Viele Menschen wissen oder ahnen, dass die Menschheit auf eine schiefe Ebene geraten ist, dass wir ins Schlingern geraten sind, dass wir, im schlimmsten Fall abgeworfen werden.
Viele fühlen, dass der Mensch mehr ist als eine materielle, körperliche Existenz.
In meinem Blog-Beitrag: «Die Unsichtbaren» (vom 17. Nov.18) schrieb ich:
„Weder das Rendite-Denken und die Ausrichtung auf die Gewinn-Maximierung, noch die neuen Technologien (so gut sie auch sein mögen, wenn sie mit Augenmaas angewendet werden, können uns in unsere Mitte führen. Diese beiden Mega-Trends tragen einen immensen Absolutheits-Anspruch in sich, den Viele -auch ich- als gewalttätig empfinden.
Diese beiden Trends sind daran sich zu einem einzigen zu verschmelzen: Der digitale, neo-liberale Super- oder Übermensch soll entstehen, der sich physisch und mit seinem Verstand mit künstlicher Intelligenz (Trans-Humanismus) verbinden will, bei gleichzeitiger Verleugnung seiner Seele. DER TREND ist dabei, sich in Gesellschaften, die den Erfolg und die weltweite Vorherrschaft anstreben, durchzusetzen. DER TREND saugt alles an sich, dringt in alle gesellschaftlichen Bereiche ein. Wie riesig muss doch die Selbst-Verachtung von Menschen sein, die sich ohne Scham als Konsumenten, Verbraucher, Selbst-Optimierer bezeichnen, als Personen, die damit beschäftigt sind, sich immer raffinierter zu inszenieren, um Erfolg und Ansehen zu haben. Ist es denn nicht eine Selbst-Beleidigung und Selbs-Entwertung, wenn sich Menschen als Kapitalisten sehen, deren Ziel Kapital-Akkumulation ist? Praktisch alle menschlichen Denk- und Handlungsbereiche sind okkupiert von ökonomischen Erwägungen und Sichtweisen, insbesondere vom Renditedenken. Bis tief in die Sprache und tief in die Psyche hinein. “
Die technisch-rationale Entwicklungslinie ist nur eine der vielen Entwicklungsstränge und darf die anderen nicht dominieren. Wir sind vielseitige, viel-dimensionale Wesen.
Viele erkennen, dass die technisch-rationale und digitale Vorherrschaft die ganzheitliche Entwicklung zum integralen und integrierten Menschen beschränkt und behindert. Nicht die Technik ist fragwürdig, aber ihre Dominanz. Nicht die Wirtschaft ist schlecht, aber ihre rücksichtlose Vorherrschaft.
Der technokratische Mensch, der sich nur noch innerhalb des Zugelassenen, des main-stream bewegt, abgeschnitten von all seinen anderen Dimensionen, der sich gezwungen fühlt, sein Glück nur noch innerhalb der rationalen, technisch-wirtschaftlichen Welt zu finden, was unmöglich ist, verkümmert. Er ist abgeschnitten von seiner Essenz, abgeschnitten von seiner Trauer, die ihn noch beleben könnte, sogar getrennt von seiner Verzweiflung. Er ist am Verhungern. – Nun da sind wir (noch) nicht.
Doch auf diese Verödung steuern wir hin und wir wissen das – irgendwie. Trauen wir unserer Wahrnehmung? Ist dieses Wissen um die Verwüstung tatsächlich ganz bei uns angekommen?
Lassen wir die natürliche Trauer über die Öde zu?
Acedia: Ekel, Langeweile, Trägheit, Mutlosigkeit, Mattigkeit, Widerwillen, Schwermut lähmt uns. Die Macht der Gewohnheit, unsere Trägheit, verhindert, dass wir unser Wissen umsetzen und unser wahres Wesen erkennen. Wir wissen, dass es eine destruktive Kraft in uns gibt, die uns lähmt.
Wir wissen es und sind doch (mindestens teilweise) resigniert. Oder löst sich die Lähmung?
Ich glaube: ja. Ich sehe Anzeichen dafür.
Die Übergangsphase, in der wir uns befinden -hin zu einem trans-rationalen, integralen Bewusstsein- kann nicht schmerzlos erfolgen. Der Schmerz will bewusst werden, will gelebt sein. Wie die Trauer. Sie bringen uns wieder in Kontakt zu den abgespaltenen, vergessenen Seiten des Lebens und helfen, die heute wieder zunehmend sich verhärtenden Fronten, wie sie weltpolitisch klar zu beobachten sind, aufzuweichen.
Das lebendige Bewegt-Sein unserer licht-durchlässigen Trauer (ja, die gibt es) kann die Entfremdung von unserem eigenen Leben und der eigenen Lebenskraft beenden. Diese weiche Trauer, die sich im Herzen bildet und Licht freisetzt, ist heilend. Dabei werden auch weibliche Qualitäten wiederbelebt. Transformation bleibt niemals im Kopf begrenzt! Es ist ein Abstieg in die Tiefe der Seele, die uns erhebt, damit wir Neues schaffen können.
Viele Menschen spüren, dass wir Menschen die Kraft der Liebe und der Heilung schwächen und nicht wagen, in Freiheit zu lieben und zu gestalten. Wir ahnen, dass wir uns behindern, festgehalten von starken, ur-alten Ängsten, welche die Entwicklung und Menschenwürde nicht zulassen wollen. Ich glaube, dass die Angst vor der LIEBE sehr mächtig ist, weil sie unser Ego tötet oder zumindest erschüttert. Und es ist nötig, dass wir uns erschüttern lassen, denn Berührung, Erschütterung, Ergriffenheit bewegt uns, wandelt. Lieber eine aufgeschreckte Seele, als eine abgekapselte!
Viele spüren, dass nur die Liebe und ihr Mut, die Intelligenz, die Weisheit auf dem Grund unseres Herzens uns helfen kann, uns von dieser dunklen Hypnose zu retten.
Lasst uns in das Gebet/Gedicht von Dietrich Bonhoeffer, kurz vor seiner Hinrichtung, einstimmen:
Von guten Mächten treu und still umgeben,
Behütet und getröstet wunderbar,
So will ich diese Tage mit euch leben
Und mit euch gehen in ein neues Jahr. Noch will das alte unsre Herzen quälen,
Noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach, Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
Das Heil, für das du uns geschaffen hast.
Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
Des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
So nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
Aus deiner guten und geliebten Hand.
Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
An dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
Dann wolln wir des Vergangenen gedenken
Und dann gehört dir unser Leben ganz.
Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
Die du in unsre Dunkelheit gebracht.
Führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
Wen sich die Stille nun tief um uns breitet,
So lass uns hören jenen vollen Klang
Der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
All deiner Kinder hohen Lobgesang.
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
Erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
Und ganz gewiss an jedem neuen Tag.