Eine Kultur der Zärtlichkeit Teil 2

Im ersten Teil dieses zweiteiligen Blog-Beitrages äusserte ich mich primär zu den psychologischen und erdnahen Aspekten der Zärtlichkeit. Im zweiten Teil betone ich die spirituelle Seite dieser Wachstumskraft und stelle einen Bezug zu Weihnachten her.

Im Kommentar zum letzten gleichnamigen Artikel machte mich Christoph Albrecht, SJ, auf eine Text-Passage von Kurt Marti* aufmerksam, die mich aufhorchen liess und zu einem fast hörbaren «Ja, so ist es» stiess.

Hier das Zitat:

„Die vollkommene Aufmerksamkeit
Worauf weisen die Begriffe Allgegenwart und Allwissenheit Gottes hin? Vielleicht auf jene universelle, vollkommene Aufmerksamkeit, wie sie altrussische Ikonen als „das nichtschlafende Auge Gottes“ dargestellt haben. Diese universelle, zugleich engagierte Aufmerksamkeit ist weder als Auge des Weltgesetzes noch als das eines „Kosmopolizisten“ (Jan Milič Lochmann), vielmehr als vollendete Zärtlichkeit zu denken: Zärtlichkeit als intensivste Form der Aufmerksamkeit.“

Das leuchtet mir ein; es entspricht meiner inneren Erfahrung: Die Zärtlichkeit als intensivste Form der Aufmerksamkeit.
Ich erfahre Zärtlichkeit auch als eine Schicht der all-gegenwärtigen, universellen Barmherzigkeit.
In der Sphäre der Zärtlichkeit wirkt Trost und Heilung.

Wenn wir uns – zum Beispiel in einer Meditation/Kontemplation – betrachten lassen, so nehmen wir wahr, dass das göttliche Lichtauge, das ev. an eine Sonne erinnert, uns schaut und erschaut, vollkommen zärtlich, liebevoll und tröstlich. So wird es auch in vielen Berichten von Nahtod-Erfahrungen gesagt (die sich manchmal tiefen mediativen-kontemplativen Erfahrungen sehr ähnlich sind), dass eine Lichtwesenheit mit der betreffenden Person in einen Herzens-Dialog eintritt, indem sich die Betroffene oder der Betroffene völlig aufgehoben und geliebt fühlt. Es ist zärtliches Licht, das auch an das Lächeln von Buddha erinnert.
Die Begegnung mit Licht-Wesen verdichtet sich manchmal zu der Frage hin: Bin ich es selbst, der mir begegnet, also mein inneres Licht-Wesen, das in mir angelegt ist?

Dieses zärtliche Licht, so will ich es nun nennen, ist vollendete Aufmerksamkeit, vollendete Präsenz und Zugewandtheit. Es ist erfahrbar, dass es ein Zuhörendes und Anteilnehmendes in allem gibt, was ist.

Sie ist, wie im ersten Artikel schon gesagt, der Boden auf dem wir stehen und die Atmosphäre in der wir wachsen und gedeihen und uns beheimatet fühlen.

Es ist bemerkenswert, dass in kirchlichen und theologischen Kreisen eher selten von Zärtlichkeit gesprochen wird und ich frage mich, warum das so ist. Ist es vielleicht die patriarchalische Prägung dieser Kreise?

Weit öfter findet im Bereich der Mystik die Erfahrung von Zärtlichkeit Ausdruck, so etwa bei Johannes vom Kreuz. Ich zitiere hier zwei Strophen seines wunderbaren Gedichtes aus die Lebendige Liebesflamme **:

„O Flamme, von Liebe lebendig,
die du zärtlich verwundest
meine Seele in tiefster Mitte!
Da du nicht mehr quälend bist,
komm schon ans End‘, wenn’s dir gefällt;
zerreiss den Schleier zur süssen Begegnung!

Wie sanft und liebkosend
erwachst du in meinem Schoss,
wo du allein insgeheim wohnest!
Und in deinem köstlichen Hauch
von Gutem und Herrlichkeit voll,
wie zartkosend machst du mich verliebt!“

Dies ist eine Beschreibung der mystischen Weihnachten.

Zärtlichkeit ist sowohl ein Bewusstseins-Zustand, wie auch ein Gefühl und ein wundervoller Ausfluss bedingungsloser LIEBE.
Die Erfahrung von reiner Zärtlichkeit ist Grund-legend. Sie hat nichts zu tun mit falscher, sentimentaler Süsse, kitschiger Peinlichkeit oder einer hübschen Fassade.

Sie ist Ausdruck einer umfassenden Intimität, die durch Empathie und Nähe entsteht, in einem non-dualen Dialog, der die Einheit allen Lebens atmet.

*

Zärtlichkeit ist erstens eine fundamentale Kraft, die uns Menschen erdet, sowohl in unserm Körper, wie auch auf Mutter Erde. Sie ist die Kraft, die uns hier wachsen lässt, mütterliches Fluidum;

und zweitens: sie ist ebenso die Kraft, die uns mit der geistigen Welt verbindet, die uns zu Anteilnehmenden und Zugehörigen werden lässt,

und drittens ist Zärtlichkeit die Kraft, die eine Brücke bildet zwischen der Erden-Welt und der Geist-Welt, aus der wir kommen und wohin wir gehen.
Sie verbindet Himmel und Erde, die physische Welt mit der geistigen Welt.

Die Kraft der Zärtlichkeit wirkt all-gegenwärtig im Universum, wie auch auf Erden. Hier aber ist sie bedeckt von einer verwundeten und zum Teil abgestorbenen Oberfläche. Die darunter liegende Zärtlichkeit und die damit verbundene Heilkraft können wir bewusst einatmend befreien und sie ausatmend einer werdenden Kultur zärtlichen Erdenlebens zukommen lassen.
Dies ist wohl die wahre Weise, Weihnachten zu feiern.

 

*Kurt Marti, Zärtlichkeit und Schmerz, Darmstadt 81. Vergriffen.
**Johannes vom Kreuz:  Die lebendige Liebesflamme, Herder TB 5049

 

 

Eine Kultur der Zärtlichkeit

«Zärtlichkeit, die friedliche, willkommene Grenzüberschreitung hinüber zum Du, steht als Prinzip der Bejahung, der Berührung und Vereinigung gegen das Prinzip der Verneinung, Abkapselung, Vernichtung.»                                        August E. Hohler

These: Zärtlichkeit ist das Fundament der Menschheit.
Der Mensch ist ein hoch-komplexes, fragiles, aber auch geschwächtes Geschöpf. Er gedeiht in einem Netz nährender, zärtlicher Beziehungen und Kontakte.

Wenn man mich fragen würde, welche Synonyme für mich treffend den Begriff Spiritualität erklären und veranschaulichen würden, so würde ich folgende Worte nennen:

Berührung   –   Bewusstheit   –   Zärtlichkeit.

Berührung:     Initiation, Lebens-Ur-Impuls, Erweckung, Vermittlung, Seins-Übertragung
Bewusstheit:  Gewahrsein des göttlichen Geistes, Reflexionsvermögen, Kontemplation
Zärtlichkeit:    Achtsamkeit, Empathie, Seligkeit, Seele, Heiliger Geist, das Lamm, LIEBE

Dieser Blog-Beitrag handelt von der Bedeutung der Zärtlichkeit im Leben des Menschen, bzw. der Menschheit.

Man hat herausgefunden, dass Haut und Gehirn aus der gleichen fötalen Bindegewebsschicht stammen, dem sogenannten primären Ektoderm. Aus dem ektodermen Keimblatt bilden sich: die Haut, das Nervensystem und die Sinnesorgane. Also diese drei wachsen und differenzieren sich aus dem Keimblatt (dem primären Ektoderm)

Es ist nun leicht einzusehen, dass bei der Entstehung des Embryos und damit des Menschen, Zärtlichkeit die Entwicklung der Haut, des Nervensystems, des Gehirns und der Sinnesorgane unterstützt und fördert und es kann vermutet werden, dass die Zärtlichkeit der Eltern bei der Zeugung des Kindes und danach während der ganzen Schwangerschaft die Bildung des Embryos positiv beeinflusst, genauso wie der Hautkontakt mit dem Neugeborenen später zentral ist für seine menschliche Entwicklung.

Wenn also Haut, Nerven und Sinnesorgane aus einem Gemeinsamem entstanden sind, so ist es leicht nachzuvollziehen, dass es durch Zärtlichkeit nicht nur der Haut, sondern auch den Nerven und Sinnessorganen gut gehen wird.

Hier möchte ich einfügen, dass für mich Zärtlichkeit zwei zentrale Aspekte umfasst:
Erstens: Intimität, taktile Hautkontakte wie Streicheln, Liebkosen, Umarmen, Küssen.
Zweitens: Eine zärtliche zwischenmenschliche Atmosphäre, ein emphatisches, feines Klima.

Beide Aspekte zusammen ergeben für mich die Bedeutung von Zärtlichkeit.

Nach dem der Mensch geboren ist, den mütterlichen Uterus verlassen hat, wechselt er über in die sozial-emotionale Gebärmutter. Er ist eine physiologische Früh-Geburt (Adolf Portmann). Anders als Säugetiere, die kurz nach ihrer Geburt gehen können, ist der menschliche Säugling noch unbeholfen, völlig auf Pflege, Betreuung und Umsorgung angewiesen.
Insbesondere aber auf Zärtlichkeit. Auf dem Boden der Zärtlichkeit reift er, wächst er, gedeiht er. Seine Intelligenz, insbesondere die emotionale Intelligenz, entwickelt sich zu einem grossen Teil durch Hautkontakte:

In einer Atmosphäre der Zärtlichkeit und des Getragen-seins entwickelt sich beim Säugling und beim Klein-Kind Urvertrauen. Ur-Vertrauen ist der Vertrauens-Boden, auf dem der Mensch steht und handelt. Konnte sich dieser Boden von Vertrauen nicht oder nur minimal bilden, spricht man von Ur-Misstrauen. Ohne Ur-Vertrauen fällt es Menschen sehr schwer, stabile und vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen und zu halten. Sie neigen dazu, sich zu isolieren oder sich mit Gewalt das zu holen, was sie brauchen.

Zärtlichkeit erdet! In einem Raum der Zärtlichkeit kann der Mensch ganz inkarnieren. Fehlt diese Basis wird der Mensch nur teilweise inkarnieren können. Die Erde kann nur mittels ganz Inkarnierten zu ihrer ganzen Wesenskraft finden. Lesen wir Jochen Kirchhoff („Was die Erde will“):

„Mir scheint es durchaus plausibel und sei es auch nur metaphorisch, von einer kosmischen Geburt von Erde und Erdenmenschheit zu reden. Vielleicht bedarf es einer kosmischen Geburt, damit die Erde zur ERDE transmutiert, die sie andererseits schon immer war. Die Erde muss das werden, was sie ist, und zwar unter Mithilfe des Menschen…Die Erde braucht den integralen Menschen, um ganz Erde (ERDE) zu sein… Der zu sich selbst gekommene Mensch ist die Erfüllung der Erde.“ (S. 263 und 372)

Zärtlichkeit hat sehr viel mit Erdung und der Bildung von Boden, im Sinne von Fundament zu tun. Vertrauen, durch Zärtlichkeit gewachsen, bildet der Boden, auf dem der Mensch lebt und handelt. Obwohl Zärtlichkeit beim Säugling und Kleinkind von besonderer Wichtigkeit ist, bleibt sie doch ein Leben lang unabdingbare Nahrung für das seelische und geistige Wachstum des Menschen, welcher aus ihr lebt, sich entwickelt und vervollkommnet.
Ich glaube, dass sich alle Kinderpsychologen und Kinder-Psychiater einig sind, dass das Kind, insbesondere der Säugling die Erfahrung der Zärtlichkeit, des Getragen-Werdens, der Körperwärme, unbedingt braucht, damit er sich gut und harmonisch entwickeln kann.
Wäre dies im Bewusstsein der Bevölkerung und seiner PolitikerInnen, wäre eine ausgiebige Elternzeit schon längst Gesetz und keine Frage mehr.
Wer Boden unter den Füssen hat und in einer zärtlichen Umgebung lebt (die er mitaufgebaut hat), hat fast alles was er benötigt: Gemeinschaft, Liebes-Beziehungen, Selbstvertrauen, ein Grundgefühl von Wärme und Akzeptation, Mut zur Selbstgestaltung, eine erfüllte Sexualität.

In Wärmeräumen, die in einer zärtlichen Gesellschaft laufend geschaffen werden (ich habe davon in früheren Beiträgen davon gesprochen) wird ein zärtliches Miteinander gelebt. Im Laufe der Zeit verbinden sich diese Orte miteinander. Ein zärtliches Beziehungsnetz entsteht, über die Landesgrenzen hinaus. An Orten der Zärtlichkeit – so mein Visions-Bild – wird in Liebe zusammengearbeitet und das Leben gefeiert. Und es bleibt viel, viel Zeit, Zärtlichkeit zu zelebrieren, sich somit zu nähren und wertzuschätzen.

Eine solche Erfahrung macht den Menschen im materiellen Sinne genügsam. Fast alles, was unsere moderne Zivilisation und Kultur hervorgebracht hat, ist Ersatz für den Mangel an Zärtlichkeit, Verstehen und Vertrauen.
Je mehr Konsum, desto weniger Zärtlichkeit. Je dicker die Menschen einer Gesellschaft sind, desto weniger echter Friede kann vermutet werden. Der Mangel an Zärtlichkeit macht unruhig, macht nervös. Sucht und fiebriges Reisen sind die Folge.

Wir brauchen eine Kultur der Zärtlichkeit, damit wir zur Ruhe kommen. Sie ist das Erste, das wir brauchen. Alles andere geht daraus hervor.
Kann das so simpel sein? Ja, das ist es, wenn auch der Bewusstseinsschritt gross ist.

Innen-Raum-Entwicklung

Wir helfen mit, den Welten-Raum, das heisst die globale Atmosphäre zu erneuern, in dem wir unseren seelischen Innen-Raum entwickeln. Die äussere Welt ist ein Spiegel der menschlichen Bewusstseinsverfassung. Beginnen wir also damit, an unserem inneren Raum so zu arbeiten, dass er auf uns selbst, wie auch auf unsere Umgebung lebensdienlich wirkt.
Dieser Essay stellt den Versuch dar, einen langen Prozess in Kürze zu beschreiben.

Der Innen-Raum öffnet sich dem Menschen, wenn er nach innen schaut und sich in seinen seelischen Innen-Raum lauschend versenkt.

Dieser Raum ist, wenn wir ihn noch mit wenig Bewusstheit betreten haben, vorerst einmal verstellt, angehäuft mit Gedanken und Gefühlen, die, verkeilt ineinander und zu Mustern verformt, sich repetitiv, manchmal mechanisch bewegen und uns einen starken Eindruck von nervöser Betriebsamkeit geben. Ein völlig nach aussen gerichteter Mensch findet bei ersten Meditationsversuchen oft nicht die ersehnte Ruhe, sondern hektisches Gedankentreiben in einer kühlen, manchmal sogar abweisenden Atmosphäre, wo das Gedachte keine wahre Heimat findet, sondern sich in einem abstossenden Raum aufhält, eingezont, gefangen, ungeliebt, wodurch es sich nicht in positivem Sinne entwickeln kann.

Die Grund-Stimmung und die Atmosphäre sind entscheid für die Innen-Raum-Entwicklung.

Die inner-seelische Stimmung und Atmosphäre entwickeln sich aufgrund des Klanges, des Tones, mit dem wir zu uns sprechen. Ist die innere Stimme, mit der wir zu uns sprechen, unduldsam, gereizt, kritisch oder wohlwollend, gütig, nachsichtig? –
Ist sie wohlwollend und mitfühlend, dann entwickelt sich in unserem Seelen-Innen-Raum Milde, die Wachstum und Versöhnung mit uns und anderen Personen, die in uns leben, erlaubt und ermöglicht.
«C’est le ton, qui fait la musique.» – Die Herzens-Präsenz entscheidet über den Gang der Entwicklung.

Viele Menschen genügen sich selbst nicht. Das ist sehr verbreitet. Aufgrund dieser Einstellung, ist die Stimme, mit der sie zu sich reden, streng, fordernd, Druck ausübend, depressiv oder aggressiv machend. Dadurch wird das Binnen-Klima frostig und die verinnerlichten Gedanken- und Gefühlsmuster werden dementsprechend härter und kälter. Das Ego schafft eine Atmosphäre, welche kühl und feindselig ist.

Die menschliche Befindlichkeit ist vollständig davon abhängig, in welchem Ton wir mit uns sprechen. Der Klang unserer inneren Stimme bestimmt darüber, ob es uns in unserer Haut wohl ist oder ob wir lieber aus ihr fahren möchten.

Klar, auch der Inhalt unserer Weisungen und Kommentare zu uns, sind mitbestimmend über die Qualität in unserem Innen-Raum, entscheidender aber ist der Ton, mit der wir unsere inneren Inhalte qualifizieren.

Das Mitgefühl und die Einfühlung, die sich im Klang unserer inneren Stimme ausdrückt, transformieren uns. Zum Beispiel: Schmerz und Verlust wandelt sich durch Selbst-Einfühlung und Verständnis in Nachsicht und in Heilkraft.

Baut sich Freundschaft zu uns auf (durch den freundschaftlichen Ton, mit dem wir zu uns sprechen), wird es sehr viel leichter, uns dem höheren Selbst (der Innen-Raum im Innen-Raum), dem Seins-Raum (vergl. Im Seins-Raum, 17. Aug. 19) gegenüber zu öffnen.

In einer wachsenden Atmosphäre der LIEBE, erkennen wir unsere Ego-Struktur leichter; wir können ihr zulächeln und uns von ihren Zwängen leichter befreien. Dadurch lebt auch das innere Kind, nun nicht mehr eingeschüchtert, auf.

Wir erkennen nun die Relativität unserer inneren Programmierung und bekämpfen sie nicht mehr – wodurch wir ihr viel Energie gegeben haben – sondern wir lösen uns sanft von ihr ab.

Durch die Empathie zu uns selbst, entwickelt sich unser Verständnis für andere.
Es entsteht nun ein Raum der Heilung und des Wachstums in uns: der Seins-Raum.

In der alten gereizten und unduldsamen Stimmung binden wir uns an innere, alte Prägungen und Strukturen,
durch die wohlwollende, einfühlsame und nachsichtige Stimme, welche aus unserer Seele kommt, lösen wir uns von den alten Gedanken- und Gefühlsmuster, die uns bisher geformt haben, ab.

Das innere Gefängnis wandelt sich somit in einen Raum der Heilung und der Freude für andere, wie für uns selbst.

Wenn wir auf der Suche nach der inneren Wahrheit sind, eingestimmt auf unser Herzens, so können wir leicht am Ton erkennen, ob wir die die Stimme des Herzen hören oder eher die Stimme(n) der verinnerlichten Stimmen unserer Eltern, Lehrer, Erzieher oder der herrschenden Kultur.
Ist der Klang der Stimme, die wir vernehmen eher kritisch, schroff und unduldsam, so handelt es sich wahrscheinlich um die verinnerlichte Stimme (Über-Ich), die eher im Kopf angesiedelt und ihren Ursprung in der Aussenwelt hat und nicht der inneren Wahrheit entsprechen,
hört sich die innere Stimme klar, mild und liebevoll an, so handelt es sich sehr wahrscheinlich um die Stimme des Herzens, um die Stimme der eigenen, tiefliegenden Wahrheit, die der Seele entströmt. Sie ermöglicht es uns, unsere innere Wahrheit zu erkennen, jenseits aller Moral und Verurteilung.

Beitragsbild: Aquarell von WB „Raum“

 

Liebes-Gesänge

Als der Schöpfer, die zuvor leere Hand wieder öffnete, war da ein Vogel, der aus seiner Hand auf einen Zweig flatterte und dort seinen Schöpfer wahrnahm. Da begann er zu singen, zu jubilieren.
Das drei Monate alte Kind, im Arm seiner Mutter lächelte – zu ersten Mal, und die Mutter fühlte sich von ihrem Kind erkannt.

Der Kreis der Liebe war geboren, der lebendige Austausch.

Wenn der Mensch den Geber aller Dinge, den Strahlenden, die Liebende erkennt, steigt Freude in ihm auf, Gesang und Jubel.
Das ganze Universum erscheint ihm von einem dunkel-goldenen Licht durchstrahlt. Die Welt ist von Dankbarkeit und Seligkeit bewegt.

Es ist ein Gesang in allem: ein Lobgesang, ein Jubel.

Der Kreis der Liebe ist nun geboren, die Liebesbeziehung lebt und erfüllt das Universum mit einer vibrierenden Energie, die alles am Leben hält und neues Leben schafft.
Der Liebende – der Geliebte – die Liebe. Das ist die schöpferische Liebes-Trinität, der schöpferische Liebes-Tanz.
Die grosse LIEBES-Beziehung wiederspiegelt sich im Verliebtsein zweier Menschen.

Es ist ein tiefer Wunsch dieses schöpferische Dreieck immer wieder von neuen herzustellen und zu zelebrieren. Ich, Du und die LIEBE dazwischen. Diese drei.

Der sich bewusst werdende Mensch lebt sowohl im ursprüngliche Sein, in der Stille des Ur-Lichtes und er lebt in seiner Geschöpflichkeit, also in der Welt der Formen, mit allen seinen Herausforderungen in Glück und Leid, in Freude und Schmerz und schliesslich lebt er im Beziehungsraum, in der Liebes-Beziehung, die er genau so ist wie der Seiende und der in der materiellen Welt Tätige.

Zwischen ICH und DU der Gesang und der Tanz der LIEBE. Der Zwischen-Raum hier ist transparent, durchschienen, durchlichtet und erfüllt von Dankbarkeit und Zuneigung. Alles ist in Anteilnahme.
Anteilnehmendes Leben.
Manchmal ertönt der Gesang sehr zart, fast tonlos. Er erinnert an Zärtlichkeit. Manchmal schwillt er zu brausendem Jubel an. -Es sind Chöre, tausendfach, zu einem geworden, Sphären-Klänge, die nichts anderes ausdrücken als Liebe in Dankbarkeit.
Dieses dunkel-goldene Licht (das ich oben erwähnte) erinnert an die frühen Morgenstunden, an die Stille vor dem Aufbruch, an Zwielicht. Diese sanfte, «lobende Sphäre» taucht so plötzlich und unerwartet auf, wie sie auch wieder verschwindet, doch in einer zarten inneren Grundstimmung kann sie eher ins Bewusstsein treten. Diese Sphäre kann auch als Zwischen-Kosmos aufgefasst werden. Er ist äusserst subtil und von grosser Schönheit. In ihm sind wir unverletzlich und geschützt, in einem Schöpfungsraum, der grosse Ruhe atmet.

Erlaubt mir folgende Zwischen-Bemerkung:
Bei solchen Schilderungen wie oben, spüre ich, wie in mir immer eine Art Scheu und Verlegenheit aufsteigt, denn eine solche Sprache, so scheint mir, will nicht recht in unsere kühle Zeit passen und ich befürchte auch, dass das Ausgedrückte ins Reich der Fantasie eingestuft werden könnte. Gleichzeitig glaube ich auch, dass ein grosser Durst nach der subtilen Welt existiert, die unendlich realer ist, als die virtuelle Realität.

Normalerweise erleben wir das alles viel verhaltener, ja gedämpfter, als ich dies hier schildere. Oft erleben wir uns als ins Dasein Geworfene, als Verunglückte in einer ziemlich verrückten, dunklen Welt, die makaber ihre Totentänze zelebriert, die von geheimen Kameras aufgenommen und verfremdet (z.B. digital) widergegeben werden.

Und diese dunklen, abgründigen Erfahrungen sind Teil der menschlichen Realität und sie müssen nicht bagatellisiert werden.

Aber es ist nicht nötig, dass wir uns in diese Teil-Realität einschliessen (lassen). Es ist uns erlaubt und vielleicht sogar geboten, uns der wahren Herkunft und der LIEBES-BEZIEHUNG zu öffnen.

Es wird uns ans Herz gelegt, so glaube ich, nicht aufzuhören zu singen, nicht aufzuhören zu tanzen und uns zu bewegen. Trotz allem. – Diese Portion Verrücktheit lasse ich mir jedenfalls nicht nehmen.

Leben: uns von der LIEBE berühren und bewegen lassen – auch in dunkelster Nacht.

Diese letzten vier Artikel gehören zusammen. Sie alle handeln von der schöpferischen Kraft des Menschen, die uns wärmt:
Die Schöpferkraft des Menschen
Entscheiden
Lebens-Mut
Liebes-Gesänge

Beitragsbild: Ausschnitt einer Zeichnung von Werner Binder

 

Lebensmut

Die LIEBE weitet sich aus,
unendlich …

Ich glaube es kaum,
wie innig, wie stark, wie unsagbar gross sie ist.
Ich schwebe weg, bin über den Bergen
und die Sonne wird gross und grösser
und Lichtstrahlen, bündelweise,
wie orchestriert
fallen wie ein Blumenmeer über mich, –

Und dann: ein Aussetzer. Stillstand –
und etwas später bemerke ich,
dass sich alles zusammengezogen hat,
wie ein Kind mit Blähungen,
ein Mensch, der zu viel gegessen hat,
ein Kranker, bevor er sich übergibt.

Alles hat sich zusammengezogen.
So wirkt die Angst oder die Strenge:

«So jetzt genug! Was glaubst du denn,
wer du bist, dass du dich so aufblähst.
Noch kein Baum ist je in den Himmel gewachsen!
Wage nicht,
über die bemessene menschliche Kraft hinauszugehen.»

Alles hat sich zusammengezogen:
Es ist die Angst vor der Weite, die Angst vor dem Leben;
die Angst vor dem Glück.
Es kann auch Schuld oder Scham sein
oder es sind Minderwertigkeitsgefühle,
oder unbewusste Selbstbestrafungsbedürfnisse.

Ist denn jemand da, der für mich atmet,
wenn mein Atem stockt?

Millionenfach, milliardenfach geschieht dies täglich.
Es ist abgewürgte, erdrosselte LIEBE,
abgewehrt, abgeschüttelt,
von uns, die ihre unendliche Kraft ablehnen, mindern,

wir Mangelwesen!

Also:
Lasst uns in der Kraft bleiben.
Lassen wir es zu
(wir Ängstlichen),
dass uns die Mutter trägt
und uns all ihre Wärme gibt,
ihre Milch, ihr Lebenswasser.

Das ist der wahre Mut: uns der LIEBE, die uns über die Grenze führt,
anzuvertrauen, sie zu halten in Dankbarkeit,

zu wagen, die Wärme zu ertragen, die sich manchmal zur Hitze steigert,
die Feuchtigkeit der unzähligen Küsse anzunehmen,
die Früchte, die vielen, zu essen,
mit den Tautropfen zu spielen,
uns von der LIEBE völlig erweichen zu lassen,
bis wir schmelzen und uns auflösen,
wissend, dass wir wieder zusammengesetzt werden
und uns erheben, uns der Sonne entgegenstrecken,
weinend und lachend – leidenschaftlich.

Es bedeutet Mut, die Freude gross und mächtig werden zu lassen,
weit und unendlich.

Es ist die Kraft des Ja zum Leben, zu uns, zur Welt, zu IHM
Möge sie wachsen, Tag für Tag
Nacht für Nacht, durch alles Leid,
durch unser kleines wimmerndes Ich hindurch.

Zum Schluss Khalil Gibran:

«Meister ,Meister, aller Sänger,
deine Tränen waren Maischauer
und dein Lachen wie die gischtweissen Wellen
des Meeres,
deine Worte waren das Flüstern
vom Feuer entfachter Lippen.
Du lachtest für ihren innersten Nerv,
der noch nicht zum Lachen bereit war,
du weintest für ihre Augen,
die noch trocken waren.»

(aus Jesus Menschensohn)

Beitragsbild: Ausschnitt eines Bildes von W. Turner

Lichte Trauer

In verschiedenen Blog-Beiträgen habe ich auf die bewegte, lichtdurchlässige Trauer hingewiesen. Nun möchte ich darauf ausführlicher eingehen. Dieser Blog versteht sich auch als Fortsetzung und Ergänzung meines letzten Artikels: «Weltschmerz».

Tiefe, bewegte Trauer, in Verbindung mit Mitgefühl ist ein Zeichen zunehmender Gesundung, Heilung. Oft nennen Menschen ihre depressiven Verstimmungen, ihre Bedrückung und selbstquälerischen Lebensphasen oder die inneren Zustände von gedämpfter Lebenskraft und Lebensfreude fälschlicherweise Trauer.

Trauer aber, so wie ich sie verstehe, stellt sich erst eint, wenn der Mensch sich im Prozess der Heilung befinden. Nur der Gesunde, oder gesundende Mensch ist fähig, sich ganz in seine Trauer einzulassen.

Trauer bewegt, weicht auf, bringt, was vorher gelähmt war, wieder in den Fluss des Lebens, bringt, was vorher starr und hart war in eine weiche Bewegung, ermöglicht, was vorher überspannt war, einen lockeren und entspannten Zustand, indem alle Gefühle an Tiefe gewinnen. Diese bewegte Trauer ist Teil eines Heilungsprozesses.

Der Menschen, der seelisch-geistig erwacht, der sich also seiner geistigen Wesenheit zunehmend bewusst ist, was einher geht mit der Erfahrung von bedingungsloser Liebe und eines Gefühls von umfassender Geborgenheit und Seligkeit (Glückseligkeit). Es ist eine Art von seelischer Berührung, Ergriffenheit bis hin zu einer Erschütterung, die dem Erwachen vorausgeht, oft verbunden mit einer Trauer und Rührung, in der wir die alte Gefasstheit verlieren und eintauchen in das ursprüngliche Leben vor allen Prägungen. Dabei erkennen wir die Zwänge, Prägungen und Gewohnheiten, die uns über lange Zeit im Halbdunkeln festgehalten haben. Wir trauern dann über uns selbst, darüber, dass wir solange nicht wirklich gelebt haben. Dies wird uns jetzt bewusst im Licht, das in uns wie eine Sonne aufgeht.

Der Nebel hat sich verzogen, die Nebelschwaden haben sich gelichtet und die Sonne wärmt uns.

Die Mischung von Trauer und Licht ist ein wunderliches und wunderbares Wandlungs-Ereignis.

Die bewegte, weiche, erweichende und schmelzende Trauer, die von Licht durchflutet ist, heilt und wandelt: Sie ist in Mitgefühl eingebettet. Sie ist es, die der Trauer diese sanfte, wiegende Bewegtheit verleiht.

Während uns der Schmerz an unsere individuelle und kollektive Trennung von unserer Seele, unserem Herzen, also von uns selbst erinnert, begleitet uns die heilende und uns sanft bewegende Licht- Trauer durch den Selbst-Versöhnungsprozess hindurch zurück zu unserer Mitte.

Die Trauer verbindet uns wieder mit den Bereichen, die wir von uns abgetrennt haben. Nun kann das Abgespaltene zurückkehren. Empfangen wir also das Verloren geglaubte im Lichte unserer Tränen. Integrieren wir es.
Das Bewegte unserer Trauer wiegt das bedürftige Kind in uns.

Dies ist die Vorbereitung auf die nachfolgende grosse Freude, auf das Fest des Lebens und der Wiedervereinigung.

 

Weltschmerz

Wie viele meiner Freundinnen und Freunde kenne auch ich die Empfindung von Schmerz, wenn ich mir den Zustand der Erde vergegenwärtige: Schmerz, eng verbunden mit Trauer, die mich manchmal zu überwältigen droht.
Dies schon seit Jahrzehnten. Viele sind sich darin einig, dass sich die Menschheit in einer sehr schwierigen und schmerzvollen Krise befindet, die vielleicht einen Übergang in eine höher Bewusstseinsphase anzeigt. Mit dem Bewusstsein, welches zu den vielen Fehlentwicklungen dieser Zeit geführt hat, können die Fehl-Haltungen nicht korrigiert werden. Es braucht ein anderes Bewusstsein, eine andere Lebens-Grundlage, die wir vielleicht mit Weisheit oder Herzens-Intelligenz umschreiben können.
Der Weltschmerz verweist auf das leidende, verkümmerte, vergessene und/oder gequälte Leben hin.
Ein Beispiel: Europa nimmt es hin, das seit Jahrzehnten Jahr für Jahr viele Hunderte oder Tausende Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken. Europa will sie nicht haben. Menschen, die dem nicht zu sehen wollen, die helfen, werden verhaftet.
Wir haben gelernt unseren Schmerz und unsere Trauer weitgehend zu betäuben. Eine mächtige Betäubungsmittel-Industrie «unterstützt» uns dabei. Fast-Food  und Drogen gegen den Schmerz. Hektik, Stress, Ultra-Mobilität, Konsum gegen den Schmerz. Wir sind eine Schmerz-Abwehr-Gesellschaft.

Doch der verdrängte, abgewehrte, verleugnete Schmerz sucht Herzen, die ihn aufnehmen. Das ist immer so: Schmerz will gehört und wahrgenommen werden. Abgelehnte Kinder, aber auch Erwachsene unternehmen alles, um endlich ernst genommen, gehört und verstanden zu werden.

Ein Arzt in einer psycho-somatischen Klinik, so lass ich, wurde von seinen Mitarbeiterinnen gerufen, weil da eine Patientin ununterbrochen, seit Stunden, schreie. Durch nichts war sie zu stoppen. Der erfahrene Psychiater setzte sich an das Bett der Frau und lauschte. Voller Aufmerksamkeit versuchte er die Schreie dieser Frau zu verstehen. Er hörte, hörte mit grossen Ohren zu, war nur noch Gehör, über eine sehr lange Zeit, ohne die Frau je zu unterbrechen. Dann sagte er nach langer Zeit: Wir haben sie nun verstanden; sie können jetzt aufhören. Die Frau hörte auf zu schreien.

Ich habe mich gefragt, wie ich mit dem Weltschmerz umgehe und wie meine Freunde und Freundinnen damit umgehen.
Nicht Wenige verwandeln ihren Schmerz in Arbeit, indem sie sich für Benachteiligte einsetzen, für die Natur, für gepeinigte Tiere, im weitesten Sinne ein Engagement eingehen, das Leiden lindert und Gerechtigkeit stärkt. Sie bewegen sich oft im Bereich der Sozialen Arbeit oder der Politik. Mir scheint dieser Weg konstruktiv und hilfreich zu sein.

Der Dalai Lama sagte, dass Mitgefühl die Quelle der Glückseligkeit sei.

Tatsächlich finden sich unter den so Engagierten mehr heitere Menschen, als unter den Resignierten.
Bei dieser Gruppe von Menschen -den Engagierten- neigen nicht Wenige dazu, sich zu überfordernd bis hin zur Erschöpfung oder ernsthaften Krankheiten. Wahrscheinlich gehörte ich selbst dieser Gruppe an.

Andere wählen den Weg der Kontemplation und der Meditation. Sie suchen den inneren Frieden, Liebe und Wahrheit. Sie gehen davon aus, dass nur aus einem Zustand der inneren Stille und Gelassenheit Friede und Heilung für die Welt ausströmen kann, Kraft zur Wiederherstellung des Gleichgewichtes.
Mit dieser Überlegung haben sie recht. Aber sie vergessen manchmal, dass Einsichten und innere Erfahrungen nur durch Taten geerdet werden können.

Eine dritte Gruppe, die einen konstruktiven Weg aus der Erfahrung des Schmerzes gehen, sind jene Menschen, die ein zukunftsträchtiges Modell für eine nachhaltige, liebevolle Welt in Gemeinschaft erarbeiten wollen. Sie bilden neue Wohn- und Arbeitsgemeinschaften, gründen Netzwerke oder erarbeiten ganzheitliche pädagogische Schulkonzepte; sie bauen Bildungsstätten auf, oder sie geben ihre Kraft in die Erziehung ihrer Kinder, in der Absicht ihnen Bedingungen zu schaffen, die der freien Entfaltung ihrer Gaben und ihrer Menschlichkeit dienen.

Schliesslich möchte ich noch eine vierte Gruppe erwähnen: die der KämpferInnen für eine gerechte Welt und für Strukturen, die dem Frieden unter den Völkern dienen. Es sind Kämpfer*innen aus Mitgefühl, vielleicht auch aus Zorn, nicht aber aus Hass. Sie verwandeln den Schmerz in Kraft und Tatkraft. Sie sind mutig, manchmal bis zur Selbstgefährdung.

Viele Menschen sind in zwei oder mehrerer dieser skizzierten Gruppen tätig. Ich meine, dass sie sich bestens ergänzen. Alle diese Ansätze, die aus dem Weltschmerz und dem daraus hervorgegangenen Mitgefühl geboren worden sind, sind meiner Meinung nach zu respektieren und zu schätzen.

Am Anspruch gemessen, eine neue, gute Welt zu kreieren, eine Welt, in der die Wunden weitgehend heilen, werden vielleicht alle genannten Gruppen der engagierten Menschen teilweise oder weitgehend scheitern. Vielleicht werden sie, global betrachtet, das verbreitete Leiden aufgrund globaler Zerstörungsprozesse nur ein bisschen lindern können, was aber kein Grund darstellt, die Bemühungen für das Gute einzustellen. Geläuterte Engagierte orientieren sich nicht mehr am Erfolg. Sie lassen sich einfach von ihrem Herzen leiten.

Ein zu rasches Eingreifen, ein schnelles Tun, so gut die Absicht auch immer sein mag, verhindert jene wichtige Phase des reinen Zuhörens, des Lauschens, des tiefen Verstehens des Schmerzes der Welt – so wie jener Psychiater, der die Schreie jener Patientin einfach an sich herankommen liess, ohne Massnahmen zu ergreifen. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: jene Handlungsweisen, die ich oben beschrieben habe, sind zweifellos sinnvoll und hilfreich, doch -und dies möchte ich hier betonen- sollten sie jene Phase des reinen Zuhörens nicht verhindern oder abkürzen. – Weshalb?

Wenn Menschen mit einem offenen Herzen, das auch mit dem Herzen der Welt verbunden ist, zuhören, findet der abgespaltene Schmerz, das vergessene Leiden zurück in das Leben, in das Sein des Welten- und des Menschheits-Körpers. Die Verbindung des abgetrennten Schmerzkörpers mit dem Herzen der Welt, mit deinem und meinem Herzen, wird dadurch hergestellt. Das, was aus dem Ganzen herausfiel, kann so reintegriert werden.

Beim Prozess der Verlebendigung ist auch die mitfühlende Trauer von Bedeutung. In meinem Blog “Unsere aufgeschreckten Seelen“ (13. Juli 19) schrieb ich:

„Das lebendige Bewegt-Sein unserer licht-durchlässigen Trauer (ja, die gibt es) kann die Entfremdung von unserem eigenen Leben und der eigenen Lebenskraft beenden. Diese weiche Trauer, die sich im Herzen bildet und Licht freisetzt, ist heilend. Dabei werden auch weibliche Qualitäten wiederbelebt. Transformation bleibt niemals im Kopf begrenzt! Es ist ein Abstieg in die Tiefe der Seele, die uns erhebt, damit wir Neues schaffen können“.

Das offene Ohr bietet Hör-Raum; es ist eine Art von Gebärmutter. Darin kann sich das Bedürftige, das zuvor keinen Platz hatte, aufrichten und aufatmen. Somit löst sich der Schmerz, findet der Traurige, die Traurige Trost.

Aber haben wir denn die Stärke, dem Schmerz der Welt -der Mutter Erde- in uns Raum zu geben? Müssen wir uns nicht davor schützen? Uns schützen vor seiner ungeheuren Wucht?

Ich glaube, dass wir die Wucht des Schmerzes dann ertragen, wenn wir mit der LIEBE, aus der das Mitgefühl quillt, verbunden sind. Wenn wir uns also an die LIEBE wenden, aus der wir leben, wird uns die Kraft gegeben, Schmerz in Leben zu verwandeln.

Das ist zweifellos keine leichte Aufgabe, aber sie hilft uns auf dem Weg zum Menschsein.

Schmerz scheint mir vorwiegend die Folge von Trennung zu sein, insbesondere die Trennung von uns selbst. Mitfühlendes Hören erlaubt die Rückkehr dessen, was abgespalten war. Wiedervereinigung ist die glückliche Folge.

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Vergleiche auch den Blog-Beitrag: «Der Weltschmerz und die Samen des Guten» vom 28. Dez. 2018.

Beitragsbild: Farbstift-Zeichnung von Werner Binder

 

Garten Eden

Auf einem meiner Spazierwege befindet sich der ehemalige «Garten», der zu einem toten Schotter-Garten geworden ist. Tonnenweise grauer Schotter liegt da; eine zerzauste Palme kämpft ums Überleben. Buddhas und Störche aus Gibbs oder Stein stehen herum, Plastik-Maskottchen, Gartenzwerge. Dazwischen hängen Schweizerfahnen. Nicht zu übersehen ist die verbreiterte Garageneinfahrt, wo der grosse Gelände-Wagen steht. Es ist ein Kuriosum von moderner Verelendung mit kaum zu übertreffendem Kitsch.

Europaweit sind solche Schottergärten entstanden, pflegeleicht, tot. Versiegelte und zubetonierte Böden, wo nichts mehr lebt. Abstellplätze für Autos und Geräte, Abfall und für allerlei «Dekorationen». Sicher kein Lebensraum mehr für Insekten, Igel und Vögel.

Der Garten Eden ist paradiesisch, fruchtbar von grossen Flüssen durchströmt. Eine blühende Landschaft, von Liebenden bewohnt. – Tatsächlich leben wir (lebten wir) auf einem unglaublich von Leben übersätem Planeten, auf dem Millionen von Lebensarten Leben und Ausdruck fanden. Ein blühendes Land.

«Zerstörung der wertvollen Insektenlebensräume
Geeignete Lebensräume für Insekten sind selten geworden und werden weiterhin beeinträchtigt oder zerstört. Besonders stark ausgeprägt ist dies in Gebieten intensiver Landwirtschaft. Seit 1900 sind 95% der artenreichen Trockenwiesen und -weiden verschwunden…
Die Gewässer wurden über Jahrzehnte aus Gründen der Landgewinnung und des Hochwasserschutzes hart verbaut oder gar eingedolt. In Höhenlagen bis 600 m ü M. sind rund 80% der Gewässer im Siedlungsgebiet sowie rund 50% im Landwirtschaftsgebiet in einem ungenügenden morphologischen Zustand…
In Siedlungen und Agglomerationen, entlang von Strassenrändern und in Privatgärten werden viele Grünflächen reinlich gepflegt, die Böden mit Schad- und Nährstoffen belastet, verdichtet oder versiegelt (Steingärten, Parkplätze), sodass kaum mehr Lebensraum für Insekten bleibt.»*

Ich liebe Blumen und Gärten, Alleen, Hecken und natürlich Wälder. Sie gehören für mich zum Glücklichsein. Tanzende Schmetterlinge und singende Vögel öffnen mein Herz. Sie sagen mir: das Leben ist schön.

Schon lange weiss ich um das Artenstarben: 100 pro Tag – so die Schätzung. Seit den 1970er Jahren hat sich die Anzahl der Arten halbiert.
«Der Mensch verursacht gerade das grösste globale Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier.» (WWF, Deutschland). Zwischen einer halben und einer Million Arten sind vom Aussterben bedroht.

Seit ca. zwei Jahren weiss ich um das weltweite Insektensterben. Dort, wo ich jeweils Ferien mache, in den Süd-Alpen, stelle ich mit Bedauern fest, dass es Jahr für Jahr weniger Schmetterlingsarten zu sehen gibt.
Erst jetzt beginne ich aber, die Trauer über das Sterben der vielen Arten zuzulassen. Abschied vom Garten Eden.

Die lichte, sehr tiefe (nicht depressive) und erweichende Trauer ist eine der stärksten Kräfte der Transformation: Sie steht unter dem Segen der göttlichen Mutter. Alleine sie kann Wandel bewirken und zum nötigen Handeln führen. Warum? Diese weiche Trauer öffnet uns für das vernachlässigte, vergessene und verkümmerte Leben.

Insekten bestäuben, befruchten; viele Vögel ernähren sich von ihnen. Wir brauchen eine intakte Insektenwelt. Die Handlungs-Aufforderungen sind klar:

Wir brauchen Magerwiesen, Bäche ohne Pestizid-Rückstände, renaturierte Uferzonen, eine Landwirtschaft, die auch das Land pflegt und Naturschutz-Zonen zur Verfügung stellt und bereit ist auf Pestizide möglichst vollständig zu verzichten.
Die Grünflächen sind auszuweiten: Zum Beispiel Magerwiesen und Sträucher auf Flachdächern.

Und jetzt kommts:
Wir müssen Strassen und Parkplätze wieder für die Natur freigeben, auf Privatautofahrten vermehrt verzichten, den Öffentlichen Verkehr und das Velofahren bevorzugen. Und: Es ist nötig, dass wir den Schotter aus den Gärten räumen und wieder Wiesen anpflanzen.

Es gibt kein «Drumherum»: Mit technischen Innovationen alleine lässt sich die gesunde Balance zwischen Menschen und Erde nicht herstellen. Wir haben der Natur Raum zurückzugeben. Und: Wir haben unserer Seele den Raum zuzugestehen, welchen sie braucht, um sich zu entfalten. Nur bei lebendiger Seele finden wir den tiefen Kontakt zur Natur und zur Mutter Erde, der nötig ist für eine wirklich Kooperation von Erde – Mensch.

Ich vermute, dass lebensdienlicher Verzicht glücklich macht. Fülle durch Verzicht. Nur so geht’s zurück in den Garten Eden – wenn er denn noch zu retten ist.

*Das Insektensterben stoppen – eine Auslegeordnung zuhanden der UREK-N.

 

 

 

 

 

 

 

Das Eingeständnis

Ich bin wieder einmal, wie so oft, meiner mir so bekannten Schwäche begegnet, die ich seit meiner Kindheit kenne, die mit Zahlen, Statistik und Formularen zusammenhängt, die in mir sowohl alte Autoritätsprobleme auslöst, die letztlich auf meinen strengen Vater zurückzuführen sind, wie auch innere Verwirrung und eine Art von erlernter Dummheit in Gange setzt. Das passiert meistens dann, wenn mein PC und/oder mein Smartphone ernstere Störungen aufweisen, wie gerade neulich, als ich keine Mails mehr weder empfangen, noch senden konnte. Auch keine Fachleute in den verschiedenen digitalen Shops konnten mir helfen, bis ich dann – wieder einmal meinen kleinen hilfsbereiten Inder in jenem Laden am Bahnhof der I-phon-Klinik traf, der mir lächelnd in einer Minute alles wieder herstellen konnte, was ich verloren glaubte.

Natürlich stelle ich in solchen Momenten zweierlei fest: Erstens, dass diese alte Angst, diese Verwirrung, mich immer noch mit unverminderter Heftigkeit packen kann, verbunden mit dem Gefühl von dumm, ohnmächtig und hilflos zu sein, und zweitens, dass diese Schwäche (wie andere Schwächen auch) es schafft, mich herauszureissen aus dem inneren Gefühl, getragen zu sein, wie ich es in meinem Blog «Im Seins-Raum» (17. August 19) beschrieben habe. Das Gefühl von Scham hilft nicht weiter, hingegen das Eingeständnis, dass diese Schwäche in mir ist und immer noch eine solche Macht über mich hat.

Oft mache ich dieselbe Erfahrung, nämlich die, dass mich das Eingeständnis und das Zugeben einer Schwäche, einer Schuld oder eines Mangels tröstet. Auch in der geschilderten Situation war dies der Fall. –Wenn ich mich dem höchsten Wesen wieder annähere, fallen alle Ängste von mir ab. Schon alleine diese Erfahrung ist Trost genug.

Geholfen hat mir der Hinweis meiner Tochter, ich solle doch, jetzt an diesem wundervollen Tag (an welchem ich mit ihr telefonierte) die Sonne und die Wärme geniessen, es sei dann immer noch Zeit genug, nach dem Genuss des gegenwärtigen Tages, mich weiter mit dem Problem zu beschäftigen.

Es gibt noch ein Zweites, das mir in solchen Fällen hilft: Ich bitte die Kraft des Geistes, mich wieder zu öffnen für die göttliche Gegenwart. Diese Bitte wird meistens oder immer erhört und ich entspanne mich im Seins-Raum, der wieder aufgeht, in dem alles liebevoll gesehen, gehört und erhört wird – ohne Schuldzuweisung und ohne Strafandrohung.
Im beschuldigenden und strafenden «Gott» begegnen wir in Wirklichkeit unserer eigenen Projektion. Ich glaube das Gott in seiner Manifestation als Wahrheit unsere Authentizität, unsere Ehrlichkeit sucht – und damit unsere Bereitschaft, unsere Schwächen und Mängel einzugestehen. Das genügt – wohl in den meisten Fällen.
Dies ist eine Übung in Geduld: also immer wieder mit mir Geduld zu üben, wie auch mit anderen, was auch auf die Dauer meinen Willen stärkt.

Und: Ich gestehe mir ein, dass es Bereiche gibt, in denen mein Lernen ein langsames, mühevolles Gehen ist: Schrittchen für Schrittchen.

 

Feuer

Feuer ist zurzeit ein Thema: Vulkan-Ausbrüche scheinen sich zu häufen. Gravierender aber sind die Waldbrände im Gebiet des Amazonas, in Brasilien, Bolivien, Alaskas und Indonesien. Feuer durch Brandstiftung mit dem Zweck Landwirtschaftsflächen zu gewinnen für Monokulturen.
Die Lunge der Erde, das Amazonas-Gebiet steht in Flammen!
In Russland explodierte ein Raketen-Triebwerk mit Atomenergie. – Feuer auf einem Tauchboot.
Die Überhitzung der Wirtschaft führt zur Überhitzung des Klimas.
Feuer also in verschiedenen destruktiven Gestalten.
Im Aussen, in der Welt, widerspiegelt sich die innere, kollektive Verfassung unseres Bewusstseins.
Wenn Feuer am Horizont aufflammt scheint mir der Moment gekommen zu sein, zu fragen: Wie steht es zur Zeit um die Beziehung des Menschen zum Feuer, insbesondere aber wie ist sein Verhältnis zum inneren Feuer? Lesen wir also im Aussen die Zeichen, die etwas über uns selbst aussagen.

Feuer begegnet uns vor allem in der Sexualität, im leidenschaftlichen Tun und in der Begeisterung, die uns vorwärts und über unsere Grenzen treibt, in der Kraft des Wandels, der Transformation. Feuer hat aber auch eine reinigende, läuternde Wirkung.

Das Feuer ist eine sehr starke Kraft: Es sucht unmittelbaren Ausdruck, Freiheit; es brennt, wo es will, da, wo das Leben entflammt, zwei Menschen oder zwei Qualitäten sich ergänzend (reibend) treffen. Insbesondere in der Liebe. Verliebte tanzen auf Feuerwellen, ohne zu verbrennen. Entreisst sich hingegen das Feuer von der Anbindung an die Liebe (der Zärtlichkeit, dem Respekt vor dem Leben), führt es zur Selbst-Verbrennung, verbrennt der Feurige, der sich von der göttlichen Ordnung abgetrennt hat.

Hier ist ein Zwischenhalt nötig, um zu klären, was ich mit der göttlichen Ordnung meine:
Diese Ordnung ist Ausdruck der LIEBE, der Weisheit und der Wahrheit. Sie ist beweglich, fliesend, weich; sie bezieht die sich verändernden Situationen stets mit ein, ist also niemals starr und zwanghaft. In jedem Moment werden die sich verändernden Bedingungen und Situationen miteinbezogen, integriert. Das Feuer wirkte also innerhalb dieser hohen weisen Ordnung hilfreich, andernfalls wird es gefährlich und wirkt im Menschen und auf und auf der Erde selbst-destruktiv.

Das Feuer brennt also zwischen Freiheit/Spontaneität und Bindung/Verantwortung. Dies gilt ganz besonders auch für die Sexualität.

Die grossen religiösen Systeme glaubten die Kraft des Feuers und damit auch der Sexualität durch Zwänge und rigide Regeln bändigen zu können. Sie haben diesbezüglich versagt. Sie haben es nicht verstanden mit diesem Paradox (Freiheit und Einbindung in eine höhere Ordnung) umzugehen. Und so lange dies so ist, werden sie sich nicht weiterentwickeln können.
Prometheus stahl das Feuer, Zeus beanspruchte die Hoheit über das Feuer. Das vom Ganzen abgetrennte (das gestohlene) Feuer ist gefährlich und zerstörerisch, während das ins Leben eingebettete Feuer wärmt. Es ist der Motor jeglicher Kreativität.
Brandstiftungen sind die Folge von Macht-Zusammenballungen anmassender Herrschaft über das Feuer. Das ist Frevel.
Trump, der US-Präsident, sagte, dass er Grönland kaufen wolle. Dort will er Wälder roden (verbrennen), um Bodenschätze zu gewinnen. Das ist Anmassung, Herrschaft.

Im gekränkten, beleidigten Stolz, im eifersüchtigen und neidischen Ego, wie wir es bei vielen Herrschern erkennen, ist Feuer-Kraft gefangen: mottendes, zersetzendes und zerstörendes, gestautes Feuer, das lange im Unsichtbaren wirkt, bis es explodiert.
Nicht nur bei Herrschern: bei allen Menschen, die ihr Feuer, ihre Leidenschaft und ihre Träume und Visionen nicht lebens-dienlich leben, es unter Druck halten, besteht die Gefahr, das ihr Leben erodiert, sich die Impulse, auch die aggressiven, sich gegen sie selbst richten: zerstörend oder lähmend-depressiv.

Noch einmal: Das Feuer – und ich denke jetzt vor allem an das innere Feuer – sollte nicht durch Zwang und Konventionen gebändigt werden, sondern durch Weisheit und Mitgefühl, wodurch seine Kraft und Leidenschaftlichkeit leben kann: in Freiheit und Verantwortung.
Es ist nötig, dass das Feuer behütet wird. Es braucht die Hüter*innen des Feuers.

Dem aus dem Wissen um die Ganzheit entrissene und somit gefährliche Feuer scheint uns bedrohlich näher zu kommen.

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Das heilende Bild: Menschen, Frauen und Männer aus allen Nationen sitzen um ein grosses Feuer. Die Suppe, die sie über dem Feuer gekocht haben, zirkuliert jetzt in einer grossen Kalebasse. Sie kreist um das Feuer. Die Anwesenden teilen ihre Herzensanliegen, ihre Visionen miteinander. Der Rede-Stab wandert. Der Abend bricht an und damit die Kühle. Das Feuer in ihrer Mitte wärmt.
Alles kreist um das Feuer, wie die Erde um die Sonne.