Hingabe an den grossen Willen:

Dabei gehe ich davon aus, dass es etwas gibt, das es gut mit mir meint, eine mich führende und lenkende Kraft, die alles was ich bin, also alle meine Aspekte und Nuancen einbezieht, um in dieser Gesamtschau meines Wesens, die nächsten Schritte herauskristallisiert, die zu meinem Besten sind, ob das nun Erleichterungen oder Herausforderungen sind, Krisen oder glückliche Umstände. Diesem Willen darf ich mich vertrauensvoll hingeben, denn es ist das Innerste und Wahrste, dem ich mich hingebe; es ist also keine fremde Macht. Dieser Willen geschehe. Es ist kein eiserner Wille, sondern ein liebender, sanfter Wille.

Die aktive Hingabe:

Ich nehme wahr wie und wohin ich geführt werde, werde zum Zeuge meiner Reise und ich bin offen für Neues, für Neu-Entdeckungen. Indem ich nun geschehen lasse, mich dem Strom des hohen Willens überlasse, finde ich mich in mir bisher noch nicht bekannten Stimmungslagen und ich erkenne, wie mein Lebensgefühl sich verändert. Wenn ich aufhöre, mein Leben zu kontrollieren und engmaschig zu formen, werde ich mehr zum Leben selbst, das ich lebe.

Ein Geschehnis oder ein Ereignis fühlt sich anders an, als ein sich abwickelnder fester und unveränderlicher Plan.
Der Höchste bezieht jeden Entwicklungsschritt eines jeden Individuums mit ein in seinen Plan, welcher sich deshalb stets modifiziert. Es ist, wenn wir von Plan sprechen wollen, ein flüssiger, fein beweglicher Plan, der alle substantiellen Veränderungen ununterbrochen einbezieht und nichts übergeht oder ignoriert. Diese höchste göttliche Intelligenz, die erfüllt ist von LIEBE und Mitgefühl ist personal verbunden mit jedem einzelnen Lebewesen – nicht nur mit jedem Wesen, sondern auch mit der Entwicklung des Erdenkreises, unseres Sonnensystems und allen Galaxien, letztlich mit dem Universum oder den Universen. Der grosse Wille ist durchtränkt vom Wahrheitsbewusstsein und von der bedingungslosen Liebe, so dass es nichts gibt, dass unbeachtet und nicht einbezogen wäre.

Dem Menschen ist die Möglichkeit gegeben, den höchsten göttlichen Willen abzulehnen, sich von ihm abzutrennen.
Das Gute, die Liebe, das Wachstum des Lebens beruht in der Sphäre des Menschen auf Freiwilligkeit. Wir werden nicht zu unserem Glück gezwungen, aber es ist uns stets angeboten.

In den sanften Wogen des grossen Willensraum, der von Weisheit, Wahrheit und Liebe erfüllt ist, fliessen mir manchmal Teil-Einsichten in die grossen Zusammenhänge zu. Im Willensraum fliesst Wissen aus der Vergangenheit und Zukunft zusammen, Ströme aus verschiedenen Bewusstseins-Schichten, die innerhalb der Einheit allen Seins zusammenwirken.

Letztlich sind wir Menschen aufgespannt in Wissen und Unwissenheit, und wir sind sowohl gebrochene, wie auch vollkommene Wesen, beides ist in uns abgebildet. Wir sind Zwischen -bzw. Übergangswesen – die einen mehr, die anderen weniger – und es ist eine unserer Aufgabe die Spannung im Dazwischen auszuhalten und kreativ zu nützen. Dafür ist uns das Herz als den seelischen Ort der Versöhnung und die kraftvolle Sanftheit des göttlichen Willens geschenkt.

*   Neil Douglas-Klotz: Das Vaterunser, Knaur86008

Wesens-Atmung

In diesem Artikel knüpfe ich an den Blog-Beitrag «Das Wesen» an. Wer mag, lese den Text vom 22. September nochmals. Hier soll aufgezeigt werden, wie bewusster Atem die Verbindung zur Wesens-Mitte zu kräftigen vermag.

Wahrscheinlich ist es uns allen bekannt, wie es sich anfühlt, wenn wir aus dem kleinen ego-zentrierten Ich leben, atmen, denken und handeln. Im Vergleich zum Leben aus dem Wesen heraus, fühlt es sich eng, entfremdet und unruhig an.

Ich möchte es Wesens-Atmung nennen, wenn der Mensch sich mit seiner bewussten Atmung, mit seiner Wesensmitte verbindet.
Nun, atmet sein hohes Selbst, sein wahres Wesen, das er ist, welches verbunden und eins geworden ist mit dem Ursprungslicht und der grenzenlosen LIEBE in ihm. Damit ist der Atem gross und kosmisch geworden.
Inmitten seines Wesens ist die Sonne der Barmherzigkeit aufgegangen und sanftes Leuchten hat sich aufgetan und scheint über alle alten, selbst gesetzten Grenzen hinweg.
Im Atem der Barmherzigkeit eröffnen sich Lichträume des Mitgefühls in grenzenloser Anteilnahme, Heilkraft, unendliche Güte, in sanftem, all-gegenwärtigen, leisen Strömen.

Es handelt ich um einen grossen Wandlungsschritt, der geduldig eingeübt werden will. Hierbei führt uns unsere Sehnsucht nach der Quelle allen Lebens und die schon vorhandene Liebeskraft der Ur-Licht-Quelle zu, die in unserem Innersten glüht.

Der Aufgang der inneren Sonne ist eine erfahrbare Realität. Es ist DIE WIRKLICHKEIT.
Daneben ist es leicht zu erkennen, dass wir Menschen in einer selbst-inszenierten, bedrückten Schattenwelt leben. Wir haben aber die uns gegebene, geschenkte Möglichkeit, sie zu verlassen, um zu unserem wahren Selbst zu gelangen, welches unsere Grundlage bildet. Dieses «Alte» zu verlassen erfordert Mut und Vertrauen. Schmerz und Enttäuschungen helfen uns (ja, so können wir das sehen) bei der Ablösung der alten, zähen Muster.

Lassen wir also unser Wesen atmen. Sobald dieses durch Achtsamkeit und Geduld gestärkt ist, wird es seine wunderbare Realität entfalten.

Ist dies geschehen, haben wir die Möglichkeit, die Erde und ihre BewohnerInnen anzustrahlen und es wird von selbst (vom wahren Selbst, vom Wesen her) geschehen.
Innerhalb des Egos ist alles ein Machen, in der Obhut unseres wahren Wesens wird alles zum Geschehen.
Unsere Aufgabe und Möglichkeit ist es, dass wir uns einschwingen, also in Resonanz kommen mit der göttlichen Quelle, in dem wir uns dem, was wir zuinnerst sind, hingeben. Dadurch geben wir der Wesenskraft in uns die Möglichkeit, unser Alltag-Ich direkt und unmittelbar zu erreichen.

In der Obhut unseres Wesens wandelt sich der Atem. Was in einem kleinen Kreis zirkulierte, öffnet sich zu einer endlosen Spirale und gleichzeitig zu einem sich ausdehnenden heilenden Raum. Dadurch heilen wir uns selbst und wir beteiligen uns nun bei der Heilung der Erde, aller Lebewesen und des Erden-Menschen: unsere Schwestern und Brüder.

Was wir in einem reinen Sinne für uns tun, tun wir auch für die Gemeinschaft des Lebens und was wir für die Gemeinschaft des Lebens tun, tun wir auch für uns selbst. Bewusster, liebender Licht-Atem führt uns über uns selbst hinaus, verbindet uns mit den Räumen der Schöpfung und des spriessenden Lebens.

Ist das nicht auch eine erregende Alters-Vision? Wir älteren und alten Menschen können auf diese Weise die Zukunft für unsere Nachkommen nähren. Lasst uns zu Paten des werdenden Menschen-Leibes werden und zu Geburtshelfern einer menschlichen Welt, die auf Teilen, Mitgefühl und Weisheit basiert. Bewusstes Atmen ist eine Weise des Dienens.

Lasst uns Wirklichkeit er-atmen! – Heiliger Atem.

 

 

Beten

Ein Raum der Liebe

In der Liebesbeziehung erschafft sich, entzündet durch die Liebe, ein Raum der Liebe, der Heilung und der Schönheit. Wenn zwei oder mehrere sich lieben, wird ein Drittes geboren.
Zuerst entsteht der Liebes-Raum, dann wird darin ein Wesen geboren.

Den Liebes-Raum wage ich Gebet zu nennen.

Gott als Wesenheit

Das Wort Gott mögen viele Menschen nicht, u.a. deshalb, weil sie nicht so recht glauben, dass Gott ein lebendiges Wesen ist, das man ansprechen kann. Vielleicht haben sie auch Angst, dass dieses allmächtige Wesen sie kontrollieren könnte. Viele Leute übertragen die Erfahrungen die sie mit Vater und Mutter gemacht haben auf Gott, der dadurch Züge unserer eignen Vorstellungen und Projektionen bekommt. So ist es Vielen wohler, von einer höheren Macht zu sprechen, welche alle Informationen und Energie in sich vereinigt – ein Gedanke, der nicht falsch ist, aber das Wesenhafte von Gott ausklammert, ohne welches ich nicht von Gebet sprechen könnte.

Dual-Union

Für mich bedeutet Gebet Dialog, Zwiesprache, Austausch, Beziehung, Liebe in Bewegung. Für mich bedeutet Gebet auch ein non-dualer Austausch. Es sind zwei Personen und gleichzeitig nur ein Wesen. Wenn ich also mit Gott spreche, oder auf ihn höre, ist es mir bewusst, dass ich mit meinem Innersten spreche, meinem Wesenskern – und, so wird es mir klar: ICH BIN DIE MITTE MEINES WESENS. Ich spreche also mit mir selbst, wenn ich bete. Es ist eine Art von Selbst-Gespräch, denn ich spreche mit meinem hohen, wahren Selbst, das ich bin, aber welches sich in mir noch nicht ganz verwirklicht hat.
Es sind ZWEI IN EINEM, eine Dual-Union. Im Raum der Zweiheit, der Beziehung findet Erkenntnis statt, baut sich Vertrauen und Hingabe auf. Hier geschieht Vereinigung.
LEBE vereinigt. Damit sich diese entwickeln kann, braucht es Zweiheit. Bewusstwerdung und Einigung benötigt Beziehung.

LIEBE entwickelt sich in Beziehungen. In Liebes-Beziehungen.

Die Ur-Beziehung

Die Ur-Beziehung ist die zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen dem Einen, dem Liebenden und dem Geliebten, der Geliebten.
Im Menschen ist es die Beziehung zwischen dem äusseren Menschen und seinem Wesen, welches das Göttliche in sich trägt.

Alle anderen Liebes-Beziehung sind Ausformungen und Ausdruck der grossen, ursächlichen Beziehung.

Das Gebetshaus

Das Gebet ist ein Haus, ein Gebets-Haus, welches von Freude, Vertrauen und Dankbarkeit durchdrungen ist, und durch diese drei emotionalen Schwingungen ist es entstanden.

Ist Beten also eine Art von Bauen? Ja, das Gebetshaus baut sich in und durch die Liebeskraft und es begleitet uns auf unserem Lebensweg; es ist also nicht ortsgebunden und von daher auch mit einem Zelt zu vergleichen, das überall, wo wir sind, aufgeschlagen werden kann.

Im «Haus» wirkt heilender Geist. Die Atmosphäre im Raum des Gebetes ist von grösster Dichte, Lebendigkeit und zärtlicher Intimität.
Es braucht auch die menschliche Treue dem Geber allen Lebens gegenüber, damit sich das Gebetshaus, das in unserem Herzbereich und in unserer Aura entsteht, festigt.

*

Ich versuche hier ein paar Merkmale des Betens zu beschreiben, die mir in meiner Gebets-Praxis von grosser Wichtigkeit sind:

In Stille lauschen

Wenn sich die Alltags-Gedanken und die Anzeichen von Stress beruhigt haben und Stille einkehrt, ist der Moment gegeben, lauschend innerliche Wirklichkeit und Wahrheit zu erfahren. Nun wird alles ein grosses Lauschen, das innere Ohr des Herzens hat sich geöffnet. Wir können nun einfach dem zuhören, was Gott uns jetzt sagen möchte oder wir können die eine oder andere Frage stellen, die aus der Tiefe aufsteigt. In offener und geduldiger Weise lauschen wir dann dem, was für uns jetzt wichtig und bedeutsam ist und dabei achten wir darauf, durch welchen Kanal uns Hinweise oder Antworten gegeben werden. Zu manchen Zeiten kommt die Antwort zu uns durch Worte, andere male durch Stimmungen, heilende Bilder oder Symbole, etc.
Manchmal fliessen uns Antworten, Erkenntnisse, Einsichten zu ohne Wort und Bild. Gerade sie sind oft von grosser Kraft aufgeladen. Sie wirken durch unsichtbare, nicht sinnliche Kanäle und verändern und wandeln uns auf eine sehr subtile Weise. Das sehr feine Lauschen nimmt diese zarten Ein-Strömungen wahr und leitet sie unserem Herz-Zentrum zu.
Edith Stein, die jüdisch-stämmige Karmeliterin, die im zweiten Weltkrieg in Ausschwitz umgebracht wurde, sagte:

«Das Entscheidende ist das innere Berührtwerden von Gott ohne Wort und ohne Bild. Denn in dieser persönlichen Begegnung findet das innere Kennenlernen Gottes statt.»
(Wege der Gotteserkenntnis)

Wenn die Nähe zwischen dem Liebenden und dem Geliebten, zwischen Gott und Mensch sich also intensiviert hat, wird die Kommunikation zwischen Gott und Mensch unmittelbarer und direkter und es sind immer weniger Übermittlungshilfen wie zum Beispiel Symbole nötig, weil nun die Übermittlung und Vermittlung ganz auf die Herz-Ebene gelangt ist, wo intuitiv gesendet und empfangen wird und wo es auf einmal  nicht mehr klar ist, ob da noch zwei da sind, oder nur einer, bzw. eines.

Darbringen und übergeben

Es ist hilfreich, tröstend und heilend, wenn wir uns Gott gegenüber rückhaltlos und nackt zeigen, IHM und uns alle unsere Schwächen, Abhängigkeiten, Bösartigkeiten und Bedürfnisse   offen eingestehen. Mehr noch, wir können uns IHM als ganze Persson darbringen und übergeben – in liebender Hingabe. Das ist uns vielleicht nur am Ende unserer Reise möglich.

Aber es kann ja sein, dass wir IHM zunehmend mehr und mehr von uns zeigen:

«Schau, so bin ich, schau: ich lege alles, was ich bin vor Dich auf den strahlenden Altar. –
Nichts will ich zurückhalten, nichts beschönigen, nichts bagatellisieren.
Schau, so steht es um mich.»
Etwa in dieser Art können wir sprechen. Wie ein Kind, das wagt, sich anzuvertrauen.

Natürlich weiss ER schon alles, längst bevor wir es ausgesprochen haben, denn ER ist ja unsere Mitte, unser Wahrheits- und Liebes-Zentrum.

Wir tun diese Offenlegung für uns, weil uns diese Geste der Offenheit und des Vertrauens stärkt – und schon während wir in dieser Weise zu sprechen beginnen, setzt die Heilung womöglich schon ein, denn diese Art aus dem Vertrauen zu reden, ist heilend und die Intimität im Gebetsraum erhöht sich.

Meine Erfahrung ist es und auch die zahlreicher anderer Menschen, dass wir gehört werden, wenn wir aus dem Herzen sprechen.

Ich schrieb schon in früheren Blogs: «Es gibt etwas Anteilnehmendes und Hinhörendes in allem, was ist.» Deshalb gehen wir nie verloren, wenn wir uns öffnen.  Die Aufgehobenen sind die, die sich gewagt haben, sich darzubringen und sich zu übergeben.

Eins-Werden

Wir werden, was wir sind: eins, zugehörig mit allem, was existiert.
Wir können auch von Er-Innerung reden. Wir erinnern uns an unsere All-Verbundenheit, daran, dass wir eins sind in Vielfalt, also dass der eine Geist in allem Geschaffenen lebendig ist.
Im Gebetsraum entfaltet sich diese Wahrheit, Schritt für Schritt und wirkt heilend auf uns ein und in dem Tempo, das für uns möglich und zuträglich ist. Da nämlich, wo Stille und Bewusstsein ist, wird die Art wie etwas geschieht und das zuträgliche Tempo vom grossen Wissen (der Wahrheit und der Weisheit) eingebracht – und dieses Wissen reichert sich ständig an, je öfter wir im Gebetshaus leben.

 

Das Wesen

«Wenn alte Worte auf der Zunge
sterben, dann brechen neue Melodien im Herzen aus;
und wo alte Spuren verlorengehen, offenbart sich
ein neues Land mit seinen Wundern.»
Rabindranath Tagore: Gotanjali

In den Jahren 2018 und 2019 habe ich in meinen Meditationen nach meinem Wesen gefragt. Beinahe täglich. Ich wollte meine Wesenheit, die ich bin, näher kennenlernen. Wie ist mein Wesen, wie fühlt es sich an und was will es mir sagen? Ich merkte bald, dass dies eine unendliche Arbeit ist, so wie das Wesen unendlich ist und geheimnisvoll und niemals vollständig entschlüsselt werden kann. Das Gefühl, die innere Realität, die Wirklichkeit meiner Wesenhaftigkeit kam mir aber näher. Sie fühlte sich nach einiger Zeit substantiell an, konsistent und ganz wahr: Ich bin es.

Den Begriff des Wesens, so wie ich es verstehe, möchte ich kurz erläutern:

Das Wesen ist die Gestalt, die ich essentiell bin. Sie ist in Verbindung mit der primären Wirklichkeit, wie es Ken Wilber ausdrücken würde. Andere verwandte Begriffe sind: Das höhere oder hohe Selbst, das grosse ICH, der innere Licht-Mensch, das Christus-Selbst.
Dem gegenüber steht das kleine, ego-zentrische Ich, welches aus biografischen, kulturellen und gesellschaftlichen Einflüssen besteht und aus diesen Denk- und Verhaltens-Muster gebildet hat und, wenn diese sehr verhärtet sind, zu einem Charakter-Panzer (Willhelm Reich) geworden sind. Das kleine Ich ist relativ, Spiegel der relativen Welt. Es ist mindestens teilweise illusionär, weil es zu einem grossen Anteil aus Oberflächlichem und Vergänglichem besteht.

Unser wahres Wesen, ist vorerst meistens als Licht-Same anwesend. Dieser will geweckt werden. Durch eine sehr tief gehende, zärtliche Berührung wird dieser Same (oder Funke) zu einem Licht erweckt, dass sich allmählich ausweitet, bis es uns ganz umfasst und umhüllt. Wir nennen diesen Vorgang ERWACHEN und in einem spirituellen Sinn auch Erwachsen werden.
Es handelt sich also um die Geburt unseres wahren Wesens, um sein Werden und um seine Entfaltung.
Der Wesenskern, als die Mitte unseres Wesens, ist von rein göttlicher Natur. Er enthält den Ur-Anfang allen Seins.

Als ich mit meinen Aufzeichnungen 2018 begonnen hatte, versuchte ich dem Ur-Anfang meditativ näher zu kommen und fand dafür folgende Worte:

«Die Menschwerdung geschieht ohne Anstrengung. Es braucht nur die wache Offenheit, die sanften Wellen der Liebe anzunehmen, sich ihnen hinzugeben.

Mit den Liebesstrahlen kommt der Mensch in Berührung, wenn er sich absenken lässt, sich in die Ruhe begibt, in die Versenkung, in den Anfang, der in ihm ist.

Der Anfang ist in uns.

Es gibt nichts zu erlangen: alles ist da.

Ein süss-sanftes Ausatmen führt den Menschen in sich selbst, auf den Grund seines Daseins, wo die Stille ist.

Der Mensch ist das strahlende Geschöpf, das Strahlen der Schöpfung. Wir ruhen im Anfang.»

Das Wesen, das ich bin, umfasst einerseits die göttliche Nuance des Einen, das ich auf dieser Erde repräsentiere, also meinen göttlichen Namen und andererseits, das über-persönliche, transpersonale, universelle Sein, den reinen Geist oder das All-Bewusstsein. Ich vereine also als Mensch, sowohl das Persönliche (Personale) in seiner intimsten Weise, wo ich mir bewusst bin, vollständig in meinem So-Sein wahrgenommen, erkannt und geliebt zu sein wie alle anderen Geschöpfe auch und zugleich bin ich auch die Wirklichkeit, die meine Individualität übersteigt. Es ist mein kosmisches und mein universelle Selbst und auch den Bereich, den man formlose Leere nennen kann.

Das Wesen ist multi-dimensional, all-umfassend.

Das Lebensziel sehe ich darin, dass der Mensch sein Wesen in den Vordergrund bringt, während er sein kleines Ich in den Hintergrund schiebt. Dieses spielt nun nicht mehr eine dominante, sondern eine dienende Rolle.

Wie schon oben gesagt, kann ich das Wesen verstandesmässig niemals ganz erfassen und begreifen, weil es das Höchste und Tiefste ist, das ich (wir) sind, und es ist im Kern geheimnisvoll. Doch mein Wesen kann mich ganz erfüllen, ohne dass ich es ganz definieren kann.

Niemals habe ich es bereut über viele Monate nach meinem Wesen und seiner Wesenhaftigkeit nachzufragen. Das Nachspüren hat mich erweitert, irgendwie kompakter, dichter und wahrer gemacht und mir gezeigt, worauf es in meinem Leben ankommt, ohne dies präzise ausdrücken zu können, da das Wesen, insbesondere der Wesenskern, in einem über-rationalen, supra-mentalem Bewusstsein (Aurobindo) ruht.
Der «Wesens-Duft» ist äusserst zart und fein und es braucht eine verfeinerte Wahrnehmung, um die Wesenheit zu spüren, zu erfahren und zu erleben.
Der neue Mensch, der sich nun individuell und kollektiv entfalten möchte -so spüre ich es- siedelt sich in dieser zarten Wahrnehmung an, in jenem inneren Klang, der in uns Gehör bekommen möchte.
Das Ego, das kleine Ich, hat sich zu mindern und zu bescheiden, damit der Raum für das Wesen grösser und weiter werden kann. Diese Minderung fühlt sich oft wie Sterben an. Dadurch ist es möglich, dass die Menschen die Schwelle überschreiten können, die sie vom höheren Bewusstsein, vom eigenen Wesen, welches im göttlichen Wesen lebt, (noch) trennt.

Es geht nicht ganz von selbst, die Schwelle zu überwinden, da es saugende und niederreissende Kräfte auf Erden gibt. Hier ein Ausschnitt aus meinen Aufzeichnungen:

«Es ist eine Fruchtbarkeit in allem. Diese ist blockiert.

Es ist eine negative Kraft aktiv, welche den Wachstums-Impuls behindert und unterdrückt.

Das ist eine Tragödie.

Die Menschheit ist in eine Schieflage geraten. Zwei Attraktoren hält sie im Atem:

Der eine Anziehungspunkt ist der Wahn der Gewinn-Maximierung. Sie steht für den ökonomischen Menschen, den Kapitalisten, der sein Gewinnstreben -und Denken in alle Bereiche des Lebens treibt und dort bestimmend und dominant agiert.
Der andere Attraktor ist die Technisierung («Roboterisierung»/Digitalisierung) aller Gesellschafts-Bereiche. Er steht für den Maschinen-Menschen und den Eroberer.

Sicher: es gibt noch viele andere Trends. Die beiden genannten aber sind die Mega-Trends: alle anderen dominierend. Sie sind omnipotent.

Damit Fruchtbarkeit und Wachstum sein können, braucht es ein tiefes Gefühl und Mitempfinden für das Organische und Prozesshafte des Lebens. Dann kann Wachstum geschehen.

Der einseitig ökonomische und mechanische Maschinen-Mensch, der mit der Technik zunehmend verschmilzt (Trans-Humanismus), verliert die feine Vibration, die in allem Organischen zu finden ist und die nötig ist, Wachstums-Impulse zu spüren, aufzunehmen und ins Leben zu bringen.

Der Mensch droht zu brechen, abzubrechen wie ein Ast vom Lebensbaum.

Das Gefühl für das Lebendige und das Seelische scheint zu verkümmern. So empfinde ich es.

Dieses Gefühl für das Lebendige, das Eingestimmt-sein auf das Empfangende, ist die Voraussetzung dafür, dass Fruchtbarkeits- und Wachstums-Impulse greifen können.

Wenn diese Lebens-Impulse unterdrückt sind, veröden sie nach einiger Zeit, da ihnen die Erde und die Luft fehlt, die sie für ihr Wachstum brauchen.»

Lesen wir Teilhard de Chardin:

«Da die personalen Elemente an eine gewisse Grenze der Konzentration gelangt sind, stehen sie einer Schwelle gegenüber, die zu überschreiten ist, um in die Wirksphäre eines Zentrums höherer Ordnung einzutreten. Sie müssen sich in diesem Augenblick nicht nur aus der Trägheit reissen, die sie immobilisieren will. Vielmehr ist für sie der Augenblick gekommen, sich einer Transformation zu überlassen, die ihnen all das zu nehmen scheint, was sie bereits erworben hatten. Sie können nicht mehr wachsen, ohne sich zu wandeln

Im Schwellen-Bereich beginnt die Wandlung und sie vollzieht sich, wenn wir in unserm Wesen angekommen sind. In der Zartheit unserer Wesens-Sphäre richtet sich der Lichtmensch, der auf unseren Ruf gewartet hat, allmählich auf.

Durch das Lauschen auf unsere Mitte erwecken wir den inneren Menschen, das WESEN, das wir sind. Unsere Aufmerksamkeit und Hingabe gibt ihm Wachstumskraft.

Die Corona-Krise, die meines Erachtens eine Krise des menschlichen Bewusstseins ist, in der u.a. auch geprüft wird, wie weit unser Mitgefühl reicht, stösst uns in Richtung unseres Wesensmitte. Darin finden wir die Essenz, die wir benötigen, um die Blockierungen zu lösen und uns mit unseren Herzenskräften zu verbinden.

Wir können nicht mehr wachsen, ohne uns zu wandeln.

Beitrags-Bild: Das Innere einer Pfingstrosen-Blüte

 

Verbunden mit der inneren Wahrheit

Mandalas* sind Darstellungen der ungebrochenen Ausstrahlungskraft des Zentrums von Lebewesen, ihrer Essenz, die wir auch als Kraft des Herzens oder des Seelengrundes verstehen können.
In Verbindung mit unserer Mitte, kann sich die innere Wahrheit im Ganzen der Person und in ihrem Lebensfeld in Schönheit und Klarheit manifestieren. Der innen-orientierte Mensch ist ein Lauschender.

Vor einigen Jahren setzte sich eine junge Frau im Tram mir gegenüber. An der Seite ihres Sitzes hatte sie ihren Kinderwagen hingestellt. Darin ihr ca. zweijähriges Kind, welches mit Holzfigürchen, die an einer Schnur am Kinderwagen hingen, spielte. Sie selbst lass Zeitung.
Zuerst irritierte es mich, dass die Frau vollkommen mit ihrer Zeitung beschäftigt war, ohne ihr Kind zwischendurch mal anzusehen oder mit ihm zu reden. Sie liess es, und es spielte.
Dann stellte ich fest, dass das Kind völlig zufrieden war. Sein Spielen war ihm genug. Kein Appell an die Mutter. Tram-Station für Station: Ich spürte wie innig Mutter und Kind miteinander verbunden waren. Ich fühlte eine warme, geborgene Energie zwischen den Beiden. Ich erkannte auch, dass die Mutter in sich ruhte und damit ihrem Kinde Halt, Präsenz und Zuneigung gab, in der es sich ganz wohl und getragen fühlte.

Anders Eltern mit sogenannten «Schrei-Kindern»: Sie sind oft verhaftet in ihrer hohen Intellektualität, ohne tiefer in sich zu ruhen. Nicht-zentrierte Mütter und Väter haben oft sehr unruhige, zapplige Kinder (ADS).

Wenig zentrierte Leute verflüchtigen sich, lösen sich in Einzelteile auf, in denen sie sich verlieren. «Alles wächst ihnen über den Kopf». – «Was wollte ich eigentlich sagen; ich weiss es doch auch nicht mehr».

Jedes Lebewesen hat ein Zentrum. Oft wird es als «das Herz» bezeichnet. Wenn wir ICH sagen, dann berühren wir unsere Brust, bzw. unser Herz und nicht etwas den Kopf oder den Bauch. Dies zeigt, wo wir uns zu Hause fühlen.
Im Zustand eines schweren Schocks oder Traumas, zersplittert die Persönlichkeit. Sie fühlt sich desorientiert, aus der Mitte geworfen. Wo ein geordnetes Ganzes war, sind nur noch Teile, wirr, wie etwas, das ganz war, nun zerschlagen herumliegt, sinnlos erscheinend, verworren, was vorher noch schön und geordnet war.

Wer in sich ruht, strahlt.

Das Zentrum, der aus Wahrheit,  Weisheit und aus einer hohen Intelligenz das Ganze des Lebewesens organisierende Kern, bringt die Einzelteile oder die Elemente (die Persönlichkeitsanteile) einer Person in ein harmonisches Gleichgewicht, in einen Zustand der Ruhe und Ausgewogenheit. Selbst die Spannungen unter bestimmten Elementen sind im grossen Ganzen der Person in einer Einheit ruhend, die lebendig, schön und harmonisch ist.

Im Zentrum des Wesens wirkt die innere Wahrheit des Menschen. Die allgemeine, über-individuelle, universelle Wahrheit, findet im Wesenszentrum ihre subjektive, individuelle Wahrheit, im So-Sein des Einzelnen. Die grosse, die Vielfalt übersteigende Wahrheit ist nun bezogen -also in Beziehung und Entsprechung- auf die Einmaligkeit des betreffenden Wesens mit seinem eignen Werdegang. Die trans-personale und die personale Wahrheit sind in Beziehung.

Der bewusste Mensch ist ein Lauschender. Er ist mit dem inneren Raum der Wahrheit verbunden. Von dort fliessen ihm die jetzt stimmigen Impulse zu, die sich nun in seinem Um-Feld gleichsam von selbst gestalten. Die hohe Intelligenz, die aus seinem Wahrheitsraum quellend sein Energiefeld durchströmt, ordnet nun sein Leben und sein Beziehungsnetz, ohne sein kognitives Dazutun. Von selbst. Vom hohen Selbst gestaltet und gefügt. Wir sagen, dass der so Erkennende intuitiv lebt.

Diese Weise zu leben, setzt Vertrauen in die Weisheit, Liebe und Wahrheit voraus, die in uns auferweckt wird, durch das Lauschen auf unsere Mitte, unser Zentrum, dass eine ordnende Macht hat und welches uns das zukommen lässt, was wir brauchen.

Sollten wir vollständig mit unserem göttlichen Zentrum verbunden sein, bereit uns von seiner Wahrheit, Weisheit und Liebe leiten zu lassen, dann können wir uns darauf verlassen, dass wir stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind und, dass das uns Zuträglich im Hier und Jetzt erscheint. Ebenso in unserem Lebensfeld: Das für alle Anwesenden Zuträgliche im Lebensumfeld eines in sich ruhenden Menschen ist somit begünstigt ins Leben zu treten, sich zu ereignen.

Auch wenn wir dieses Ziel, der durchgängigen Zentriertheit auf unsere Wahrheits-Mitte noch lange nicht erlangt haben, so ist doch jeder Schritt auf dieses Ziel hin hilfreich dafür, wahrhaftiger und gleichzeitig losgelöster zu leben und unseren Erden-Mitbewohnern ein leichteres Leben zu ermöglichen.

Wer ruht, strahlt.

 *Ausschnitt eines Mandala-Bildes von Johannes Frischknecht.

 

 

Durchlässigkeit

Oft weise ich darauf hin, wie zum Beispiel im vorletzten Artikel «Bewegungsruhe», dass die meisten Menschen in sich Abwehr-Mechanismen gegen das einströmende Liebeslicht errichtet haben. Wir sondern uns vom Licht, das uns erschaffen hat, ab. Diesen Vorgang nennen wir auch Sünde, wodurch wir uns von dem abspalten und entfremden, was wir im Kern sind. Diese «Widersacher-Kräfte», so kann man auch die Angst besetzten Abwehrmechanismen nennen, sind meistens sowohl persönlicher, wie auch kollektiver Natur.

In Kontemplation oder Meditation können wir uns selbst über die Schultern schauen und unseren Prozess des Eintretens in unser Inneres beobachten.
Dann erkennen wir -ich denke damit rede ich für Viele-, dass wir uns, bildlich gesprochen, mit Gedankenfetzen bewerfen, manchmal geradezu froh darüber sind, dem beginnenden Liebes- und Lichtstrom, etwas gegenübersetzen zu können. Vielleicht beobachten wir, dass die Rastlosigkeit der Gedankensplitter und Erinnerungen gerade dann überhandnehmen, wenn das Herzenslicht heller und leuchtender zu werden beginnt. Es benötigt auch Mut, uns die gewalttätigen Aspekte in uns zuzugeben.

Wir kennen wohl auch die Erfahrung, dass es uns nicht gelingt, jenes innere Reden zu stoppen. Eventuell regen wir uns dann über uns selbst auf, wenn wir unfähig sind, dieses innere Gerede anzuhalten.

Ja, es ist schon auch traurig, wenn wir sehen, wie gross unsere Scheu vor dem inneren Licht und der inneren Liebe ist. Wir selbst stehen uns vor dem Licht – immer wieder. –
Nun, was hilft?

Mir persönlich hilft es, wenn ich mir meine Schwächen, meine Ängste und die innere Unruhe, die oft die Folge der Ängste sind, eingestehe und mir selbst zugebe, dass ich nicht immer in der Lage bin, sie zu stoppen. Es ist mir gewiss -und wie oft habe ich es auch erfahren- dass die göttliche Liebe es mit mir durchwegs gut meint und mich nie eingeengt oder mich bedrängt und vereinnahmt hat. Nie! Und doch sind offenbar alte persönliche, familiäre und kollektive Ängste mit einer Zähigkeit am Werk, die ich kaum für möglich halte.

Das Eingeständnis, dass es so ist, aber auch die Reue darüber, dass ich nicht immer mit der nötigen Geduld meinen inneren Widerständen und Schwächen begegne, hilft mir, mich zu öffnen. Bewusst stelle ich meine Fehler, Mängel und Widersprüche ins Licht der Liebe und befreie mich so, mindestens ansatzweise von ihrer Hartnäckigkeit. Indem ich sie ins Licht halte, entbinde ich mich von ihrer Herrschaft.

Dieser innere Schritt erlebe ich als sehr hilfreich, ja heilend. Mit ihm beginnt die Öffnung und die Wandlung.

Nun ist Geduld wichtig, die Bereitschaft, der göttlichen Antwort Raum zu geben. Die Antwort kann darin bestehen, dass der sich hingebende Mensch eingekleidet wird in einen Lichtmantel, gewoben aus Milde, Barmherzigkeit und Wärme. Dieses Lichtkleid durchstrahlt unsere Seele, löst auf, was verknotet ist, befreit, lockert. Der Charakterpanzer schmilzt oder zerstäubt. Gleichzeitig wird der im Wesen ruhende Lichtkörper des Menschen wieder aktiviert und verlebendigt.

Also: Die Milde und Barmherzigkeit, die über uns gelegt wird, belebt den Lichtkörper.

Nun kann es geschehen, dass uns die sanfte Kraft zufliesst, die uns in Beziehung kommen lässt mit der strahlenden Liebe, Bewusstseinskraft, Seligkeit und Schönheit, die den Lebensgrund bilden, auf dem unsere Existenz sich vollzieht und die uns zudem erhebt.

Diese Augenblicke, wo wir uns frei fühlen, uns vom Geschenkten durchströmen und durchscheinen zu lassen, sind unvergesslich. Sie lassen uns erfahren, was Aufgehoben-sein meint. Der transparente Mensch, in welchem Freude aufsteigt, reflektiert den Glanz jener mysteriösen Präsenz, die ihn nun durchströmt und durchscheint. Dieser Glanz ist manchmal auch in seinen Augen zu erkennen, wie dies bei Verliebten oft auch der Fall ist.

Im Moment dieser Erkenntnis öffnet sich auch die Wahrnehmung dafür, dass alles, die werdende, wie auch die sterbende Welt, wie auch die noch nicht entfaltende Potentialität von ewiger, bedingungsloser Liebe durchwirkt ist.

Im Grunde, in der ursprünglichen, natürlichen Verfassung, ist alles Leben miteinander verbunden und dementsprechend durchlässig, vom Geist durchatmet. Zunehmendes Vertrauen mündet in Intimität, führt in den Raum der Übergabe, wo es keine Trennung gibt.

Selbst die noch verbliebenen Abwehrmechanismen, wie auch die noch tätigen Ego-Muster werden, wie das innere Herzens-Auge erkennen kann, von Gnade durchflutet, wodurch sie ihre Dominanz und Prägekraft verlieren.

Selbst unsere Schwächen, Fehler und Barrieren werden nun durchlichtet und wir sehen: Es gibt nichts, ausserhalb des göttlichen Lichts. Nichts, das definitiv ausgeschieden, abgespalten wäre. Alles ist vereint, eins in der all-umfassenden Liebe.

Diese Erfahrung legt den Grund zur Heilung der so gefährdeten Welt, in der wir leben.

Manches in diesem Artikel mag auch an Ostern erinnern. Das Eingeständnis und die Reue erinnern an den Karfreitag und an die Bitte um Erbarmen: Kyrie eleison, die alles durchscheinende Präsenz, die Vergebung und die aufgehende Sonne an die Auferstehung.

Der gewandelte Blick

Dieser Beitrag knüpft an die letzten beiden Blog-Beiträge an: «Umkehr der Perspektive» und «Metamorphose». Der folgende Artikel mag besser verstanden werden nach nochmaligem Durchlesen der erwähnten, vorangegangenen Artikel.
Es geht bei allen Beiträgen um das unvoreingenommene Erkennen der REALITÄT. Das hilft uns, die abgeflachte «Wirklichkeit» unseres globalen Alltags-Bewusstsein schärfer zu sehen, was auch schmerzhaft sein kann. Dieser Schmerz ist Teil des Wandlungsprozesses.

Der gewandelte, liebevolle Blick ist Teil des Prozesses und Ausdruck der Transformation des Menschen in ein sehendes Wesen, welches begonnen hat DIE RAEALITÄT wahrzunehmen.

Das gängige globale, gesellschaftliche Bewusstsein der Welt ist getrübt, illusionär, verzerrt.

Die Wahrnehmung des Menschen auf sich und die Mitwelt erlebe ich als sehr reduziert, verengt auf das Nützliche, Funktionale und Verwertbare der Lebewesen, des Lebens überhaupt. Dieser Blick ist sehr verengt. Das Bewusstsein ist nicht nur getrübt; es trägt auch wahnhafte Züge.

Und das Wahnhafte besteht eben darin, das Leben zu reduzieren auf seine materielle Verwertbarkeit – bei Verdrängung und Verleugnung dieser extremen Verengung des Blickes.

Öffnet sich das Herz und das Auge des Herzens (vielleicht nach Jahren der Einschnürung), so zeigt sich die REALITÄT, oder die Wirklichkeit. Der Mensch beginnt die Welt wirklich zu sehen. Er erkennt und spürt die Welt, das Geschaffene und das Schaffende in seiner Tiefe, in Wahrheit und reiner Wirklichkeit und Schönheit. Der Mensch ist nun auf dem Pfad der Erleuchtung. Er trinkt jetzt aus der Quelle.

Wer sich in seine seelische Wirklichkeit einlässt, erlebt  in der Regel die starke Erfahrung der Erweiterung und der Ausdehnung seines Bewusstseins und seiner Sicht auf DIE REALITÄT und wird gleichzeitig überrascht, von der fast unglaublichen Klarheit seines Blickes auf das Leben, das sich ihm nun in zunehmender Verfeinerung und Zartheit zu erkennen gibt.
Gleichzeitig mit der Verfeinerung der Betrachtung, wird die Wahrnehmung gereinigt und geklärt, wodurch die allem innewohnende Schönheit erscheint.

Die Verfeinerung des Schauens lässt uns also die Schönheit sehen, die allem innewohnt.

«Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.»
1. Kor. 13,12

Das Erkennen DER REALITÄT: Das Fühlen, Spüren und Erkennen einer allumfassenden, substantiellen Anwesenheit, die auf eine bestimmte Art körperlich empfunden wird, so wie der Geliebte oder die Geliebte, nach langer Reise in die Arme genommen werden darf, ist eben das, was ich als REALITÄT oder Wirklichkeit bezeichne. Es ist Leben pur. Anwesenheit.
Nicht im Entfernten vergleichbar mit dem Flachland der eingetrübten, reduzierten Alltags-Wirklichkeit.

Ein Bekannter erzählte mir, dass er gerne Waldspaziergänge mache, manchmal werde er sich nach solchen Spaziergängen gewahr, dass er gar nicht im Wald gewesen sei, sondern in seinem Kopf.

Die REALITÄT ist durchschienenes Da-Sein, Leben, das von innen her leuchtet.
Im gewandelten Blick erscheint die Wahrheit,
erscheint das Kind, das seine Augen öffnet.
Es ist das Erwachen in einer höheren Bewusstsein-Sphäre, in welcher der Herzschlag wieder hörbar geworden ist. Durchpulste Wirklichkeit.

Wenn das Herz sich öffnet, geschieht Wandel (Metamorphose), wie auch umgekehrt: Stellt sich der Wandlungs-Impuls ein, so öffnet sich das Herz und dieses öffnet sich im Gleichklang mit der Verfeinerung der Wahrnehmung, welche nun die Schönheit, die in allem west, hervorzaubert. –
Während im raum-zeitlichen Bewusstsein alles hintereinander oder nebeneinander erscheint, zeigen sich auf höherer Ebene, im Einheits-Bewusstsein, die Vorgänge und Ereignisse als ein Miteinander, als ein Zusammenspiel verschiedener Entwicklungsvorgänge im gegenwärtigen Moment. So erleben wir es manchmal in der Musik: Verschiedene Stimmen oder Melodie-Linien umtanzen und umspielen sich, verbleiben in ihrer Individualität, aber bilden zusammen ein umfassendes, symphonisches Ganzes.

Im Blick, der sich erneuert und ausweitet, wandeln wir uns und die Welt*, in der wir leben.
Der Blick öffnet sich, wenn der Mensch in Hingabe und Mitgefühl in seine Seele blickt. Bis auf den Seelengrund. Dort findet er sich.

***

Die Schauenden geben sich die Hände im Wissen um ihre Gemeinschaft. Ihre Blicke strahlen. Diese Gemeinschaft im Geiste bildet sich nun. Ihre Mitglieder erkennen sich in der Wachheit ihrer lichten Augen und in der gemeinsamen Aufgabe, das Licht in die Welt zu senden. In der neuen, umfassenden Art ihres Schauens, entsteht die Realität, die Wahrheit und Wirklichkeit, die in ihre schaffenden Hände strömt und in die, welche sich dem Licht geöffnet haben.

 


*Mensch und Erde sind miteinander eng verbunden: Wandelt sich der Mensch, dann wandelt sich auch die Erde, ihre Seele (die Welt-Seele) inbegriffen.

Umkehr der Perspektive

Die aussen orientierte Lebensweise

Die Energie, die von mir in die Welt einwirkt, z.B. indem ich kommuniziere, mich politisch, künstlerisch oder wie auch immer ausdrücke, ist der Fokus, auf den ich mich ausrichte. Jedenfalls war das bei mir lange so.

Ich bin, was ich tue, leiste, hervorbringe. Es gibt kein Zweifel darüber, dass aktives, engagiertes und kreatives Tun erfüllend ist. Die einseitige Fixierung aber auf das von mir Ausgehende, also auf meine Aktionen, bewirken, dass ich früher oder später in einen Zustand der Erschöpfung falle.
Der arbeitende, leistungsbetonte, nach aussen gerichtete Mensch, der sich mit seinem Tun identifiziert, bis hin zur Selbst-Ausbeutung, ist oft gefangen in der Einseitigkeit dieser doch eher männlichen Sichtweise des In-der-Welt-seins.

Das uns Zufliessende

Sind wir Menschen also damit beschäftigt, uns zu beobachten, wie wir uns in der Welt darstellen, was uns, so denken wir, Bedeutsamkeit verleiht, so verkennen und unterschätzen wir jenen uns zufliessenden Energiestrom*, der uns die Lebenskraft gibt, produktiv, hilfreich und aufbauend in die Welt zu gehen, unseren Lebensweg zu erspüren, der nach vorne ausgerichtet ist.
Durch die einseitige Ausrichtung unserer Aufmerksamkeit nach aussen und vorne, verkümmert das uns Zufliessende, weil wir es kaum beachten und somit bleiben wir seelisch unterernährt.

Alle Lebewesen, Menschen, Tiere, Pflanzen sind in der Lage, uns auf ihre Weise wahrzunehmen. Wir werden gesehen, gehört, gerochen oder sonst in einer uns unbekannten Weise wahrgenommen. Wenn wir spüren und erfahren, dass Interesse, Zuneigung, usw. uns entgegen fliesst, werden wir dadurch genährt, wie auch die Lebewesen, die von uns freundlich wahrgenommen werden. Das gilt auch für die unsichtbaren Wesenheiten.

Wenn ich achtsam sehe und höre gebe ich den Wesen, die mir begegnen möchten, Raum, Lebensraum, wodurch sie mir ihre Seins-Qualitäten mitteilen können und sich darüber womöglich erfreuen. Welch ein Reichtum!

Der Zustand des Empfangens in der Kontemplation

In Kontemplation wirkt im Menschen oft der Archetypus des Pilgers auf dem Weg, der auf den Berggipfel führt oder an einen sehr stillen Ort in der Wüste. Wir gehen, so in unserer Vorstellung, achtsam und bewusst Schritt für Schritt unseren Weg dem Licht zu.
Dies ist ein schönes kraftvolles und hilfreiches Bild.
Haben wir die Perspektive gewechselt – und manchmal ist die Zeit dafür gekommen- so bleiben wir am Ort, an dem wir sind und empfangen die Kräfte, die den Weg zu uns finden möchten.
Das Bild hierfür: Wir sind ein empfangender Kelche oder eine weit geöffnete Schale, ganz offen, hingebend im Vertrauen darauf, dass das Licht und die göttliche Präsenz uns finden, die Strahlen unser Herz erreichen, welches sich mehr und mehr weitet. Dabei ist es wichtig, dass wir dem, was zu uns möchte, bewusst und vertrauensvoll Raum geben.
Dabei erfahren wir möglicherweise, dass wir gesehen, gehört, geliebt und erkannt werden. Wir erfahren auch, falls wir ganz offen und zugänglich sind, dass uns genau das gegeben wird, was wir in diesem Augenblick benötigen: «Unser tägliches Brot gib uns heute“, was auch Einsicht bedeutet – jene Einsicht, die uns jetzt dienlich ist.

Als Kontemplierender bin ich nun bereit mich bis in die Tiefe meiner Seele anschauen zu lassen. Ich übergebe mich dem gebenden, strahlenden, Leben erzeugenden Auge Gottes und ich lasse mich erkennen in meiner Totalität, in meiner Ganzheit und Wesenhaftigkeit.

Dieses Erschauen und Erkannt-werden ermöglicht es mir nun, mich selbst in meiner ganzen Wirklichkeit zu erkennen. Ich erkenne mich nun so, wie ich erkannt worden bin. Ich fange an, mich derart uneingeschränkt lieben zu lernen, wie ich nun weiss, dass ich geliebt bin.

Das Erleben, gesehen und geliebt zu werden wie ich bin, ist wunderbar – und in diesem «wunderbar» sind alle erhabenen und freudvollen Gefühle enthalten, die man sich nur denken kann – wirklich ausdrückbar, mit Worten, ist dieses Erleben nicht.

Also: Zuerst lasse ich das, was mich heilt, in mich einfliessen und in Dankbarkeit empfangen.
Danach integriere ich behutsam das, was mir hinzugeströmt ist und gebe es an mich und an die Mitwelt weiter, wechsle nun in den aktiven Modus.
Warum ist es gut, die Gaben in Dankbarkeit zu empfangen? Durch Dankbarkeit intensiviert sich das Empfangene. Zudem: Dankbarkeit bewirkt, dass der Empfänger ganz im Hier und Jetzt verankert bleibt. Wahre Dankbarkeit ist weder in der Vergangenheit, noch in der Zukunft zu erleben (was übrigens leicht ausprobiert und erfahren werden kann).

In Bezug auf Gott sind wir Menschen (Frauen wie Männer) primär weiblich-empfangende Wesen. Deshalb ist es auch wichtig, den Einen auch als die Eine zu erkennen.

Entwickeln wir den Mut, uns in Fülle geben zu lassen vom Geber, der Geberin allen Lebens.

Viele Menschen, die ich kenne, verspüren den Impuls, die zufliessende Kraft und Gnade zu begrenzen, weil sie sich nicht als würdig erachten, die Flut der Liebe und Güte in ihrer Fülle anzunehmen. Sie stoppen die einfliessende Kraft, weil sie glauben, soviel Liebe nicht verdient zu haben oder weil sie Angst haben, ihre Kontrolle zu verlieren über die machtvolle Wirklichkeit, die sich ihnen naht.
Deshalb wählte ich das Wort Mut. Hingabe an das, was einwirkt, braucht einerseits Mut und andererseits so etwas wie Übung und die Bereitschaft, über den Rahmen, den wir uns gesetzt haben, hinaus zu wachsen und ihn damit (das Ego) zu sprengen, den wir mit unserem Kontroll-Bedürfnis gesetzt haben.

Seit Jahren meditiere ich meistens im Modus des Empfangens und bin bemüht, mich dem Wandlungs- und Liebes-Geschehen der unendlichen Schöpferkraft zu übergeben.
Ich lasse mich also einfach anschauen bis auf den Grund meiner Seele und beachte fein, was mit mir geschieht. Die Meditation/Kontemplation selbst hat mich dahin geführt, mich auf diese Weise mit der Liebe und dem daraus hervorgehenden Leben zu verbinden.

ICH BIN, WAS MIR ENTGEGEN KOMMT.
ICH BIN, WAS MIR AUS DER TIEFE MEINER SEELE ENTGEN KOMMT.

* Der uns zufliessende Lebensstrom kann von innen oder von aussen zu uns gelangen.

Ein Funke reinen Lebens

«Die unverfälschte Substanz unseres Wesens ist Liebe. Wir sind ontologisch Liebe. Und auch Gott ist wie ein einziger Liebesschrei, eine unendliche Leidenschaft und ein unendlicher Durst nach Liebe. Unsere einzige Daseinsberechtigung ist diese Liebe.»
Ernesto Cardenal

Je länger ich mein Interesse auf meine Seele richte und mich auf ihren Kern, den Seelen-Kern, konzentriere, desto deutlicher kristallisiert sich mir das menschliche Wesen heraus in seiner Würde, Grossartigkeit und unendlicher Weite.

Unser wahres Wesen, welches gleichsam unter der aussen gerichteten Persönlichkeit, halb verborgen, existiert, ist reines Leben, aus Liebe hervorgehend – und diese Liebe drückt sich in einer Schönheit aus, die unsere äusseren Augen nicht wahrnehmen kann. Diese Tatsache zu erleben, wirft uns aus dem Rahmen, den wir uns ausgesucht haben, in eine Ekstase ausserhalb dieses Rahmens und in ein Entzücken, das der Verstand weder auffassen, noch wiedergeben kann. Hier ist alles belebt bis in jeden Winkel unserer Person. Es ist flammendes Sein in Freude und Begeisterung.

Unser Wesen ist in Ausdehnung begriffen. Sein «Flug» führt uns durch unzählige Dimensionen des Seins bis hin zum grossen Geheimnis des Nicht-Wissens.

So etwa, ganz in Kürze, sei meine Erfahrung angetönt, für die ich mehr als gerne lebe.

Im Gegensatz dazu fühlt sich mein Alltags-Ich, welches klein ist und meine kleine Persönlichkeit widerspiegelt, flach an, bestimmt von eingewöhnten Mechanismen und Gewohnheiten, aber auch von äussern Reizen und engen gesellschaftlichen Konventionen und Strukturen.

Ich vermute, dass die Menschheit als Ganzes, Ausnahmen bestehen natürlich, ermattet ist. Sie ist aus der Einheit gefallen in ein tiefes, erniedrigtes Bewusstsein, in einen Zustand der Selbst-Vergessenheit und der Selbst-Verlorenheit. Es gibt ja sehr viele Menschen, die sagen: «Ich funktioniere nur noch, lebe nicht wirklich. Ich bin erschöpft.» Diese viel gehörte Aussage zeigt deutlich das verflachte, ermattete, maschinenartige Lebensgefühl zahlreicher Menschen an. Und alle wissen, dass Zerstreuung höchstens kurzfristig dagegen hilft. Jetzt, während der Kontaktarmut in der Corona-Krise verbreitet sich dieses sub-depressive Lebensgefühl hinter Mauern von Anpassung und Ängstlichkeit.

Viele Menschen kennen diesen Zwiespalt zwischen dem grossen, erwachten, strahlenden Selbst und ihrem abgeflachten Dasein, welches sich in den eigenen Schatten eingehüllt hat, um sich vor dem Licht zu verstecken, dass ja tief innen so ersehnt wird.

Der himmlische Mensch lebt im Exil.
Es ist von Gutem diese beiden Lebens-Wirklichkeit als Tatsache anzuerkennen und keine dieser geschilderten Anteile weg zu reden oder zu verdrängen.
Spirituelle Kraft heisst auch, diese Zweiseitigkeit, diesen harten Kontrast auszuhalten, wie auch das Leiden, welches dadurch erzeugt wird.
Dadurch wird es möglich eine Brücke zu bauen, zwischen diesen beiden Welten, wobei einzuwenden wäre, dass es nur eine übergreifende Wirklichkeit gibt: Die leuchtende, göttliche (absolute) Wirklichkeit bedingungsloser Liebe, während die Schattenwelt (die relative Welt) deshalb existiert, weil wir uns selbst vor dem Licht stehen, bedingt durch alle unsere Ängste und Verletzungen in dieser manchmal recht harten und grausamen Welt. Deshalb ist es nicht nötig, uns Vorwürfe zu machen, wenn wir oft lichtscheu durch die Welt gehen.

Was aber hilf, ist Verständnis.

Gelingt uns der Brückenbau, dann wird es uns möglich sein, Licht über die Brücke zu «tragen», von der lichten Seite her in die verdunkelte Nacht-Seite, ins Exil.

Wie aber finden wir Boden in der Wirklichkeit unserer Wesenheit, mit anderen Worten, wie vertiefen wir unsere Beziehung zum inneren Menschen, der erkannt werden möchte?

Wer schon einmal in den Raum des wahren inneren Menschen (unserem wahren Wesen) hat blicken dürfen, wird diese Ein-Sicht nie mehr vergessen, wird den Glanz dieses Raumes verinnerlicht haben und sein Sehnen, in diesen Raum ganz eintreten zu können, bleibt in der Regel erhalten. Unsere Seele, ein Speicher des Wissens, lässt sich befragen, in welcher Weise es uns möglich ist, unsere «Heimatland» zu betreten. Sie wird uns auf den Weg, zu uns selbst weisen, wenn wir gelernt haben, unseren inneren Meister, unsere innere Meisterin nach unserem Weg zu befragen. Viele alte Weisheits-Traditionen stehen uns zusätzlich zur Verfügung. Sie weisen uns auf bewährte Eckpunkte des höheren Wissens hin, die uns zusätzlich helfen, den Weg nach innen zu unserer Wesenheit zu finden.

Jedenfalls braucht es eine spirituelle Alltags-Praxis, die uns hilft, uns dem Sog unserer Ego-Dominanz zu entziehen und uns auf das innere, göttliche Licht auszurichten.

Für mich jedenfalls ist die Hingabe an das, was jenseits dessen ist, was ich im Griff zu haben meine, von grosser Bedeutung, das Interesse an all den Dimensionen, die ausserhalb meines abgegrenzten Rahmens mir zu lächeln. Ich habe auch gelernt, jene inneren Erfahrungen, die mich ausweiten und beglücken, ernst zu nehmen, sie zu schätzen und nicht abzuwerten.

Würde ich mich nur an die Gegebenheiten meiner konditionierten Persönlichkeit halten und an die entsprechenden gesellschaftlichen Gegebenheiten und Normen -oh du meine Güte! – wie schrecklich langweilig und bedrückend ist diese Vorstellung. – Seit langer Zeit fühle ich Gewissheit darüber, dass diese Welt der Erlösung und Bewusstwerdung bedarf, weil sie der Erschöpfung nahe ist, durch die Ausbeutung durch uns Menschen. Und wir beuten ersatzhaft uns selbst und die Erde aus, weil wir die Beziehung zu unserem wahren Seelen-Wesen, dem inneren Lichtmenschen vernachlässigt haben und dadurch unterernährt sind.

Wenn ich vom Lichtmenschen spreche, dann meine ich das exakt im Wortsinn. Wer geduldig in seinem Leben regelmässig nach innen geschaut hat, über Jahre hinweg, wird vielleicht ab und zu die Quelle des Lichtes in sich erspürt und gesehen haben – oder doch ein Funke reinen Lebens.

Ein Funke reinen Lebens kann genügen, um unser Leben von Herzen zu leben.

 

Der fragile Mensch

«Die Rükkehr zum Anfang wird immer feiner –
Zärtlichkeit über der Quelle.
Netze deine Stirn über dem Wasser.»

Aus einem Gedicht von WB

Ich erlebe den Menschen als verletzt und verletzlich. Er ist eine physiologische Früh-Geburt. Nach seiner körperlichen Geburt, ist er, im Gegensatz zu den Tieren, nicht fähig zu stehen und zu gehen. Er lebt während seiner Säuglingszeit in einem sozialen Uterus. Er muss nun möglichst oft am Körper getragen werden, braucht unendlich viel Nähe und Zärtlichkeit, körperliche und emotionale Wärme und Aufmerksamkeit, damit er Ur-Geborgenheit tanken und sich in späteren Jahren gut entwickeln kann. Er benötigt etwa zwanzig Jahre, bis er als selbstständig gelten kann und in der Lage ist, für sich selbst zu sorgen – eine lange Zeit, etwa eine Viertel seiner Lebenszeit. Schon kürzere Trennungen (ein paar Tage) zwischen Eltern und Kind verursachen im Kleinkind-Alter seelischen Trennungsschmerz, der nicht leicht verarbeitet werden kann.

Der Mensch ist ein überaus komplexes, differenziertes, hoch entwickeltes Wesen, bewusstseinsfähig, feinfühlig, welches, vor allem in der Kindheit, einfühlsam begleitet sein will, damit es Wurzeln bilden und sich erden kann.

So fein der Mensch auch ist, er ist auch irritierbar, verführbar und ablenkbar. Seit Jahrhunderten wird er in eine Welt geboren, die fast pausenlos durch Kriege zerrüttet wird, in einer Welt, in der sehr Viele an Hunger leiden oder auf der Flucht verelenden.

Der Mensch ist im Allgemeinen traumatisiert und brutalisiert durch unzählige verletzende und grausame Eingriffe in seine Integrität. Hauptverantwortlich für diese Entwicklung sind, gesellschaftlich gesehen, primär das Patriarchat, welches für die Unterdrückung der Frau und des Weiblichen verantwortlich ist und seit ca. zweihundert Jahren der immer rücksichtsloser funktionierende Kapitalismus, welcher die Rendite über das Menschenwohl stellt.

Der Mensch, der dazu neigt, sich mit dem Angreifer zu identifizieren, verinnerlichte die Härte, mit der er behandelt wurde und schuf somit eine Welt, die ihn selbst bedrohte. Da er Nähe oft als gefährlich erlebte, baute er Abwehrmechanismen gegen Nähe, Liebe und Zärtlichkeit auf und schuf sich eine kühle und funktionale Welt, die ihn selbst zum Frieren brachte – und bringt.
Eine Welt, die seiner zarten Wesenheit widerspricht!

Der Wärmebedürftige friert nun. Der Zartfühlende baut sich Türme aus Stahl und Beton, um sich darin einzuschliessen.

Die menschliche Gesellschaft ist krank geworden. Ihre Welt ist materiell, funktional. Die Menschen verordnen einander Distanz. Sie gehen auch in Distanz zu ihrer Seele, wodurch ihre physische Existenz, nun entseelt, auszudorren droht. Die Menschheit hat ihre Medizin verloren und vergessen. Seine Medizin trägt der Mensch in sich, zum Beispiel im Atem, in seiner Stimme, in seiner Fähigkeit, sich durch Bewegungen (Tanz) auszudrücken, und in seiner Empathie-Fähigkeit).
Weil er die Beziehung zu seiner Medizin teilweise vergessen und vernachlässigt hat, sucht er sie im aussen, etwa in pharmazeutischen Produkten.

Wir Menschen brauchen eine Kultur der Zärtlichkeit. Wir sind auf Zärtlichkeit aufgebaut. Sie ist unser Fundament. Wir sind Kinder des Zärtlichen. Zärtlichkeit ist unser Fluidum, der Duft, der uns stärkt, der unserer wahren Wesenheit entspricht. Das Aussen korrespondiere mit dem Innen. Oder: wie innen so auch aussen.

Wir brauchen eine Kultur des Zuhörens, wo einer dem Anderen zuhört und Anteil nimmt.
Eine Kultur auch, wo Menschen auf die Sprache der Natur und Mutter Erde lauschen.

Wir haben, um uns zu finden, zu lernen, auf unser Herz zu hören und das Gehörte umzusetzen. Dazu gehört es, uns auch von Konventionen zu befreien.

Nur so finden wir zu einem Miteinander.

Der Zuhörende ist unter uns. Es gibt ein Hörendes und Anteil-nehmendes in allem, was ist.

Hier ein Gedicht* von mir:

„Seine leise Gestalt

Jetzt ist der Hörende mitten unter uns
und wir fühlen seine flammenden Schatten,
die sein Vorbeigehen werfen,
die unsere Stirne kühlen
im Branden neuer Sternenwelten.

Nun tritt aus dem Kosmos lächelnd
seine leise Gestalt,
Sterne küssen seine Füsse.

Und wir sehen,
wenn der Sternenmantel sachte fällt
und wir die Augen schliessen,
sehen, was kein Auge je gesehen hat,
hören, was kein Ohr bisher vernahm,
fühlen, was sich unsere Seele
seit je ersehnte.»

 

*Werner Binder: Der Quelle zu, SEBIL-Verlag 2013.
bei mir zu bestellen. Fr. 10.–