Eine Kultur der Zärtlichkeit Teil 2

Im ersten Teil dieses zweiteiligen Blog-Beitrages äusserte ich mich primär zu den psychologischen und erdnahen Aspekten der Zärtlichkeit. Im zweiten Teil betone ich die spirituelle Seite dieser Wachstumskraft und stelle einen Bezug zu Weihnachten her.

Im Kommentar zum letzten gleichnamigen Artikel machte mich Christoph Albrecht, SJ, auf eine Text-Passage von Kurt Marti* aufmerksam, die mich aufhorchen liess und zu einem fast hörbaren «Ja, so ist es» stiess.

Hier das Zitat:

„Die vollkommene Aufmerksamkeit
Worauf weisen die Begriffe Allgegenwart und Allwissenheit Gottes hin? Vielleicht auf jene universelle, vollkommene Aufmerksamkeit, wie sie altrussische Ikonen als „das nichtschlafende Auge Gottes“ dargestellt haben. Diese universelle, zugleich engagierte Aufmerksamkeit ist weder als Auge des Weltgesetzes noch als das eines „Kosmopolizisten“ (Jan Milič Lochmann), vielmehr als vollendete Zärtlichkeit zu denken: Zärtlichkeit als intensivste Form der Aufmerksamkeit.“

Das leuchtet mir ein; es entspricht meiner inneren Erfahrung: Die Zärtlichkeit als intensivste Form der Aufmerksamkeit.
Ich erfahre Zärtlichkeit auch als eine Schicht der all-gegenwärtigen, universellen Barmherzigkeit.
In der Sphäre der Zärtlichkeit wirkt Trost und Heilung.

Wenn wir uns – zum Beispiel in einer Meditation/Kontemplation – betrachten lassen, so nehmen wir wahr, dass das göttliche Lichtauge, das ev. an eine Sonne erinnert, uns schaut und erschaut, vollkommen zärtlich, liebevoll und tröstlich. So wird es auch in vielen Berichten von Nahtod-Erfahrungen gesagt (die sich manchmal tiefen mediativen-kontemplativen Erfahrungen sehr ähnlich sind), dass eine Lichtwesenheit mit der betreffenden Person in einen Herzens-Dialog eintritt, indem sich die Betroffene oder der Betroffene völlig aufgehoben und geliebt fühlt. Es ist zärtliches Licht, das auch an das Lächeln von Buddha erinnert.
Die Begegnung mit Licht-Wesen verdichtet sich manchmal zu der Frage hin: Bin ich es selbst, der mir begegnet, also mein inneres Licht-Wesen, das in mir angelegt ist?

Dieses zärtliche Licht, so will ich es nun nennen, ist vollendete Aufmerksamkeit, vollendete Präsenz und Zugewandtheit. Es ist erfahrbar, dass es ein Zuhörendes und Anteilnehmendes in allem gibt, was ist.

Sie ist, wie im ersten Artikel schon gesagt, der Boden auf dem wir stehen und die Atmosphäre in der wir wachsen und gedeihen und uns beheimatet fühlen.

Es ist bemerkenswert, dass in kirchlichen und theologischen Kreisen eher selten von Zärtlichkeit gesprochen wird und ich frage mich, warum das so ist. Ist es vielleicht die patriarchalische Prägung dieser Kreise?

Weit öfter findet im Bereich der Mystik die Erfahrung von Zärtlichkeit Ausdruck, so etwa bei Johannes vom Kreuz. Ich zitiere hier zwei Strophen seines wunderbaren Gedichtes aus die Lebendige Liebesflamme **:

„O Flamme, von Liebe lebendig,
die du zärtlich verwundest
meine Seele in tiefster Mitte!
Da du nicht mehr quälend bist,
komm schon ans End‘, wenn’s dir gefällt;
zerreiss den Schleier zur süssen Begegnung!

Wie sanft und liebkosend
erwachst du in meinem Schoss,
wo du allein insgeheim wohnest!
Und in deinem köstlichen Hauch
von Gutem und Herrlichkeit voll,
wie zartkosend machst du mich verliebt!“

Dies ist eine Beschreibung der mystischen Weihnachten.

Zärtlichkeit ist sowohl ein Bewusstseins-Zustand, wie auch ein Gefühl und ein wundervoller Ausfluss bedingungsloser LIEBE.
Die Erfahrung von reiner Zärtlichkeit ist Grund-legend. Sie hat nichts zu tun mit falscher, sentimentaler Süsse, kitschiger Peinlichkeit oder einer hübschen Fassade.

Sie ist Ausdruck einer umfassenden Intimität, die durch Empathie und Nähe entsteht, in einem non-dualen Dialog, der die Einheit allen Lebens atmet.

*

Zärtlichkeit ist erstens eine fundamentale Kraft, die uns Menschen erdet, sowohl in unserm Körper, wie auch auf Mutter Erde. Sie ist die Kraft, die uns hier wachsen lässt, mütterliches Fluidum;

und zweitens: sie ist ebenso die Kraft, die uns mit der geistigen Welt verbindet, die uns zu Anteilnehmenden und Zugehörigen werden lässt,

und drittens ist Zärtlichkeit die Kraft, die eine Brücke bildet zwischen der Erden-Welt und der Geist-Welt, aus der wir kommen und wohin wir gehen.
Sie verbindet Himmel und Erde, die physische Welt mit der geistigen Welt.

Die Kraft der Zärtlichkeit wirkt all-gegenwärtig im Universum, wie auch auf Erden. Hier aber ist sie bedeckt von einer verwundeten und zum Teil abgestorbenen Oberfläche. Die darunter liegende Zärtlichkeit und die damit verbundene Heilkraft können wir bewusst einatmend befreien und sie ausatmend einer werdenden Kultur zärtlichen Erdenlebens zukommen lassen.
Dies ist wohl die wahre Weise, Weihnachten zu feiern.

 

*Kurt Marti, Zärtlichkeit und Schmerz, Darmstadt 81. Vergriffen.
**Johannes vom Kreuz:  Die lebendige Liebesflamme, Herder TB 5049

 

 

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