Abwesenheit von Leben zeigt sich in substantiellen Mängeln, in einer kühlen, statischen Atmosphäre, in Bewegungs-Armut (dabei meine ich vor allem die innere Unbeweglichkeit), in einem Mangel von Wärme, Intimität und Zärtlichkeit.
Der Mensch wird zum Abwesenden, zum Unsichtbaren, Tauben, wenn er seine Seele, die ihm Wohnung sein kann, verlässt, wenn er sich also selbst verlässt, meidet, genauso wie öffentliche Plätze rasch abkühlen, wenn sie nicht mehr von Menschen, Tieren und Pflanzen beseelt werden.
Ich erinnere mich, wie es früher in kleinen und mittleren Unternehmungen, in sozialen Einrichtungen, in Läden und Restaurant oft eine sogenannt gute Seele gab. Treue Mitarbeiter*innen, über Jahre verwachsen mit dem Betrieb, in dem sie arbeiteten, oft Vermittler*innen mit mütterlichen Zügen, welche Wärme und Anteilnahme verbreiteten, bei denen man sich notfalls auch ausweinen konnte oder mit denen man mit einem Glas Sekt anstossen konnte bei freudigen Ereignissen. Sie waren erreichbar für die Chefs, wie auch für die Lehrlinge und die kleinen Angestellten. Auch die Putzfrauen und Ausläufer fühlten sich von ihnen geschätzt. Sie wurde respektiert. – Dann kam die Zeit des Neo-Liberalismus. Es hiess, die Unternehmungen müssten schlank werden. Man sprach von Effizienz-Steigerung und von Optimieren. In diesem Trend wurden die guten Seelen eliminiert und, falls sie in Pension gingen wurden ihre Plätze gestrichen. Die freien Wärme-Räume schlossen sich. Wo früher eine gute Seele die Fäden in der Hand hatte – liebevoll! – sind es heute Roboter, die Weisungen erteilen oder es sind kalte Leer-Räume entstanden, wo früher Wärme-Zentren waren.
Die Anonymisierung in der materiellen Gesellschaft nimmt aber auch heute ihren raschen Lauf. Viele der restlichen, organisch gewachsenen Menschennetzwerke zerfallen, deren emotionaler Mittelpunkt diese «guten Seelen» bildeten. Geblieben sind winzige Teil-Funktionen, deren Zusammenhalt nicht durch Menschen gewährleistet sind, sondern durch Roboter. Bezweckt werden reibungslose Abläufe und die Mehrung der Rendite. Man spricht auch von Rationalisierung oder vom Weg-Rationalisieren von nicht effizienten Dienstleistungen oder umständlichen Abwicklungen von Geschäften. Damit können auch Menschen gemeint sein; es können auch gute Seelen sein, deren soziale zwischenmenschliche Aufgabe und Funktion keine Rolle mehr zu spielen scheinen. – Viele von ihnen haben sich in den letzten Jahren in Enklaven oder auf Inseln zurückgezogen und bauen dort im Stillen ihre Oasen, oder sie fühlen sich verlassen und nicht mehr gebraucht in ihren kleinen engen Wohnungen.
Mit der Schilderung des Rückzuges der guten Seelen wollte ich auf das übergreifende Phänomen hinweisen: der Entseelung der Gesellschaft und der Auflösung des menschlichen Zusammenhaltes. Die Welt braucht ein globales Netzwerk, hilfsbereiter, wärmender «Seelen», damit das Herz der Erden-Menschheit weiterhin seine überlebensnotwendigen Impulse aussenden kann. Ich glaube, dass zu dieser Zeit der globale Herzschlag schwach ist, wodurch das Leben auf Erden gefährdet ist und die Verbindung zur Quelle nicht genügend stark ist, damit sich das Leben auf Erden erholen kann.
Um wahre lebendige Wesen zu sein und zu bleiben, also Anwesende zu sein, die mit dem Herzen hören, ist es wohl nötig innere Stärke zu entwickeln, um nicht in den Sog der Abwesenheit zu geraten, in die Unsichtbarkeit abzurutschen oder in der Unbeweglichkeit des Toten zu landen. Das Schlimmste ist Stagnation und Verbitterung.
Sollten wir den Weg der Liebe (des Herzens) wählen, werden wir zu Pilger*innen. Als solche brauchen wir für unsere Wanderung dreierlei: Den Licht-Mantel, die Laterne und den Wander-Stab.
Der Lichtmantel: Die Umkleidung mit dem Lichtmantel schützt uns. Sie ist die Umhüllung mit dem Geist, dem göttlichen Atem (Prana), der uns umkreist und uns in Verbindung mit unserem Ursprung hält. Dieses Kleid wird uns geschenkt, wenn wir es wagen, uns regelmässig in Stille beschenken zu lassen, zum Beispiel in Form von Meditationen.
Die Laterne: Um auch in einer rauhen und dunklen Welt lebendig zu bleiben, ist es nötig, dass wir eine stets brennende Laterne fest in der Linken halten. Sie stellt das innere Licht dar und die Wärme des Lebens. Sie ist die lebendige Liebesflamme in uns. Die Lampe brennt durch unsere Erinnerung an sie, wenn möglich bei jedem Atemzug. Sie ist es, die bewirkt, dass wir Lichtstrahlen in diese Welt bringen können, ohne uns im Dunkeln zu verirren und verwirren zu lassen.
Der Stab: Er symbolisierte die menschliche Vertikale. Er erinnert uns, dass wir als Menschen, den Übergang und die Verbindung bilden zwischen Erde und Himmel, zwischen Tier und Engel. Er erinnert uns daran, aufrecht und würdig zu gehen, im Bewusstsein unserer Verantwortung.
Es ist hilfreich, uns jeden Morgen symbolisch und imaginativ auf diese Weise einzukleiden, um bewusst in den Tag zu gehen. Wir können diese Handlung durch kleine Gesten verlebendigen.
Ob wir es auf diese oder andere Weise tun spielt nicht so eine Rolle, wichtig ist, dass wir möglichst jeden Tag bewusst beginnen, denn die Kräfte der Verdrängung, der Spaltung und der Abnützung sind in unserer Welt – ich habe sie als rauh bezeichnet – gross.
Ich fühle, dass es gut ist, wenn ich weiss, worauf ich mich ausrichte, denn ich bin nicht gefeit davon, mich von dieser Welt vereinnahmen zu lassen. Denn ich bin ja auch ein Kind dieser Erden-Welt und sie fasziniert mich, obwohl ich weiss, dass sie in Schieflage geraten ist durch den ausufernden Materialismus und den Hyper-Individualismus, der uns einsam macht.
Ich vermute, dass die nächsten Erdenjahre uns durch unsere selbst geschaffenen Widersprüche, Einseitigkeiten und Ungerechtigkeiten durchschütteln werden. Ich will deshalb auf innere Stärke setzen und mit der inneren Flamme in Beziehung bleiben.
Neben meinem Bett steht der Stab, die Laterne und das Kleid liegt über der Stuhllehne und ich nehme die drei zu mir, wenn ich aufstehe.