Die Blume: Sinnbild für die menschliche Entfaltung

Die Blume:
In ihrem Samen ist sie schon entworfen.
In der warmen und feuchten Erde entfaltet der Samen seine Lichtkraft –
bricht auf, bildet haarfeine Wurzeln in Richtung
Erd-Mittelpunkt, wie alle andern Pflanzen auch,
nach oben quilt der Keimling, winzig, zart.
Dann schiesst der Stängel empor, seitlich breiten sich Blätter aus.

Danach bildet sich am oberen Ende des Stängels eine Knospe aus.
Zuerst ist sie winzig, wird dann breit und voll, scheint zu drängen,
zeigt: etwas will sich öffnen, hervortreten;
alles zuvor war Vorbereitung für das, was sich nun entfalten möchte.
Unterdessen wird der Stil dicker, die Blätter vermehren sich, werden grösser.
Hochschwanger ist nun die Knospe. Wann bricht sie auf?
Das Herz, unruhig, bis es sich endlich in der Offenlegung entspannen darf.
Die Blüte mag es, im Morgengrauen aufzugehen.
Ein Farbschimmer dringt durch.
Nun scheint sie zu explodieren.
Die Blüte entfaltet sich: die Blütenkrone
Ihr Sitz in den Kelchblättern. Festlich.
Die Blüte hauchfein, in leuchtender Farbe.
Erblühendes Menschsein, verströmende Essenz.
Sich erlösende Sehnsucht.

Erst jetzt, da die Blume gross und stark ist,
wagt sie es, ihre Feinheit und Zartheit zu offenbaren.
Erst jetzt, wenn der Mensch eingewurzelt ist, Stärke aufgebaut hat,
ist es ihm möglich, sich zart und verletzlich zu zeigen.
Die Essenz des Wesens, hauchfein, vibriert,
fängt zu Singen an –
und das Singen wird Licht.
Lichtgesang,
Wesens-Duft.
Mit dem Duft erweitert sich die Kommunikation der Pflanze,
die nun in Verbindung tritt zu Insekten und Vögeln und zum Wind.
So auch der Mensch,
der nun auch bewusst Zugang zu subtilen Wesen finden kann,
weil er seine Wesens-Substanz nun ausatmend verströmen lässt.

Jede Blume ist eine Nuance und ein Ausdruck des Schöpfungsganzen:
ihre Form, ihre Struktur, ihre Farbe und ihr Duft
lassen uns erahnen, wofür sie geschaffen ist.
Jeder Mensch ist eine Nuance und ein Ausdruck des Schöpfungsganzen:
seine Form, seine Struktur, seine Farbe und sein Duft
lassen uns erahnen, wofür er geschaffen ist.
Gleichzeitig verweist das Ätherlicht und der Duft der Blume und des Menschen,
man kann es fühlen,
auf jene Seins-Ebene,
welche die Welt der Formen übersteigt.

Der Mensch gebiert das,
was ihn selbst transzendiert,
was ihn in seinem biografischen Person-Sein übersteigt.
Er ist sich Mutter und Vater
für das göttliche Kind, das in ihm erblüht –
sein Wesen.
Die Blume und ihr Duft redet zu uns über das Mysterium der Verwandlung.

Dann, wenn die Blume,
das Herz, erblüht ist,
bilden sich die Samen kommenden Lebens,
reifen die Früchte des Lebens heran.

———

Meditiere wie eine Mohnblume,
sagte der Starez Séraphim* zu seinem Schüler:
«Diese Ausrichtung auf das Schöne, auf das Licht, liess ihn manchmal rot werden
wie eine Mohnblüte, wie wenn das Schöne Licht ihn lächelnd anblicken würde in Erwartung seines Duftes. Vom Mohn lernte er auch, dass eine Blume einen festen, geraden Stängel braucht, um in der Richtung zum Licht zu bleiben…
Meditieren heisst die Ewigkeit im Vergehen des Ausgenblickes zu erkennen..»

*Jean-Yves Leloup: Das Herzensgebet – nach Starez Séraphim vom Berg Athos.
© by Neumühle, D-66693 Mettlach-Tünsdorf/Saar

 

 

 

Innerer Friede

Innerer Friede stellt sich ein, wenn ich zu mir gefunden habe, wenn ich akzeptiere, was und wer ich bin. Friede baut sich auf, wenn ich mit mir versöhnt bin, wenn ich alle Facetten, die mich ausmachen, angenommen, als Teil von mir integriert habe.
Alles, was ich bin, will angenommen, mehr noch, geliebt sein.

Es steht geschrieben: «Den Frieden gebe ich euch». Friede ist ein Geschenk, nicht machbar, herstellbar. Doch können wir unsere Empfänglichkeit für ihn erhöhen.
Die Erfahrung, geliebt zu sein ist wohl die Voraussetzung dafür, dass wir Menschen in die Lage kommen, uns selbst zu lieben. Diese Erfahrung -sie übersteigt alles, was wir uns vorstellen können- ist die Basis des Lebens, auf deren Grund sich Friede in uns einsenken kann.

Es gibt Ideale in uns, die uns aufgepfropft worden sind, also wesensfremd sind; Ideale, die sich in uns eingegraben haben und teilweise oder ganz unbewusst wirken, uns vorwärtstreiben, stossen, auf Idealzustände hin, die uns nur teilweise bewusst sind und sich als Ehrgeiz, Aktivismus, Stress und Unruhe bemerkbar machen.

Diese Fremd-Ideale, um sie mal so zu benennen, wurden meist von unseren Eltern auf uns übertragen, irgendwie übergossen in der Hoffnung, dass wir, ihre Kinder, einst das verwirklichen würden, was ihnen nicht vergönnt war. Es sind Aufträge, die zu verwirklichen uns überstülpt worden sind. Bewusst oder eher unbewusst, haben wir diese Forderungen akzeptiert und oft noch modifiziert und ausgebaut. – Etwas anderes sind jene Ideale, die aus unserem wahren Wesen heraus wirken und helfen, es zu verwirklichen.

Die Fremd- Idealbilder wirken ständig in uns. Beispiele: Wir streben nach Ansehen, wollen Grosses leisten, die Welt verbessern, gerechter machen, wollen gütig sein, hilfreich sein im grossen Stil, der Welt Erfindungen schenken, die nützlich sind, beglückende Kunstwerke schaffen, von denen man noch lange reden wird, uneigennützig für Viele da sein, usw.

Diese Ideale sind nicht einfach schlecht, im Gegenteil, sie können uns helfen, innere, wertvolle und hilfreiche Qualitäten zu entwickeln, Lebenssinn zu finden.

Die Schatten dieser Ideale bestehen darin, dass sie die Tendenz haben, uns zu überfordern, uns über unsere natürlichen Grenzen hinweg zu stossen in der ständigen dunklen, unbewussten Angst, nicht zu genügen, den Lebenssinn zu verfehlen, das uns Beauftragte zu verfehlen, die Ziele nicht zu erreichen. Der spirituelle Lehrer J. Krishnamurti, der von der Leitung der Theosophischen Gesellschaft genötigt wurde Weltlehrer zu werden (was er verweigerte), sagte: «Es ist etwas Brutales, Ideale zu haben.»

Wie schon gesagt, verlaufen diese Prozesse oft in Dunkeln, Unbewussten. Sie wirken sich auf der Befindlichkeitsebene aus: Ich fühle mich nicht recht wohl in meiner Haut, es fehlt noch etwas; ich bin betrübt, meine Stimmungslage ist gedämpft, vermeintliche Misserfolge beschäftigen mich auch während den Nächten, ich fühle Unrast in mir, mache immer etwas mehr als mir gut tut, denke zu viel, bewege mich in Ideenfluten, die mir aufzeigen, was ich alles sonst noch tun könnte.
Hinter den hohen Idealen verstecken sich oft seelische Verletzungen. Zum Beispiel: ich wurde als Kind nicht voll wahrgenommen. Nun muss ich beweisen, dass ich Dinge vollbringe, die nicht zu übersehen sind.

Die daraus hervorgehenden Spannungen richten mich auf ferne Ideale aus, binden mich an die Zukunft. Sie schweben immer über meinen Möglichkeiten und sie halten mich davon ab, ganz im Hier und Jetzt zu sein.
Nur als Versöhnte, als Versöhnter bin ich gegenwärtig.

Da unsere kranke, im Streben nach Machbarkeit gefangene Gesellschaft von dieser Problematik durchzogen ist, wirkt sie in den Meisten von uns so oder so ähnlich, mehr oder weniger stark. Wir sind daher wie gespannte, ja, überspannte Bogen, mit in die Zukunft gerichteten Pfeilen. Wir vertagen Ruhe und Entspannung auf die illusionären Zeiten danach.

Unsere Lebens-Bilanz, die wir üblicherweise ziehen, wenn wir älter geworden sind, befriedigt uns kaum, oder nur in Stücken und wir wollen sie unbedingt noch optimieren.

Es stellt sich die Frage, ob wir bereit sind, uns mit unseren Grenzen (vergleiche den letzten Blog-Beitrag) zu versöhnen, sie als Teil unseres Lebens anzuerkennen.
Die Frage: Bin ich bereit, mich mit allen Schwächen und Unzulänglichkeiten zu akzeptieren, mehr noch: mich zu lieben. Zu lieben, mit allen Grenzen, mit allem., was ich nicht erreicht habe und wohl auch nicht mehr erreichen werde – ohne jegliche Resignation und Selbstvorwürfe. Unerleuchtet, wie ich bin?

Wenn ich mich also so liebe, so umfassend und bedingungslos, wie ich geliebt werde, stellt sich der innere Friede und Dankbarkeit ein – und vielleicht werde ich mich früher oder später im jetzigen Moment niederlassen und erkennen: alles ist da, alles ist gut. Und nun tue ich das mir Mögliche in Ruhe und Freude, werde vielleicht Friedenstifter.

Nur als Versöhnte, als Versöhnter bin ich gegenwärtig.

Beitragsbild: Sonnenlicht-Reflex auf weisser Wand. Foto

 

 

 

Gefühle

Gefühle sind eine Tätigkeit der Seele, die Gemütsbewegungen erzeugen. Grundgefühls-Ströme werden als Stimmungen wahrgenommen. Farben und Töne sind mit den Gefühlen verwandt.

Gefühle sind Ausdruck unserer Lebendigkeit – ohne sie wären wir starr und tot. Gefühle korrespondieren mit Wasser, sie sind von fliessender und wechselnder Natur. Sie sind Ausdruck unserer weiblichen Seite.
In diesem Beitrag verwende ich die Worte Gefühle und Emotionen synonym, unterscheide sie also nicht.
Ich behandle hier ein komplexes Thema und ich bin mir nicht sicher, ob es mir gelingt, es verständlich zu machen.

Zwei These
Erste Behauptung: Diese lautet, dass wir nur gesund, frei und authentisch bleiben, wenn wir unsere Gefühle wahrnehmen, sie ernst nehmen und ausdrücken. Tun wir es nicht, empfinden wir uns als unlebendig, dumpf und werden früher oder später seelisch und/oder körperlich krank.
Die Tiefen-Ökologin Joanne Macy betont immer wieder, dass sie es sehr wichtig findet, unsere Reaktionen von Schmerz und Trauer über die Zerstörungsprozesse auf der Erde auszudrücken, sie nicht abzutöten und sie mit anderen Menschen zu teilen.

Zweite Behauptung: Diese lautet, dass wir uns von unseren Gefühlen de-identifizieren sollen. Es empfehle sich, uns hinter unsere Gefühle zu stellen, um uns ihrer beobachtend gewahr zu werden. Wir sollten uns nicht von ihnen hinreissen lassen, da sie Teil unseres kleinen Ichs seien. Dieses würde sich aufblähen, wenn wir uns von unseren Emotionen vereinnahmen lassen würden.

Diese zwei Thesen sind eine Art von Glaubens-Bekenntnisse. Die eher psychologisch sozialisierten Menschen, richten sich eher nach der ersten These aus, die spirituell orientierten halten sich eher an die zweite These.

Weil wir Menschen unter einer Art Zwang stehen, bei polaren Sichtweisen, uns auf die eine oder andere Seite zu schlagen, bevorzugen wir eine der zwei Seiten eifrig und neigen dazu die beiden Aspekte gegeneinander auszuspielen.

Ich halte beide Positionen für wahr und stimmig. Sie erscheinen als paradox. Sind sie dennoch vereinbar?

Im Folgenden mache ich einen kleinen Exkurs in zwei Wirklichkeits-Bereiche, in den Bereich der Welt der Formen und jenen der formlosen, absoluten Welt:

Die Welt der Formen
Gefühle, wie auch Gedanken, gehören zur Welt der Formen, wie die materielle Welt auch.
Hier ist die Vielfalt der relativen Welt.
Die Formen-Welt können wir auch als einen grossen Tanz betrachten, der wellen -oder kreisförmig verläuft. Es ist eine Welt des Kommens und des Gehens, des Erscheinens und des Verschwindens, des Auf- und Ab und des Hin- und Her.
Das Fliessende, Bewegliche ist das hervorragende Merkmal der Formenwelt, der relativen Welt.

Das Formlose, Ruhende, Immerwährende
Das Absolute, Immerwährende ist in ewiger Stille. Es ist das Bleibende, das Unerschaffene, das Unbegreifliche, die Leere, die Potentialität.
Hier ist Einheit.
Aus diesem göttlichen Bereich emaniert die Welt der Formen, die Schöpfung. Wir können auch von Ursprung und Quelle sprechen.

Zurück zu den Gefühlen:

Gefühle, entstanden aus dem ego-zentrischen Ich – Gefühle aus dem höheren Selbst
In der Welt der Formen existieren auch viele unerlöste Formen, also vom egozentrischen Ich ausgelöste Gefühle, die niederdrückend, depressiv und möglicherweise auch krankmachend wirken, wie Hass, Groll, Neid, Scham, Ekel, etc.
Gefühle (Zustände), die aus dem höheren Selbst, also direkt aus dem Geist emanieren (ausstrahlen), entfalten, führen uns dem Leben zu. Ich denke hier vor allem an Freude, Friede, Zärtlichkeit und Empathie.

Das Paradox
Die Wahrheit mag es, sich im Paradox zu verstecken.
Wenn auf der einen Seite gesagt wird, dass es nötig sei, Gefühle auszuleben, um lebendig und gesund zu bleiben, und auf der anderen Seite aufgefordert wird, sich nicht mit den Gefühlen zu identifizieren, so kann man hier von einem Paradox sprechen. Zwei, sich scheinbar nicht zu vereinigende Standpunkte stehen sich gegenüber. Das sich scheinbar Ausschliessende kann aus der Sicht der Mitte heraus zur Ergänzung werden:

Der Raum der Mitte
Aus dem Blickpunkt der Mitte, wo Weite und Ruhe ist, sind die beiden Positionen zu vereinen, ist es uns möglich, sowohl distanziert, wie auch mitfühlend und liebend in die Gefühlswelt hinein zu blicken und gleichzeitig von der Gefühlswelt involviert zu sein, die Gefühle zu leben und sie ruhig zu betrachten. Bevor diese Gleichzeitigkeit möglich ist, wird sich zuvor ein Oszillieren zwischen den beiden Zuständen einstellen.
Damit leben wir in Verbindung zum Absoluten und zur Gefühlswelt (der relativen Welt der vorübergehenden Formen). – Im Herz des Tänzers ist es still.

Die Höherentwicklung der Seele
Gelingt es uns, die Verbindung mit der geistigen Welt (mit dem Absoluten) immer öfter und besser aufrecht zu erhalten, so kann geistige Energie und LIEBE in unsere Alltagswelt und somit auch in unsere Gefühlswelt fliessen.
Dadurch bauen sich die höheren Gefühle von Freude, Friede, Seligkeit und Empathie, die auch Bewusstseinszustände sind, auf, und die ego-gesteuerte Gefühlswelt verliert an Macht und Einfluss, ohne aber zu versiegen.
Dem Menschen ist es gegeben, Übergang und Verbindung zwischen den genannten Welten zu sein. ICH BIN DER WEG, sagt das innere Christus-Selbst. Stellen wir uns diesem Fluss zur Verfügung, so kann in beide Richtungen Liebes-Energie fliessen: von der himmlischen Welt zur Erde und umgekehrt. Damit können wir Menschen der Erdenwelt «Nahrung» zukommen lassen – Nahrung, welche die Erde und die Menschheit so dringend braucht.

Und die unedlen Gefühle?
Doch auch die weniger edlen Gefühle (z.B. Neid) wollen angenommen und verstanden sein. Nur was geliebt ist, löste sich zur rechten Zeit auf, oder verwandelt sich in ein Höheres.

Im Herz des Tänzers ist es still.

 

 

Es gibt etwas Hinhörendes…

Es gibt etwas Hinhörendes und Anteilnehmendes in allem, was ist,
es ist eine warme, mütterliche Präsenz, die uns in unserer Bedürftigkeit wahrnimmt,
uns liebend ans Herz nimmt,
uns zart einhüllt und tröstet, wenn wir Trost benötigen.

Diese anteilnehmende, uns zuhörende Kraft vibriert in jedem Schöpfungselement,
wirkt in jedem Ausgenblick,
erfüllt das ganze Universum.

Wir sind nicht nur gesehen, sondern auch gehört und erhört.

Wie gerne ich das wiederhole,
wie liebe ich es, diesen Refrain zu singen.

Ja, es gibt diese zauberhaften, zarten Momente,
wo wir erkennen, dass diese sanfte Wirklichkeit einfach da ist.

Umarmendes Dasein, umhüllende Liebe.

Jede menschliche Umarmung weist darauf hin,
ja, in jeder zwischenmenschlichen Umarmung, die von Herzen kommt,
entpuppt sich die universelle,
berührt uns der Liebende – die Liebende,
zart und kraftvoll zugleich
und dann wissen wir,

dass jemand (etwas) uns tatsächlich zuhört,
jede Nervenfaser von uns erspürt, in jedem Atemzug,

in jedem Atemzug mitschwingt, mitfühlt.

Es ist eine warme, uns zuhörende Präsenz,
ohne jegliche Fremdheit,
eine anteilnehmende Gegenwart, die uns besser kennt,
als wir uns selbst kennen.,
reines Vertrauen,
das schon da ist, immer schon da war, und darauf wartet,
uns zu empfangen.

Es gibt etwas Zuhörendes und Anteilnehmendes in allem was ist.

Meditative Praxis – ein Vorschlag:
Wenn Du in Meditation bist und sich in Dir Stille aufbaut, dann gibt Dich ihr hin,
überlass Dich ihr und erinnere den Satz: «Es gibt etwas Hinhörendes und Anteilnehmendes in allem was ist». Nun kann es geschehen, dass Du Zugehörigkeit und ein Gefühl von Aufgehoben-sein erlebst, in dem Du Dich sehr tief lösen und entspannen kannst. Du fühlst Dich vielleicht in ein warmes Licht eingebettet. Überlasse Dich also jener liebenden Kraft (die göttliche Mutter), die Dir zuhört, die an Dir/uns Anteil nimmt – und letztlich wesentlicher Teil ist von Dir.

 

Geduld

Seit ich lebe, übe ich mich in Geduld. Sie ist mir nicht in die Wiege gelegt worden; ich muss (darf) sie erarbeiten.

Geduld ist die Zeit, die es braucht, damit sich eine Vision verwirklichen kann, die Zeit, die nötig ist, damit sich das Leben erfüllen kann und im Kleinen ist Geduld die Zeit, damit sich eine Emotion oder ein Impuls voll aufbauen und entfalten kann.

In Ruhe bei dem verweilen, was ist, ist Geduld. Verweile ich zum Beispiel bei aufkommender Trauer und der sich langsam breit werdenden Bewegung, mit der sie sich aufbaut, dann komme ich langsam in die Tiefe meiner selbst und ich erkenne die Ursache meiner Trauer, die zum Beispiel darin bestehen kann, dass ich in meinem Leben zu wenig auf mein Herz gehört habe. Nur wenn ich mir die benötigte Zeit nehme, mich in meine Trauer* (oder wie immer das jeweilige Gefühl ist) zu versenken, kommt es zur nötigen, tiefen Einsicht, die zu einer Verhaltensänderung führt, zu einer Einstellungsänderung oder gar zu einem Wachstumsschub.
Das Abschneiden und Töten aufkommender Impulse und Gefühle, lange bevor sie sich in ihrer ganzen Gestalt aufbauen können, schadet uns. Es ist als, ob wir Blumen ausrupfen würden, lange vor ihrem Erblühen. Es handelt sich hier um Micro-Tötungs-Impulse, meist unbewusst, die damit zu tun haben, dass wir uns nicht vollständig erlauben, zu lieben und zu leben.

Seit Wochen höre ich immer wieder Klaviermusik von Erik Satie, der jeden Ton in sich erlauscht haben muss, bevor er ihn zu Papier gebracht hatte. Es ist langsame, perlende Musik, melancholisch und verträumt, die stark von der lebendigen Zeit der Pausen zwischen den Tönen lebt. (Erik Satie: Gymnopédies oder Gnossienne.)

Nun, da ich älter werde, akzeptiere ich meine Verlangsamung und erfahre, dass dadurch mehr Ruhe und Friede, die Früchte der Langsamkeit, aufkommen können.

Nun lehne ich zurück und atme tief ein und aus. Ich will diesen Artikel langsam und mit Geduld schreiben.

Der Druck, rasch ein Ziel zu erreichen führt zur Ungeduld, zu Stress und oft zu Gewalt. Nur schon der kontinuierliche Druck, den Menschen auf sich selbst ausüben, ist beginnende Gewalt, die krank machen kann. Ungeduld, ständiges Tempo und Gewalt bedingen sich gegenseitig.

Damit etwas Gestalt annehmen kann, braucht es Zeit. Die Zeit fliesst aus der absoluten Welt der Zeitlosigkeit in unsere zeiträumliche, relative Welt.
Zeit ist ein zartes, feines Strömen: Wachstums-Elixier. Sie fliesst in der Geschwindigkeit und in den Rhythmen, die ihr aus höherer Weisheit immanent ist. Manche verstehen Zeit als ein Attribut Gottes.

Zeit ist zart. Zeit ist natürlich, wenn sie nicht durchgeplant, chronologisch ist.

Liebe Leserin, lieber Leser: Wenn Du magst, lehne dich jetzt zurück, schliesse die Augen und denke: Ich lass mir alle Zeit, die ich brauche, um mich ganz selbst zu sein.
Atme und spreche diesen Satz ein paar Mal langsam und liebevoll zu dir selbst.

Vermutlich wirst Du eine Veränderung in Deinem Befinden und in deinen Organen fühlen. Vielleicht fühlst Du alten, sich nun lösenden Druck und aufkommende Leichtigkeit.

Ungeduld und dauernde Beschleunigung führen dazu, dass wir Mensch immer heftiger in die natürlichen Abläufe eingreifen. Bis hin zu massloser Gewalt. Die ganze Welt dreht in dieser Beschleunigungsspirale der Ungeduld, die atemlos und rücksichtslos macht. Durch die überdüngten Böden, Monokulturen und den Einsatz von Mega-Maschinen veröden Landschaft, erodieren und vertrocknen Böden, sterben Wälder. Dies als ein Beispiel von vielen.
Es ist wohl Panik, die zu ständig heftigeren Eingriffe in die Natur der Erde und des Menschen führt.

Ohne Entschleunigung keine Natürlichkeit. Ohne Verlangsamung und Geduld kein Gesundheitswesen, das auf Salutogene beruht.

Salutogenese beinhaltet die Fähigkeit, die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen, der Glaube an die eigene Wirksamkeit und der Glaube an den Sinn des Lebens. Diese Fähigkeiten entwickeln sich langsam und stetig; sie setzen Geduld voraus.

Langsamkeit und Geduld lassen uns erkennen, dass die Seele, in der wir leben, eine milde, sanfte und wissende Substanz ist. Von ihr getragen finden wir in ein friedvolles Leben, jenseits von Stress und Hetze und fernab von Gewalt.
Die Seele umhüllt und durchströmt uns zärtlich und erfüllt uns mit Seins-Seligkeit. Sie gibt uns den Schutz, den wir in dieser hektischen Welt brauchen. Durch Geduld und Geruhsamkeit wird sie uns immer zugänglicher.

Erst jetzt dürfen wir von Nachhaltigkeit sprechen. Sie baut sich auf der Ebene der Seins-Erfahrung auf.

Wenn wir also noch einmal zurücklehnen, ruhig, tief und liebevoll mit dem Satz atmen:
Ich lasse mir alle Zeit, die ich brauche, um mich ganz selbst zu sein,

werden wir vielleicht spüren können, dass sich eine heilende Energie aufbaut, die unter dem Deckel von Ungeduld und Betriebsamkeit darauf gewartet hat, erkannt und gelebt zu werden.

Ich werde nicht damit aufhören, Geduld einzuüben.

*zur Trauer: Die zur Trauer gehörende Energie-Bewegung geht meist sowohl in die Breite, wie auch in die Tiefe, verbunden auch mit einem Lösen von Spannung und Druck, oft im Bauch-Bereich. Nach einiger Zeit kann sich eine Aufwärts-Bewegung einstellen. Wenn diese Bewegungs-Gestalt abgebrochen wird, kann sich der nachfolgende Entwicklungsschritt kaum oder gar nicht einstellen. Dies gilt für alle Gefühle. Es scheint eine Zeit-Krankheit zu sein, nicht bei einem einzelnen Gefühl verweilen zu können.
E-Motion kann man auch lesen und verstehen als Energie (E) in Bewegung (Motion).

Der Weltschmerz und die Samen des Guten

Der Weltschmerz und das Leiden der Welt suchen eine Wohnstatt, einen Ort, wo sie -endlich – gesehen und gehört werden,
wie jeder Mensch gehört und gesehen werden will, damit er sich entspannen und sich lösen kann,
wie alle, die leiden, sich verloren und verzweifelt fühlen, ein offenes Ohr
und ein offenes Herz suchen, solange, und immer rastloser werdend,
bis sie es gefunden haben.

Und da gibt es Menschen, nicht Wenige, die
das Klopfen hören und auftun und Einlass gewähren.

Einlass für die Schmerzvollen, Verwundeten, Leidenden, in Gestalt
endloser Flüchtlingsströme,
in Gestalt hungernder Kinder,
in Gestalt verelendender Tiere und aussterbender Pflanzen,
in Gestalt junger Männer, die ihren Vater im Krieg verloren haben,
in Gestalt missbrauchter und vergewaltigter Frauen.

Jemand muss doch da sein für die Gestrandeten, die Verwundeten, die Verlassenen.

Der Schmerz der Welt will gehört und wahrgenommen sein.

All das, was Menschen ausgelagert haben, öffentliche Dienste, Funktionen, Gefühle, ihr eigenes Leiden ist auf der Suche
nach offenen Herzen.

Bis Du nicht mehr kannst, feinfühlige Frau, empathischer Mann,
bis zum Punkt, wo Du den Kopf auf den Tisch legst
und einen tiefen, langen Seufzer ausstösst,
und vielleicht legt sich dann Ruhe über Dich, wer weiss
und ein leises Lüftchen umkreist Deine Schläfen

oder Du bemerkst, dass ein wunderbarer hilfreicher oder schöpferischer Gedanke zu Dir kommt, der von Dir sanft geknetet und angehaucht werden möchte
und zu einem Samen des Guten werden möchte.
Du atmest bewusst, während Du ihn zu einem Samen rollst und mit jedem Atemzug
wird er geschmeidiger und er beginnt gold-gelb zu glänzen und

er bittet Dich zu einer guten Tat.
Die Magie der Verwirklichung umhüllt Dich wie ein feiner Zauber.
Du bringst den Samen, den Du zwischen den Fingern und im Herzen bewegt hast,
den Du liebevoll angehaucht hast und ihm so Leben gegeben hast
in die Erde.

In die Erde, den Humus, die Humanität.
Dann, wenn Du den Samen mit Erde zugedeckt hast,

beginnst Du darüber zu tanzen.
Die Sonne funkelt in deinen Wimpern
und Du spürst, wie dass Sonnenlicht zur Erde fällt.

Dann wirst Du leer, unendlich leer und still.
Und während Du schläft, flüstert Dir die Geliebte/der Geliebte ins Ohr,
während Dein Verstand im Tief-Schlaf ist.

Oh!

Am nächsten Tag, irgendwann zwischen Tür und Angel
klopft der Weltschmerz an Deine Türe
und die Heilkraft in Dir
öffnet ihm die Tür.


und Du spürst, wie Dir ein warmes Gefühl entströmt, wie ein Licht in der Nacht.
***********

zum Titelbild: Ausschnitt einer Darstellung von Kannon oder Kanzeon, Bodhisattva, die Verkörperung des Mitgefühls, in männlicher Gestalt als Avalokiteshvara bekannt.

SCHÖNHEIT ALS BEGEGNUNG UND TANZ

Es gibt verschiedene Aspekte der Schönheit: Hier möchte ich mich beschränken auf jenen dynamischen und spielerischen Aspekt der Schönheit, welcher aus einem Zusammenspiel zweier unterschiedlicher Kräfte, Qualitäten oder Wesen hervorgeht.

Kann es sein, dass uns Menschen das Gesetzt der Polaritäten gegeben wurde, um unsere Liebes- und Beziehungsfähigkeit zu entwickeln?

Es braucht ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und des Einsseins, damit der Impuls des Abstossens und Wegweisens (bis hin zum Krieg) überwunden werden kann und stattdessen die Kraft der Anziehung und der Liebe Begegnung wagt.

Ein Konzert, technisch brillant gespielt, fehlerlos, kann uns merkwürdigerweise kühl lassen, würde es aber nicht nur perfekt, sondern auch mit Leidenschaft gespielt werden, so würde es uns entzücken und wir würden ausrufen: Oh, wie schön, wie zauberhaft, wie Wunder-voll.

Dieses Zusammenkommen von Emotion/Begeisterung und klarer Form/Strenge eröffnet den Tanz der Schönheit, der uns oft zu Tränen rührt.

Charly Rivel, der grosse, unterdessen verstorbene spanische Clown, verknappte und verdichte seine clownesken Szenen im Alter immer mehr (auch ein Aspekt von Schönheit) bis hin zu wenigen, vollendeten Gesten und Tönen. Er vereinte die Weisheit des Alters mit kindlichem, sprühendem Witz und Würde mit Scheitern. Dieses Zusammenwirken dieser so unterschiedlichen Seiten verlieh ihm eine betörende und überwältigende Ausstrahlung und Schönheit. Ein kleiner Abstecher ins Internet zu Charlie Rivel lohnt sich auf jeden Fall.

In den wenigen, letzten Strichen grosser Kunstmaler, kurz vor ihrem Dahinscheiden, kann man ihr ganzes Leben extrem verdichtet ablesen; also in jenen irgendwie glitzernden, spröden und zarten Strichen Erschöpfung und kindlichen Übermut erkennen, und es lässt sich erahnen, wie Leiden und Glück ein Drittes, Übergeordnetes ausgebildet haben.

Es ist die einende und vereinigende Kraft der Liebe, die Schönheit schafft. Dem Herzen wird diese Kraft der Vereinigung und Integration zugesprochen, die zum Ausdruck und Erleben berührender Schönheit führt.

Hier, im Herzen treffen sich Energie und Form, Weibliches und Männliches, Himmlisches und Irdisches. Da beginnen diese Kräfte miteinander zu tanzen und ihr Tanz wird begleitet von Gesängen der Liebe. Die Schönheit, die sich in diesem Tanz offenbart spricht von der Liebe, aus welcher sie hervorgegangen ist.

«Der Zweck der Liebe ist Schönheit», sagen manche Sufi-Mystiker.

Der beseelte Körper des Menschen verleiht ihm Schönheit, weit mehr als jede äussere Verschönerung durch Kosmetik.

Doch auch jedes Äussere kann schön sein, wenn der Zauber der Liebe in ihm steckt, wie auch die Liebe des Kochs in jedem guten Gericht spürbar ist, auch wenn es nicht ins Bewusstsein der Essenden dringt.

Es ist die DRITTE KRAFT im Dazwischen die zum Tanze einlädt.
Diese Kraft hat auch viele andere Namen: Die Kraft der Mitte, die Herz-Mitte, der Heilige Geist, etc. In jeder Begegnung wirkt sie: sie belebt, weckt Kreativität, gibt ein Zusammengehörigkeitsgefühl, welches weiterträgt. Dies umso mehr, wenn zwei sich Liebende sich dieser Dritten Kraft in ihrer Mitte bewusst sind.

Die Drei verweist immer auf die Eins, das heisst auf die Einheit von allem was es gibt.

Aus diesem Liebestanz geht ein Licht, ein Kind oder ein Werk hervor.

Der Tanz der Liebe ist voller Wunder, wundervoll. Er ist voller lebendiger, berührender und bewegender Schönheit.
Wann immer wir spüren, dass aus einer Manifestation, einer Begegnung zum Beispiel, die Kraft durchschimmert, die zu dieser Manifestation geführt hat, wenn also ein Werk, ein Ding oder eine Situation durchlässig und transparent ist für die Kraft, die es geschaffen hat, erleben wir Schönheit, die uns berührt. Und die schaffende Vereinigungskraft, die uns so sehr berührt und alles schön macht, ist die Liebe.