Innerer Halt – am Beispiel meines Vaters

Mein Vater, der strenge Mann, war innerlich verletzt: physisch durch seine chronische Herzkrankheit, seelisch durch seine Scheidung, die er als ausgesprochen schrecklich erlebte und sozial-beruflich durch sein berufliches Fiasko: er scheiterte als Geschäftsmann, als Erbfolger einer kleinen Textil-Fabrik. Ich war das vierte Kind seiner zweiten Ehe.
Gescheitert zwar, verletzt und verletzlich und gesundheitlich sehr gefährdet (er starb mit 59 Jahren; ich war knapp zwölf) war er doch ein Vorbild für mich, weil ich sah und erlebte, dass er von einer inneren Kraft getragen war.

„Er war ein hoch sensibler Mann. Ich suchte hinter seiner eisernen Strenge und Verschlossenheit seine zärtliche und spirituelle Seele, die spürbar, aber verborgen war.

„Sein Studierzimmer in unserer Wohnung war sein Reich. Dort lebt er. Wenn ich etwas wollte von ihm, so hatte ich anzuklopfen. Das kam nicht selten vor. Bevor ich anklopfe spürte ich heftiges Herzklopfen. Würde ich die Wand seiner Strenge und Diszipliniertheit durchdringen können, würde ich ihm begegnen oder an seiner Strenge abprallen?“
Zitat aus meinem Blog: „Männliche Lebenskraft, vom 24. Nov. 2018“

Ich erinnere mich: eines frühen Morgens -ich war unruhig, hatte schlecht geschlafen und geträumt – kam ich an die besagt Zimmertür meines Vaters, und ich glaube, dass ich sie ohne anzuklopfen geöffnet hatte – da sah ich meinen Vater knieend im Pyjama vor dem offenen Fenster knien, völlig versunken, trotz der Kälte im Zimmer. Offenbar kniete er schon lange, irgendwie entrückt in der Kälte, die in das Zimmer eingedrungen war. Stille erfüllt den Raum.
Nun erschrak er, als mich plötzlich wahrnahm. Er schnellte auf. Ich hatte ihn unterbrochen in seiner Andacht.
Es war mir intuitiv klar, dass sein Gebet//Kontemplation diese immense Stille hervorgebracht hatte und ich wusste nun, dass mein Vater aus einer inneren, geistigen Quelle schöpfte.

Eine weitere Erinnerung:
Täglich, vor dem Einschlafen, setzte sich mein Vater an mein Bett und betete mit mir das Vaterunser. Dabei legte er seine Hand auf meine Stirne. Seine Hand bewirkte ein kleines Licht auf meiner Stirne (am Ort des Dritten Auges. Ich schloss daraus, dass mein Vater Zugang zu seinem inneren Licht hatte und mir diese durch seine ruhige Hand mit-teilte.
Die klare Erinnerung daran, öffnete sich mir aber erst Jahre später.

Ich spürte also nicht nur seine erworbene, strenge Autorität, die er auf mich ausübte, sondern auch eine innere Kraft, also eine stille Autorität, die ihn selbst trug und die mir vermittelte, dass es eine Kraft und Präsenz gab, jenseits vordergründiger Macht und Erfolg. An diese konnte ich mich halten, lange über seinen frühen Tod hinaus – bis heute. Diese war sein Erbe an mich. Dafür bin ich dankbar.

Seine Tugenden, von denen er oft sprach und die er wahrhaftig lebte, waren: Würde und Bescheidenheit.
Alles an ihm strahlte Würde aus. Er ging und bewegte sich wie ein kranker König. Krank, aber doch König.
Ich nahm an ihm keine materiellen Ansprüche wahr. Er genoss auch einfachste Malzeiten. Seine Anzüge waren viele Jahre alt; an ihm wirkten sie wie neu.
Heute: In der verschwenderischen, ausbeuterischen Konsum-Gesellschaft in der wir leben, wäre Bescheidenheit wohl eine sehr stimmige Antwort auf die herrschenden Zustände, wie auch Würde, die gute Antwort wäre in einer Welt-Gesellschaft, die auf Propaganda, Manipulation und billige ideologische Beeinflussung setzt.

Ich frage mich, ob es viele Kinder und Jugendliche gibt, die zumindest in einem Elternteil eine tiefliegende Erfahrung spüren, also eine Tragkraft, die unabhängig von ihrem äussern Glück und Erfolg als innere Realität spürbar ist.

Kraft und Würde nahm ich deshalb bei meinem Vater wahr, weil er die Verbindung mit seiner Innenwelt trotz Problemen nicht abbrach. Die Macht und die Niederlagen im Aussen hatte keine Chance seine Würde zu brechen.

Darin erlebe ich bewundernswerte Stärke.

Bei vielen Menschen spüre ich, dass sie leicht hin und her zu stossen sind, weil sie keinen Rückhalt haben und bewusst auch keinen Halt zu suchen scheinen, weil sie offenbar annehmen, dass es keine höhere Realitäten zu finden gäbe und/oder gelernt haben, derartige Ahnungen schon im Entstehen in sich abzuwerten.
Ich glaube, dass es gesellschaftliche Abwehr-Strategien gibt, welche die Bildung von höheren Bewusstseinsebenen verhindern oder zumindest sehr erschweren.
Es erscheint mir als hilfreich, wenn Menschen lernen, solche Mechanismen (zum Beispiel Abwertungen), die inneres Wachstum verhindern oder erschweren, zu erkennen, denn eine Weltgesellschaft, die kaum fähig ist, bei ihren Mitgliedern innere Stärke aufzubauen und/oder zu fördern, ist manipulierbar und verführbar.
Abwehr-Strukturen, welche die Bewusstwerdung verhindern, können meditativ geortet, gefunden und zum Beispiel durch sakrale Gesänge oder Mantras überwunden werden.

Mein Vater hatte offensichtlich den Willen, sich von seiner Seelenkraft leiten zu lassen. Für sein Vermächtnis bin ich dankbar.

Innere Wahrheit

 

 

«Der grösste Verlust ist das, was in uns stirbt, während wir leben.»    N. Consins

In der heutigen Menschheitsperiode, wo sich Strukturen, Werte und Teil-Systeme auflösen oder diffus werden und es immer schwieriger wird, zwischen Wahrheit und Lüge klar zu unterscheiden und Orientierung zu finden, ist es äusserst wichtig, einen inneren Kompass zu haben: einen inneren Raum der Wahrheit.
Da die Meinungsmacher und Ideologen – oft sind es PR-Agenturen und Thingtanks- erkannt haben, dass leise, verdeckte, sozusagen unsichtbare Propaganda eher zielführend und auch billiger ist, als gewalttätiges Durchgreifen, bleibt uns fast nichts anderes übrig als geduldig selbst zu recherchieren, also den Fakten auf die Spur zu kommen und/oder die Kraft der inneren Wahrheit zu befragen durch regelmässige Innenschau.
Dies ist viel besser, als äussere Orientierung, denn sie ist erstens kaum zu finden und meist ideologisch gefärbt.
Der innere Raum der Wahrheit ist ein Ort, den wir geduldig entwickeln können. Er ist in uns, immer, und wir können jederzeit in ihn eintreten, wenn er in uns einmal mit Hilfe des regelmässigen Hinein-Horchens eine gewisse Stärke bekommen hat.

Wenn ich in mir existentiell wichtige Fragen fühle, wie:

  • Was habe ich nun in der gegenwärtigen Zeit zu beachten?
  • Worin besteht meine Lern-Aufgabe jetzt?
  • Welche seelischen Qualitäten und Kräfte gilt es nun zu entwickeln, um meiner Lebensaufgabe gerecht zu werden?
  • Was ist bei wesentlichen Entscheidungen, die mein Leben betreffen, zu beachten? –

trete ich in den inneren Raum der Stille und Wahrheit ein und lausche, wieder und wieder.

Manchmal gehe ich folgendermassen vor:

  1. Ich atme viermal kraftvoll-physisch ein- und aus, um in einen wachen und vitalen Zustand zu gelangen.
  2. Ich atme dreimal sehr fein geistig (hauchartig) ein- und aus, konzentriert auf meinen Herzensraum.
  3. In der Vorstellung gehe ich sachte in die Mitte des Herzensraumes und lasse mich dort nieder.
  4. Ich spüre Helligkeit, Klarheit, Transparenz und Wahrhaftigkeit.
  5. Wenn ich mich ganz zentriert und still fühle, stelle ich die Frage, die mir jetzt wichtig ist und übergebe sie der geistigen Welt.
  6. Nun bin ich nur noch Lauschen und Empfangen.
  7. Ich achte darauf über welchen Kanal die Antwort zu mir kommen möchte, z.B. auditiv, visuell (hier ist die Farb- und Formensprache zu beachten), kinästhetisch, etc. Vielleicht ist es nur eine Ahnung, die ich empfange.
  8. Wenn mir die Antwort noch zu wenig klar erscheint, wiederhole ich diese Übung in den nächsten Tagen noch einmal oder mehrmals, bis in mir Gewissheit hochkommt.
  9. Ich verspreche mir, meiner Einsicht gemäss zu handeln und bedanke mich für die Inspiration.

Wenn ich mein Wahrheits-Bewusstsein stärken möchte, rezitiere ich den göttlichen Namen
al-Haqq (=der Wahre, einer der hundert Namen Gottes in der islamischen Tradition). Dieser Name ist auch ein Mantra. Ich spreche den Namen über eine bestimmte Phase laut aus, dann leise und schliesslich nur noch still, in Gedanken. Ich kann dieses Prozedere einige Male wiederholen.

Eine weitere Möglichkeit, mich mit der Kraft der Wahrheit und der Gerechtigkeit, der Klarheit und Transparenz zu verbinden, besteht darin, dass ich den Erzengel Michael anrufe, um mich seiner Kraft zu öffnen.

Mit diesen Vorgehensweisen, die ich seit langem praktiziere habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht.

Wenn der Wahrheitsraum gut im Menschen verankert ist, fühlt er sich autonom und er kann sich darauf verlassen, dass er in sich Orientierung findet. Es entfaltet sich, bezogen auf seinen Lebensweg, eine wohltuende Unabhängigkeit . Er kann darauf vertrauen, dass Entscheide und Einsichten, die auf diese Weise, also durch vertieftes Lauschen gewonnen wurden, sich heilsam und hilfreich auf seine Entwicklung auswirken werden.

Nochmals: Diesen inneren Raum der Wahrheit aufzubauen erfordert Geduld und die Überzeugung, dass das Wahrheits-Bewusstsein ein substantieller Teil unserer Seele ist.

 

Liebe, was dich angreift

Das Böse – der Schmerz – und der liebende Blick: wie stehen diese drei zueinander?

Das Böse
Nicht alle meine Zeitgenossen glauben an die Existenz des Bösen. Ich selbst zweifle nicht daran, dass es existiert. Ich erlebe es als eine finstere, verschlingende, saugende, das Leben erstickende Macht, welche bestrebt ist, uns zu emotionslosen, bloss funktionierenden, seelenlosen «Maschinenmenschen» abzumindern.
Unser Zivilisation und Kultur verstehe ich als Ausdruck unserer inneren Bewusstseins-Verfassung. So nehmen wir von aussen wahr, was in uns (unserer Kollektiv-Seele) ist.

Der Schmerz
Wenn wir die äussere Finsternis nicht nur mit einem darüber hinweg huschenden Blick wahrnehmen, sondern sie auch mit dem Herzen ansehen, uns also von den Grausamkeiten und Gewalttaten, die um uns wirksam sind, berühren lassen – und das seelische Herz ist ein Organ, das äusserst berührbar ist – so spüren wir Schmerz.
Die tödliche Spirale, in der wir uns kollektiv befinden, erlebe ich als schmerzhaft.
Nun, dieser Begriff «tödliche Spirale» wird wohl Opposition hervorrufen. Natürlich gibt es das Gute, liebende Menschen, die ein einfühlsames Herz haben und für den Frieden einstehen und es sind nicht Wenige und von ihnen wird in diesem Artikel die Rede sein. Im grossen Strom, also im Mainstream, dominieren jedoch die Kräfte der Hybris, der strukturellen Gewalt, der rohen Macht und der Kontrolle und sie sind tödlich, weil sie die Abtrennung des Menschen von seiner Seele voran treiben, was eben letztlich todbringend ist.
Die Ausrottung indigener und wehrloser Völker, sehr vieler Tier- und Pflanzenarten erzeugt Schmerz. Ebenso die Ausgrenzung des Schwachen und der Erfolglosen. Der Schmerz liegt im Äther und sucht sich Menschen, die empfänglich dafür sind, Schmerz anzunehmen und auszudrücken. Gesegnet sind sie.
Das Annehmen der Schmerzen ist Voraussetzung und der Beginn für jeden Heilungsprozess.

Der liebende Blick
Der allumfassende, alles einbeziehende, liebende Blick kann nur aus einem grossen Herzen eines Menschen kommen, der mit beiden Füssen auf dem Boden steht.
Das, was uns entgegenkommt in der Welt, in der wir leben, ist nicht nur das Gute (dieses zu lieben ist nicht so schwer), sondern auch das, was uns angreift, die dunkle Seite der Menschheit, damit auch die eigene Bösartigkeit.
Zu lieben, was uns angreift, also auch das Feindliche, erinnert natürlich an die Feindesliebe.
Sie ist der Gipfel der Liebe. Wie unfassbar schwer sie uns üblicherweise erscheint! Doch nur durch sie, ist es möglich, das Abgespaltene wieder zu integrieren. Die Liebe schafft eine Brücke zum anderen, auch zum völlig entgegengesetzten Dasein, welches wir als fremd und schrecklich erleben.

Also lieben, was uns angreift und uns vielleicht sogar vernichtet?
Wie ich oben erwähnte, ist dem Bösen eine verschlingende Kraft eigen. Es ist schwer, dieser Macht standzuhalten.
Nun stehen vor uns zwei Anforderungen, die uns möglicherweise überfordern: Erstens, das, was uns angreift, liebend anzuschauen und zweitens die Kraft aufzubringen fest auf dem Boden zu stehen, wenn wir in den Schlund gewalttätiger, saugender Mächte blicken. Es gibt ja auch in uns den Sog, uns in das Böse, und damit auch in unsere eigenen Egostrukturen hineinfallen zu lassen, da sie (nebst Angst und Unbehagen) Übersichtlichkeit, das Alt-Bekannte und äusseren Erfolg versprechen.

Wir müssen also lernen, uns abzugrenzen vom Feindlichen, in der eigenen Wahrheit stehen zu bleiben und es gleichzeitig zu lieben.
Ich finde das schwierig, beinahe eine Zumutung. In der spirituellen Schulung haben wir es stets mit dem Paradox zu tun – in zahlreichen Variationen. Das Paradox ist ein Tor zur Wahrheit.

Lieben heisst doch verschmelzen, in intime Verbindung zu gelangen, Grenzen zu überwinden und doch nicht, sich abzugrenzen und stand zu halten. Oder?

Jesus war in der Lage, die finsteren Reiche verzeihend und segnende zu durchwandern und dort sogar Lichtsamen einzupflanzen. Menschen aber, welche das Buddha-Bewusstsein und das Christusselbst nicht völlig verwirklicht haben, sind dazu nicht in der Lage.

Aber ihnen ist es gegeben -und das ist sehr viel- im Bewusstsein der Liebe verwurzelt zu bleiben, dem Sog der gewalttätigen Mächte zu widerstehen und sich gleichzeitig dem göttlichen liebenden Blick, deren Instrument sie sind, hinzugeben. Der liebende Blick wird, wenn sich das Herz ganz öffnet, zu einem Gnade und Leben spendenden Schauen.

Und das ist die gute Nachricht, dass der Mensch, der sich hingibt nicht überfordert ist, da ihm die Liebe gegeben ist, wie auch der Boden des Vertrauens, der ihn hält.
Wer und was in Liebe angeschaut ist -und ich spreche nun von den finsteren Mächten- atmet auf. Wer in Liebe ausreichend betrachtet worden ist, fängt an, sich wieder im heilenden Licht zu bewegen. Die im Dunkeln treten nun wieder in die Sichtbarkeit, fangen wieder an, sich zu spüren.

Unser Beitrag ist es, das, was uns gegeben wird, anzunehmen. Das, was vorbehaltlos angenommen wird, verwirklicht sich sogleich!
Wenn Menschen also ohne Vorbehalt, ohne Widerstand und ohne Verzerrung durch das Ego, die Güte, die Hilfe und Kraft, die ihnen geschenkt wird -und dem Menschen wird dauernd gegeben, wenn er empfänglich ist- annehmen, kann sich das Empfangene unverzüglich verwirklichen, entfalten und das göttliche Licht kann uneingeschränkt heilend einwirken.

Unser Beitrag kann ausserdem darin bestehen, bereit zu sein, Lichtträger/Lichtträgerin zu sein in einem grossen Kreis von Menschen und Wesen, die sich ebenfalls in Freude für diesen Dienst bereitstellen.

Gesegnet sind die, welche bereit sind, Schmerzen vertrauensvoll anzunehmen.

PS.  Natürlich gibt es viele Menschen, die lieber sozial-politisch aktiv werden wollen. Diese Art des Engagement ist zu achten und zu schätzen. Sie stellt ein Ergänzung dar zur spirituellen Arbeit.

 

 

Neuausrichtung der Sexualität

Das Thema meines ersten Blogs, geschrieben vor ca. zwei Jahren*, war Sexualität. Jetzt nehme ich das Thema, das immer wieder in Vergessenheit zu geraten scheint, wenn es sich nicht um Missbrauch oder Klatsch handelt, wieder auf.

Sexualität ist eine fast unglaublich starke Kraft im Leben des Menschen. Sie ist Ausdruck seiner Lebenskraft. Sie lädt ihn auf mit unbändiger, wilder, aber auch zarter und schöpferischer Kraft. Sie strebt Nähe, Vereinigung und Fruchtbarkeit an, sowohl in physischer, wie auch seelischer Hinsicht an. Sie hat die Fähigkeit, den Menschen aufzuladen mit kosmischen und vitalen «Nährstoffen», mit Lebensfreude, Leidenschaft und Lebendigkeit. Ihre Grundlage, auf der sie sich am besten entfaltet, ist Zärtlichkeit. Sexualität ist immer da, wie Hunger und Durst, wie der Appetit, wenn wir uns spüren und uns dem Leben zuwenden.
Sexualität ist ein Festmahl des Lebens.

Und doch tut und tat der Mensch alles, sie klein und unter Kontrolle zu halten. Sie, die Sexualität, gilt bis heute als gefährlich, überwältigend, süchtig machend, als niederen Trieb, den es im Zaum zu halten gilt, weil er gefrässig und monumental sein soll und uns unempfänglich machen soll für die höheren seelischen und geistigen Mächte.

So bildet sich eine krasse, fast unerbittliche Polarität aus zwischen Sexualität und dem Über-Ich aus.
Das Über-Ich, ein Begriff aus der Psychoanalyse, ist eine innere Instanz, welche das Gesamt der verinnerlichten Gebote und Verbote repräsentiert, aber auch der moralischen Ideale und Richtlinien die uns durch unsere Eltern und die Einflüsse der uns umgebenden Kultur übermittelt wurden.

Die Über-Ich-Normen, die von Strenge und oft auch von Strafandrohungen aufgeladen sind, besagten früher und zum Teil bis heute noch, dass Sex eine Sünde sei, ein unsittliches und moralisch verwerfliches Verhalten sei, weil gierig und primitiv, das so vollständig wie möglich eingeschränkt werden sollte.

Heute, wo wir weniger von Sünde sprechen, gilt Sexualität eher als etwas Minderwertiges, der Pornografie nahestehendes Verhalten, das jedem Missbrauch die Tore öffne.

Viele finden Sexualität auch kompliziert, Missverständnisse erzeugend, zu vielen Verletzungen führend.

Die Spannung zwischen dem intensiven Streben der Sexualität nach Intimität, Austausch, Lust und Freude und der strengen, oft zurückweisenden Zensur des Über-Ichs ist meistens heftig, schwer zu ertragend. Ein weiterer Grund, Sexualität zu vermeiden.

In meinem Leben habe ich oft bei Einzelpersonen, wie auch bei Paaren, mit denen ich therapeutisch gearbeitet habe, festgestellt, dass es bei den meisten Menschen, sowohl qualitativ wie auch quantitativ an nährenden und erfreulichen Erlebnissen mangelt.

Das Bild von der sexualisierten Gesellschaft täuscht. Die Werbung wieder spiegelt auf keinen Fall die Realität, die eher geprägt ist, von Mangel als von Fülle.

Das Über-Ich ist kein guter Ratgeber für eine befriedigende und befreite Sexualität.

Sexualität lässt sich auf Dauer weder unterdrücken, noch kontrollieren, weil sie auch eine archaische und wilde Kraft ist, die sich frei und ungehindert entfalten möchte! Je strenger das Über-Ich ist, desto heftiger werden die Trieb-Durchbrüche sein.
So, also mit innerer und äusserer Gewalt, lässt sich offensichtlich Sexualität nicht in das menschliche Leben integrieren. Wahrscheinlich ist es eine Art von Kränkung für den Menschen, dass er es nicht schafft, die vitale Lebenskraft nach seinem Willen zu bändigen und zu beherrschen.

Es ist für mich unbegreiflich, dass wir Menschen, an dieser verhängnisvollen Polarität festzuhalten versucht haben und dadurch unendlich viel Unheil und Unglück erzeugt haben. Möglicherweise war unser kapitalistisches System daran interessiert, diese unglückliche Sexualität in «Gefangenschaft» zu belassen, um aus der menschlichen Unbefriedigtheit Profit zu ziehen, durch allerlei Konsum, nach dem Motto, wer sexuell unbefriedigt ist, konsumiert.

Alleine das Herz ist imstande, die sexuelle Kraft sanft und intelligent zu lenken. Das scheint mir offensichtlich zu sein. Es integriert alle Seins-Bereiche des Menschen und aus diesem ganzheitlichen Wissen spricht es zum Menschen und hilft ihm, seinem Wesen gemäss weise zu denken, zu fühlen und einfühlsam zu handeln.
Während Über-Ich und Sexualität einen schwer zu vereinbarenden Gegensatz darstellen, ist die Polarität Herz und Sexualität auf Ergänzung und Zusammenarbeit angelegt.
Diese neue Brücke, Verbindung, gilt es liebevoll anzulegen und einzuüben, insbesondere bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die alte Polarität löse sich auf, in dem Masse, wie die Beziehung zwischen Sexualität und Herzempfinden sich aufbauen und festigen werden wird.

Kinder, die im Umfeld einer warmen, friedvollen Sexualität gezeugt und geboren sind, werden einen leichteren und vertrauensvolleren Zugang zu den Menschen und zur Welt finden.
Und sie werden auch leichter ihren spirituellen Weg gehen können, denn, wenn die unteren Chakren, insbesondere das Sakral-Chakra (Sexualität) beschädigt und traumatisiert sind, kann sich der Mensch nicht mit der gleichen Freude zum Himmel, d.h. zur geistigen Welt richten, wie wenn sein Grund als ein Gutes integriert worden ist.

Lasst uns also unsere Sexualität heilen. Es handelt sich da nicht um eine Nebensache, sondern um eine der Hauptsachen dessen, was wir für unsere Entwicklung und unser Fortkommen als Spezies bedürfen.

*siehe unter „Ältere Beiträge“ (unterhalb der Schlagworte) Sept. 2018

Beitrags-Bild: „Heiligtum“, Farbstift-Zeichnung von WB.

 

Umrunden – Umkreisen

Als ich in Nord-Deutschland an einem Kongress war, hörte ich von einem wunderbaren ur-alten Baum, ganz in der Nähe des Seminar-Hauses, einem Kraftort von besonderer Schönheit. Und so kam es, dass sich eine Gruppe von Leuten bildete, die mit einem Geomanten, auch einem Seminarteilnehmer, zu diesem Baum wanderten. Die äussersten Äste des Riesen-Baumes, der alleine in einem Feld war, berührten den Boden. Die Krone bildete eine Natur-Kathedrale und unsere Gruppe spürte schon beim Näherkommen die Kraft, die von diesem etwa 500 Jahre alten Baum ausging. Der Geomant forderte uns auf, nicht in die «Kathedrale» einzutreten, ohne vorher den Baum dreimal umkreist zu haben. Es sei nicht angezeigt, einen Kraftort direkt, verlangend und zugreifend zu betreten. Zuerst müsste der Ort begrüsst und respektiert werden und zwar dadurch, dass man ihn umrunde, bevor man ihn betrete.

Der heilige Berg Kailash im Grenzgebiet, Tibet, China, Indien darf nicht bestiegen werden. Er wird betend umrundet, förderlich für die innere spirituelle Entwicklung des Pilgers.

Im Vorbeigehen eröffnet sich der Gehalt eines Ortes oder eines Kraft-Objektes eher, als wenn wir direkt auf diesen zugehen.

Als Mose das Volk Israel durch die Wüste führte, verweilte es längere Zeit am Fuss des Berges Sinai, mitten in der Wüste. Gott rief Mose auf den Gipfel, um ihm Weisungen für die Israeliten zu überbringen. Gott sagte zu Mose:

«Zieh aber eine Grenze rings um das Volk und sprich: Hütet euch, auf den Berg hinaufzusteigen oder auch nur seinen Saum zu berühren.»           Exodus 19 , 12

Da es dem Volk verboten war, den Berg zu betreten, zeichnete Mose eine Grenze um den Berg, eine Schranke, eine Art Schwelle. Der heilige Berg war somit geschützt.

Später im Kapitel steht:

«Der Berg Sinai aber war ganz in Rauch gehüllt, weil der Herr im Feuer auf ihn herabgestiegen war. Und sein Rauch stieg auf wie der Rauch des Schmelzofens, und der ganze Berg erzitterte heftig.»

Wer die Schwelle zum Heiligen, zur Mitte, dem Zentrum, übertreten darf, wird, wenn die Zeit für ihn reif ist, eingeladen. Der Wächter, der Hüter der Schwelle, eine Engels-Gestalt, ist anwesend, wenn die Schwelle sich zeigt. Vorher hat sich der Mensch zu gedulden, hat sich vorzubereiten auf den Moment der Einkehr in den heiligen Raum, der eine Mitte bildet, wie die Sonne als Zentrum des Planetensystems. Unvorbereitet würde der Mensch weder die Hitze am Berg, noch das Beben und Zittern des Berges (des Heiligtums) überstehen.

Heilig sind auch der Zellkern und Atomkern, wie alle Bausteine des Lebens. Ganz besonders heilig ist der Wesenskern des Menschen. Auch er soll umrundet werden, aus allen Perspektiven erkannt werden, als das eine göttliche Zentrum.

Mevlana Rumi, der grosse Mystiker und Liebende, begann sich zu drehen, als er fühlte, wie sein Herz sich mit Liebe füllte. Er drehte sich, in Verzückung geraten, mitten auf der Strasse um sein eigenes Herz.

In meinem letzten Blog-Beitrage erwähnte ich, dass der Mensch ein tanzendes Wesen sei, ein um den Kern kreisendes Wesen. Alle sakralen Kreistänze der indigenen Völker zeugen davon.

Am Ende der Tage, und wenn wir gerufen sind, werden wir mit dem Kern verschmelzen. Bis dahin können wir ihn lobend umrunden.

Die zentrale Frage des Menschen heisst: Wer bin ich?
Diese Frage wird uns kaum zur endgültigen und abschliessenden Antwort führen, aber sie bringt uns auf den Weg zum Licht des Erkennens und sie öffnet die Tore zu den mächtigen Erkenntnis-Räumen grossen spirituellen Wissens (Weisheit). Die Frage öffnet uns den Weg zu unserem Herzen und zum Herzen des Universums. Die Frage bringt uns auf den Weg.

Die Frage bringt uns zum Tanzen, öffnet unser Ohr hin zum Herzen.

Da das Herz von Mose offenbar geöffnet war, wurde er von Gott auf den Gipfel des Berges gerufen. Der Gipfel ist da, wo die Seele ins Geistlicht hineinragt. Das Bild des Berges, das von einer weissen Wolk eingehüllt ist, ist dafür Sinnbild.

Abstrakt ausgedrückt: Die Vielheit der geschaffenen Welt, im Erkennen des Ursprungs, des Einen, beginnt zu tanzen und zu singen, wenn «der Duft», der aus dem Zentrum kommt, wahrgenommen worden ist.

Der Respekt und das Gefühl für die Bausteine des Lebens, für die physischen, seelischen und geistigen Zentren der Organismen fehlt heute. Die Aneignung der Kerne und der Eingriffe in sie (z.B. Gen-Manipulationen) gilt heute als üblich. Die dominanten gesellschaftlichen Prozesse und Strukturen, sind oft zerstörerisch, weil die innere Orientierung sehr schwach geworden ist und das Gefühl für das Heilige weitgehend verloren gegangen ist. Die lenkenden Kräfte haben sich vom geistigen Geschehen entfremdet. Das Gefühl für den Kern einer Sache und für den geistigen Mittelpunkt von Lebewesen -dies gilt in besonderem Masse auch für die Erde- hat sich auf gefährlicher Weise verflacht. Ohne dieses Gefühl für den schöpferischen und heiligen Mittelpunkt von Wesen und Zusammenhängen ist der Mensch orientierungslos; er richtet sich dann nur noch auf seine eigenen ego-zentrischen Bedürfnisse aus.

Es sind wohl Lektionen in Stille nötig, um das Gefühl für das, was essentiell ist, wieder aufzubauen.

Nach etwas dreissig Jahren der Reifung seines inneren göttlichen Kerns, trat Jesus in die Öffentlichkeit im Bewusstsein, sowohl seiner Anziehungskraft, wie auch im Bewusstsein seiner Ausstrahlungskraft, wodurch er einen Umkreis schuf: die zwölf Jünger fanden sich sogleich ein. Zwölf das Ganze, wie die 12 Monate ein rundes Jahr bilden, ein Vollkommenes. Christus ist der heilige Kern des mystischen Leibes, der sich um ihn bildete, wie früher, so auch heute.

Das Innerste eines lebendigen Kerns ist unsichtbar, rein geistig, unbegreiflich.

Der Meister spricht mit seinem Schüler:

«Bring dort vom Baum eine Feige.
Hier ist sie, Meister.
Öffne sie.
Meister, es ist geschehen.
Was siehst du darin?
Winzig, kleine Kerne, Meister.
Öffne einen.
Meister, es ist geschehen.
Was siehst du nun?
Meister, ich kann überhaupt nichts sehen.
Dieser allerfeinste Stoff, mein Sohn, den du nicht siehst,
ist das Selbst des ganzen Universums.
Dies ist das Wirkliche
Dies ist das Selbst
Und du bist ES.»

Barmherzigkeit

Barmherzigkeit ist eine komplexe, vielschichtige Wirklichkeit. In allen spirituellen Strömungen, die ich kenne, wird mit Nachdruck auf ihre zentrale Kraft hingewiesen. Wie schon der Name sagt (Barm-Herz-igkeit), wird sie dem Herz zugeordnet. Gott und Christus tragen oft den Bei-Namen: der Barmherzige, der All-Erbarmer.

Im Folgenden möchte ich die eminente Bedeutung vom Barmherzigkeit umkreisen, die wunderbare Wirklichkeit, die sie meint, gerade auch für unser heutige Zeit.

1997 machte ich eine drei-monatige Retraite in einem Berghaus in den Alpen. Daraus entstand das Buch «Im Atem der Barmherzigkeit», das innere Thema meines kontemplativen Rückzuges.

Nachdem ich mich mit der Wirklichkeit der Barmherzigkeit angefreundet hatte, schrieb ich in mein Tagebuch:

«Es ist ein Herzensfluss, der aus dem Ursprung kommt. Seine Wesensnatur ist Fliessen, Strömen, filigranartig.
Es ist ein Fliessen, das aus dem Ausatmen kommt: Ein zart-fliessendes, hauch-artiges Ausatmen einer behütenden, einhüllenden, mütterlichen Qualität. Es ist weich-webendes Licht in zarten Farben. Zärtlichkeit. Es schafft Räume der Geborgenheit, Heilung und Erholung. Erbarmen, das aller Heilung zugrunde liegt. Es verströmt, fliesst in alle Richtungen gleichzeitig, empfängt sich aber von oben, von wo es ins Herz fliesst und dort rundum ausfliesst.

Dieses Strömen durchwirkt den Kosmos jederzeit: mitfühlendes, heilendes Erbarmen für die Schöpfung. Wer davon berührt wird, es zulässt, ist nicht mehr einsam, fühlt sich getröstet.
Rachme (aramäisch für Barmherzigkeit) tröstet, fängt auf, bringt die Zellen des Lebens in weiches, warmes, entspanntes Pulsieren. Es ist weiches Licht, welches die Barmherzigkeit charakterisiert. Die Farben sind oft in Pastell: weiss-rosa, gold-durchwoben, manchmal ein helles Blau-Grün.

Rachme bildet die Grundlage, die «fliessenden Räume», welche die gegenwärtigen Prozesse ermöglichen, die jetzt nötig sind.
Sie ermöglichen, die jetzt stimmigen Prozesse, die der inneren Notwendigkeit des Momentes entsprechen.
Barmherzigkeit ist die Hebamme der Zeit-räumlichen Welt und verbindet diese mit der Welt in Gott, mit Seinem Heiligen Geiste.

Barmherzigkeit ist überall und immer. In ihr spricht die göttliche Stimme: ICH BIN DA.
Wer Barmherzigkeit und Erbarmen empfindet, atmet auf: Gott ist da – es ist gut.
Rachme ist die weiche Kraft des Südens, die Vertrauen bildet – Wachstumskraft.

Rachme ist die sich offenbarende Liebeskraft Gottes, Sein ICH-BIN-IMMER-DA. Sie erschüttert, schmilzt, weicht auf.
Durch alle Mauern der Welt: Sein heilendes, tröstendes Licht, welches selbst das Allerdunkelste nicht meidet, den Opfern und Tätern sich anbietet als sich selbst verschenkende Liebe, die rückhaltlos, bedingungslos alles – sich selbst – gibt und nichts zurückbehält, da sie alles ist und sich ständig erfüllt in unbegreiflicher Liebe.

Christus ist Gottes Erbarmen, die ins Dunkle herabsteigende Kraft; das Licht in der Finsternis, das nie vergeht.

Ich habe erfahren, dass das Herzensgebet (siehe Blog vom 5. Jan. 19: Atem, Teil 2 *) , in dem die Formel «Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner (unser)» solange gesprochen oder gedacht wird, bis es sich selbsttätig in unser Herz eingewobene hat und somit gleichsam sich immerzu selbst betet … die Kraft hat, uns über unsere Ego-Grenzen hinauszuführen in die kosmische Präsenz, die sich jenseits der Angst öffnet als segensreiche und heilende Gegenwart.

Das Universum ist durchwirkt und durchströmt von Barmherzigkeit, die sich auch in uns mikrokosmischen Menschenwesen widerspiegelt. Allerdings will die Barmherzigkeit in uns geweckt werden und das Herzensgebet ist eine wunderbar mystische Methode dafür. Dieses hat die Kraft, uns zu transformieren. Es ist die Kraft der göttlichen Mutter, die wir anrufen, wenn wir Barmherzigkeit, rachme oder ir-rahman sagen.

Sowohl rachme (aramäisch), wie auch Rachman (oder Rahman), arabisch, geht auf die Wort-Wurzel zurück, die Mutterschoss oder Gebärmutter bezeichnet. Ich glaube, dass das hebräische Wort für Barmherzigkeit auch auf den Mutterschoss Bezug nimmt.

Eine sehr geschätzte Leserin meines Blogs erwähnte folgenden Satz meines letzten Blog-Beitrag «Der erwachte Mensch ist ein gebärendes Wesen» und schrieb dazu:

«Das ist genau, was mit Barmherzigkeit gemeint ist!
Im Althochdeutsch bedeutet Barm: der Geborene. Barmen ist auch austragen, gebären, eng verbunden mit Mutterschoss.
Barmherzigkeit haben wir mit «mitfühlen» zu einem Gefühl heruntertransformiert – ein Jammer! Gottes Barmherzigkeit ist: Der Mutterschoss der Einheit trägt uns aus im Werden des Seins.»

Natürlich beinhaltet Barmherzigkeit auch den wichtigen Aspekt des Mitgefühls, geht aber weit darüber hinaus.

Es ist erstaunlich, aber doch nicht verwunderlich, dass offenbar in vielen Sprachen das Wort für Barmherzigkeit oder Erbarmen eine Verbindung zu Geburt, Schwangerschaft und Mutter hat, woran wir erkennen können, dass tiefes Wissen in die Sprache eingegangen ist.

Barmherzigkeit ist eine göttliche Kraft und eine sehr hohe Qualität, die das menschliche Fassungsvermögen übersteigt und nicht alleine durch Erziehung erlangt werden kann. Sie ist eine Gabe des Heiligen Geistes, ein Geschenk der göttlichen Mutter, die uns mit dieser Gabe auch den Weg in die Herzens-Geburt weist.
Die Wirklichkeit der Barmherzigkeit ist die Voraussetzung für jegliche heilende Tat. Sie schafft uns den Raum für unserer Ganzwerdung – individuell und kollektiv für unseren Menschheits-Leib.

Ausserdem bringt uns das Ereignis der Barmherzigkeit selbst in die zweite Geburt, die Geburt unseres wahren, lichten, göttlichen Wesens, das in uns hervorgerufen werden möchte – eben mit der Hilfe der Barmherzigkeit. Sie zu empfangen ist wohl die schönste Aufgabe, die uns Menschen gegeben ist. Aber diesen Weg müssen wir nicht alleine machen, da viele Wesenheit uns ihre Hilfe anbieten, wie die Bodhisvattas des Mitgefühls. Ich denke dabei an Avalokiteshvara oder Kanzeon, erleuchtete Wesen, die einzig deswegen auf Erden sind, um Hilfe, Trost und Mitgefühl den Menschen darzureichen, die bereit sind, diese Gaben zu empfangen. In den anderen Religionen haben sie andere Namen, in der christlichen Spiritualität ist es Jesus Christus, der als Inbegriff der Barmherzigkeit gilt. Er wird um Hilfe gebeten mit: Christe eleyson (Christus erbarme dich).

Barmherzigkeit kann man sich gar nicht als hoch und wunderbar genug vorstellen.
Der (gewandelte) Atem der Barmherzigkeit führt uns vielleicht an das Ufer des Meeres der Barmherzigkeit und Gnade, wo es uns gewährt werden kann, dass wir Heiligkeit atmen können, die heilige Macht des Lebens und des Menschseins. Es ist auch die liebende und mütterliche Macht, die uns die Geburt zum wahren Menschsein verleiht.

Beten wir in Hingabe aus dem Herzen und erleben wir (ich schrieb im letzten Blog darüber) wie Atem, Liebe und Licht eins werden, so kann es geschehen, dass wir aus dem «kleinen Atem», der unser egozentrisches Leben umkreist, hinaus gehoben werden in den grossen Atem der Barmherzigkeit, der von kosmischer Dimension ist und uns in Verbindung bringt mit dem göttlichen Ursprung aus dem wir kommen. Da werden wir aus der Barmherzigkeit trinken können, unseren wahren Durst stillen.

*Siehe unter «ältere Beiträg» unterhalb dem Schlagwort-Verzeichnis. Jan. 2019 anklicken und nach unten scrollen.

Beitrags-Bild: Rosenblatt in Gold geädert von W.B. 

Stärke und Hingabe

Da mein Gesundheitszustand seit einigen Jahren fragil ist, bin ich genötigt, tägliche verschiedene Medikamente zu verschiedenen Zeiten regelmässig zu mir zu nehmen und mich eines Lebensstiles zu befleissigen, der mir guttut. Da komme ich um ein Stück Selbst-Disziplinierung nicht herum. Ich nenne es auch Stärke. Ich lasse mich auch nicht von Ängsten und Ohnmachtsgefühlen wegtragen, sondern versuche, in dem stehen zu bleiben, was geschieht. Wenn ich nun, was ich versuche, das Beschwerliche meines Lebens nicht einfach nur zu erleiden, sondern mich diesem Geschehen, das mit zu meinem Lebensplan und meiner Lebensaufgabe gehört, hinzugeben und es anzunehmen, so stimme ich dem, was geschieht, zu und bin somit in Übereinstimmung mit meinem Lebensprozess.

Beim Nachspüren und Nachdenken über Stärke und Hingabe wurde mir klar, dass es sich hier nicht um Pole oder Gegensätze handelt, sondern um zwei Seiten einer Kraft.

Der womöglich wichtigste Aspekt von Stärke besteht darin, anzunehmen, was ist – und in dem, was ist, zu verweilen bis die gegenwärtige Gefühls- oder Gedanken-Welle abklingt. Negativ ausgedrückt: es ist nicht förderlich, ein Gefühl oder einen Gedanken zu verlassen, bevor er sich aufgebaut und ausgestaltet hat. Ich halte es für eine Zeitkrankheit, dass wir Menschen die Tendenz haben, von Gefühl zu Gefühl, von einem Gedanken zum nächsten zu springen, flüchtig, zerstreut, gehetzt, um hinter uns ein Spur von Unfertigem zurück zu lassen.

Die versteckte Absicht hinter diesem beschleunigten, angetriebenen Leben ist, dass der Mensch nicht zu sich kommt und damit manipulierbar bleibt.

Für viele Menschen ist es das Schwierigste, die Fülle, Schönheit und LIEBE anzunehmen und in sich hineinfliessen zu lassen, weil sie eine falsche Bescheidenheit erlernt haben oder weil sie glauben, dass sie es nicht wert sind, Gutes trotz eigener Schwächen geschenkt zu bekommen.

Alles braucht seine Zeit, damit es sich manifestieren kann. Es ist Hingabe an das Leben und gleichzeitig Stärke, den eigenen Rhythmus und das eigene Tempo zu finden.

Stärke bedeutet auch, Lebensphasen auszuhalten und zu bejahen, die weder aufregend, noch sensationell, sondern gewöhnlich, ja sogar langweilig sind. Manchmal stagnieren wir halt oder das Leben braucht eine Verschnaufpause. Manchmal ist es nicht die Zeit, zu liefern, Erkenntnisse oder Erfolg anzuhäufen, sondern geduldig zu warten, sanft und ruhig.

Wenn jemand zu lange die Seite der Stärke betont hat und ihm dies bewusst geworden ist, so ist es an der Zeit, die Seite der Hingabe zu beflügeln.

Hingabe: wir geben uns dem Leben hin, dem Nächsten, dem Geliebten und gleichzeitig – das ist die andere Art von Hingabe, wir erkennen das Leben als all das, was uns gegeben ist (das Leben als Gegebenes!). Hingabe hat etwas Rundes, Biegsames, Schmelzendes und Weiches an sich, während Stärke eher das Strenge und Aufrechte betont. Deshalb ist es vor allem die Hingabe, die uns wieder ins Fliessende des Lebens bringt.

Während wir vielleicht vorerst zwischen Stärke und Hingabe pendeln, kann es uns mit der Zeit möglich werden, beide Aspekt dieser Kraft gleichzeitig zu fühlen und zu erleben. Das ist im Alltagsbewusstsein kaum möglich, aber auf einer höheren Bewusstseinseben (etwa in Meditation) sehr wohl.

Stärke bedeutet auch die Kraft etwas zu halten, wenn nötig festzuhalten: zum Beispiel eine Beziehung, die eine Basis in unserem Leben darstellt, an der intuitive Absicht eine schwankende Brücke zu überschreiten, an einer zentralen Überzeugung beharrlich und treu festzuhalten, die eigenen Vision umzusetzen.
Gleichzeitig braucht es die Hingabe an den als nötig erkannten Prozess, mit der Strömung des Lebens und nicht gegen sie zu gleiten – in Leichtigkeit.

Manchmal ist die Zeit da, beharrlich zu sein, manchmal ist der Moment gekommen, nachgiebig zu sein. Es ist eine Lebenskunst zu spüren, wann welche Haltung erforderlich ist und mir jetzt die Gelegenheit bietet, zu lernen.

Jede Situation, die mir meine Seele kreiert, gibt mir die Gelegenheit bewusster und wacher zu werden. Es ist Stärke und Festigkeit, die sich bildet, wenn ich mich der Herausforderung, die in der Situation liegt, stelle. Wenn ich mich dem gegenwärtigen Prozess hingebe, dient er meiner Entfaltung.

Stärke/Festigkeit und Hingabe/Vertrauen bilden in ihrem Zusammenwirken die sanft-kraftvolle Herzenskraft (Tipharet).

In jeder Phase einer Meditation gilt es zu erkennen, ob es nun mehr der Stärke oder mehr der Hingabe bedarf, mehr der Konzentration und Verweil-Kraft oder mehr der Übergabe in den Herzensfluss, also der Hingabe.
Stärke und Hingabe erzeugen zusammen Elastizität und Biegsamkeit. Der starke und gleichzeitig biegsame Stamm eines Baumes hält auch kräftigen Stürmen stand, nicht aber der spröde oder zu weiche Stamm.

Dasselbe gilt für Beziehungen: Durchsetzungskraft und Nachgiebigkeit, Festigkeit und Hingabe in rhythmischem Ausgleich halten die Beziehung jung und elastisch.

RADIKALE HEILUNG – II

Radikale Heilung bedeutet auch, sich der Menschwerdung hinzugeben, welche uns unsere wahre Grösse und Würde (wieder) gibt. Die Wandlung führt durch Demut und Dankbarkeit, welche ich als den Vorhof der Entfaltung betrachte, und durch Hingabe.

2. Teil:  Umhüllt

Bei innerer Energie-Arbeit, wie auch bei kontemplativer Versenkung gilt es die Energieströme zu beachten. Oft entfalten sie sich von innen nach aussen (das ausstrahlende Herz), von unten nach oben (aufsteigenden Erd-Energie) oder von oben nach unten (sich niedersenkende geistige Kraft), oder – und von dieser Strömung sei hier die Rede- in die menschliche Person umhüllende, oft kreisende Energie-Flüsse.

Die den Menschen umgebende Ausstrahlung nennen wir die Aura. Sie ist sowohl ein elektro-magnetisches Feld, wie auch feinstoffliches Ätherlicht. Äther ist die lichte Vor- oder Ur-Form der materiellen, also körperlichen Formen. Sie ist in und um die Körper anwesend. Eine Art Matrix.
Aber auch der astrale Leib bildet eine Schicht der Aura. Er umfasst und enthält die emotionale Welt des Menschen, seine Befindlichkeit, seine Grundstimmung, seine schöpferische Potenz.

Die Kirlianfotografie ist in der Lage, die Aura des Menschen (zumindest seine elektrische Entladung) farblich abzubilden.

Mit dem Älterwerden richten meditierende Menschen ihre Aufmerksamkeit zunehmend auf ihr gebendes, also ausstrahlendes Wesen und nehmen mehr und mehr ihr lichtes, ausstrahlendes Umfeld, ihre Aura, wahr. Zuerst spüren sie sie partiell, im Lauf der Jahre nehmen sie ihre komplette, strahlende Umhüllung wahr. Sie erscheint in vielen Farben. Die Hülle ist gleichzeitig fest und bewegt.

Sie bildet eine Art von Filter (oder Membran). Das dem Menschen Zuträglich gelangt ganz leicht durch das Aura-Umfeld, schädliche Stoffe, Partikel, werden weggehalten. Sie dringen nicht ein, insbesondere dann nicht, wenn sie ihre Aura regelmässig mit Hilfe von Mantras* reinigen.

Der Kontemplierende realisierst, dass die Grenze seiner Individualität nicht mit der Körpergrenze aufhört. Er bezieht seine Aura, sein gebendes, strahlendes Potential, in sein Selbstverständnis mit ein.
Er spürt, dass das, was ihn fühlbar umgibt, erweitert, schützt und ihm bei der Verwirklichung seines Lebensplanes hilft.

Das Wissen und Spüren des Umhüllt-seins ist sehr wohltuend. Man ist aufgehoben, geborgen.

*

Es ist ja keine Frage, dass die Menschen pausenlos und immer heftiger von saugenden und destruktiven Kräften attackiert werden: auf der körperlichen Ebene ist es zum Beispiel Elektrosmog, sind es zahleiche Umweltgifte, 5 G-Strahlungen, auf seelisch-geistiger Ebene sind es gewalttätige Gedankenmächte (z.B. Gier, Habsucht), Propaganda, Ideologien, welche die Macht haben, uns anzugreifen und zu zersetzen.

Wir Menschen benötigen also einen schützenden Umkreis, um im Gleichgewicht zu bleiben. Spirituelle und psychologische Aufbauarbeit, zu der es auch gehört, dass wir unsere Gedanken- und Gefühlswelt reinigen, sind zur Notwendigkeit geworden.

Beim Aufbau der schützenden Umhüllung ist es wichtig, dass wir uns liebevoll ausdehnen, liebevoll und lichtvoll ausatmen.

*

Die oben erwähnten Schritte, zum Aufbau und zur Ausdehnung unserer Aura, bilden die Vorbereitung für das nachfolgende Geschehen, welches wir als Antwort auf unser Vorbereitungsarbeiten verstehen können.

Was nun folgt, wenn die Zeit dafür reif geworden ist, ist der grosse Segen, der über uns kommt, der um uns gelegt wird, vergleichbar mit einem Licht-Kleid. Der Licht-Segen wirkt auf den hingebungsvoll geöffneten Menschen ein, durchdringt ihn vollständig bis in sein Innerstes hinein. Dieser uns umhüllende Licht-Segen, der sich wie eine sanfte, alle unsere Spannungen lösende Umarmung anfühlt, die aus bedingungsloser LIEBE strömt, erzeugt grosses Glück, Fülle und Schönheit. Es ist ein Glanz von Unsterblichkeit, der sich auf den Menschen legt.
Es ist die Antwort auf den Menschen, der es wagt, sein Herz zu öffnen und bereit ist auf die Gnade zu vertrauen.

Ich spreche hier von einer inneren Erfahrung vieler Menschen.
Paulus schilderte sie so:

«Es gibt himmlische Körper, und es gibt irdische Körper. Doch anders ist der Glanz der himmlischen als der der irdischen. 40
Gesät wird in Vergänglichkeit, auferweckt wird in Unvergänglichkeit. 42
Gesät wird ein natürlicher Leib, auferweckt wird ein geistlicher Leib. 44
Der erste Mensch ist aus Erde, ein irdischer, der zweite Mensch ist vom Himmel. 47
Denn was jetzt vergänglich ist, muss mit Unvergänglichkeit bekleidet werden, und was jetzt sterblich ist, muss mit Unsterblichkeit bekleidet werden. 53″              1. Korinther 15

*

Es gibt Menschen, die betonen, dass innere Arbeit notwendig sei, um Erkenntnis und schliesslich Erleuchtung zu erlangen, und andere sagen, alle Erleuchtung komme durch Gnade.
Ich persönlich bin der Meinung, dass es sowohl Arbeit, wie auch Gnade brauche, um in die Ewigkeit einzugehen, allerdings, so finde ich ausserdem, ist es vor allem Gnade, die Erleuchtung bewirkt.
Die Sufis sagen: Wenn der Mensch einen Schritt auf Gott zu mache, so tue Gott 100 (andere sagen 1000) Schritte auf den Menschen hin. Dieses Bild überzeugt mich. Ich fühle, dass es mit meiner Erfahrung übereinstimmt.

Ich nenne den Erleuchteten den Liebenden: beides ist für mich dasselbe : Es ist der Mensch, der sich von der bedingungslosen LIEBE durchströmen lässt und vom ewigen Licht.
Der Mensch, der es zulässt, vom Licht-Segen, von dem ich gesprochen habe, um- und durchlichtet zu werden ist mitten in der Wandlung: er übergibt sich dem Liebesstrom.

*   Wahrscheinlich in allen spirituellen Traditionen finden sich Mantras, die der inneren Reinigung und Klärung dienen. Es ist nicht nur hilfreich, sondern (gerade in dieser Zeit) notwendig, sie oft zu wiederholen.

 

Liebeskummer

Ich bin ein Liebender mit Liebeskummer. Das ist eine sehr persönliche Aussage. Die Liebe zwischen meinen Eltern fand nicht in die Blüte, obwohl sie eingepflanzt war -irgendwie.

Meine Liebe galt primär den Frauen, wo sie Wurzeln bildete. Ebenso galt meine Liebe Mutter Erde, wo sie auch, mindestens ansatzweise, Wurzeln bildete.

Ich fühle mich auch als Teil der Erde und der Menschheit. Es scheint mir, dass ich, du, wir, die Verbindung zu dem, was uns trägt verlieren. Das was uns trägt, materialisiert sich in Mutter Erde und es scheint, dass es uns verloren geht.

Ich sehe die Erde als eine schwarze Perle, die das Weisse, das Licht, in sich trägt. Diese Perle wird gehalten von Christus und von allen Liebenden.
Der Glanz der Perle wird vom vordergründigen Strom (dem Mainstream) abgelehnt, da sie nicht ins favorisierte Weltbild passt. Das bereitet mir Kummer. Liebes-Kummer. Nicht nur mir.

Diesen Kummer, diese Trauer spüre ich ringsum:

  • Wenn ich spirituelle Musik höre (Tchaikovsky, wie im letzten Blog eingeblendet), Bach, Pärt, Abdullah Ibrahim, und, und…
  • Wenn ich mich in das Corona-Feld einschwinge.
  • Wenn ich mein Herz gegenüber allen Lebewesen dieser Welt öffne,
  • ich meinen Durst, deinen Durst unseren Durst wahrnehme nach Leben, Freude und Friede.
    Die Vision des wahren Menschen hat sich zurückgezogen, um sich zu schützen. Doch sie ist bereit, wieder gefunden zu werden. (Vergl. letzter Blog). 
    Die Wieder-Erinnerung an unsere wahre Existenz und Herkunft, also an die Vision des wahren Menschseins, kann uns helfen, das System, das droht, sich ganz zu verriegeln, wieder zu öffnen. Lasst uns also Mantras singen. Singen ist die rechte Antwort auf Verlust und Trauer.
    Wenn Klänge aus höheren Welten zu mir dringen, spüre ich, wie ich mich öffne für das Ganze, das ich oft als Schönheit bezeichne. Dann verwandelt sich meine Trauer (mein Liebeskummer) zu Freude. – Oft geht Trauer der Freude voraus.
  • Die Luft, in ihrer höchsten Manifestation ist Geist. Ohne sie ersticken wird. Auf tieferer Ebene beobachten wir, dass Lungenkrankheiten zunehmen.
    Vor einigen Jahren schlug der Schlager von Helene Fischer «Atemlos durch die Nacht» wie ein Blitz aus dem Pop-Himmel in den Mainstream ein. Vielleicht war es weniger die Melodie als vielmehr die Worte, die eine markantes Empfinden des kollektiven Unbewussten zum Ausdruck brachten: Viele individuelle Menschen fühlten sich angesprochen im Bild, einsam und atemlos durch die Nacht zu gehen. Ich möchte weiter gehen und fragen, ob es nicht der Menschheitskörper als Ganzes ist, der atemlos durch die Nacht zieht und kaum mehr genügend vom grossen Atem durchpulst ist.
    Das Welt-System, die globale Gesellschaft verkapselt sich, schliesst sich ab. Weil es die Seele ausschliesst. Damit verliert es die nötige Atemluft, letztlich den Odem, den göttlichen Einhauch, wodurch das System möglicherweise kollabieren wird. Der dominierende Materialismus schliesst ab, verhindert die Bewegung des Lebendigen. (Ist das verständlich ausgedrückt?)Es ist vor allem die göttliche Mutter, die diesen Liebeskummer trägt: Maria, die Jungfrau, Tara, Kanzeon /oder Kanon). Die Mutter mit all ihren Namen. Wer die Trauer trägt, trägt auch die Heilung in sich:
  • wenn ich stille bin und es geschehen lasse,
  • wenn ich dich streichle, umarme
  • und spüre, bei geschlossenen Augen, wie du mich streichelst,
  • wenn ich dem äusseren und dem inneren Fluss folge,
  • mich trösten lasse, mich hingebe,
  • mich bedanke,
  • mich in meine Seele tragen lasse.

Hinter allem, was Menschen tun zu glauben müssen – Vorsicht walten zu lassen, sich ängstlich um etwas zu sorgen, Kontrolle auszuüben, strategisch vorwärts zu streben, sich abzusichern (auch gegen den Tod) – , spüre ich die bewegende Trauer, den Liebeskummer und die damit verbundene Zärtlichkeit.

Es ist die Trauer über das, was der Menschheit fühlbar verloren geht: Die Verbundenheit mit dem Leben und seiner Quelle.

Diese wenig bewusste Trauer erzeugt die Kompensationen, den Überbau, die Last, unter der Mensch zu ersticken droht.

Kriechen Menschen, so stelle ich mir vor, unter dem Überbau hervor in die freie Luft und in die Weite des Lebendigen, Atem holend, weinend, verbunden mit der ursprünglichen Sehnsucht nach dem, was sie erfüllt, werden sie zu sich kommen. Ankommen.

Es ist ein Strömen in allem, wissen die Angekommenen. Alles, was ist, ist Gegebenes, Kraft, die erhebt, aufrichtet, tröstet und heilt. Dies ist erfahrbar in der Tiefe des Seins.

Dieser Ein-Fluss (der grosse Atem) ist massiv gebremst, durch das System, dass sich angstvoll zusammenzieht, sich verengt, verkrampft. Es ist eine Tendenz der Selbst-Erstickung zu beobachten. Es ist der Wahn, der so wirkt, als hätte es zu wenig. Also Panik. Das gesellschaftliche bi-polare System schwankt zwischen Hypererregung/Stress und Lähmung/Starre. So wirken Traumata, so wirken starke Existenz-Ängste, – Abwesenheit von Vertrauen. – Die traumatisierte, globale Gesellschaft.

Es ist ein Strömen in allem. Alles, was ist, ist Gegebenes, Kraft, die erhebt, aufrichtet, tröstet und heilt. – Dieses Wissen hat sich mancherorts zurückgezogen. Es wartet über mir/uns und hinter mir/uns mit offenen, darreichenden Händen.

Und es ist schon sehr traurig, wenn grosse Teile der Menschheit so leben, als wäre da nichts, als wäre da niemand, der hört.

Manchmal verspüre ich Liebeskummer.

BETEN

Für mich ist Beten fundamental. Beten ist das Fundament, der Urgrund, der Wesensgrund.

Im Gebet ereignet sich Beziehung zwischen Liebenden, also Liebesbeziehung.
Der Gebetsraum, der sich im Zwischenraum der Liebenden aufbaut, nenne ich auch den Raum der Begegnung, der Intimität und der Innigkeit.

Wenn zwei aufeinander hören, bildet sich Hör-Raum, Schwingungsraum. Resonanz. In ihm bildet sich Substanz.
Gebet ist Tiefen-Kommunikation. Kommunikation heisst Teilen.

Bleiben wir vorerst beim Gebet des Menschen zu Gott – vielleicht sprichst Du lieber von Allah oder von Mutter-Vater, oder vom All-Einen, vom Geliebten oder vom Ursprung oder der Quelle. Wie auch immer. Da die göttliche Quelle auch im Seelenkern anwesend ist, so kann man Beten auch verstehen als ein Dialog mit sich selbst, also als ein Selbst-Gespräch, ein Gespräch mit dem höheren Selbst.

Wenn der Betende durch offenes und hingebendes Da-Sein den Begegnungsraum aufgebaut hat, beginnt der Herzens-Dialog.

Um in Resonanz zu kommen zum grossen DU, benötigen wir eine für uns günstige Balance sowohl von weiblichen, wie auch von männlichen Eigenschaften:

Die männlichen Qualitäten: Eine sehnende, vielleicht sogar leidenschaftliche Hinwendung zur Geliebten, zum Geliebten. Der Betende ist ausgerichtet, konzentriert auf das DU. Er erinnert an einen Liebhaber, der vor seiner Angebeteten niederkniet, flehend, sehnend mit einer Rose in der Hand. Er ruft nach ihr oder er flüstert, erregt, hingebend, feurig.

Die Sprache der Liebs-Mystik, insbesondere in der Tradition der Sufis, kennt keine Scheu, die spirituelle Liebesbeziehung auch in erotischer Sprache auszudrücken.

Die weiblichen Qualitäten: Das spirituelle Herz bildet eine empfangende Form: ein Schale oder einen Kelch. Die Empfindung weit, warm und fliessend, lauschend, das Gefühl sanft-fein, zart-berührt.
Das Weibliche umhüllt auch, spendet liebevoll Geborgenheit, schätzt, akzeptiert, glüht, überschäumt.

Beide Qualitäten in Ergänzung schaffen das gute Klima für das Gebet. Manchmal hilft uns eher die weibliche Seite, manchmal die männliche, um in Beziehung zu gehen.

Ich glaube, dass die meisten Menschen von uns, die weibliche Qualität des Empfangens mehr zu entwickeln haben – und wahrscheinlich ist es auch so, dass das empfangende Lauschen wichtiger ist, als das Finden des eigenen Ausdrucks und des Formulierens, weil unsere Gesellschaft das «Machen», das nach Aussen gehen, einseitig betont. Gleichwohl ist es sehr bewusstseinsbildend, wenn wir tiefste Empfindungen, Anliegen und Bitten feinfühlig in Sprache bringen. Was wir auf diese Weise zum Ausdruck bringen, wird gehört. Daran habe ich keinen Zweifel, denn es ist etwas Zuhörendes und Anteilnehmendes in allem, was ist.

Der Dialog beim kontemplativen Gebet ist in Stille eingebettet. Manchmal entwickelt sich ein wortloser Austausch, ein inniges Zusammensein, wo sich Geben und Nehmen nicht mehr so klar unterscheiden lässt; vielmehr entsteht ein liebendes Zusammen-Sein in Freude und Seligkeit. Daraus fliessen manchmal sehr tiefe Einsichten.

Sat-cit-ananda, auch saccidanana geschrieben, heisst in der hinduistischen Tradition nach Aurobindo: «Sein-Bewusstsein-Seligkeit; Kraft und Sein eins geworden in Seligkeit; die höchste Wirklichkeit als das im Selbst existierende Sein.»
Saccidananda ist eine Drei-Einheit oder Trinität. Im Gebet wird sie oft erlebbar.

Das kontemplative Gebet ist ein non-dualer intimer Austausch in Liebe. Zwei in Einheit, das Eine in Zweiheit. In den Räumen der Begegnung, die sich untereinander verbinden, entsteht das Fundament, auf dem sich Mensch und Menschheit entfalten.

Es muss wohl kaum noch gesagt werden, dass es weder das Internet, noch sonst welche Netzwerke sein können, die eine Alternative dafür sein können für den Boden (Humus im Sinne von Humanität, der sich durch die Herzensbeziehungen aufbaut), der sich betend bildet. Es ist Licht-Erde, die entsteht.

Der erwachte, innere Mensch ist in einem Zustand des Gebetes. Er ist in einem immerwährenden Gebet. Wir sprechen hier vom Herzensgebet. (Vergl. Blog: Atem, 2. Teil, 5. Jan. 19)

«In der ewigen Geburt, die im Grund und im Innersten der Seele geschieht, ergiesst sich Gott mit solchem Licht in die Seele, dass ihr Wesensgrund davon ganz erfüllt wird und das Licht sich hinausschleudert in die Kräfte der Seele und überfliesst in den äusseren Menschen.»
Meister Eckhart, aus Predigt 103

Ich bin überzeugt, dass Meister Eckhart hier eine sowohl persönliche, wie auch eine allgemein menschliche Tiefenerfahrung auf eine wunderbare, treffliche Art beschreibt, wie man sie wahrer und schöner kaum ausdrücken könnte.

Gebet ist auch Geburts-Raum, denn in der Begegnung der Liebes-Beziehung entsteht neues Leben, aus LIEBE geboren.

Wenn zwei Menschen, die sich lieben, im andern auch den göttlichen Kern sehen und diesen begrüssen – Namaste – beten sie dann?

Ja, ich glaube, dass dies auch eine Form von Gebet ist. Es ist ja nicht von ungefähr, dass vor allem Männer von der Angebeteten sprechen, nämlich dann, wenn sie das Wesen ihrer Geliebten erahnen oder mehr noch, fühlen, also nicht nur den äusseren Mensch schätzen, sondern mehr noch den inneren.

Wenn sich im Gebet Geist (Himmel) und Erde verbinden entsteht das Fundament der «neuen Erde»: Licht-Materie.
Es ist die LIEBE im Begegnungs-Raum, welche den Humus/die Licht-Erde bildet.

Die Ehe, der Bund zwischen Gott und Mensch wird genährt durch die gelebte Liebes-Beziehung, das Gebet. Jüdische Mystiker sagen: «Bei der Ehe-Scheidung weint der Altar».
In esoterischer Lese-Art meint «Scheidung» oder «Ehebruch», die Trennung von Gott und Mensch und die Trennung von Geist und Materie.

Und deshalb ist das Gebet so fundamental, weil die Trennungen auf verschiedenen Ebenen weit fortgeschritten sind und es das heilende, Leben erzeugende Gebet braucht.

Ich habe das Bedürfnis, es noch einmal zu sagen: Das Gebet ist das Fundament.