Eine Kultur der Zärtlichkeit

«Zärtlichkeit, die friedliche, willkommene Grenzüberschreitung hinüber zum Du, steht als Prinzip der Bejahung, der Berührung und Vereinigung gegen das Prinzip der Verneinung, Abkapselung, Vernichtung.»                                        August E. Hohler

These: Zärtlichkeit ist das Fundament der Menschheit.
Der Mensch ist ein hoch-komplexes, fragiles, aber auch geschwächtes Geschöpf. Er gedeiht in einem Netz nährender, zärtlicher Beziehungen und Kontakte.

Wenn man mich fragen würde, welche Synonyme für mich treffend den Begriff Spiritualität erklären und veranschaulichen würden, so würde ich folgende Worte nennen:

Berührung   –   Bewusstheit   –   Zärtlichkeit.

Berührung:     Initiation, Lebens-Ur-Impuls, Erweckung, Vermittlung, Seins-Übertragung
Bewusstheit:  Gewahrsein des göttlichen Geistes, Reflexionsvermögen, Kontemplation
Zärtlichkeit:    Achtsamkeit, Empathie, Seligkeit, Seele, Heiliger Geist, das Lamm, LIEBE

Dieser Blog-Beitrag handelt von der Bedeutung der Zärtlichkeit im Leben des Menschen, bzw. der Menschheit.

Man hat herausgefunden, dass Haut und Gehirn aus der gleichen fötalen Bindegewebsschicht stammen, dem sogenannten primären Ektoderm. Aus dem ektodermen Keimblatt bilden sich: die Haut, das Nervensystem und die Sinnesorgane. Also diese drei wachsen und differenzieren sich aus dem Keimblatt (dem primären Ektoderm)

Es ist nun leicht einzusehen, dass bei der Entstehung des Embryos und damit des Menschen, Zärtlichkeit die Entwicklung der Haut, des Nervensystems, des Gehirns und der Sinnesorgane unterstützt und fördert und es kann vermutet werden, dass die Zärtlichkeit der Eltern bei der Zeugung des Kindes und danach während der ganzen Schwangerschaft die Bildung des Embryos positiv beeinflusst, genauso wie der Hautkontakt mit dem Neugeborenen später zentral ist für seine menschliche Entwicklung.

Wenn also Haut, Nerven und Sinnesorgane aus einem Gemeinsamem entstanden sind, so ist es leicht nachzuvollziehen, dass es durch Zärtlichkeit nicht nur der Haut, sondern auch den Nerven und Sinnessorganen gut gehen wird.

Hier möchte ich einfügen, dass für mich Zärtlichkeit zwei zentrale Aspekte umfasst:
Erstens: Intimität, taktile Hautkontakte wie Streicheln, Liebkosen, Umarmen, Küssen.
Zweitens: Eine zärtliche zwischenmenschliche Atmosphäre, ein emphatisches, feines Klima.

Beide Aspekte zusammen ergeben für mich die Bedeutung von Zärtlichkeit.

Nach dem der Mensch geboren ist, den mütterlichen Uterus verlassen hat, wechselt er über in die sozial-emotionale Gebärmutter. Er ist eine physiologische Früh-Geburt (Adolf Portmann). Anders als Säugetiere, die kurz nach ihrer Geburt gehen können, ist der menschliche Säugling noch unbeholfen, völlig auf Pflege, Betreuung und Umsorgung angewiesen.
Insbesondere aber auf Zärtlichkeit. Auf dem Boden der Zärtlichkeit reift er, wächst er, gedeiht er. Seine Intelligenz, insbesondere die emotionale Intelligenz, entwickelt sich zu einem grossen Teil durch Hautkontakte:

In einer Atmosphäre der Zärtlichkeit und des Getragen-seins entwickelt sich beim Säugling und beim Klein-Kind Urvertrauen. Ur-Vertrauen ist der Vertrauens-Boden, auf dem der Mensch steht und handelt. Konnte sich dieser Boden von Vertrauen nicht oder nur minimal bilden, spricht man von Ur-Misstrauen. Ohne Ur-Vertrauen fällt es Menschen sehr schwer, stabile und vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen und zu halten. Sie neigen dazu, sich zu isolieren oder sich mit Gewalt das zu holen, was sie brauchen.

Zärtlichkeit erdet! In einem Raum der Zärtlichkeit kann der Mensch ganz inkarnieren. Fehlt diese Basis wird der Mensch nur teilweise inkarnieren können. Die Erde kann nur mittels ganz Inkarnierten zu ihrer ganzen Wesenskraft finden. Lesen wir Jochen Kirchhoff („Was die Erde will“):

„Mir scheint es durchaus plausibel und sei es auch nur metaphorisch, von einer kosmischen Geburt von Erde und Erdenmenschheit zu reden. Vielleicht bedarf es einer kosmischen Geburt, damit die Erde zur ERDE transmutiert, die sie andererseits schon immer war. Die Erde muss das werden, was sie ist, und zwar unter Mithilfe des Menschen…Die Erde braucht den integralen Menschen, um ganz Erde (ERDE) zu sein… Der zu sich selbst gekommene Mensch ist die Erfüllung der Erde.“ (S. 263 und 372)

Zärtlichkeit hat sehr viel mit Erdung und der Bildung von Boden, im Sinne von Fundament zu tun. Vertrauen, durch Zärtlichkeit gewachsen, bildet der Boden, auf dem der Mensch lebt und handelt. Obwohl Zärtlichkeit beim Säugling und Kleinkind von besonderer Wichtigkeit ist, bleibt sie doch ein Leben lang unabdingbare Nahrung für das seelische und geistige Wachstum des Menschen, welcher aus ihr lebt, sich entwickelt und vervollkommnet.
Ich glaube, dass sich alle Kinderpsychologen und Kinder-Psychiater einig sind, dass das Kind, insbesondere der Säugling die Erfahrung der Zärtlichkeit, des Getragen-Werdens, der Körperwärme, unbedingt braucht, damit er sich gut und harmonisch entwickeln kann.
Wäre dies im Bewusstsein der Bevölkerung und seiner PolitikerInnen, wäre eine ausgiebige Elternzeit schon längst Gesetz und keine Frage mehr.
Wer Boden unter den Füssen hat und in einer zärtlichen Umgebung lebt (die er mitaufgebaut hat), hat fast alles was er benötigt: Gemeinschaft, Liebes-Beziehungen, Selbstvertrauen, ein Grundgefühl von Wärme und Akzeptation, Mut zur Selbstgestaltung, eine erfüllte Sexualität.

In Wärmeräumen, die in einer zärtlichen Gesellschaft laufend geschaffen werden (ich habe davon in früheren Beiträgen davon gesprochen) wird ein zärtliches Miteinander gelebt. Im Laufe der Zeit verbinden sich diese Orte miteinander. Ein zärtliches Beziehungsnetz entsteht, über die Landesgrenzen hinaus. An Orten der Zärtlichkeit – so mein Visions-Bild – wird in Liebe zusammengearbeitet und das Leben gefeiert. Und es bleibt viel, viel Zeit, Zärtlichkeit zu zelebrieren, sich somit zu nähren und wertzuschätzen.

Eine solche Erfahrung macht den Menschen im materiellen Sinne genügsam. Fast alles, was unsere moderne Zivilisation und Kultur hervorgebracht hat, ist Ersatz für den Mangel an Zärtlichkeit, Verstehen und Vertrauen.
Je mehr Konsum, desto weniger Zärtlichkeit. Je dicker die Menschen einer Gesellschaft sind, desto weniger echter Friede kann vermutet werden. Der Mangel an Zärtlichkeit macht unruhig, macht nervös. Sucht und fiebriges Reisen sind die Folge.

Wir brauchen eine Kultur der Zärtlichkeit, damit wir zur Ruhe kommen. Sie ist das Erste, das wir brauchen. Alles andere geht daraus hervor.
Kann das so simpel sein? Ja, das ist es, wenn auch der Bewusstseinsschritt gross ist.

Widerstand und Hingabe

Spiritualität ist berührtes Leben.
Spiritueller Mut ist die vertrauensvolle Aufgabe des Widerstands gegen das, was uns heilt.

Wir alle sehnen uns nach Nähe, Vertrauen, Intimität und Zugehörigkeit und gleichzeitig fürchten wir uns davor – wenn auch in unterschiedlichem Ausmass.
Wir alle wünschen uns glücklich zu sein und tun gleichzeitig so viel, uns unglücklich zu machen.
Wir alle sehnen uns nach Licht und lassen uns gleichzeigt vom flachen Nebelgrau der Gewohnheiten einlullen.

Zur Einstimmung eine kurze persönliche Geschichte
Vor vielen Jahren sah ich mit dem inneren Auge während einer Meditation ein grosses Licht vor mir, welches mich an eine geistige Sonne erinnerte. Dann sah ich, wie die Sonne zur Hälfte von einem schwarzen Schatten abgedeckt war. Nach einiger Zeit erkannte ich, dass ich selbst dieser schwarze Schatten war: «Ich stehe mir vor dem Licht, ich stehe mir im Weg», war meine Einsicht. Diese Erkenntnis machte mich sehr traurig. Ich gab mich der Trauer hin. Dadurch verschwand die Schwärze; nun wurde ich vollständig vom Licht angestrahlt. Es war wunderbar, berührend.

Der psychologische Widerstand
Nähe macht uns verletzlich. Wenn ein Mensch Distanz hält, macht es ihm nicht so viel aus, wenn er angegriffen oder hart kritisiert wird. Er kann dann auch nicht so leicht manipuliert werden, weil er sich nicht im anderen Menschen verliert. Wenn er sich bindet, tut es sehr weh, wenn er verlassen wird. Viele Leute verlassen ihre Nächsten vorsorglich, um sich den Schmerz zu ersparen, verlassen zu werden. Sie nehmen ihren möglichen Verlust präventiv vorweg. Bei nur halber Nähe, kann ein Mensch nicht so leicht missbraucht und hintergangen werden. Immer geht es um die Abwehr und die Vermeidung von Schmerz und Verlustangst. Wer Nähe vermeidet, verhindert damit auch die Erfahrung von tiefem Vertrauen, Freude und Intimität (Vergleiche den letzten Blog-Beitrag), die er wahrscheinlich zutiefst ersehnt. Die Angst in naher Beziehung missbraucht oder verurteilt zu werden, übertragen Menschen oft auch auf Gott. Die Gottessbilder (zum Beispiel das Bild vom gestrengen und strafenden Vater) erschweren oder verhindern die unmittelbare Gotteserfahrungen.

Oft, sehr oft sogar, glauben Menschen, dass sie es nicht wert seien, Zuwendung in Fülle zu erhalten.

Der gesellschaftliche Widerstand
Es gibt ein gesellschaftlicher Mechanismus, der uns Menschen vom Bedürfnis entreisst, uns von innen leiten zu lassen; es ist eine Kraft, die uns nach aussen schleudert, vergleichbar mit einer Zentrifuge. Beispiel: Neue wichtige Geräte kommen auf den Markt, die uns zu Aussenseiter werden lassen, wenn wir sie nicht bedienen können. Sie verlangen Aufmerksamkeit und viel Zeit. Eine riesige Zerstreuungsindustrie verleitet uns ständig dazu, uns im Aussen abzulenken, zu entspannen und zu vergnügen. Die ungebremste Mobilität verstärkt unsere wachsende Unruhe, die nach Erholung ruft, die überall, nicht ganz billig, zu finden ist. Diese Mechanismen bewirken, dass wir unablässig beschäftigt sind mit Dingen, die uns nicht elementar betreffen. Sie nähren das egozentrische Ich.
Die gleiche Gesellschaft, die uns stresst, bietet auch Wohlfühl-Angebote an – beide Zweige dienen dem Geschäft und halten den Menschen im Aussen gefangen.
Der aussengelenkte Mensch, der nicht mehr in der Lage ist, sich in sich selbst zu verankern, zu erden und zu erkennen, ist leicht zu führen und zu manipulieren. Es sind wahrscheinlich sowohl bewusste, wie auch unbewusste Mächte, die es dem Menschen schwer machen, von innen her, aus dem Herzen, zu leben.

Es ist ohne weiteres zu beobachten, dass innere und äussere Kräfte und Gewohnheiten existieren, die uns daran hindern, das zu beachten und anzustreben, was wir essentiell sind. Wir sehnen uns nach der Erfahrung im Leben aufgehoben zu sein, uns zugehörig zu fühlen und Freude zu erleben. Es sind die Ängste, die ich oben erwähnte, die uns zurückhalten, das zu wollen und zu tun, was uns gut tut.

Es mangelt uns wohl an Mut, den Widerstand gegen das, was uns heilt, aufzugeben. Es beginnt schon damit, dass wir es nicht wagen, den Widerstand gegen das Leben, gegen all das, was uns widerfährt an Lebens-Ereignissen und Situationen, aufzulösen. Indem wir in den Widerstand gehen, gegen das, was uns widerfährt, verwickeln wir uns in einen dauernden Kampf. So wird das Leben zu einer grossen Anstrengung. Es mangelt wohl am Glauben daran, dass dem Leben Weisheit innewohnt und dass es uns gut und wohlwollend gesonnen ist.

Hingabe
Die Hingabe ist wohl das Gegenteil von Kontrolle und Vorsicht. Hingabe bedeutet, sich vertrauensvoll, rückhaltlos und vollständig zu verschenken – es ist ein ganzheitlicher Akt der Liebe, die Annahme des Todes inbegriffen.

Jesus war wohl der Prototyp des Menschen, der sich selbst substantiell in die Welt hineingegeben (sich der Welt hingegeben) hat. Er war vollständig transparent für das ihn durchscheinende göttliche Licht. Er lebte in bedingungsloser Liebe. Seine Hingabe erlöst(e).

Gott selbst ist für mich der Inbegriff von liebender Hingabe.

Wenn dem so ist, dann muss Liebe und Hingabe als die wahre Wesens-Natur des Menschen angesehen werden. Wir sind demnach offene, strahlende, fliessende und gebende Wesen. Also Liebende. Wir untergraben unser Wesen, das wir sind, wenn wir versuchen das Leben primär durch Kontrolle und egozentrischem Eigen-Wille im Griff zu haben.

Das Welt-System fusst auf der Haben-Macht, auf Abgrenzung, Taktik und Strategie. Da gilt der Slogan: «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser».

Hingabe kann wohl erst dann tief im Herzen verstanden werden, wenn wir erleben, dass wir bedingungslos geliebt sind und dass daraus unser Leben fliesst.
Wir Menschen, so fühle ich es, sind verkörperte Hingabe; wir sind inkarnierte Liebe. Erst wenn wir diese Tatsache annehmen können, bis in die Zellen hinein, wenn wir zugelassen haben, dass uns diese Erfahrung erschüttert und transformiert, werden wir verstehen was Hingabe ist. Daraus formt sich der Mut, den Widerstand weg zu legen wie ein Kleidungsstück, das wir schon zu lange getragen haben.

Ich möchte hier den Satz wiederholen, dass Hingabe erlöst und hinzusetzen, dass Hingabe auch transformiert.

 

 

WANDEL – 3. Teil

Im ersten Teil des Zyklus WANDEL äusserte ich meine Ansicht, dass die Menschheit an der Schwelle zu einer höheren, trans-rationalen Phase ihrer Geschichte steht. Ich erläuterte meine Überzeugung, dass es Menschen brauche, die bereit sind, sich dem Wandlungsgeschehen hinzugeben. Dadurch entstehe das Fundament für eine globale Bewusstseinserweiterung. (3. Nov. 18)
Im zweiten Teil (24. Nov. 18) beschrieb ich aus meiner Sicht die vier Säulen die bei diesem kommenden Wandel in besonderer Weise zu beachten seien: Das Eingeständnis der menschlichen Ohnmacht und Bedürftigkeit, die Umkehr und Neu-Ausrichtung, die Vertiefung von Liebesbeziehungen (Gemeinschaften) und der Aufbau einer lebensdienlichen Welt-Ordnung.

Bei den folgenden Ausführungen gehe ich auf den subtilen Wandlungs-Raum ein. Ihn könnten wir auch als die fünfte Säule deuten, die in der Mitte steht und auf die Quint-Essenz hinweist.


Der Raum der Heilung, des Wandels und der Auferstehung
In diesem dritten Teil des Zyklus zum Thema WANDEL möchte ich eine gute Nachricht übermitteln: Bei dem nötigen Wandel hin auf eine reifere Menschheitsstufe bekommen wir Menschen Hilfe. Alleine wären wir kaum in der Lage diesen grossen Sprung zu tun: zu tief war unser Fall.

Wir stehen auf den Schultern jener Ahnen, die weise waren und die geliebt haben.
Und: Die grossen Menschheitslehrer wie Christus und Buddha, aber auch viele andere erleuchtete Lehrer haben uns einen Raum der Heilung, des Wandels und der Auferstehung hinterlassen. Eine geistige Erbschaft, ein wunderbares Geschenk.

Dieser gesegnete Raum ist gleichzeitig auch ein subtiler Körper. Er ist universell, immer und von überall her «zu betreten».

Alle unsere Kirchen, Tempel und Moschen sind Abbild dieses universellen «Körper-Raumes», der in uns auch mikrokosmisch besteht: der innere Tempel. Im Tempel-Inneren wirkt die Kraft der Heilung, der Wandlung und der Auferstehung.

OM.

Ich verspüre eine grosse Scheu über den subtilen Raum-Körper der Heilung, des Wandels und der Auferstehung zu sprechen. Ich frage mich: Ist es gut, wenn ich dieses doch eher unpersönliche Medium – das Internet – dazu verwende über etwas zu sprechen, dass für mich mehr als kostbar, nämlich heilig ist? Innere Erfahrungen sind ja das Intimste, das es gibt. Nachdem ich von dieser Scheu gesprochen habe, ist es mir möglich, weiter zu schreiben.

Stille, tiefe Stille bereitet uns vor, in der richtigen Verfassung den Heil-Raum zu betreten.

Die Pforte zu jenem Wandlungsraum werden wir dann passieren können, wenn wir uns ausreichend gereinigt haben und aus unserem Herzen Dankbarkeit strömt.

Die Erfahrung dieses Raumes ist überwältigend und mit Worten nur annähernd auszudrücken. Die Atmosphäre in ihm ist ohne jegliches Störungsfeld. Reines Sein.
Es atmet Liebe, Güte und Klarheit, weckt ein Wohlbefinden und vermittelt ein Wohlwollen, Seligkeit, die alles übersteigt, was wir im Alltag je wahrnehmen können.
Der Raum ist heilig. Es ist ein Wandlungs- und Heilungsraum, der allen, die guten Willens sind, offensteht. In ihm können wir genesen und uns zu dem hin wandeln, was wir im Innersten sind: zu Liebenden. Der nötige Wandel, der zu unserer Heilung führt, wird uns also geschenkt, uns als Individuen, uns als Menschheit.
In unserem eigenen Herzen werden wir neu geboren.

Zu Beginn erleben wir die Lichtkraft darin so übermächtig, dass wir nicht lange darin verweilen können. Der Seelen-Körper muss allmählich die Kraft aufbauen, damit wir uns mit der Zeit länger in diesem Transformations-Raum aufhalten können.
In diesem Raum werden wir gewandelt – nach und nach. Unser Beitrag soll Hingabe und Vertrauen sein. Dadurch kann und will die göttliche Kraft wirken.
Ohne unser Einverständnis wird uns nicht gegeben, mit unserem Einverständnis hingegen in Fülle. Das WESEN respektiert unsere Wahl-Freiheit, die wir geschenkt bekommen haben, vollkommen.

Es ist also nicht so, dass wir alleine aus eigener Kraft den so dringenden Bewusstseinswandel schaffen müssen. Wir bekommen alle Hilfe, die wir brauchen, um diesen Prozess behütet und umsorgt durchleben können.

Vertrauen
Um Hilfe annehmen zu können, ist Vertrauen nötig, denn wie sollten wir absolut sicher sein, dass es erstens diesen Raum gibt und zweitens, ob er wirklich unseren Prozess ermöglicht und unterstützt. Wäre diese Sicherheit garantiert, bräuchten wir ja kein Vertrauen. Ein bisschen Mut und Risikobereitschaft braucht es also schon.

Ich glaube, dass ich selbst ein grösseres Risiko darstelle, als diese belebende Kraft, die bei mir immer wieder anklopft und ich glaube auch, dass diese Gesellschaft, in der ich lebe, mich sehr viel eher verunsichert, als jene Substanz, die ich spüre, wenn ich die Augen schliesse und mich ihr überlasse.

Ich möchte meine Leserinnen und Leser also ermutigen mit einem Lächeln auf den Lippen Vertrauen zu riskieren. Das Leben zu riskieren. Jeder Sprung, auch der Sprung ins wahre Leben, braucht ein bestimmtes Quantum an Vertrauen und Mut.

Den Widerstand aufgeben
Es geht darum den Widerstand gegen das was uns heilt, gegen das, was uns rettet, aufzugeben.
Ich erkenne in allen Menschen, die mir bekannt sind, Widerstand gegen ihre Heilung (in unterschiedlicher Stärke, je nach Individuum) – dasselbe gilt für jede Gesellschaft. Ja, und dasselbe gilt für die Kirchen und alle äusseren Machtapparate der Gross-Religionen -nicht aber für ihren mystischen Kern!
Verrückt, so könnte man denken, Widerstand gegen das, was uns heilt, aufzubauen. Aber so ist es.
Es ist Widerstand, der aus der Angst kommt.
Spirituelle Arbeit bedeutet unter anderem das Aufgeben des Widerstandes.
Es ist befreiend, wenn Menschen erkennen, weswegen und aufgrund welcher Erfahrungen sie sich gegen ihre Heilung auflehnen. Es ist wichtig, dass jede und jeder sich darum bemüht, darauf seine Antwort zu finden. Ich nenne es Selbst-Befreiung, Teil der Wandlungsarbeit, Teil unserer Verantwortung für uns und den Planeten.

Männliche Lebenskraft

Mein Vater

Er war ein hoch sensibler Mann. Ich suchte hinter seiner eisernen Strenge und Verschlossenheit seine zärtliche und spirituelle Seele (siehe Titel-Foto), die spürbar, aber verborgen war.

Sein Studierzimmer in unserer Wohnung war sein Reich. Dort lebt er. Wenn ich etwas wollte von ihm, so hatte ich anzuklopfen. Das kam nicht selten vor. Bevor ich anklopfe spürte ich heftiges Herzklopfen. Würde ich die Wand seiner Strenge und Diszipliniertheit durchdringen können, würde ich ihm begegnen oder an seiner Strenge abprallen?

Wenn meine Mutter sich zum täglichen Einkauf bereit gemacht hatte, musste sie ihn – den Herrn des Hauses – um das nötige Einkaufs-Geld bitten. Sie streckte ihm die leere, hohle Hand entgegen. Zögerlich warf er ein paar Frankenstücke in die Hand. Niemals genug. Sie wartete solange bis es reichte, um einkaufen zu können. Sie nahm täglich dieses Demütigungs-Ritual auf sich, sie beugte sich, obwohl sie es war, die das Geld, das unserer Familie brauchte, erarbeitete. Sie war Filialleiterin eines Warenhauses. Mein Vater erarbeitete sich mit wenigen Artikeln, die er für Zeitungen schrieb eine Art von Taschengeld.
Auch ich beugt mich, bekam einen runden Rücken.

Mein Vater war so zwanghaft diszipliniert zu sich selbst, wie er zu allen anderen Menschen auch war.

Staub gab es in seinem Zimmer nie. Er staubte täglich alles ab. Hochglanz und Einsamkeit, auch Selbstverlorenheit waren hinter seiner Strenge spürbar.
Manchmal explodiert er; er neigte zu Jähzorn. Aber selten.

Der disziplinierte Mann hält sich und seine Lebenskraft an kurzer Leine

Viele Männer, so wie ich, lernten ihre Lebenskraft zu bändigen. Wir haben gelernt unsere Aggressionen, unsere Wildheit und unsere Lebenskraft in einen Käfig zu sperren oder an die Leine zu nehmen. An eine kurze Leine, denn wir misstrauen ihr. Wir denken zurück an die Kriege, die wir Männer, vor allem im letzten Jahrhundert geführt haben. Diszipliniert wie sie waren, liessen sich die Soldaten an die Front schicken. Millionen von Toten. Hunderttausende von vergewaltigen Frauen. Wir denken an die grossen Reiche des Nationalsozialismus; wir denken an die Zaren, an den Stalinismus, an Napoleon. – Meist unbewusst.
Nach all dem trauen wir unserer männlichen Lebenskraft nicht wirklich, wir Mars-Männer. Wir sind oft auch Frauen gegenüber zurückhaltend. Zurückhaltender als es diesen lieb ist. Wir sind gefährlich. Unsere Kräfte haben ein zerstörerisches Potential. Das sagen uns auch manche Frauen. Also halten wir uns an kurzer Leine.

An einem Männer-Seminar zum Thema «Der wilde Mann» geleitet vom Franziskaner Richard Rohr sah ich viele traurige Männer.

Viele Männer sind traurig darüber, dass sie nicht mehr wild, sondern gebändigt und diszipliniert sind und nicht wissen, wie sie ihre Kraft mit Zärtlichkeit verbinden können.

 

Inzwischen

Inzwischen sind die Jahre vergangen. Ich habe gelernt Kraft und Zärtlichkeit zu vereinen und habe schrittweise gelernt (und lerne immer noch) meiner Kraft zu vertrauen, sie «wildern» zu lassen, sie ihre Wege gehen zu lassen, zu streunen, intuitiv und instinktiv.

Ich lerne, dass meine Aggressionen mir helfen, mich zu verwirklichen.
Aggression kommt von aggredi = sich zubewegen, heran schreiten, sich nähern und nicht zerstören. Nur die unterdrückte, gestaute und verdrängte Aggression/Kraft verwandelt sich in Gewalt.

Das weiss ich inzwischen. Dennoch müssen viele Männer-Menschen wieder einen positiven Zugang finden zu ihrer Kraft, zu Mars.
Inzwischen haben viele Frauen einen gelösteren Umgang gefunden zu ihrer Kraft, als die Männer im Allgemeinen.

Wir Männer müssten noch tiefer in unseren weiblichen Seelen-Anteil vorstossen, um von dieser Tiefe aus wieder erneuert und belebt in unserem eigenen Geschlecht Einzug zu halten. Nun aber elastischer, erneuert im weiblichen Eros und in Verbundenheit mit Liebe.

Weniger Disziplin – mehr schöpferische Freiheit

Wie erwähnt müssten wir Männer wieder Vertrauen gewinnen in unser aggressives und kämpferisches Potential, nachdem es eine lebensbejahende Verbindung mit unserer zärtlichen und liebenden Seite in uns eingegangen ist. Dafür bräuchten wir wahrscheinlich die Hilfe von Frauen.

Von der Leine nehmen

Lassen wir also das wilde Tier in uns, unsere archaische und schöpferische Seite, ja auch die kämpferische Lebenskraft frei! Sie wird sich mit der Lebensfreude (ihrer Schwester) verbünden.

Wenn wir Gutes tun wollen für unsere leidende Welt, so benötigen wir Männer Vertrauen in unsere Kräfte.

 

STREBEN – FALLEN – Eine Herbst-Betrachtung

Im ehrgeizigen Streben des modernen Menschen hat der Herbst kaum Platz.

Da, im Herbst, senkt sich die Energie. Die Blätter fallen schaukelnd zur Erde. Rückzug ringsum. «Wir alle fallen», meint Rilke.
Nehmen wir die Botschaft des Herbstes in uns auf, so sinken wir langsam  ins Verborgene , ins Versteckte ab. Wir decken uns zu, suchen den Schutz und die Wärme in den erdigen Höhlen unserer Stuben, in der bergenden Schwärze.
Alles wird in uns langsamer; Ruhe breitet sich aus, stille Gegenwart und tieferes Atmen entsteht in uns .
Das kann soweit gehen, dass wir selbst von uns loslassen: jenes Drängende, das sich jedem Ausatmen wiedersetzt, das Ego, das selbstverliebte Erfolgsdenken, das nach Höherem strebt, in Wirklichkeit aber kein Aufstieg ist, sondern ein gehetztes Vorwärtsdrängen.
Loslassen also von dieser kleinen Identität, die ein Aufwachen und den Aufstieg in ein umfassendes Dasein verhindert.
Wir reden von Entschleunigung. Der Herbst bietet die Gelegenheit zu verlangsamen, wieder von Neuem einzuwurzeln im Fundament, auf dem wir beruhen:  der Urkraft des Mütterlichen, der uns tragenden Kraft des Vertrauens, das nicht auf Anstrengung beruht, sondern auf Loslassen.

Wir benötigen den zyklischen Aspekt der Zeit, den Zyklus der Erde, der auch in uns angelegt ist.
Widersetzen wir uns dem Zyklus der Jahreszeiten und des Tages, so entfernen wir uns von der eignen Erden-Natur in uns und erschöpfen uns im Zeitgeist des ständigen Machens und Vorwärts-Drängens, im Stress, über den wir uns beklagen, und uns dennoch nicht wagen, uns ihm zu widersetzen und Nein zu sagen zu jenem Ehrgeiz, der uns aufrisst.

Im Herbst breiten sich im Abendland die wie Pilze aus dem Boden hervorschiessenden Oktoberfeste aus. Die Welt als Oktoberfest – mindestens für ein paar Wochen. Weil wir nicht anders zur Ruhe kommen, flüchten wir in diesen fett-dampfenden Rausch von Hähnchen, Dampf und Bier.

Der Herbst erinnert an unser Innenleben, an die Grenzen des äusseren Wachstums und an die Notwendigkeit der Erholung im Nichtstun und an die Feier des Seins.

«Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.»  Rilke

Jetzt, im Herbst steigen in mir die Gefühle von Wehmut, Abschied und Trauer vermehrt auf. Meine/unsere Sterblichkeit wird mir fühlbarer und bewusster – ebenso wie die Einkehr in die Unsterblichkeit. Ich will diese Gefühle zulassen, ja sie sogar willkommen heissen, denn es ist Herbst, Teil-Wirklichkeit unseres Lebens. Ohne diese eher wehmütigen und schmerzlichen Gefühle an mich heran kommen zu lassen, werde ich nicht zu mir finden können, sowenig wie der Wein ohne Kühle und leichten Morgenfrost nicht zu einem wirklich feinen Wein heranreifen kann.