Lichte Trauer

In verschiedenen Blog-Beiträgen habe ich auf die bewegte, lichtdurchlässige Trauer hingewiesen. Nun möchte ich darauf ausführlicher eingehen. Dieser Blog versteht sich auch als Fortsetzung und Ergänzung meines letzten Artikels: «Weltschmerz».

Tiefe, bewegte Trauer, in Verbindung mit Mitgefühl ist ein Zeichen zunehmender Gesundung, Heilung. Oft nennen Menschen ihre depressiven Verstimmungen, ihre Bedrückung und selbstquälerischen Lebensphasen oder die inneren Zustände von gedämpfter Lebenskraft und Lebensfreude fälschlicherweise Trauer.

Trauer aber, so wie ich sie verstehe, stellt sich erst eint, wenn der Mensch sich im Prozess der Heilung befinden. Nur der Gesunde, oder gesundende Mensch ist fähig, sich ganz in seine Trauer einzulassen.

Trauer bewegt, weicht auf, bringt, was vorher gelähmt war, wieder in den Fluss des Lebens, bringt, was vorher starr und hart war in eine weiche Bewegung, ermöglicht, was vorher überspannt war, einen lockeren und entspannten Zustand, indem alle Gefühle an Tiefe gewinnen. Diese bewegte Trauer ist Teil eines Heilungsprozesses.

Der Menschen, der seelisch-geistig erwacht, der sich also seiner geistigen Wesenheit zunehmend bewusst ist, was einher geht mit der Erfahrung von bedingungsloser Liebe und eines Gefühls von umfassender Geborgenheit und Seligkeit (Glückseligkeit). Es ist eine Art von seelischer Berührung, Ergriffenheit bis hin zu einer Erschütterung, die dem Erwachen vorausgeht, oft verbunden mit einer Trauer und Rührung, in der wir die alte Gefasstheit verlieren und eintauchen in das ursprüngliche Leben vor allen Prägungen. Dabei erkennen wir die Zwänge, Prägungen und Gewohnheiten, die uns über lange Zeit im Halbdunkeln festgehalten haben. Wir trauern dann über uns selbst, darüber, dass wir solange nicht wirklich gelebt haben. Dies wird uns jetzt bewusst im Licht, das in uns wie eine Sonne aufgeht.

Der Nebel hat sich verzogen, die Nebelschwaden haben sich gelichtet und die Sonne wärmt uns.

Die Mischung von Trauer und Licht ist ein wunderliches und wunderbares Wandlungs-Ereignis.

Die bewegte, weiche, erweichende und schmelzende Trauer, die von Licht durchflutet ist, heilt und wandelt: Sie ist in Mitgefühl eingebettet. Sie ist es, die der Trauer diese sanfte, wiegende Bewegtheit verleiht.

Während uns der Schmerz an unsere individuelle und kollektive Trennung von unserer Seele, unserem Herzen, also von uns selbst erinnert, begleitet uns die heilende und uns sanft bewegende Licht- Trauer durch den Selbst-Versöhnungsprozess hindurch zurück zu unserer Mitte.

Die Trauer verbindet uns wieder mit den Bereichen, die wir von uns abgetrennt haben. Nun kann das Abgespaltene zurückkehren. Empfangen wir also das Verloren geglaubte im Lichte unserer Tränen. Integrieren wir es.
Das Bewegte unserer Trauer wiegt das bedürftige Kind in uns.

Dies ist die Vorbereitung auf die nachfolgende grosse Freude, auf das Fest des Lebens und der Wiedervereinigung.

 

Wärme-Räume

Dies ist ein Gastbeitrag von Joachim Pfeffinger

Aussenschau
Zunächst ist das Phänomen “Raum“ angesprochen. Als Architekt kann ich vieles darüber berichten, denn dessen bauliche Erstellung gehört zu meinem täglichen Brot. Dass Räume in physischem Sinne auch erwärmt und klimatisiert werden können sollen (wo es erforderlich ist), gehört zum Lebensstandart der menschlichen Zivilisation. Die Erstellung von gebauten Räumen, besser noch von Architekturräumen, hat also physisch mit der Schaffung von wärmenden und schützenden Räumen zu tun. Täglich erleben wir, wie wichtig es ist, in Räumen leben zu dürfen, die uns schützend dienen und wärmen, zuweilen auch kühlen, wenn der Wärme zu viel ist.

Indessen kann klar werden, dass physischer Raum kein „Raum“ im eigentliche Sinne ist. Verweisen wir auf „Raum“, ist in Wirklichkeit immer das gemeint was „Raum“ bildet: Seine Umhüllungen, aber nicht der Raum selbst. Was ist denn dann „Raum“ eigentlich? Umhüllungen bestehen aus Materie, die aufgrund statischer-ästhetischer-künstlerischer[1], funktionell-juristischer und ökonomischer Kriterien und Regeln „organisiert“ werden. Es kann deutlich werden, dass „Raum“, obwohl ein alltägliches Phänomen, doch etwas Geheimnisvolles und daher nicht so leicht Verständliches ist: „Raum“ ist materialistisch gesprochen jene Sphäre, die zwischen den künstlerisch gestalteten materiellen Hüllen als „Nichts“, als „Leere“ ausgespart ist. „Raum“ ist, insofern wir ihn nur physisch sehen wollen eigentlich: Nichts! Er entzieht sich sinnlicher Beobachtung. Nur bei den Umhüllungen kann ich sagen: „Schau dort, diese oder jene Proportionen und Materialien, sind schön oder ungeeignet organisiert, sie weisen schöne, eleganten oder plumpe Linienführungen auf, die Fenster und Öffnungen sind am richtigen oder falschen Ort…“, wie auch immer. Will ich Aufschluss über tatsächlichen Raum erhalten, muss ich denkend fühlen wollen, was die Umhüllung mit ihrer Gesamtcharakteristik in mir als Seelenraum seelisch bewirkt. Die seelische Reflektion in mir verweist auf „Raum“, der sich meinem Denken als gefühlter Seelenraum offenbart. Wie auch Licht sinnlich nur an Materie erfahrbar wird, Materie, die verdichtetes Licht ist, wird Seelen-Raum durch die spezifische architektonische Anordnung von Materie an seiner Umhüllung manifest. Raum und Licht selbst sind rein geistig-seelische Tatsachen, die sich der direkten sinnlichen Wahrnehmung entziehen. Architektur (als Raumkunst) beruhe auf „Schweigen und Licht“, bemerkte einst der bedeutende Architekt Louis Isidor Kahn.

Gebauter „Raum als Wärmeraum“ ist vor allem die Vorstellung eines Zustandes in der Zukunft, gewonnen aus einem neuen Denken, das „Raum“ eine Wärmequalität zuweist, die jenseits rein materieller Vorstellungen mit der Ausstrahlung von Geborgenheit und im umfassendsten Sinne als „Raum für soziales Leben“, in dem man sich geschützt und wohl fühlt, und zu kreativem Tun, Bildung und zur Ausübung des Schönen-Wahren-Guten stimuliert wird, zu tun hat. Die Erkenntnis andererseits, dass Räume seelisch warm oder kalt sind, setzt eine entsprechende Empfänglichkeit vom Betrachter und Nutzer voraus, die wiederum ausgebildet sein muss. Je sensibler ein Betrachter ist, desto mehr Nuancen wird er erkennen und spüren.

 

Innenschau
Aus Sicht der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft[2] ist es bekannt, dass ein Wesen nur dann Träger einer eigenen Seele sein kann, wenn es als physische Hülle einen Innenraum ausgebildet hat, der vom kosmischen Aussenraum abgetrennt wird. Dann erst ist es, gemäss Aristoteles, zu „selbstständigem Ortswechsel“ fähig. – Die eingewurzelte Pflanze ist eigentlich ein zweidimensionales lebendiges Wesen. Ihr physischer Organismus kommt, wie es bei allen lebendigen Wesen auf Erden der Fall ist, zwar auch durch Zellteilung zustande. Bei Pflanzen bleibt es aber bei der sich teilenden Zelle hin zu einem zuvor im Keim veranlagten Organismus, der, beeinflusst durch äussere Umstände, die die Keimesveranlagung „umzubiegen“ und abzuändern vermögen, die Organe nach aussen bildet. Die Pflanze entwickelt sich aus der Linie zur Fläche. Die Seele, der „Innenraum“ der Pflanze ist aussen, also der ganze Seelen-Kosmos um sie herum! Die Pflanze als „kosmische Antenne“ bildet lebendige Flächen (nie flach sondern immer mindestens doppelt gekrümmt) aus, die in den Umkreis ausgreifen. Beim Tier und Menschen kommt es zusätzlich zu jener geheimnisvollen Gastrulation, einem Einstülpungsprozess der Blastula, durch den der Hohlraum gebildet wird, in dem die Organe als eigener Kosmos, als Mikrokosmos, gebildet werden. Mit der Tierwelt beginnt in der Erden-Evolution überhaupt „Raum“ als Seelenraum und damit Gefühle in einem Erdenwesen zu existieren. Der Mensch als aufrecht Gehender vereinigt die Merkmale aller Erdenwesen in sich und fügt als Träger eines Ich und (s)eines Schicksals, dessen Lauf er selbst mitbestimmt, somit ein Neues und Einmaliges hinzu. Das ist ein gewaltiger Sprung in der kosmischen Entwicklung hin zur Freiheit, für den wir aber den Mineralien, Pflanzen und Tieren Dankbarkeit schulden. Diese Freiheit, die heute noch in der Individualisierungsphase des Egoismus und Narzissmus steckt, die aber nur eine Durchgangsstation hin zu höheren Entwicklungsstufen ist, zu denen sich entwicklungsfähige Menschen entwickeln können, ist allerdings mit diversen unangenehmen „Nebenwirkungen“ verbunden. Aus den vorigen Überlegungen heraus kann auf das Vorhandensein einer Seele geschlossen werden, denn wir könnten ohne Seele Raum nicht wahrnehmen und Seele kann nur „existieren“, wenn sie sich in einen belebten, physischen Körper senken kann, der ontologisch jenen Hohlraum ausgebildet hat.

Physische Wärme erhält den physischen Körper am Leben, seelische Wärme die Seele, deren Zentrum das Ich bildet. Ohne diese Wärmequalitäten könnte sich unser Ich nicht inkarnieren und inkarniert bleiben. Seelische Wärme strömt uns zweifach durch die uns umgebenden gelungenen architektonischen und die sozial gestimmten Menschen (als „Hüllenwesen“), die in tiefer geistiger Verschränkung zueinander stehen, zu. Der Mensch ist wie Architektur ein Hüllenwesen, das sich durch das innere Licht, das ihn als Wesen ausmacht und das er ausstrahlt, manifestiert, was darauf hindeutet, dass zwischen dem Menschen als geistig-seelischem und physischem Wesen und einem Architekturbau geheimnisvolle Zusammenhänge bestehen: Man könnte geradezu sagen, wenn man den Entwicklungsaspekt des Bewusstsein berücksichtigt, dass Gebäude eigentlich zu Menschen werden sollten.

Ein Menschen- und Weltbild, das sich in der Tiefe einer solchen spirituellen und wissenschaftlich fundierten Anschauung gründet, bedarf eines entsprechenden neuen Denkens, das die heute immer noch verbreitete Art des rein verstandesmässigen analytischen und verstandesmässigen Denkens, wie es vor allem in den durch ökonomische Interessen manipulierten Naturwissenschaften deutlich wird, überwindet. Dann erst werden wir einerseits soziale Menschen haben, die seelische Wärmeräume, wie oben beschrieben, in die Lebenssphäre der Mitwelt aufspannen; und andererseits wird es zu Architekturobjekten und städtebaulichen Anlagen kommen, die (bauliche) Hüllenwesen erzeugen, deren seelische Wirkung als Räume ebenfalls als wärmend und tragend empfunden werden, als Räume, die soziales Leben stimulieren und tragen, gebaute Räume[3], die dem Kosmos und der Natur der Erde Respekt zollen! Die bewusste Schaffung sozialer und architektonischer Wärmeräume steht in innigem Zusammenhang mit einem neuen, lebendigen und empfindenden Denken. Nur dann kann Bau zu Mensch und der Mensch ein Tempel des guten Sonnengeistes werden.

Neues Denken

Dass wir als aufrecht gehende Menschen auf Erden leben können bedingt, dass wir als „Geist-Ich“ uns mit „Hüllen“ umgeben, die uns „erden“. Unser Selbstbewusstsein ist dabei jenes Element, das uns mit der Erde verbindet, wir haben es auf der Erde erlangt. Ansonsten sind wir kosmische Wesen, die aus dem gesamten geistigen Kosmos heraus gebildet sind, wie auch die Erde als geistiges Wesen. Die äussere Hülle um unser Ich ist der physische Leib, der von den Hüllen des Lebens und des Gefühls durchdrungen und vom Ich gestaltet wird. Der Begriff „Mensch“ wird hier nicht nur als abgetrenntes Einzel-Wesen verstanden, das als zufällig zusammengewürfelter Algorithmus auf Erden wandelt und irgendwann im Nichts verschwindet oder womöglich als Plage „Homo Sapiens“ von der Erde als Krankheit abgeschüttelt wird[4]. “Mensch“ wird als geistiges Entwicklungswesen verstanden, das durch Widersacherkräfte irgendwann aus dem Zusammenhang mit der kosmischen Ordnung herausgelöst wurde, um frei werden zu können. Dieses Entwicklungswesen hat heute, im Zeitalter des Individualismus, einen bestimmten Bewusstseinszustand erreicht. Es kann sich aus freier Entscheidung zu einer Geistgemeinschaft mit den Göttern weiterentwickeln und dennoch das Ich-Sein erhalten, ein Zukunftszustand, der als Potenzialität keimhaft veranlagt ist. Insofern ist der Mensch (als heilige Ich-Gemeinschaft) etwas unglaublich Grosses aber eben Unfertiges! Die Weiterentwicklung liegt, im Gegensatz zu den Tieren, die ihren Instinkten folgen müssen, in unseren eigenen Händen. Sie kann auch scheitern.

Unsere physisch-seelisch-geistige Organisation ist polar aufgebaut: Im Kopf mit einem Aussenskelett sehen wir eine gegen den Himmel abgeschlossene Nerven- und Sinneswelt, die aber im Körper wirkt, in der das Gehirn in einer wässrigen Substanz schwerelos wie „tot“ schwimmt. Das Gehirn ist dabei nicht etwa der Produzent von Gedanken, wie heute spekulativ angenommen wird, sondern eine Art „Spiegelungsapparat“, der Gedanken reflektiert und bewusst macht. Obwohl der Sinnes-Nervenprozess ein synthetischer ist, denn in ihm fliessen alle Organtätigkeiten zusammen und werden verknüpft, ist unsere Denktätigkeit heute weitgehend ein analytisches und zerstörendes: Das Erfassen der Welterscheinungen in Begriffen „tötet“ sozusagen den eigentlich lebendigen Zusammenhang der Wirklichkeit ab, die lebendige Wirklichkeit wird herabgelähmt und in abstrakte Begriffe eingeschnürt. Auch die Sprache und Worte, mit denen wir diese Wirklichkeit zu erfassen suchen, zerstört: Wir sagen das Wort „Blume“ und haben von dieser einen Begriff als physischen „Gegenstand“, weil wir nicht zu erkennen vermögen, dass das eigentliche Wesen „Blume“ (das unsichtbar ist) viel tiefer und grösser ist, als wir es uns heute vorzustellen vermögen. Unser Denken ist, insofern es an das Gehirn gebunden bleibt, kalt und abstrakt. Ich spreche gerne vom „Excell-Tabellenbewußtsein“. Der Nerven-Sinnesprozess ist dabei aber nicht der, den die Neurologie heute als stoffgebundenes neuronales Netzwerk versteht. Die Stofflichkeit der Nerven und des Gehirns ist eigentlich Teil des Stoffwechselprozesses. Substanzen und alle ihre Prozesse (Ausschüttungen diverser Botenstoffe wie Dopamin aus der Nebenierenrinde usw.) sind stofflicher Natur und damit dem Stoffwechsel eingegliedert, sie haben nichts mit eigentlicher Nerventätigkeit zu tun. Wer dort Gedanken sucht, sucht nach einem Phantom und geht in die Irre. Nerventätigkeit ist ein Lichtprozess in den Zwischenräumen der Materie und damit der sinnlichen Beobachtung nicht zugänglich! Das Denken drängt dort, wo es tätig wird, die Materie weg. Das Denken ist ein Eigenwesen, das wir selbst im „reinen Denken“ beobachten können, es ist ein geistiger Prozess, der durch die materialistischen Naturwissenschaften nicht, wohl aber durch eine Geisteswissenschaft verstanden werden kann. Durch die Denktätigkeit verbinden wir die Welterscheinungen zu einem Sinnzusammenhang, der aber heute, mit der materialistischen Gesinnung als (kalter) Tötungsprozess wirkt, wie vorher dargestellt. In diesem Sinne bewirkt das abstrakte Denken, das uns auch a(nti)sozial sein lässt (die Voraussetzung des Kapitalismus) einen Abbau- und Sterbeprozess unseres Körpers und notabene auch der Natur, wie wir ja deutlich sehen können.

Im Pol des Stoffwechselsystems, das durch ein Innenskelett getragen wird, wird Materie synthetisiert und als körpereigene Substanz aufgebaut. Während der Kopf egoistisch nach innen weist und wir deshalb ein wach-geistiges Innenleben haben können, verbinden wir uns mit den Gliedmassen, die den Stoffwechsel antreiben, mit der Welt. Sie gehen nach aussen. Kosmos strömt in die Zwischenräume der Finger und der Beine. Der Stoffwechsel-Gliedmassenorganismus, der im gesamten Körper, so auch im Gehirn, wirkt, ist unser Wärmepol, in dem unser Wille (stofflich das Hämoglobin und dort das Eisen) lebt. Im warmen lebendigen Blut als dem „Saft“ der Stoffwechseltätigkeit, das polar zu den Nerven wirkt, lebt unser Ich.

 

Im Kopfprozess des Denkens sind wir wach, im Stoffwechselprozess des Wollens schlafen wir tief, auch wenn wir wach sind. Die Zerstörungen, die durch unser Gedankenleben im Wachleben verursacht werden, werden des nachts, wenn wir bewusstlos schlafen und ausserhalb von unserem Körper leben, regeneriert, denn geistig sind wir dort mit dem ganzen Kosmos verbunden. Hohe geistige Kräfte greifen dann erhaltend in unseren Organismus ein. Weil aber die Regeneration die Zerstörungen nie ganz ausgleichen kann, altern und sterben wir schliesslich, weil unser physischer Körper, wie vorher beschrieben, zerstört wird. Durch das Altern und Sterben werden wir aber weiser (als Potenzial, das wir nutzen können, Weisheit entsteht nicht automatisch), weil der Rückgang der Stoffwechseltätigkeit geistige Weiterentwicklung ermöglicht, wenn wir es zulassen. Bewusstseinssteigerungen sind mit Sterbeprozessen verbunden. Der Tod ist ein Bewusstseinstor ins Licht und in die Wärme der geistigen Welt. Tod ist Teil des Lebens.

 

Zwischen den Polen des Denkens und Wollens lebt die Gefühlswelt im rhythmischen System des Herzens und Atems, das wiederum den ganzen Organismus durchsetzt und durchpulst. Herz und Lunge wirken vermittelnd zwischen dem Wärme- und Kältepol in uns, was leicht verstanden werden kann, wenn wir das Herz genauer studieren und verstehen, wie die Atemluft im Blut in das Gehirn gelangt und den Denkprozess durchsetzt und andererseits die Tätigkeit des Zwerchfells durch die Ausdehnung der Lunge den Stoffwechsel beeinflusst (uvm.!). Die rhythmisch gegliederte Rippenstruktur, aussen liegend und dennoch nicht geschlossen, ist ebenfalls vermittelnd gebildet. Wir werden die abstrakte, kalte und asoziale Denktätigkeit dann wandeln, wenn wir aus der Mitte des Herzens, das Denken fühlend durchwärmen. Synonym dazu werden wir allmählich in jenen Regionen wach, in denen wir heute im Wachzustand des Denkens träumen und schlafen.

 

Lebendiges Denken ist empfindendes und verbindendes Denken. Es ist Gehirn-ungebunden, weil etwas aus dem geistigen Pol unseres Stoffwechsel-Gliedmassensystems, das uns mit hohen kosmisch-geistigen Kräften verbindet, wirkend wach geworden ist und zugleich das Denken in unser unser Herz gesenkt wurde: Wir werden dann zum Schauplatz kosmischer Gedanken, geistiger Kräfte. Das neue Denken ist ein fühlend inspiriertes Denken, das sich kosmischen Weltgedanken öffnet. Es verleugnet nicht die Logik und den Verstand. Wir werden sozusagen gedacht indem wir uns zu einem empfangenden Gefäss umformen. Dieser Prozess muss in Freiheit geschehen können. Dadurch werden wir allmählich sozialer und können das Gespenst des Kapitalismus, der mit dem abstrakten asozialen Denken innerlich zusammenhängt, überwinden.

 

Der Wärmeraum unseres eigentlichen geistigen Zentrums im Bauch öffnet sich, wir gebären ein höheres, lebendig denkendes Selbst und ermöglichen so dem gesamten Kosmos einen Entwicklungssprung.

Anmerkungen:

[1]     Das Thema ist sehr umfassend, daher wird hier nur darauf verwiesen, dass sich in der Architektur alle Künste versammeln: Die Baukunst, das, was Architektur bildet ist eigentlich unsichtbar, auf den Menschen bezogen ist es das Energiegerüst, das sich im Knochenbau abbildet. In dem Moment, wenn Materie geformt wird, spielt das plastische und bildhauerische (im umfassendsten Sinne) hinein. Das Malerische wirkt durch die Art der Farbgebung und wie das Gebäude gesetzt ist, das Musikalische in den Proportionen, die Poesie im Unsagbaren und schliesslich die Eurythmie/Gebärdenkunst in den Gebärden der Bauglieder. All dieses ist voll umfänglich auch beim Menschen als „Bau“ vorhanden!

[2]     Der Begründer ist Dr. Rudolf Steiner, der sie in ca. 50 Büchern, 6‘000 Vorträgen und der Inauguration verschiedener konkreter Einrichtungen des Lebens (Waldorfschulen, Demeterlandwirtschaft, Architektur, Soziale Dreigliederung und Ökonomie, Eurythmie als heilende Gebärdensprache, Bewegung der Christengemeinschaft weltweit uvm. begründet hat. In all diesen Lebensfeldern wurden seit 100 Jahren wertvolle Erfahrungen gesammelt.

[3]     Gebaute Räume erzeugen immer Räume zwischen den Hüllen als Innen- und städtebauliche Aussenräume, die auch Seelenräume sind.

[4]     Derartige Vorstellungen, die heute auch in sog. spirituellen Kreisen umhergeistern, müssen als realitätsfremd strikt zurückgewiesen werden.

Im Spital

Noch bin ich leicht benommen von der Schicksalswelle in meine Wohnung zurückgeschwemmt worden, wo ich meinen eigenen Atem wieder finde, also im Vertrauten wieder angekommen bin. Ich habe das Spital in seinem kühlen, harten Weiss zurückgelassen, in dem ich vier Tage in einem lauten, unruhigen Dreier-Zimmer lag, gefesselt von Infusions-Leitungen und einem Katheter.
Die Spitalwelt ist mir fremd: seine strikte Hierarchie, die entseelte, nur noch höfliche aber kaum mehr herzliche Pflege, die vielen technischen Abläufe… doch einmal, eines Morgens, trat eine junge Pflegerin wie ein Lichtstrahl in unser grosses Dreibett-Zimmer und sagte, dass sie hier die Nachttischen abstauben und reinigen werde. Sie tat dies mit so viel Achtsamkeit und liebevoller Präsenz, ja, ich möchte schon von Hingebe reden, dass es spürbar heller im Zimmer wurde. Sie war in Ausbildung im ersten Lehrjahr, aber schon eine ausgereifte Pflegerin mit heilender Ausstrahlung.
Meinem jungen Bett-Nachbarn verweigerten die Angestellten eine wirkungsvolle Schmerz-Therapie über zwei Tage hinweg. Oder sie getrauten sich nicht, das unwirksame gegen ein wirksames Schmerzmittel zu ersetzen. Es war kaum anzusehen, wie der Mann litt. Mit Hilfe seiner Verwandten, die grossem Druck machten, traf dann der Chefarzt ein, verschrieb Morphium und mein Nachbar war in wenigen Minuten schmerzfrei und konnte wieder schlafen. So viel zu den Auswirkungen einer straffen steilen Hierarchie.

Nun bin ich also wieder zu Hause, benommen und dabei, mich wieder in meiner eigenen Haut zurecht zu finden und meiner Müdigkeit, die mit Verspätung nun Einzug hält, nachzugeben.

Im Folgenden schildere ich meine erste Nacht im Spital, kurz nach meiner fünf-stündigen Blasenstein-Entfernung:

Um 20.30 Uhr kam ich im Wach-Saal wieder zu mir und fühlte mich gleich ganz wach und klar, was die Anwesenden erstaunte. Mich auch. 15.2.45 – natürlich wusste ich mein Geburts-Datum, ohne zu studieren. Kurz vor dem Ende des 2. Weltkrieges. Trage ich noch Spuren des Krieges in mir? Vermutlich schon.

Unmittelbar vor der Operation sagte mir die mich operierende Ärztin, dass es gut sei, einen eigenen Traum in die Narkose und die nachfolgende Operation mitzunehmen. Ich hatte meinen Traum, nahm ihn mit. Wie schön, wie wahr und klug, doch ihr Hinweis war.

Eine andere Ärztin hatte mir die Infusion zu stecken. Kurz vor dem Einstich fordert sie mich auf einzuatmen, was ich tat. Während ich einatmete, stach sie. Noch nie erlebte ich den Einstich einer Infusion beinahe schmerzlos.
Ich sage mir: Wenn etwas eintreten soll, atme ich ein, gebe Zugang, wenn etwas austreten soll, atme ich aus, akzeptiere und fordere damit den Auslass. So einfach ist das und so hilfreich.

Nach den beiden Erfahrungen/Einsichten der beiden klugen Frauen, wurde ich in die Operationsaal gefahren und auf den OP-Tisch gebracht. Im Raum herrschte eine aufgeräumte, ja heitere Stimmung. Ganz kurz fand ich das Lachen befremdlich, danach schätzt ich es, denn es schmälerte den freundlichen Einsatz der Mitarbeitenden in keiner Weise – im Gegenteil.

In der beschriebenen Klarheit – die Auswirkung meines Traumes – wurde ich in mein Krankenzimmer gekarrt. Nach einer kleinen Mahlzeit, inzwischen war es dunkel geworden, kam eine sanfte, tiefe Müdigkeit zu mir und legte sich über mich wie eine leichte, warme Decke und ich schlief ein – und blieb dabei völlig wach und präsent. Ein Klar-Traum.
Ich hörte das Plätschern des Regens draussen, das Schnarchen meines Nachbars und gleichzeitig erlebte ich und wusste, dass ich schlief und träumte. Ich folgte allen meinen Träumen und beobachtete sie und realisierte gleichzeitig alles, was in meinem Zimmer und in meinem Körper vor sich ging. Das ging vielleicht eine bis zwei Stunden so. Ich erlebte den Zustand als sehr friedvoll. Einer der Träume hatte die Qualität einer Vision: Ein weiser kraftvoller Mann erschien und sagte mir, was ich in meiner kommenden Lebensphase zu beachten habe. – Es war eine starke, kurze und eindringliche Begegnung.

Danach folgte ein Wechsel von Schlummern und Nachdenken. Diese hatte die Qualität von Klar-Werden.

Auch Krankheit – Gesundheit ist in den letzten drei Jahren für mich zu einem zerbrechlichen Gut geworden – trägt sowohl den Aspekt von Klar-Werden, wie auch von Mensch-Werdung in sich. Krankheit ist für mich zu einem Vehikel der Bewusstwerdung geworden.

Als es dämmerte, freute ich mich auf das Frühstück. Ich war dankbar, dass ich friedlich und völlig schmerzfrei war -, ja und auch darüber, dass liebe Menschen fühlbar mit mir in Verbindung waren. Und auch jetzt sind.

 

Im Seins-Raum

Manchmal ist es mir ein Bedürfnis innere Erfahrungen weiterzugeben, zu teilen. Bevor ich sie in Worte fasse, überprüfe ich das Erkannte im Innern, ob das, was sich formulieren möchte, tatsächlich dem entspricht, was ich innerlich erlebe und erfahre. Wenn keine Übereinstimmung vorliegt, gelangt es in keinen Text.
In welchem Masse meine innere Wahrheit auf andere Menschen übertragbar ist und wie weit sie verallgemeinert werden kann, kann ich nicht beurteilen.

Ich lebe im Seins-Raum. Es ist mein wahres Wesen, welches im Seins-Raum lebt. Dieser Raum ist sowohl leicht, wie auch dicht. Hier bin ich von Wesenheiten umgeben. Hier bin ich ganz, während ich mich im Raum der Alltags-Erdenwelt als sehr relativ und vergänglich erlebe.

Im Seins-Raum ist meine Heimat.
Er ist völlig beseelt.
Hier dehnen sich alle meine Dimensionen, die zu mir gehören, aus. Ich weite (erweitere) mich da. Alles ist gut bis in die Tiefe des Seins.

Seins-Tiefe: ganz unten die Grund-Strömungen der Lebenskraft, in der Höhe lobende Wesen in ihrem Liebestanz.

In der Versenkung, zum Beispiel in der Meditation oder im kontemplativen Gebet, manchmal auch in psychotherapeutischer Körper-Arbeit, verändert sich das Zeit- und Raumempfinden:
Zeit erlebe ich als Gegenwärtigkeit, ich spüre sie als nährende und schöpferische Essenz.

Raum dehnt sich; er ist grenzenlos, leicht und dicht zugleich. Eine schimmernde Sphäre. Das Wesen (Ich) und der mich umgebene Seins-Raum unterscheiden sich nur graduell. Der Seins-Raum ist auch in mir, so wie er mich umgibt. Alles ist wechselseitig verbunden, es gibt da keine isolierten Einzelteile.
Der Raum atmet, pulsiert. Hier ist keine Schwerkraft, sondern eher ein Gleiten, ein Schweben.
Verweile ich im Seins-Raum, der auch ein Bewusstseins-Raum ist, erfahre ich seine intensive Lichtkraft immer mehr (vergleiche den letzten Blog: Licht und Bewegung). Das Gefühl: Ich bin aufgehoben, beheimatet. Hier bin ich wirklich, hier bin ich real. LIEBE und all-gegenwärtige Schönheit, die alles durchströmt. Alles ist hier in LIEBE gesehen und in LIEBE gehört. Anteilnehmendes Leben.

Der innere Mensch, der ins Licht der Wahrnehmung tritt – ich nenne ihn auch das Wesen – ist, so spüre ich das deutlich, real, anwesend, während der von der Zivilisation und der herrschenden Kultur geprägte Mensch grosse illusionäre Anteile (Maya) an sich hat. Manchmal erscheint er als abwesend, unsichtbar. Im Seins-Raum ist Anwesenheit, Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Seligkeit.

Wenn du, wenn ich, aus diesem Seins-Raum liebevoll mit Mitgefühl ausatmen, können wir das bedrohte Leben auf Erden unterstützen und nähren. Es ist eine Art von stiller Friedensarbeit, die aktive handfeste Friedensarbeit nicht ausschliesst, sondern vielmehr stärkt.

LICHT UND BEWEGUNG – eine Meditation

Ich weiss, dass es ans Unmögliche grenzt, innere tiefe Erfahrungen, wie hier die von Licht und innerer, kinästhetischer, also emotional gefühlter Bewegungen verbal zu vermitteln; bleibt nur die Hoffnung, dass ich Worte, Sprachbilder oder Rhythmen gefunden habe, die geeignet sind, beim Empfänger einen inneren Funken zu erzeugen. An der Grenze zur Unmöglichkeit können sich ganz überraschend Wunder ereignen. In diesem Grenzbezirk, also im Zwischenraum von Unmöglichkeit und Wunder, ist es sinnvoll, ein «Zelt» aufzuschlagen.

Ich atme mit der Vorstellung von Licht.
Die Vorstellung ist ein Fenster,
durch welches das reale, geistige Licht fliesst
und den Lichtkörper, unser himmlisches Fundament
aufbaut, stärkt, – so,
dass er mehr und mehr zur Wirklichkeit wird.

Anders als das physische Licht,
berührt uns das ewige Licht in der Tiefe
und lässt uns SEIN.

Das Licht, das ich empfange,
das Licht, das mich empfängt,
erinnert an eine Liebeserklärung.

Atem und Licht sind nun vereint:
Atem-Licht.

Dieses dient dem Wachsen und der Entwicklung
des Lebens.
Leben aus Liebe – aus Liebes-Licht.

Das Licht intensiviert sich, gewinnt an
Leuchtkraft und Glanz.
Alles, das ganze Universum ist von ihm durchdrungen.

Ich bin Licht im Licht.
Du bist Licht im Licht.
Wir sind Lichter im Licht.

Das Licht bewegt mich.
Seine Bewegung bringt mich mir selbst nahe.
Es öffnet meine Räume der Innerlichkeit,
der Seele.
Da BIN ICH.

Aus dem Innersten ICH BIN strahlt es in die Welt,
unablässig:
Nahrung für dich und mich.

Manchmal schaukelt und wiegt mich das Licht
sehr sanft und zart.
Es öffnet mich, weicht auf, es heilt,
dich und mich – uns.

Bewegtes Licht, das erlöst,
Erstarrtes aufbricht,
verlebendigt.
Sprudelnd, kreisend, spiralförmig, strahlend,
selbst in der dunkelsten Ummantelung
sichtbar, spürbar.

Es bewegt mich so,
wie ich es jetzt brauche,
wie du es jetzt brauchst,
wie wir es jetzt brauchen.

Sprechendes Licht,
sprechende Bewegung,
Bewegungs-Licht in Stille,
Bewegungs-Ruhe.

Das Licht bewegt mich ins Leben hinein,
in den Strom der anima mundi,
der Welt-Seele.

Erwachen im Bewusstsein der Unsterblichkeit.

Das ist die Realität, sagt ER,
das ist die Wirklichkeit, sagt SIE,
die Basis,
auf der ich stehe,
auf der du stehst,
auf der wir stehen.

Fels gewordenes Licht.


Zwei Schluss-Bemerkungen:

  • Dieser Text kann als Meditations-Anleitung dienen. Du liest jeweils einen Abschnitt und lässt danach den Inhalt in Stille in Dir nachklingen. So verfährst Du Abschnitt für Abschnitt. Wenn Dich dieses Vorgehen anspricht, kannst Du es über eine gewisse Zeit wiederholen.

 

Auf der polaren Bewusstseins-Ebene, findet sich neben dem Licht Schatten und Finsternis. In der «Präsenz» ist Licht uneingeschränkt gegenwärtig, auch wenn sich Phänomene im Schattenkleid darstellen, ist es gegenwärtig, schattenlos, todlos.

Durchlitten, erlöst – Das Mysterium von Golgatha

Gedanken zu Karfreitag und Ostern
Ich zitiere in diesem Text ein paar Mal Rudolf Steiner, da er meiner Ansicht nach in einer umfassenden Weise die Bedeutung von Karfreitag und Ostern (das Mysterium von Golgatha) erfasst hat.
Das Wirken von Christus ist als gegenwärtig aufzufassen. Hinter dem Versuch, das Christus-Geschehen als etwas Vergangenes zu betrachten, verbirgt sich die bewusste oder unbewusste Absicht, die Christus-Kraft abzuschwächen und/oder zu verdrängen.

«Christus kann man sich nicht hoch genug vorstellen», sagte mir ein Pfarrer. Und ich glaube, er hatte recht.

«Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung. Denn in ihm wurde alles geschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, ob Throne oder Herrschaften, ob Mächte oder Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Und er ist vor allem, und alles hat in ihm seinen Bestand.»   Kol. 1, 15-17.

Dieser Absatz unterstreicht die Aussage jenes Priesters.

Vor ca. 2000 Jahren wurde der Christus als Jesus inkarniert – nach langen Zeiten der Vorbereitung in himmlischen Sphären wie auch auf Erden – durch die Propheten.

In Jesus kam konzentriertes, völlig reines, geistiges Licht auf die Erde, welches sie umwälzte.

Mit jedem Atemzug kommen wir mit der Christus-Wirklichkeit in Berührung, denn Christus, der Christus-Geist, sein Licht, ging bei seinem Tod auf Golgatha in die Erde und in den Menschheitsleib ein. Die Sonne verschmolz mit der Erde, der Logos drang in sie ein, die verzeihende Christus-Liebe durchtränkte und durchstrahlte die Aura der Erde und ihren Ätherleib.
Mit anderen Worten: Erde-Mensch wurden vergöttlicht.

Ist das zu viel? – sind diese Aussagen noch auszuhalten? Als Tatsachen hinzunehmen?

„Das Mysterium von Golgatha, das sich mit dem Kreuzestod, der Grablegung, der Höllenfahrt und der Auferstehung des Christus vollzog, ist das zentrale Ereignis der ganzen Erd- und Menschheitsentwicklung. Mit ihm fand die eigentliche Geburt des menschlichen Ichs statt.“
So Rudolf Steiner.

Seither können wir Christus als den Begleiter und Impulsgeber der menschlichen Evolution – der Menschwerdung- erkennen, sowohl in individueller wie auch in kollektiver Hinsicht.

CHRISTUS IST DER MENSCH schlechthin. Der Erstgeborene, die unmittelbare Erscheinung aus Gott. DER UNMITTELBAR GESCHAFFENE, direkt aus Gott Geborene.

„Aber damit eine übersinnliche Wesenheit wie der Christus durch den Tod gehen konnte, musste er erst auf die Erde herabsteigen. Und das ist es, was von so unermesslicher Wichtigkeit in dem Mysterium von Golgatha ist, dass eine Wesenheit, die in ihrem eigenen Reiche in der Sphäre ihres Willens niemals den Tod hätte erfahren können, hat hinuntersteigen müssen auf die Erde, um eine Erfahrung durchzumachen, die dem Menschen eigen ist, nämlich um den Tod zu erfahren. Es vereinigte sich ein Wesen, einzig in seiner Art, welches bis dahin nur kosmisch war, durch das Mysterium von Golgatha, durch den Tod des Christus, mit der Erdenevolution. Seitdem lebt es auf eine solche Weise auf Erden, ist so an die Erde gebunden, dass es in den Seelen der Menschen auf Erden lebt und mit ihnen das Leben auf Erden erfährt. Daher war die ganze Zeit vor dem Mysterium von Golgatha nur eine Zeit der Vorbereitung in der Evolution der Erde. Das Mysterium von Golgatha gab der Erde ihren Sinn. Als das Mysterium von Golgatha stattfand, wurde der irdische Körper des Jesus von Nazareth den Elementen der Erde übergeben, und von der Zeit an war der Christus verbunden mit der geistigen Sphäre der Erde und lebt darin.“ (Rudolf Steiner)

Christus ist in uns und wartet darauf erweckt, geboren zu werden. Er ist unsere innere Realität. Er ist unser Bewusstsein, unser wahres Sein, das, was wir in Wirklichkeit sind. Steiner sagte: es ist das ICH (heute würde man sagen: das höhere Selbst). Dieses manifestierte sich auf der Erde, als Jesus auf Golgatha starb und gleichzeitig den Tod überwand.

Seit Golgatha hat sich das Christusbewusstsein also mit dem Erdenleib und dem Menschenleib verschmolzen. Der Ätherleib und der physische Erdenleib sind seither von der Christus-Wirklichkeit durchströmt, vom Licht der Liebe erweckt und belebt. Die Lichtsamen sind in allem, die Lichtfunken sind gesetzt. Das eine Licht ist in der Vielfalt der Lichter gegenwärtig. Diese Lichtsamen wollen vom bewussten Menschen geweckt werden. Wir Menschen sind als Bewusstseinsträger gedacht. Es liegt an uns, ob wir bereit sind, diese Bewusstsein-Lichter, Ausdruck der göttlichen Wahrheit und Liebe, zu erkennen und in uns anzuzünden, damit die Welt, in der wir leben, ins Leuchten findet.

Bewusstes Leiden
Dieses darf niemals verwechselt werden mit selbstquälerischem Leiden oder arrogantem Mitleid, wo der Mitleidende sich über den Leidenden stellt.
Jeder Mensch, der etwas tief durchlitten hat, versteht andere Menschen, die dasselbe oder ähnliches durchlitten haben, besser als zuvor. Ähnlich ist es, wenn jemand sich durch tiefes, solidarisches Mitgefühl mit leidenden Menschen verbunden hat: er versteht sie danach, wie auch sich selbst, weit besser als zuvor.
Wer sich derart verstanden fühlt, durch echt Mitleidende, atmet auf, entspannt sich. Das tiefe Gefühl verstanden und gehört worden zu sein, bildet die Grundlage seiner Heilung.
Tiefes, vorbehaltloses Leiden und Mit-Leiden führt zum Verstehen und Verstehen, das auf Einfühlung beruht, führt zur Heilung.
Aus diesem Grund erkannte Jesus, dass es seine Aufgabe war, durch alle Schichten und Bereiche des menschlichen Daseins hindurch zu wandern: mitfühlend, mitleidend, solidarisch und stets verankert im Licht der göttlichen, hingebenden Liebe. Er hatte sich vom Leiden berühren lassen, nahm es in sich auf, wandelte es im Herzen in erlösendes Licht um und säte es segnend als Lichtsamen in die durchwanderten Bereiche des menschlichen Daseins aus. Es war ihm aufgetragen durch das innerste Wahrheitsbewusstsein alle Bereiche, auch die der Finsternis, der abgrundtiefen Grausamkeit, der Krankheit und Gier, der Unbewusstheit, liebend und mitleidend zu durchwandern, um die dort gebundenen Wesenheiten aus der Gefangenschaft zu erlösen und zu befreien.
Man kann sich fragen, warum ein Mensch in der Lage sein sollte, durch sein Mitgefühl, das Fundament für die Erlösung der gesamten Menschheit zu legen. Wohl deshalb, weil Jesus Christus eins war mit Gott, den er Vater nannte, wie er auch eins war mit der ganzen Schöpfung – ganz anders als ein Mensch der sich von allem getrennt und unterschieden fühlt.
Gott hat sich in seiner Schöpfung (dem Universum) veräussert, manifestiert; das Veräusserte ist der Sohn, die Tochter: Christus.

Dieser Weg des Vertrauens und der Erlösung ist auch der Weg der Befreiung und der Heilung, wie er in jeder ganzheitlichen Therapie gelebt sein will.

Im Falle von Jesus Christus, war es der Menschheitskörper und das Menschheitsbewusstsein, welches der Therapie bedurfte und bedarf.

Nun liegt es am Menschen, die Samen zum Keimen zu bringen, das gegebene Licht im Seelenraum und in der Welt zum Leuchten zu bringen.

Die mystische Kirche
Mit jedem Atemzug kommen wir mit der Christus-Wirklichkeit in Berührung, denn diese hat sich erdenweit verkörpert, inkarniert.
Diese Berührung (wo der göttliche Geist unsere Seele berührt) bringt uns in den gegenwärtigen Moment, in die Anwesenheit. Wir werden unserem egozentrischen Ich enthoben und tauchen in unser wahres Wesen ein.
Ostern verweist auch auf Weihnachten: An Weihnachten feiern wird die Geburt des göttlichen Lichts auf Erden; an Ostern die Geburt und Auferstehung des inneren Christus.

Das Ereignis, das Erscheinen von Jesus in der Welt, will sich nun verinnerlichen. Es ist Zeit, dass das Heils-Geschehen in der Welt zum inneren wird. Dadurch werden wir vom Betrachter zum Betroffenen, von der Beobachterin zur Anteilhabenden, zur Erfahrenden, Erlebenden. Jenes Licht am Horizont wird zur lodernden inneren Flamme der Freude und der Begeisterung.
Im sich entwickelnden Christus-Bewusstsein entsteht ein Wachstums- und Reiferaum im Seeleninnern: Hier reifen die Früchte des Lebens.

Das ist der Weg der Mystik. Das ist der Weg. ICH BIN DER WEG.

In diese Richtung wird sich wohl der neue, beginnende Zyklus des christlichen Glaubens hinbewegen.

Beitrags-Bild: Zeichnung von Werner Binder: Das Erstrahlen der Erde

Ist es nicht erstaunlich…

Ist es nicht erstaunlich, dass jenes neu geborene Vögelchen, das Platz auf deinem Daumen fände, bei Sturm und verpesteter Luft, zu piepsen anfängt und zu leben beginnt?

Und es gibt den Leo, der auf offener Strasse seine Lea in die Arme nimmt und ihr ganz leise ins linke Ohr eine süsse Unanständigkeit ins Ohr wispert,

um ihr nur eine Woche später eine Liebeserklärung ins Ohr (diesmal ins rechte) zu flüstern.

Lea tanzt im Endlos-Korridor des Kantons-Spitals.

Es gibt jene Welt der Intimitäten, wo jede und jeder erröten darf, eine Sphäre, die Engel umschweben und sich der Mond hinter dunkelblaue Wolken verzieht und unerwartet, wenn alles schläft, wieder hervor tritt in silbernem Licht.

Eine Welt, wo sie, nach all den schweren Verlusten wieder aus den Wassern auftaucht, sich schüttelt und ihm ihr schönstes Lächeln in die Arme legt.

Und erst recht jene Überlebende, die sich mit tränen-geschwollenen Augen aufrichten und (noch) unsichtbar zu tanzen beginnen.

Es sind Intimsphären, die wie zarte Winde in einer steinernen Welt, die Welt bei Atem halten.

Siehst du jene Schülerin dort, die in der zweiten der langen Stuhlreihen in jenem rechteckigen Schulzimmer aus Stahl und Glas, den Kopf auf ihren Händen festhält, damit er nicht herunterfällt, müde und trostlos auf ein Blatt starrt, auf dem Dinge stehen, die sie nicht versteht, bis sie eine innere Stimme hört: «Du, komm.»

Siehst du den Mann in jenem roten Cabriolet, der sich eben entschlossen hat, seinen «Traum-Job» zu kündigen, um Bauer zu werden. Hörst du seine glücklichen Schreie?

Dem Flüstern verwandt ist das Blinzeln, welches nur der oder die Angeblinzelte versteht.

Der Flügelschlag des Schmetterlings kann nicht nur einen Sturm am Ende der Welt auslösen, sondern diesen auch glätten.

Es gibt Lichtwesen, die sich in Tränen niedersetzen und Durstende tränken.

Es sind Intimsphären, die wie zarte Winde in einer steinernen Welt die Welt bei Atem halten.

Jenes Vögelchen, kaum überlebt, schwebt jetzt am sonnigen Märzenhimmel, schlägt Pirouetten. Wie schön.

Wenn im Menschen, zutiefst, innen, der Liebende/die Liebende erscheint, innig, unwiderstehlich und in grosser Schönheit und er in seine/ihre Hände fällt, findet die Sehnsucht ein Ende und die Sonne des Herzens geht auf.

Der Zauber des Lebens hat sich in die Intimsphären zurückgezogen. Dort lebt er und hält die Welt bei Atem.

Beitragsbild: Traumfänger

 

 

Das Empfangende

Ich stelle mir vor, dass der Mensch ein empfangendes Wesen ist, der hier auf Erden berufen ist, sich selbst in seiner Wesenheit zu empfangen, sich in seiner Empfänglichkeit zu erleben und damit sich selbst (wieder) zu finden.

Vor Gott sind wir alle weiblich, sind wir Empfangende.

Der empfängliche Mensch ist verliebt und hingebungsvoll; er gibt sich dem Gebenden, dem Liebenden hin – vorbehaltlos, vertrauend. – Er ist ein offenes Gefäss, an eine Schale oder an einen Kelch erinnernd. Er empfängt, trinkt dankbar, was ihm gegeben wird. Alles an ihm ist aufnehmend, rezeptiv: Sein Körper, dessen Poren weit geöffnet sind, seine Aura, zart und empfangend, seine Seele, ein seiden-leuchtendes Energiefeld, welches das grosse göttliche Licht einatmet.

Es ist nicht leicht zu sagen, ob das Empfangende nun eher passiv oder aktiv ist. Ich würde sagen: passiv-aktiv. Die Pflanze, die sich dem Licht entgegenreckt ist aktiv, passiv in ihrer Licht-Trunkenheit. – Der Mensch der sich sehnsüchtig dem Licht entgegenstreckt, sich damit aufrichtet und dabei doch gelöst bleibt, stellt das männliche Prinzip dar, das Weibliche ist das rezeptiv Empfangende, die aufnehmende Schale (die Seele), die Kraft der Verkörperung und Integration. Die beiden Qualitäten bilden die Yin-Yang-Balance, eine Ganzheit, die der Meditation sehr förderlich ist.

Da der Mensch in unserer Zivilisation sich gegen Überreizung und Erwartungsdruck schützt, gezwungenermassen, hat er sich eine dicke Schutzschicht zugelegt. Die Meditation hilft ihm, diese Schicht aufzulockern, wieder transparenter zu werden, damit er sich wieder in Beziehung mit dem setzt, was ihn seelisch-geistig nährt. In der Meditation geht es, wie auch im Gebet, darum, wieder in Resonanz zu jener Substanz zu finden, aus welcher der Mensch lebt.
Wir Menschen sind – so könnte man es sehen- Gegebenes, das sich verkörpert, also verkörperte Liebe.

Es braucht Mut, sich wieder zu öffnen, sich verletzlich zu machen und Kontrolle aufzugeben, um jenen lichten Stoff, die Substanz, die sehr fein ist und aus der wir sind, wieder zu spüren. Erfahren wir sie, können wir die göttliche Substanz bewusst und dankbar empfangen, uns selbst in unserer tiefen Wirklichkeit aufnehmen, um uns selbst zu verkörpern, zu werden, was wir in innerster Essenz sind. Es ist ein Geburts-Vorgang.

Bevor dies geschieht können wir festhalten: Was wir bisher durch unsere Erziehung und durch unsere Kultur verkörpert haben, hat viel mit den Ängsten und der Gier der Zivilisationswelt zu tun gehabt. Nun, wo wir uns neu nach dem wahren Selbst ausrichten, empfangen wir unser Wesen, das bisher verdeckt war. Bis es soweit ist, kommen wir nicht darum herum, unsere Empfänglichkeit zu entwickeln. Wir haben unsere Wahrnehmungsfähigkeit zu verfeinern. Wir haben zu lernen, auszuatmen, was uns hindert frei zu sein und frei zu empfinden.
Bei der Verfeinerung unserer Wahrnehmungsfähigkeit kommt die Phase, wo wir meinen, dass nichts da sei und manchmal brechen wir dann die Ein-Sicht ab. Dieses «Nichts» markiert oft den Beginn einströmender Fülle, die wir erst als das erkennen, was sie ist, wenn unser Innenleben jene Feinheit und Zartheit erreicht hat, die nötig ist, die subtile Welt zu empfangen.
Es kann aber auch passieren, dass uns einfach geholfen wird, dass hinweggenommen wird, was uns beschränkt.
In jenen wunderbaren Augenblicken oder Perioden, wo wir offen, empfänglich und hingebungsvoll sind, können wir erfahren, dass uns unterbrochen gegeben wird. Wir nennen diese Erfahrung auch Gnade. Die einströmende Gnade, der einfliessende Segen, erleben wir manchmal als weissliches-milchiges und nährendes Licht, andere Male als unglaublich feine kristalline Licht-Partikel, die sanft über uns kommen oder als hauchfeiner Licht-Sprüh-Regen, der uns beglückt. Diese Bilderfahrungen sind verbunden und eins mit der Empfindung von Glückseligkeit, mit Erstaunen, Ergriffenheit. Oft stellt sich ein Gefühl von Festlichkeit und Feierlichkeit ein. In solchen Momenten wird uns bewusst, dass dieses Einströmen von Güte, Liebe und Bewusstheit unendlich (also nie endend) ist und dass alles Geschenk ist. Fülle.

Natürlich sind diese oben genannten Empfindungsweisen nur Hinweise, wie sich göttliche Substanz, die wir empfangen, anfühlen kann. Jeder Mensch, empfängt vor allem jene Qualitäten, die er jetzt besonders benötigt und er empfängt sie in dem Masse, wie er in der Lage ist, sie aufzunehmen und zu integrieren. Ein starkes Gefäss vermag mehr aufzunehmen, als ein schwaches. Deshalb gilt es innere Seelenstärke, aber auch körperliche Harmonie zu entwickeln. Ausserdem erscheint es mir als sehr wichtig zu sein, liebevolles Einatmen einzuüben.

Was wir empfangen ist Liebe und das, was aus ihr geboren wird – Leben, wir selbst.

Da wir nicht nur individuelle Wesen sind, sondern auch Erden-Menschen, ist es auch Teil unserer Menschen-Verantwortung, das Wasser des Lebens in die Erde zu giessen und das Brot zu teilen.
L. Vaughan-Lee: «Die Welt ist am Verhungern. Durch unsere kollektive Haltung isolieren wir die äussere Welt von ihrem spirituellen Kern.»

Deshalb lasst uns auch Verbindung sein zwischen der geistigen Welt und der Erde, auf der wir leben, zwischen dem Kern und der äusseren Erde; lasst uns Verbindungsglied sein zwischen der Quelle und der dürstenden Erde.

Etwas soll auf die Erde gebracht werden. So empfinde ich es. Ich ahne es, was es sein könnte, es entzieht sich mir aber jeder Formulierung.

Wer liebt, gebiert, und was geboren ist, singt.

Ode an das Licht

Eine Ode ist ein feierliches Lied, eine Hymne – sowohl ein meist lyrischer Tex, wie auch ein Gesang, eine Melodie, getragen von einer lobenden Emotion und von innerer Bewegtheit. Durch die Augen der Seele erlebt, gewinnt das Leben jene feierliche Dimension, die alles aus der Flachheit des Gewöhnlichen emporhebt.

Jemand wird für uns Liebeslieder singen

„Es werde Licht
und es wurde Licht.“

Als Gott zum Menschen zu sprechen begann,
wurde es Licht;
es entflammte Seinem Hauch
und ging als Seele in Seine Geschöpfe ein.

So wurde diesen das Licht gewahr
und sie liessen sich davon begeistern und
durchstrahlen. –
In freudiger Glückseligkeit,
kam der Moment,
da das Licht zu singen begann, –
und es war offenbar; dass das Eine,
All-Gegenwärtige
das Viele durchstrahlte.

Dann kam eine lange Zeitspanne,
als die Lebenden in eine tiefe Finsternis abglitten,
in Betäubung und Schmerzlosigkeit,
wo sich bleierner Schlaf auf sie legte,

…bis sich das Leben erneut zu regen begann.

***

Wie aufregend
die violette Haut der Weisen,
die sich in ihren Tränen spiegeln,
sich wiedererkennend
die Wange auf ihre Knie legen,
um die Vibration der Welt zu hören

und dabei erleben,
wie sich die Erd-Vibrationen aus Licht
in einen grossen Gesang verwandeln.
Dieser Gesang,
den nur die Hörenden vernehmen,
bringt die Erde, trotz Dunkelheit
zum Erblühen.

Wir sind Lichtwesen,
die ihr Licht nicht mehr sehen,
Sängerinnen, die ihre Klänge nicht mehr hören,
– solange, bis wir aus unruhigem Schlaf erwachen
und spüren, dass wir etwas vergessen haben –
und es wagen,
uns zu öffnen und zu erkennen,
dass uns jemand Liebeslieder singt.

In dem Moment, wo das menschliche Herz
zu empfangen und zu hören beginnt,
fängt die Vibration zu tönen an,
fängt das Licht zu singen an.

Die Zeit wird kommen,
da sich der Gesang erhebt,
wie ein Sonnenaufgang,
den wir so leuchtend und so beseligend
noch nie gesehen, noch nie erlebt haben.

 

PS: Ich glaube, dass es gut ist, wenn wir alle Gelegenheiten wahrnehmen, uns Liebeslieder vorzusingen.
Titelbild: „The looking sun“ Zeichnung von Werner Binder
  

ATEM – 1. Teil

Die Arbeit mit Atem halte ich für eine grundlegende und bedeutende spirituelle Praxis, die immer und überall und bei jeder Gelegenheit anwendbar ist. Dennoch, meine ich, ist sie unterschätzt, ausser in den mystischen Traditionen aller Glaubensrichtungen, wo der Atem als heilig gilt.

Wir sind atmende Wesen. Von grosser Wichtigkeit bei der Atem-Praxis ist auch der Aspekt der Transformation und Wandlung. Insofern könnte dieser Text auch als Teil 4 der Artikel-Serie zum Thema Wandel angesehen werde. Da das Thema aber so wichtig ist und so viele Anwendungsbereiche hat, soll es einen eigenständigen Raum einnehmen.- Übungs-Empfehlungen sind kursiv aufgeführt.

Der zweite Teil des Artikels wird in einer Woche folgen.

Vor vielen Jahren erlebte ich in einer Atem-Sitzung meiner Körper-Psychotherapie-Ausbildung auf einmal, wie sich das Einatmen verwandelte: Es war nun nicht mehr einfach Luft, die in mich eintrat, sondern Nahrung, Seelen-Nahrung, die in mich einfloss beim Einatmen, Substanz des Lebens. Sie erinnerte mich an die Muttermilch in den ersten Lebensmonaten meines Lebens. Dieses Mal aber war es weniger physische Nahrung, als vielmehr Lebens-Substanz. «Mit jedem Atemzug empfange ich Leben», so wurde es mir damals bewusst. Die «Luft» trat nicht einfach nur durch die Nase in mich ein, sondern durch alle Poren meines Körpers.

In einer späteren Lebensphase erlebte ich beim Ausatmen Schwere und Beengung, die von mir abfiel, wie auch eine befreiende Ausweitung und Ausdehnung meiner Seele. Mein Atem bekam die Qualität von Licht. Licht-Atem.

Als ich mich, nochmals in einer späteren Lebensphase, mit dem Herzensgebet und damit mit der «Christus-Atmung» beschäftigte, erfuhr ich die transformative Wirklichkeit des Atems.
Ich erkannte, wie sich mein Atem von der Ego-Angst-Steuerung ablöste und zur kosmischen Atmung wurde, gehalten und gelenkt von der Herzenskraft, der universellen Liebe und Barmherzigkeit. Obwohl diese Erfahrungen jeweils zeitlich begrenzt waren, veränderten sie mein Leben massgeblich. Atem, Licht und Liebe verschmolzen zu einer einzigen Bewegung des Lebendigen. Es war eine Erfahrung, die mir offenbarte, wie sich Leben aus der Quelle anfühlt: unaussprechlich schön und frei, Glück, unbegrenzt.

Ich empfehle meinen Leserinnen und Lesern für eine bestimmte Zeit, z.B. 10 Minuten, beim Atmen diesen mit Licht und Liebe zu verschmelzen. Denke: Licht-Liebes-Atem. Günstig ist es, nach einiger Zeit, diese Weise zu atmen, zu wiederholen, ja, immer wieder in kleineren oder grösseren Abständen zu wiederholen.

Atem nährt, verbindet und transformiert. Er kann dich von der Ego- zur Wesensatmung führen.

Der Atem ist eine Art rhythmisches System, welches die drei grossen Bereiche des menschlichen Lebens umfasst: Körper, Seele und Geist.

Der atmende Körper
Beim Laufen und Bergsteigen etwa, oder beim Tanzen, spüren wir wie unser Körper aufgeladen wird mit Sauerstoff, mit Vital-Energie, wie auch mit Lebensenergie (Ki). Wir spüren unsere Kraft. Wir fühlen uns energisch, erregt und zupackend, in vollem Körperbewusstsein.

Die atmende Seele
Im Kontakt mit unserer Seelen-Atmung können wir leicht verschiedene Punkte, Organe, Orte, Pole und Menschen miteinander in Verbindung setzen. Fühlen wir zum Beispiel unsere verletzte Hand können wir den Atem zu ihr leiten, ihr so Aufmerksamkeit und Energie zukommen lassen. Ebenso ist es möglich einem Menschen Atemkraft zuzuführen, wenn wir liebevoll an ihn denken. Die Energie folgt der Aufmerksamkeit! Wir können den Atem zu Orten lenken, die wir visualisieren.
Beim Ein -und Ausatmen verbinden wir Innen- und Aussenwelt und wir können leicht fühlen, dass wir die Luft mit anderen Lebewesen teilen. Die Luft als das verbindende Element – im Atem erfahrbar. Während wir bei flachem Atem unsere Gefühle drosseln, verstärken wir unsere Emotionen und bringen sie zum Fliessen bei vollem und bewusstem Atem. Voller und bewusster Atem verlebendigt, dynamisiert und öffnet Blockaden, leitet Heilung ein.

Geist-Atem
Der geistige Atem ist das Innerste, Subtilste unserer Atmung: Odem, Hauch. Er ist zartestes Strömen. Im ersten Atemzug unseres Lebens kommen wir auf diese Welt. Geist-Atmung ist Schöpfungs-Atem. Er gibt uns das Leben. Er hilft uns, in Beziehung zu Gott zu kommen, zu unserem Ursprung. Wir erfahren ihn oft auch als geistiges Licht, welches mit physischem Licht nicht zu verwechseln ist. Das geistige Licht berührt uns zärtlich! In der äussersten Verfeinerung von uns (manchmal erleben wir diese äusserste Feinheit wie ein Nichts), spüren wir den Geist-Atem als machtvoll-zart und beglückend. In ihm sind wir aufgehoben. Deshalb sprechen wir auch vom heiligen Atem; er ist zugleich universell und persönlich. Atem-Bewusstsein ist da ein treffender Begriff. Im geistigen Atmen sind wir dauernd in Verbindung mit der Kraft und Liebe, die uns hervorgebracht hat und auch jetzt hervorbringt. Im Atem der Dankbarkeit können wir nichts anderes, als präsent sein.

Die Gleichzeitigkeit von bewusstem Atmen und dem Empfinden strömender Dankbarkeit bringt uns ohne weitere Bemühungen ins Hier und Jetzt. Es ist ein Versuch wert.

***

Ich möchte hier die Unterscheidung zwischen dem persönlichen kleinen Atem und der grossen Wesens-Atmung treffen.

Der kleine Atem ist eine Art von Drehen um sich selbst. Der Drehpunkt ist die Illusion, dass wir vom Ganzen getrennte, also isolierte Existenzen sind. In diesem Drehen ist viel Angst enthalten, die wir aus- und wieder einatmen.

Der Wesens-Atem, den ich als gross bezeichne, ist eher spiralförmig. Sein Mittel- und Drehpunkt ist das Herz als Verkörperung der bedingungslosen Liebe. Von ihm geht der Lenkungs-Impuls und das erweiterte und kosmische Bewusstsein aus.

Die Wirkung des bewussten Atmens auf die geistige Verfassung des Menschen kann rasch und überraschend eintreten, wenn wir bereit sind beharrlich unseren Atem ins Bewusstsein zu heben. Es verbindet uns mit dem Innersten, das wir sind, lässt uns unsere Wesenheit erleben. Er beseelt uns.
Der Atem erweckt, wenn wir uns bewusst sind, die Seele.

Es wird gesagt: Wenn Gott ausatmet, kommen wir, ja das ganze Universum, ins Leben (zur Welt), atmet Er ein, so kehren wir zu Ihm zurück. Wenn wir Menschen einatmen, kommen wir zur Welt, wenn wir ausatmen, kehren wir – insbesondere, wenn wir Sterben – zum Schöpfer/zur Schöpferin zurück.

——-
Im nachfolgenden Text-Teil werde ich auf das Herzensgebet (eine christliche Tradition) eingehen und auf das «Tonglen» (eine buddhistische Tradition). Beide Methoden stellen grossartige Entwicklungswege der Wesens-Werdung des Menschen dar. Beide Methoden betonen die Entfaltung des Mitgefühls.

Titel-Bild: «Atemzug», eine Zeichnung von Werner Binder