Ausrichten auf den Ursprung

Die Schule des Lebens, wenn wir das Leben so verstehen wollen, kann für uns ihr Bestes tun, wenn wir uns klar auf die göttliche, universelle Liebe und auf das Wahrheits-Bewusstsein ausrichten. Damit öffnen wir das Tor unserer Seele der göttlichen Wirkkraft und wir geben uns damit der höchsten Leitung und Begleitung hin.
Damit ist die Seele, da sie nun mit dem Ursprung verbunden ist, in der Lage, uns die nötigen Impulse und Situationen zu kreieren, die wir für die nötigen Entwicklungsschritte brauchen.
Die zahlreichen Störungs-Felder in und um uns -unerlöste Gedanken, Konzepte und Meinungen- vermögen unsere Seele anzugreifen und zu beeinträchtigen. Von diesen Störungen ausgenommen ist unser Seelenzentrum: dieses ist unverletzlich, weil es in Gott ruht.

Ich glaube, dass wir uns immer wieder neu auf das Höchste und Innerste ausrichten und innere Klärung und Reinheit erbitten sollten, damit unserer Seele den Schutz und die Orientierung zufliesst, die sie benötigt, um uns subtil und stimmig zu leiten.

Wenn wir unseren Atem bewusst auf den Ursprung, die Quelle hin, ausrichten, die sich auch im Zentrum unserer Seele befindet, wird sich diese harmonisieren und damit auch unser Körper. Das Innerste unserer Atmung ist Geist. Deshalb können wir auch von Geist-Atmung oder von Odem sprechen.
Die Verbindung zwischen Geist und Seele ist befruchtend. Aus ihr geht Leben hervor.

Durch die stetige Neu-Ausrichtung auf das höchste Ziel, durch ständige Reinigung und Klärung unserer seelischen Verfassung mit Hilfe des bewussten Atmens, welches auch eine Art von Gebet oder Meditation ist, kann uns der innere Lehrer oder die innere Meisterin, die in uns wirkt, direkt erreichen, uns fördern und für uns jene Lebensstationen und Situationen kreieren, die wir brauchen, um uns zu entfalten, hin zur Verwirklichung unseres Mensch-seins.
Natürlich ist die Frage, worin das höchste Ziel unserer Lebens-Reise besteht, von grösster Bedeutung. Die tiefste Sehnsucht in uns, drängt der Antwort zu, wie die Blume der Sonne.

Die Seele ist eine wissende Substanz. Sie trägt alle Informationen in sich, damit sich unser wahres Wesen entfalten kann. Wir können sie mit einem Licht-Gewebe vergleichen, welches ausserdem auch hoch empfänglich für Freude und die Erfahrung von Seligkeit (Glückseligkeit, Ananda) ist. Sie ist darauf angewiesen, dass wir ihr Geistatem zukommen lassen, damit sie ihr wunderbare Tätigkeit voll entfalten kann.

Wie eben gesagt, kreiert uns unsere Seele, jene Lebens-Situationen, die geeignet sind, uns zu erkennen und zu fördern. Sie führt uns aber auch in jene Bewusstseins-Ebenen, die uns jetzt zuträglich sind. Einmal ist es nötig, dass die Erde oder die Ur-Materie zu uns spricht, ein anderes Mal führt uns die Sprache des Lichtes weiter oder wir benötigen eine uns tief ansprechende menschliche Begegnung, usw. Wie auch immer: Die gereinigte Seele, die mit der Geist-Kraft in Verbindung steht, wird uns heilend und fördernd zur Seite stehen, wenn wir uns ihr öffnen. Die innere Führung kann sich nun ausdrücken und wir dürfen fest vertrauen, dass uns die richtigen Lebensumstände und Einsichten zur rechten Zeit gegeben werden, die uns liebevoll und manchmal auch fordernd, helfen, die jetzt nötigen Erfahrungen zu machen und zu integrieren.

Gefühle

Gefühle sind eine Tätigkeit der Seele, die Gemütsbewegungen erzeugen. Grundgefühls-Ströme werden als Stimmungen wahrgenommen. Farben und Töne sind mit den Gefühlen verwandt.

Gefühle sind Ausdruck unserer Lebendigkeit – ohne sie wären wir starr und tot. Gefühle korrespondieren mit Wasser, sie sind von fliessender und wechselnder Natur. Sie sind Ausdruck unserer weiblichen Seite.
In diesem Beitrag verwende ich die Worte Gefühle und Emotionen synonym, unterscheide sie also nicht.
Ich behandle hier ein komplexes Thema und ich bin mir nicht sicher, ob es mir gelingt, es verständlich zu machen.

Zwei These
Erste Behauptung: Diese lautet, dass wir nur gesund, frei und authentisch bleiben, wenn wir unsere Gefühle wahrnehmen, sie ernst nehmen und ausdrücken. Tun wir es nicht, empfinden wir uns als unlebendig, dumpf und werden früher oder später seelisch und/oder körperlich krank.
Die Tiefen-Ökologin Joanne Macy betont immer wieder, dass sie es sehr wichtig findet, unsere Reaktionen von Schmerz und Trauer über die Zerstörungsprozesse auf der Erde auszudrücken, sie nicht abzutöten und sie mit anderen Menschen zu teilen.

Zweite Behauptung: Diese lautet, dass wir uns von unseren Gefühlen de-identifizieren sollen. Es empfehle sich, uns hinter unsere Gefühle zu stellen, um uns ihrer beobachtend gewahr zu werden. Wir sollten uns nicht von ihnen hinreissen lassen, da sie Teil unseres kleinen Ichs seien. Dieses würde sich aufblähen, wenn wir uns von unseren Emotionen vereinnahmen lassen würden.

Diese zwei Thesen sind eine Art von Glaubens-Bekenntnisse. Die eher psychologisch sozialisierten Menschen, richten sich eher nach der ersten These aus, die spirituell orientierten halten sich eher an die zweite These.

Weil wir Menschen unter einer Art Zwang stehen, bei polaren Sichtweisen, uns auf die eine oder andere Seite zu schlagen, bevorzugen wir eine der zwei Seiten eifrig und neigen dazu die beiden Aspekte gegeneinander auszuspielen.

Ich halte beide Positionen für wahr und stimmig. Sie erscheinen als paradox. Sind sie dennoch vereinbar?

Im Folgenden mache ich einen kleinen Exkurs in zwei Wirklichkeits-Bereiche, in den Bereich der Welt der Formen und jenen der formlosen, absoluten Welt:

Die Welt der Formen
Gefühle, wie auch Gedanken, gehören zur Welt der Formen, wie die materielle Welt auch.
Hier ist die Vielfalt der relativen Welt.
Die Formen-Welt können wir auch als einen grossen Tanz betrachten, der wellen -oder kreisförmig verläuft. Es ist eine Welt des Kommens und des Gehens, des Erscheinens und des Verschwindens, des Auf- und Ab und des Hin- und Her.
Das Fliessende, Bewegliche ist das hervorragende Merkmal der Formenwelt, der relativen Welt.

Das Formlose, Ruhende, Immerwährende
Das Absolute, Immerwährende ist in ewiger Stille. Es ist das Bleibende, das Unerschaffene, das Unbegreifliche, die Leere, die Potentialität.
Hier ist Einheit.
Aus diesem göttlichen Bereich emaniert die Welt der Formen, die Schöpfung. Wir können auch von Ursprung und Quelle sprechen.

Zurück zu den Gefühlen:

Gefühle, entstanden aus dem ego-zentrischen Ich – Gefühle aus dem höheren Selbst
In der Welt der Formen existieren auch viele unerlöste Formen, also vom egozentrischen Ich ausgelöste Gefühle, die niederdrückend, depressiv und möglicherweise auch krankmachend wirken, wie Hass, Groll, Neid, Scham, Ekel, etc.
Gefühle (Zustände), die aus dem höheren Selbst, also direkt aus dem Geist emanieren (ausstrahlen), entfalten, führen uns dem Leben zu. Ich denke hier vor allem an Freude, Friede, Zärtlichkeit und Empathie.

Das Paradox
Die Wahrheit mag es, sich im Paradox zu verstecken.
Wenn auf der einen Seite gesagt wird, dass es nötig sei, Gefühle auszuleben, um lebendig und gesund zu bleiben, und auf der anderen Seite aufgefordert wird, sich nicht mit den Gefühlen zu identifizieren, so kann man hier von einem Paradox sprechen. Zwei, sich scheinbar nicht zu vereinigende Standpunkte stehen sich gegenüber. Das sich scheinbar Ausschliessende kann aus der Sicht der Mitte heraus zur Ergänzung werden:

Der Raum der Mitte
Aus dem Blickpunkt der Mitte, wo Weite und Ruhe ist, sind die beiden Positionen zu vereinen, ist es uns möglich, sowohl distanziert, wie auch mitfühlend und liebend in die Gefühlswelt hinein zu blicken und gleichzeitig von der Gefühlswelt involviert zu sein, die Gefühle zu leben und sie ruhig zu betrachten. Bevor diese Gleichzeitigkeit möglich ist, wird sich zuvor ein Oszillieren zwischen den beiden Zuständen einstellen.
Damit leben wir in Verbindung zum Absoluten und zur Gefühlswelt (der relativen Welt der vorübergehenden Formen). – Im Herz des Tänzers ist es still.

Die Höherentwicklung der Seele
Gelingt es uns, die Verbindung mit der geistigen Welt (mit dem Absoluten) immer öfter und besser aufrecht zu erhalten, so kann geistige Energie und LIEBE in unsere Alltagswelt und somit auch in unsere Gefühlswelt fliessen.
Dadurch bauen sich die höheren Gefühle von Freude, Friede, Seligkeit und Empathie, die auch Bewusstseinszustände sind, auf, und die ego-gesteuerte Gefühlswelt verliert an Macht und Einfluss, ohne aber zu versiegen.
Dem Menschen ist es gegeben, Übergang und Verbindung zwischen den genannten Welten zu sein. ICH BIN DER WEG, sagt das innere Christus-Selbst. Stellen wir uns diesem Fluss zur Verfügung, so kann in beide Richtungen Liebes-Energie fliessen: von der himmlischen Welt zur Erde und umgekehrt. Damit können wir Menschen der Erdenwelt «Nahrung» zukommen lassen – Nahrung, welche die Erde und die Menschheit so dringend braucht.

Und die unedlen Gefühle?
Doch auch die weniger edlen Gefühle (z.B. Neid) wollen angenommen und verstanden sein. Nur was geliebt ist, löste sich zur rechten Zeit auf, oder verwandelt sich in ein Höheres.

Im Herz des Tänzers ist es still.

 

 

Durchlitten, erlöst – Das Mysterium von Golgatha

Gedanken zu Karfreitag und Ostern
Ich zitiere in diesem Text ein paar Mal Rudolf Steiner, da er meiner Ansicht nach in einer umfassenden Weise die Bedeutung von Karfreitag und Ostern (das Mysterium von Golgatha) erfasst hat.
Das Wirken von Christus ist als gegenwärtig aufzufassen. Hinter dem Versuch, das Christus-Geschehen als etwas Vergangenes zu betrachten, verbirgt sich die bewusste oder unbewusste Absicht, die Christus-Kraft abzuschwächen und/oder zu verdrängen.

«Christus kann man sich nicht hoch genug vorstellen», sagte mir ein Pfarrer. Und ich glaube, er hatte recht.

«Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung. Denn in ihm wurde alles geschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, ob Throne oder Herrschaften, ob Mächte oder Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Und er ist vor allem, und alles hat in ihm seinen Bestand.»   Kol. 1, 15-17.

Dieser Absatz unterstreicht die Aussage jenes Priesters.

Vor ca. 2000 Jahren wurde der Christus als Jesus inkarniert – nach langen Zeiten der Vorbereitung in himmlischen Sphären wie auch auf Erden – durch die Propheten.

In Jesus kam konzentriertes, völlig reines, geistiges Licht auf die Erde, welches sie umwälzte.

Mit jedem Atemzug kommen wir mit der Christus-Wirklichkeit in Berührung, denn Christus, der Christus-Geist, sein Licht, ging bei seinem Tod auf Golgatha in die Erde und in den Menschheitsleib ein. Die Sonne verschmolz mit der Erde, der Logos drang in sie ein, die verzeihende Christus-Liebe durchtränkte und durchstrahlte die Aura der Erde und ihren Ätherleib.
Mit anderen Worten: Erde-Mensch wurden vergöttlicht.

Ist das zu viel? – sind diese Aussagen noch auszuhalten? Als Tatsachen hinzunehmen?

„Das Mysterium von Golgatha, das sich mit dem Kreuzestod, der Grablegung, der Höllenfahrt und der Auferstehung des Christus vollzog, ist das zentrale Ereignis der ganzen Erd- und Menschheitsentwicklung. Mit ihm fand die eigentliche Geburt des menschlichen Ichs statt.“
So Rudolf Steiner.

Seither können wir Christus als den Begleiter und Impulsgeber der menschlichen Evolution – der Menschwerdung- erkennen, sowohl in individueller wie auch in kollektiver Hinsicht.

CHRISTUS IST DER MENSCH schlechthin. Der Erstgeborene, die unmittelbare Erscheinung aus Gott. DER UNMITTELBAR GESCHAFFENE, direkt aus Gott Geborene.

„Aber damit eine übersinnliche Wesenheit wie der Christus durch den Tod gehen konnte, musste er erst auf die Erde herabsteigen. Und das ist es, was von so unermesslicher Wichtigkeit in dem Mysterium von Golgatha ist, dass eine Wesenheit, die in ihrem eigenen Reiche in der Sphäre ihres Willens niemals den Tod hätte erfahren können, hat hinuntersteigen müssen auf die Erde, um eine Erfahrung durchzumachen, die dem Menschen eigen ist, nämlich um den Tod zu erfahren. Es vereinigte sich ein Wesen, einzig in seiner Art, welches bis dahin nur kosmisch war, durch das Mysterium von Golgatha, durch den Tod des Christus, mit der Erdenevolution. Seitdem lebt es auf eine solche Weise auf Erden, ist so an die Erde gebunden, dass es in den Seelen der Menschen auf Erden lebt und mit ihnen das Leben auf Erden erfährt. Daher war die ganze Zeit vor dem Mysterium von Golgatha nur eine Zeit der Vorbereitung in der Evolution der Erde. Das Mysterium von Golgatha gab der Erde ihren Sinn. Als das Mysterium von Golgatha stattfand, wurde der irdische Körper des Jesus von Nazareth den Elementen der Erde übergeben, und von der Zeit an war der Christus verbunden mit der geistigen Sphäre der Erde und lebt darin.“ (Rudolf Steiner)

Christus ist in uns und wartet darauf erweckt, geboren zu werden. Er ist unsere innere Realität. Er ist unser Bewusstsein, unser wahres Sein, das, was wir in Wirklichkeit sind. Steiner sagte: es ist das ICH (heute würde man sagen: das höhere Selbst). Dieses manifestierte sich auf der Erde, als Jesus auf Golgatha starb und gleichzeitig den Tod überwand.

Seit Golgatha hat sich das Christusbewusstsein also mit dem Erdenleib und dem Menschenleib verschmolzen. Der Ätherleib und der physische Erdenleib sind seither von der Christus-Wirklichkeit durchströmt, vom Licht der Liebe erweckt und belebt. Die Lichtsamen sind in allem, die Lichtfunken sind gesetzt. Das eine Licht ist in der Vielfalt der Lichter gegenwärtig. Diese Lichtsamen wollen vom bewussten Menschen geweckt werden. Wir Menschen sind als Bewusstseinsträger gedacht. Es liegt an uns, ob wir bereit sind, diese Bewusstsein-Lichter, Ausdruck der göttlichen Wahrheit und Liebe, zu erkennen und in uns anzuzünden, damit die Welt, in der wir leben, ins Leuchten findet.

Bewusstes Leiden
Dieses darf niemals verwechselt werden mit selbstquälerischem Leiden oder arrogantem Mitleid, wo der Mitleidende sich über den Leidenden stellt.
Jeder Mensch, der etwas tief durchlitten hat, versteht andere Menschen, die dasselbe oder ähnliches durchlitten haben, besser als zuvor. Ähnlich ist es, wenn jemand sich durch tiefes, solidarisches Mitgefühl mit leidenden Menschen verbunden hat: er versteht sie danach, wie auch sich selbst, weit besser als zuvor.
Wer sich derart verstanden fühlt, durch echt Mitleidende, atmet auf, entspannt sich. Das tiefe Gefühl verstanden und gehört worden zu sein, bildet die Grundlage seiner Heilung.
Tiefes, vorbehaltloses Leiden und Mit-Leiden führt zum Verstehen und Verstehen, das auf Einfühlung beruht, führt zur Heilung.
Aus diesem Grund erkannte Jesus, dass es seine Aufgabe war, durch alle Schichten und Bereiche des menschlichen Daseins hindurch zu wandern: mitfühlend, mitleidend, solidarisch und stets verankert im Licht der göttlichen, hingebenden Liebe. Er hatte sich vom Leiden berühren lassen, nahm es in sich auf, wandelte es im Herzen in erlösendes Licht um und säte es segnend als Lichtsamen in die durchwanderten Bereiche des menschlichen Daseins aus. Es war ihm aufgetragen durch das innerste Wahrheitsbewusstsein alle Bereiche, auch die der Finsternis, der abgrundtiefen Grausamkeit, der Krankheit und Gier, der Unbewusstheit, liebend und mitleidend zu durchwandern, um die dort gebundenen Wesenheiten aus der Gefangenschaft zu erlösen und zu befreien.
Man kann sich fragen, warum ein Mensch in der Lage sein sollte, durch sein Mitgefühl, das Fundament für die Erlösung der gesamten Menschheit zu legen. Wohl deshalb, weil Jesus Christus eins war mit Gott, den er Vater nannte, wie er auch eins war mit der ganzen Schöpfung – ganz anders als ein Mensch der sich von allem getrennt und unterschieden fühlt.
Gott hat sich in seiner Schöpfung (dem Universum) veräussert, manifestiert; das Veräusserte ist der Sohn, die Tochter: Christus.

Dieser Weg des Vertrauens und der Erlösung ist auch der Weg der Befreiung und der Heilung, wie er in jeder ganzheitlichen Therapie gelebt sein will.

Im Falle von Jesus Christus, war es der Menschheitskörper und das Menschheitsbewusstsein, welches der Therapie bedurfte und bedarf.

Nun liegt es am Menschen, die Samen zum Keimen zu bringen, das gegebene Licht im Seelenraum und in der Welt zum Leuchten zu bringen.

Die mystische Kirche
Mit jedem Atemzug kommen wir mit der Christus-Wirklichkeit in Berührung, denn diese hat sich erdenweit verkörpert, inkarniert.
Diese Berührung (wo der göttliche Geist unsere Seele berührt) bringt uns in den gegenwärtigen Moment, in die Anwesenheit. Wir werden unserem egozentrischen Ich enthoben und tauchen in unser wahres Wesen ein.
Ostern verweist auch auf Weihnachten: An Weihnachten feiern wird die Geburt des göttlichen Lichts auf Erden; an Ostern die Geburt und Auferstehung des inneren Christus.

Das Ereignis, das Erscheinen von Jesus in der Welt, will sich nun verinnerlichen. Es ist Zeit, dass das Heils-Geschehen in der Welt zum inneren wird. Dadurch werden wir vom Betrachter zum Betroffenen, von der Beobachterin zur Anteilhabenden, zur Erfahrenden, Erlebenden. Jenes Licht am Horizont wird zur lodernden inneren Flamme der Freude und der Begeisterung.
Im sich entwickelnden Christus-Bewusstsein entsteht ein Wachstums- und Reiferaum im Seeleninnern: Hier reifen die Früchte des Lebens.

Das ist der Weg der Mystik. Das ist der Weg. ICH BIN DER WEG.

In diese Richtung wird sich wohl der neue, beginnende Zyklus des christlichen Glaubens hinbewegen.

Beitrags-Bild: Zeichnung von Werner Binder: Das Erstrahlen der Erde

Es gibt etwas Hinhörendes…

Es gibt etwas Hinhörendes und Anteilnehmendes in allem, was ist,
es ist eine warme, mütterliche Präsenz, die uns in unserer Bedürftigkeit wahrnimmt,
uns liebend ans Herz nimmt,
uns zart einhüllt und tröstet, wenn wir Trost benötigen.

Diese anteilnehmende, uns zuhörende Kraft vibriert in jedem Schöpfungselement,
wirkt in jedem Ausgenblick,
erfüllt das ganze Universum.

Wir sind nicht nur gesehen, sondern auch gehört und erhört.

Wie gerne ich das wiederhole,
wie liebe ich es, diesen Refrain zu singen.

Ja, es gibt diese zauberhaften, zarten Momente,
wo wir erkennen, dass diese sanfte Wirklichkeit einfach da ist.

Umarmendes Dasein, umhüllende Liebe.

Jede menschliche Umarmung weist darauf hin,
ja, in jeder zwischenmenschlichen Umarmung, die von Herzen kommt,
entpuppt sich die universelle,
berührt uns der Liebende – die Liebende,
zart und kraftvoll zugleich
und dann wissen wir,

dass jemand (etwas) uns tatsächlich zuhört,
jede Nervenfaser von uns erspürt, in jedem Atemzug,

in jedem Atemzug mitschwingt, mitfühlt.

Es ist eine warme, uns zuhörende Präsenz,
ohne jegliche Fremdheit,
eine anteilnehmende Gegenwart, die uns besser kennt,
als wir uns selbst kennen.,
reines Vertrauen,
das schon da ist, immer schon da war, und darauf wartet,
uns zu empfangen.

Es gibt etwas Zuhörendes und Anteilnehmendes in allem was ist.

Meditative Praxis – ein Vorschlag:
Wenn Du in Meditation bist und sich in Dir Stille aufbaut, dann gibt Dich ihr hin,
überlass Dich ihr und erinnere den Satz: «Es gibt etwas Hinhörendes und Anteilnehmendes in allem was ist». Nun kann es geschehen, dass Du Zugehörigkeit und ein Gefühl von Aufgehoben-sein erlebst, in dem Du Dich sehr tief lösen und entspannen kannst. Du fühlst Dich vielleicht in ein warmes Licht eingebettet. Überlasse Dich also jener liebenden Kraft (die göttliche Mutter), die Dir zuhört, die an Dir/uns Anteil nimmt – und letztlich wesentlicher Teil ist von Dir.

 

Widerstand und Hingabe

Spiritualität ist berührtes Leben.
Spiritueller Mut ist die vertrauensvolle Aufgabe des Widerstands gegen das, was uns heilt.

Wir alle sehnen uns nach Nähe, Vertrauen, Intimität und Zugehörigkeit und gleichzeitig fürchten wir uns davor – wenn auch in unterschiedlichem Ausmass.
Wir alle wünschen uns glücklich zu sein und tun gleichzeitig so viel, uns unglücklich zu machen.
Wir alle sehnen uns nach Licht und lassen uns gleichzeigt vom flachen Nebelgrau der Gewohnheiten einlullen.

Zur Einstimmung eine kurze persönliche Geschichte
Vor vielen Jahren sah ich mit dem inneren Auge während einer Meditation ein grosses Licht vor mir, welches mich an eine geistige Sonne erinnerte. Dann sah ich, wie die Sonne zur Hälfte von einem schwarzen Schatten abgedeckt war. Nach einiger Zeit erkannte ich, dass ich selbst dieser schwarze Schatten war: «Ich stehe mir vor dem Licht, ich stehe mir im Weg», war meine Einsicht. Diese Erkenntnis machte mich sehr traurig. Ich gab mich der Trauer hin. Dadurch verschwand die Schwärze; nun wurde ich vollständig vom Licht angestrahlt. Es war wunderbar, berührend.

Der psychologische Widerstand
Nähe macht uns verletzlich. Wenn ein Mensch Distanz hält, macht es ihm nicht so viel aus, wenn er angegriffen oder hart kritisiert wird. Er kann dann auch nicht so leicht manipuliert werden, weil er sich nicht im anderen Menschen verliert. Wenn er sich bindet, tut es sehr weh, wenn er verlassen wird. Viele Leute verlassen ihre Nächsten vorsorglich, um sich den Schmerz zu ersparen, verlassen zu werden. Sie nehmen ihren möglichen Verlust präventiv vorweg. Bei nur halber Nähe, kann ein Mensch nicht so leicht missbraucht und hintergangen werden. Immer geht es um die Abwehr und die Vermeidung von Schmerz und Verlustangst. Wer Nähe vermeidet, verhindert damit auch die Erfahrung von tiefem Vertrauen, Freude und Intimität (Vergleiche den letzten Blog-Beitrag), die er wahrscheinlich zutiefst ersehnt. Die Angst in naher Beziehung missbraucht oder verurteilt zu werden, übertragen Menschen oft auch auf Gott. Die Gottessbilder (zum Beispiel das Bild vom gestrengen und strafenden Vater) erschweren oder verhindern die unmittelbare Gotteserfahrungen.

Oft, sehr oft sogar, glauben Menschen, dass sie es nicht wert seien, Zuwendung in Fülle zu erhalten.

Der gesellschaftliche Widerstand
Es gibt ein gesellschaftlicher Mechanismus, der uns Menschen vom Bedürfnis entreisst, uns von innen leiten zu lassen; es ist eine Kraft, die uns nach aussen schleudert, vergleichbar mit einer Zentrifuge. Beispiel: Neue wichtige Geräte kommen auf den Markt, die uns zu Aussenseiter werden lassen, wenn wir sie nicht bedienen können. Sie verlangen Aufmerksamkeit und viel Zeit. Eine riesige Zerstreuungsindustrie verleitet uns ständig dazu, uns im Aussen abzulenken, zu entspannen und zu vergnügen. Die ungebremste Mobilität verstärkt unsere wachsende Unruhe, die nach Erholung ruft, die überall, nicht ganz billig, zu finden ist. Diese Mechanismen bewirken, dass wir unablässig beschäftigt sind mit Dingen, die uns nicht elementar betreffen. Sie nähren das egozentrische Ich.
Die gleiche Gesellschaft, die uns stresst, bietet auch Wohlfühl-Angebote an – beide Zweige dienen dem Geschäft und halten den Menschen im Aussen gefangen.
Der aussengelenkte Mensch, der nicht mehr in der Lage ist, sich in sich selbst zu verankern, zu erden und zu erkennen, ist leicht zu führen und zu manipulieren. Es sind wahrscheinlich sowohl bewusste, wie auch unbewusste Mächte, die es dem Menschen schwer machen, von innen her, aus dem Herzen, zu leben.

Es ist ohne weiteres zu beobachten, dass innere und äussere Kräfte und Gewohnheiten existieren, die uns daran hindern, das zu beachten und anzustreben, was wir essentiell sind. Wir sehnen uns nach der Erfahrung im Leben aufgehoben zu sein, uns zugehörig zu fühlen und Freude zu erleben. Es sind die Ängste, die ich oben erwähnte, die uns zurückhalten, das zu wollen und zu tun, was uns gut tut.

Es mangelt uns wohl an Mut, den Widerstand gegen das, was uns heilt, aufzugeben. Es beginnt schon damit, dass wir es nicht wagen, den Widerstand gegen das Leben, gegen all das, was uns widerfährt an Lebens-Ereignissen und Situationen, aufzulösen. Indem wir in den Widerstand gehen, gegen das, was uns widerfährt, verwickeln wir uns in einen dauernden Kampf. So wird das Leben zu einer grossen Anstrengung. Es mangelt wohl am Glauben daran, dass dem Leben Weisheit innewohnt und dass es uns gut und wohlwollend gesonnen ist.

Hingabe
Die Hingabe ist wohl das Gegenteil von Kontrolle und Vorsicht. Hingabe bedeutet, sich vertrauensvoll, rückhaltlos und vollständig zu verschenken – es ist ein ganzheitlicher Akt der Liebe, die Annahme des Todes inbegriffen.

Jesus war wohl der Prototyp des Menschen, der sich selbst substantiell in die Welt hineingegeben (sich der Welt hingegeben) hat. Er war vollständig transparent für das ihn durchscheinende göttliche Licht. Er lebte in bedingungsloser Liebe. Seine Hingabe erlöst(e).

Gott selbst ist für mich der Inbegriff von liebender Hingabe.

Wenn dem so ist, dann muss Liebe und Hingabe als die wahre Wesens-Natur des Menschen angesehen werden. Wir sind demnach offene, strahlende, fliessende und gebende Wesen. Also Liebende. Wir untergraben unser Wesen, das wir sind, wenn wir versuchen das Leben primär durch Kontrolle und egozentrischem Eigen-Wille im Griff zu haben.

Das Welt-System fusst auf der Haben-Macht, auf Abgrenzung, Taktik und Strategie. Da gilt der Slogan: «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser».

Hingabe kann wohl erst dann tief im Herzen verstanden werden, wenn wir erleben, dass wir bedingungslos geliebt sind und dass daraus unser Leben fliesst.
Wir Menschen, so fühle ich es, sind verkörperte Hingabe; wir sind inkarnierte Liebe. Erst wenn wir diese Tatsache annehmen können, bis in die Zellen hinein, wenn wir zugelassen haben, dass uns diese Erfahrung erschüttert und transformiert, werden wir verstehen was Hingabe ist. Daraus formt sich der Mut, den Widerstand weg zu legen wie ein Kleidungsstück, das wir schon zu lange getragen haben.

Ich möchte hier den Satz wiederholen, dass Hingabe erlöst und hinzusetzen, dass Hingabe auch transformiert.

 

 

Ist es nicht erstaunlich…

Ist es nicht erstaunlich, dass jenes neu geborene Vögelchen, das Platz auf deinem Daumen fände, bei Sturm und verpesteter Luft, zu piepsen anfängt und zu leben beginnt?

Und es gibt den Leo, der auf offener Strasse seine Lea in die Arme nimmt und ihr ganz leise ins linke Ohr eine süsse Unanständigkeit ins Ohr wispert,

um ihr nur eine Woche später eine Liebeserklärung ins Ohr (diesmal ins rechte) zu flüstern.

Lea tanzt im Endlos-Korridor des Kantons-Spitals.

Es gibt jene Welt der Intimitäten, wo jede und jeder erröten darf, eine Sphäre, die Engel umschweben und sich der Mond hinter dunkelblaue Wolken verzieht und unerwartet, wenn alles schläft, wieder hervor tritt in silbernem Licht.

Eine Welt, wo sie, nach all den schweren Verlusten wieder aus den Wassern auftaucht, sich schüttelt und ihm ihr schönstes Lächeln in die Arme legt.

Und erst recht jene Überlebende, die sich mit tränen-geschwollenen Augen aufrichten und (noch) unsichtbar zu tanzen beginnen.

Es sind Intimsphären, die wie zarte Winde in einer steinernen Welt, die Welt bei Atem halten.

Siehst du jene Schülerin dort, die in der zweiten der langen Stuhlreihen in jenem rechteckigen Schulzimmer aus Stahl und Glas, den Kopf auf ihren Händen festhält, damit er nicht herunterfällt, müde und trostlos auf ein Blatt starrt, auf dem Dinge stehen, die sie nicht versteht, bis sie eine innere Stimme hört: «Du, komm.»

Siehst du den Mann in jenem roten Cabriolet, der sich eben entschlossen hat, seinen «Traum-Job» zu kündigen, um Bauer zu werden. Hörst du seine glücklichen Schreie?

Dem Flüstern verwandt ist das Blinzeln, welches nur der oder die Angeblinzelte versteht.

Der Flügelschlag des Schmetterlings kann nicht nur einen Sturm am Ende der Welt auslösen, sondern diesen auch glätten.

Es gibt Lichtwesen, die sich in Tränen niedersetzen und Durstende tränken.

Es sind Intimsphären, die wie zarte Winde in einer steinernen Welt die Welt bei Atem halten.

Jenes Vögelchen, kaum überlebt, schwebt jetzt am sonnigen Märzenhimmel, schlägt Pirouetten. Wie schön.

Wenn im Menschen, zutiefst, innen, der Liebende/die Liebende erscheint, innig, unwiderstehlich und in grosser Schönheit und er in seine/ihre Hände fällt, findet die Sehnsucht ein Ende und die Sonne des Herzens geht auf.

Der Zauber des Lebens hat sich in die Intimsphären zurückgezogen. Dort lebt er und hält die Welt bei Atem.

Beitragsbild: Traumfänger

 

 

Von der Selbst-Ausbeutung zur Selbst-Heilung

In einem seiner letzten Songs sang Leonard Cohen: «You want it darker; we kill the flame. – Ich glaube sie brennt, doch die Gefahr besteht, dass wir sie aus unserem Bewusstsein löschen. Daraus folgt ein Darben, folgt Durst und Hunger.

I.
Wir Menschen beuten unseren Planten immer rücksichtsloser aus, rasanter, schneller. Das geplante 5G-Netz steht für die Beschleunigung. Nicht alle werden das aushalten. Die letzten Kostbarkeiten wie die Seltenen Erden werden nun aus dem Boden geschürft, die wir für Geräte (Smartphones) verwenden, die wir bald wieder wegwerfen. Produkte werden immer schneller zu Abfall, der oft in den Meeren landen. Diese vermüllen. Fische ersticken am Plastik. – All das wissen wir.
Das Patriarchat, liiert mit dem Turbo-Kapitalismus, meist in den Händen superreicher, weisser Männer, ist auf Rendite, Gewinn-Maximierung und Kapital-Akkumulation hin angelegt.
Auch das wissen wir.
Die Mächte der Finsternis, die manche als das Böse bezeichnen, andere als Unreife, haben in unserer Zeit die Form extremer und kaschierter Ausbeutung angenommen, eine kaschierteAusbeutung, die uns Produkte in die Hände spielt, so als wären sie Geschenke des Himmels oder immerhin der Segen der Technik und der «freien» Marktwirtschaft.
Wir bezeichnen uns als zweitklassige Maschinen, die durch künstliche Intelligenz optimiert werden müssen. Oder wir sehen uns als Warenmenschen, als Verbraucher, die in immer kürzerer Zeit immer mehr Produkte herstellen, um diese rasch zu entwerten, zu verbrauchen – zum Zweck der Rendite-Steigerung.

II.
Diese Art des Benützens, Vermarktens und Verbrauchens haben wir Menschen zunehmend verinnerlicht. So, wie wir mit dem Leben auf Erden umgehen, so behandeln wir uns selbst: ausbeuterisch. Die natürlichen Grenzen – die Immunität – werden zunehmend eingerissen durch eine überfordernde Reiz-Überflutung. Wir spüren längt nicht mehr, wann es genug ist.
Aber im Kopf steht das Gebot, dass es nie genug ist, dass wir nie genügen und nie genügen werden, dass der Mangel nicht zu beheben ist.
Wir lernen – und die neuen Technologien «helfen» uns dabei – die Invasion von Stoffen und Informationen in unsere Körper zuzulassen. Es sind Bilder -und Informationsfluten, in denen wir «ertrinken», es sind Medikamente, Drogen und Luft-Schadstoffe, die in uns eindringen und Chips, die zunehmend die Steuerung unserer Körper übernehmen und nicht zu vergessen: der Elektro-Smog. Die natürlichen Schwellen der Immunität brechen ein.

III.
Die kapitalistische Art zu denken und zu handeln frisst sich jetzt in die letzten Frei-Räume ein: Sie bemächtigt sich nun unserer Emotionen und der spirituellen Bilder und Symbole, die uns bisher ins unserer Sinnfindung unterstützt haben. Wann immer eine Emotion oder ein Seelenbild nützlich ist, um den Konsum zu steigern, wird sie zu diesem Zweck  eingesetzt. Wer die Werbung genau anschaut, wird diese These rasch bestätigt finden. Keine Sphäre der menschlichen Gesellschaft ist intim genug, keine Not, keine Krise zu gross, um nicht vom System zwecks Rendite ausgebeutet zu werden.
Jedes Wissens- und Erfahrungsgebiet ist heute vom Wirtschaftsdenken infiziert, «durch-ökonomisiert». Die Wirtschaftssprache hat sich durchgesetzt.
Die Denkweise des wirtschaftlichen Nutzens haben wir Menschen uns einverleibt. Der Tanz ums goldene Kalb scheint einem neuen Höhepunkt zuzusteuern. Oder handelt es sich um einen Totentanz?
Viele stimmen der Ansicht zu, dass das Bewusstsein des Menschen mit den messbaren Hirnfunktionen endet. Die Schädeldecke bezeichnet das Ende des Menschen. Die Seele gilt mehr und mehr als eine altertümliche Illusion.

IV.
Es gibt nichts schön zu reden, zu bagatellisieren. Der beschriebene Mega-Trend, den gibt es, so wie es viele leuchtende Ausnahmen gibt.
Die Macht des herrschenden Systems hat sich tief in uns eingenistet. Genau hier muss die Heilung ansetzen.

V.
Die Welt widerspiegelt unsere innere Bewusstseins-Verfassung. Deshalb gilt es, sie als erstes zu heilen. Es bedarf der täglichen Arbeit an sich selbst, und sei diese noch so kurz. Fünf Minuten von 24 Stunden, ist schon ein Anfang – aber (verzeiht meine Strenge) bitte täglich.
Hier ein paar Merkpunkte, die hilfreich sein könnten:

  • Wir betrachten uns mit einem milden, nachsichtigen, weiträumigen Blick, in dem wir sein können. Es ist ein Blick zu unserem inneren Selbst, dem wir Raum geben, Seins-Raum. Und dabei geben wir uns die Zeit, die wir brauchen, um uns ganz selbst zu sein.
  • Wir üben die wunderbare Tugend Nachsicht: Es ist das verzeihende Verständnis für unsere eigene Unvollkommenheit, für unsere eigenen Schwächen, wie auch für jene der anderen.
    Immer, wenn wir einen heilenden Blick auf uns selbst werfen, im Wissen, dass wir Teil des Menschheits-Leibes sind, können wir davon ausgehen, dass wir nicht in einer Ego-Perspektive gefesselt sind und dass unsere Güte über uns hinaus wirkt.
    Nachsicht ist das Gegenteil der so verbreiteten Strenge, niemals zu genügen. Nachsicht schafft Lebensraum, hilft, uns in der Tiefe zu akzeptierten wie wir sind.
  • Wir neigen uns dem Verletzten, Bedürftigen, dem inneren Kind und der leidenden Welt, liebevoll zu, nehmen es/sie an unsere Brust und fühlen, wie unser Herz dabei weich und offen wird. Wir lassen alle Gefühle zu, bejahen ihren Ausdruck. Wir verzichten darauf, unsere Gefühle zu bewerten.
  • Wir betreten den inneren Raum der Heilung und Wandlung. (Vergleiche meinen Artikel Wandlung, Teil 3). Es gibt diesen Raum, es gibt den heilenden Geist. Wir können uns mit ihm verbinden. Ich zitiere aus dem erwähnten Artikel:
    „Die bedeutenden Menschheitslehrer wie Christus und Buddha, aber auch viele andere erleuchtete Lehrer, haben uns einen Raum der Heilung, des Wandels und der Auferstehung hinterlassen. Eine geistige Erbschaft, ein wunderbares Geschenk. Dieser gesegnete Raum ist gleichzeitig auch ein subtiler Körper. Er ist universell, immer und von überall her «zu betreten». Alle unsere Kirchen, Tempel und Moschen sind Abbild dieses universellen «Körper-Geist-Raumes», der in uns auch mikrokosmisch besteht: der innere Tempel. Im Tempel-Inneren wirkt die Kraft der Heilung, der Wandlung und der Auferstehung.“
  • Es braucht den Mut zur inneren Selbst-Erforschung. Nicht alles, was wir da entdecken ist schmeichelhaft. Gelingt es uns, diesen Mut mit Spielfreude und Leichtigkeit zu verbinden, so wird die Freude an den Entdeckungen und Erkenntnissen überwiegen.

VI.
Ein solcher Heilungsprozess dauert in der Regel Jahre. Doch jeder Lernschritt, der sich erdet, geht sofort in das Menschheits-Bewusstsein ein. So lasst uns also jeden Schritt würdigen, den wir getan haben.

VII.
Zum Schluss: Ich glaube, dass wir in der nächsten Periode unserer Menschheits-Entwicklung primär die weiblichen Qualitäten zu fördern und zu stärken haben und zwar solange, bis die Yin-Yang-Balance hergestellt ist, bis sich die Rechte und die Linke vor der Brust (dem Herzen) gefunden haben. Das ist der Moment der Verneigung.

VIII.
Indem Mass, wie die Heilung in uns voranschreitet, entwickeln wir die Kraft und Entschiedenheit, tatkräftig, liebevoll und heilend in die gesellschaftlichen Prozesse einzuwirken.

 

Das Empfangende

Ich stelle mir vor, dass der Mensch ein empfangendes Wesen ist, der hier auf Erden berufen ist, sich selbst in seiner Wesenheit zu empfangen, sich in seiner Empfänglichkeit zu erleben und damit sich selbst (wieder) zu finden.

Vor Gott sind wir alle weiblich, sind wir Empfangende.

Der empfängliche Mensch ist verliebt und hingebungsvoll; er gibt sich dem Gebenden, dem Liebenden hin – vorbehaltlos, vertrauend. – Er ist ein offenes Gefäss, an eine Schale oder an einen Kelch erinnernd. Er empfängt, trinkt dankbar, was ihm gegeben wird. Alles an ihm ist aufnehmend, rezeptiv: Sein Körper, dessen Poren weit geöffnet sind, seine Aura, zart und empfangend, seine Seele, ein seiden-leuchtendes Energiefeld, welches das grosse göttliche Licht einatmet.

Es ist nicht leicht zu sagen, ob das Empfangende nun eher passiv oder aktiv ist. Ich würde sagen: passiv-aktiv. Die Pflanze, die sich dem Licht entgegenreckt ist aktiv, passiv in ihrer Licht-Trunkenheit. – Der Mensch der sich sehnsüchtig dem Licht entgegenstreckt, sich damit aufrichtet und dabei doch gelöst bleibt, stellt das männliche Prinzip dar, das Weibliche ist das rezeptiv Empfangende, die aufnehmende Schale (die Seele), die Kraft der Verkörperung und Integration. Die beiden Qualitäten bilden die Yin-Yang-Balance, eine Ganzheit, die der Meditation sehr förderlich ist.

Da der Mensch in unserer Zivilisation sich gegen Überreizung und Erwartungsdruck schützt, gezwungenermassen, hat er sich eine dicke Schutzschicht zugelegt. Die Meditation hilft ihm, diese Schicht aufzulockern, wieder transparenter zu werden, damit er sich wieder in Beziehung mit dem setzt, was ihn seelisch-geistig nährt. In der Meditation geht es, wie auch im Gebet, darum, wieder in Resonanz zu jener Substanz zu finden, aus welcher der Mensch lebt.
Wir Menschen sind – so könnte man es sehen- Gegebenes, das sich verkörpert, also verkörperte Liebe.

Es braucht Mut, sich wieder zu öffnen, sich verletzlich zu machen und Kontrolle aufzugeben, um jenen lichten Stoff, die Substanz, die sehr fein ist und aus der wir sind, wieder zu spüren. Erfahren wir sie, können wir die göttliche Substanz bewusst und dankbar empfangen, uns selbst in unserer tiefen Wirklichkeit aufnehmen, um uns selbst zu verkörpern, zu werden, was wir in innerster Essenz sind. Es ist ein Geburts-Vorgang.

Bevor dies geschieht können wir festhalten: Was wir bisher durch unsere Erziehung und durch unsere Kultur verkörpert haben, hat viel mit den Ängsten und der Gier der Zivilisationswelt zu tun gehabt. Nun, wo wir uns neu nach dem wahren Selbst ausrichten, empfangen wir unser Wesen, das bisher verdeckt war. Bis es soweit ist, kommen wir nicht darum herum, unsere Empfänglichkeit zu entwickeln. Wir haben unsere Wahrnehmungsfähigkeit zu verfeinern. Wir haben zu lernen, auszuatmen, was uns hindert frei zu sein und frei zu empfinden.
Bei der Verfeinerung unserer Wahrnehmungsfähigkeit kommt die Phase, wo wir meinen, dass nichts da sei und manchmal brechen wir dann die Ein-Sicht ab. Dieses «Nichts» markiert oft den Beginn einströmender Fülle, die wir erst als das erkennen, was sie ist, wenn unser Innenleben jene Feinheit und Zartheit erreicht hat, die nötig ist, die subtile Welt zu empfangen.
Es kann aber auch passieren, dass uns einfach geholfen wird, dass hinweggenommen wird, was uns beschränkt.
In jenen wunderbaren Augenblicken oder Perioden, wo wir offen, empfänglich und hingebungsvoll sind, können wir erfahren, dass uns unterbrochen gegeben wird. Wir nennen diese Erfahrung auch Gnade. Die einströmende Gnade, der einfliessende Segen, erleben wir manchmal als weissliches-milchiges und nährendes Licht, andere Male als unglaublich feine kristalline Licht-Partikel, die sanft über uns kommen oder als hauchfeiner Licht-Sprüh-Regen, der uns beglückt. Diese Bilderfahrungen sind verbunden und eins mit der Empfindung von Glückseligkeit, mit Erstaunen, Ergriffenheit. Oft stellt sich ein Gefühl von Festlichkeit und Feierlichkeit ein. In solchen Momenten wird uns bewusst, dass dieses Einströmen von Güte, Liebe und Bewusstheit unendlich (also nie endend) ist und dass alles Geschenk ist. Fülle.

Natürlich sind diese oben genannten Empfindungsweisen nur Hinweise, wie sich göttliche Substanz, die wir empfangen, anfühlen kann. Jeder Mensch, empfängt vor allem jene Qualitäten, die er jetzt besonders benötigt und er empfängt sie in dem Masse, wie er in der Lage ist, sie aufzunehmen und zu integrieren. Ein starkes Gefäss vermag mehr aufzunehmen, als ein schwaches. Deshalb gilt es innere Seelenstärke, aber auch körperliche Harmonie zu entwickeln. Ausserdem erscheint es mir als sehr wichtig zu sein, liebevolles Einatmen einzuüben.

Was wir empfangen ist Liebe und das, was aus ihr geboren wird – Leben, wir selbst.

Da wir nicht nur individuelle Wesen sind, sondern auch Erden-Menschen, ist es auch Teil unserer Menschen-Verantwortung, das Wasser des Lebens in die Erde zu giessen und das Brot zu teilen.
L. Vaughan-Lee: «Die Welt ist am Verhungern. Durch unsere kollektive Haltung isolieren wir die äussere Welt von ihrem spirituellen Kern.»

Deshalb lasst uns auch Verbindung sein zwischen der geistigen Welt und der Erde, auf der wir leben, zwischen dem Kern und der äusseren Erde; lasst uns Verbindungsglied sein zwischen der Quelle und der dürstenden Erde.

Etwas soll auf die Erde gebracht werden. So empfinde ich es. Ich ahne es, was es sein könnte, es entzieht sich mir aber jeder Formulierung.

Wer liebt, gebiert, und was geboren ist, singt.

Geduld

Seit ich lebe, übe ich mich in Geduld. Sie ist mir nicht in die Wiege gelegt worden; ich muss (darf) sie erarbeiten.

Geduld ist die Zeit, die es braucht, damit sich eine Vision verwirklichen kann, die Zeit, die nötig ist, damit sich das Leben erfüllen kann und im Kleinen ist Geduld die Zeit, damit sich eine Emotion oder ein Impuls voll aufbauen und entfalten kann.

In Ruhe bei dem verweilen, was ist, ist Geduld. Verweile ich zum Beispiel bei aufkommender Trauer und der sich langsam breit werdenden Bewegung, mit der sie sich aufbaut, dann komme ich langsam in die Tiefe meiner selbst und ich erkenne die Ursache meiner Trauer, die zum Beispiel darin bestehen kann, dass ich in meinem Leben zu wenig auf mein Herz gehört habe. Nur wenn ich mir die benötigte Zeit nehme, mich in meine Trauer* (oder wie immer das jeweilige Gefühl ist) zu versenken, kommt es zur nötigen, tiefen Einsicht, die zu einer Verhaltensänderung führt, zu einer Einstellungsänderung oder gar zu einem Wachstumsschub.
Das Abschneiden und Töten aufkommender Impulse und Gefühle, lange bevor sie sich in ihrer ganzen Gestalt aufbauen können, schadet uns. Es ist als, ob wir Blumen ausrupfen würden, lange vor ihrem Erblühen. Es handelt sich hier um Micro-Tötungs-Impulse, meist unbewusst, die damit zu tun haben, dass wir uns nicht vollständig erlauben, zu lieben und zu leben.

Seit Wochen höre ich immer wieder Klaviermusik von Erik Satie, der jeden Ton in sich erlauscht haben muss, bevor er ihn zu Papier gebracht hatte. Es ist langsame, perlende Musik, melancholisch und verträumt, die stark von der lebendigen Zeit der Pausen zwischen den Tönen lebt. (Erik Satie: Gymnopédies oder Gnossienne.)

Nun, da ich älter werde, akzeptiere ich meine Verlangsamung und erfahre, dass dadurch mehr Ruhe und Friede, die Früchte der Langsamkeit, aufkommen können.

Nun lehne ich zurück und atme tief ein und aus. Ich will diesen Artikel langsam und mit Geduld schreiben.

Der Druck, rasch ein Ziel zu erreichen führt zur Ungeduld, zu Stress und oft zu Gewalt. Nur schon der kontinuierliche Druck, den Menschen auf sich selbst ausüben, ist beginnende Gewalt, die krank machen kann. Ungeduld, ständiges Tempo und Gewalt bedingen sich gegenseitig.

Damit etwas Gestalt annehmen kann, braucht es Zeit. Die Zeit fliesst aus der absoluten Welt der Zeitlosigkeit in unsere zeiträumliche, relative Welt.
Zeit ist ein zartes, feines Strömen: Wachstums-Elixier. Sie fliesst in der Geschwindigkeit und in den Rhythmen, die ihr aus höherer Weisheit immanent ist. Manche verstehen Zeit als ein Attribut Gottes.

Zeit ist zart. Zeit ist natürlich, wenn sie nicht durchgeplant, chronologisch ist.

Liebe Leserin, lieber Leser: Wenn Du magst, lehne dich jetzt zurück, schliesse die Augen und denke: Ich lass mir alle Zeit, die ich brauche, um mich ganz selbst zu sein.
Atme und spreche diesen Satz ein paar Mal langsam und liebevoll zu dir selbst.

Vermutlich wirst Du eine Veränderung in Deinem Befinden und in deinen Organen fühlen. Vielleicht fühlst Du alten, sich nun lösenden Druck und aufkommende Leichtigkeit.

Ungeduld und dauernde Beschleunigung führen dazu, dass wir Mensch immer heftiger in die natürlichen Abläufe eingreifen. Bis hin zu massloser Gewalt. Die ganze Welt dreht in dieser Beschleunigungsspirale der Ungeduld, die atemlos und rücksichtslos macht. Durch die überdüngten Böden, Monokulturen und den Einsatz von Mega-Maschinen veröden Landschaft, erodieren und vertrocknen Böden, sterben Wälder. Dies als ein Beispiel von vielen.
Es ist wohl Panik, die zu ständig heftigeren Eingriffe in die Natur der Erde und des Menschen führt.

Ohne Entschleunigung keine Natürlichkeit. Ohne Verlangsamung und Geduld kein Gesundheitswesen, das auf Salutogene beruht.

Salutogenese beinhaltet die Fähigkeit, die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen, der Glaube an die eigene Wirksamkeit und der Glaube an den Sinn des Lebens. Diese Fähigkeiten entwickeln sich langsam und stetig; sie setzen Geduld voraus.

Langsamkeit und Geduld lassen uns erkennen, dass die Seele, in der wir leben, eine milde, sanfte und wissende Substanz ist. Von ihr getragen finden wir in ein friedvolles Leben, jenseits von Stress und Hetze und fernab von Gewalt.
Die Seele umhüllt und durchströmt uns zärtlich und erfüllt uns mit Seins-Seligkeit. Sie gibt uns den Schutz, den wir in dieser hektischen Welt brauchen. Durch Geduld und Geruhsamkeit wird sie uns immer zugänglicher.

Erst jetzt dürfen wir von Nachhaltigkeit sprechen. Sie baut sich auf der Ebene der Seins-Erfahrung auf.

Wenn wir also noch einmal zurücklehnen, ruhig, tief und liebevoll mit dem Satz atmen:
Ich lasse mir alle Zeit, die ich brauche, um mich ganz selbst zu sein,

werden wir vielleicht spüren können, dass sich eine heilende Energie aufbaut, die unter dem Deckel von Ungeduld und Betriebsamkeit darauf gewartet hat, erkannt und gelebt zu werden.

Ich werde nicht damit aufhören, Geduld einzuüben.

*zur Trauer: Die zur Trauer gehörende Energie-Bewegung geht meist sowohl in die Breite, wie auch in die Tiefe, verbunden auch mit einem Lösen von Spannung und Druck, oft im Bauch-Bereich. Nach einiger Zeit kann sich eine Aufwärts-Bewegung einstellen. Wenn diese Bewegungs-Gestalt abgebrochen wird, kann sich der nachfolgende Entwicklungsschritt kaum oder gar nicht einstellen. Dies gilt für alle Gefühle. Es scheint eine Zeit-Krankheit zu sein, nicht bei einem einzelnen Gefühl verweilen zu können.
E-Motion kann man auch lesen und verstehen als Energie (E) in Bewegung (Motion).

Reflexionen über das menschliche Gesicht

In den letzten Tagen und Wochen erschrak ich einige Male, als ich unvermittelt in ein Gesicht blickte, das vor mir plötzlich auftauchte, wie das oft geschieht, wenn man sich an einem viel begangenen Ort aufhält, wie zum Beispiel in einem Supermarkt. Ich erschrak jeweils über den Gesichtsausdruck, der mir wie eingemeisselt erschien und nur eines auszudrücken schien. Zum Beispiel: «Ich schlage mich hier einfach durch!» oder «Ich passe immer auf!» – oder was auch immer das betreffende Gesicht zu sagen schien.

Ich stellte dann nach einigem Nachdenken und Beobachten fest, dass es viele Menschen gibt, deren Gesichter  ihre charakteristische Art, das Leben zu empfinden und auf es zu reagieren, präzise widerspiegeln.
Es muss das Lebensgrundmuster sein, das sich da visualisiert, eindeutig eingeprägt, eingezeichnet im Gesicht, welches kaum etwas anderes zuzulassen scheint, als eben die charakter-gepanzerte Weise, sich im Leben zurecht zu finden. Da hat sich eine kleine abgeschlossene, ja abgekapselte Identität herausgebildet, eine maskenartige Persönlichkeit (Persona) mit ausschliessendem Charakter.

Danach wurde ich auch auf Gesichter aufmerksam, die nicht nur die vordergründige Reaktionsbereitschaft auf das Leben zum Ausdruck bringen, sondern auch den Erlebnis-Hintergrund. Etwa so: Vordergründiger Ausdruck: «Ich finde mich schon zurecht in dieser Welt», zweite Botschaft:» Ich bin verloren auf dieser Welt, helft mir». Die zweite, hintergründige Botschaft stellt sich gleich nach dem ersten Eindruck ein, wenn man beim Anblick des Gesichtes eine kleine Weile verbleibt.
Manche Gesichter drücken aber auch einen Facettenreichtum aus oder sie erzählen Geschichten.

Das Gesicht lässt sich auch verstehen als die sichtbare Gestalt des Menschen.

So, wie ich das Leben auffasse und auf es reagiere, drückt es sich in meinem Gesicht aus. Man könnte nun denken, dass das menschliche Gesicht, doch sehr viele Facetten des Welterlebens widerspiegeln müsste. Offenbar ist es aber häufig so, dass sich eine Art von Grund-Tenor wie ich im Leben stehe, herauskristallisiert und zu dominieren beginnt und alle anderen Lebens-Nuancen gleichsam aufsaugt und in den dominanten Rahmen stellt.

So wird das Gesicht zur Maske, zur Persona, die alles zu zeigen scheint und alles versteckt. Die ganze Vielfalt und die seelische Lebenstiefe sind maskiert. Mit anderen Worten: Wir neigen dazu, die Welt so zu sehen und zu interpretieren, wie wir es aufgrund unserer Prägungen eingeübt haben. Demgemäss färben wir die Welt ein und sehen sie in der Farbe, die wir auf sie projizieren – während die anderen Farben in Untergrund versinken.

Nun gibt es aber auch Gesichter, die nebst den eingeprägten Qualitäten, Emotionen und Reaktionen noch so etwa wie offenen Lebens-Raum ausstrahlen: Raum für das Unbegreifliche, Unerklärliche, das Zauberhafte und das Erstaunliche des Lebens. Da fühlt man Platz: dieser Mensch nimmt sich Raum und gibt Raum – da ist nicht alles festgelegt. Man spürt: dieser Mensch ist nicht völlig identifiziert mit seinem Charakter seiner kleinen Aussenpersönlichkeit, da ist Luft, da kann sich Neues finden. Da findet sich Ereignisraum, Klang-Raum.

Hier versteht sich die Person als Klangkörper, offen für den durchströmenden Geist, das Geistlicht. Per Sonare (Per-son) meint das Durch-tönende. Materie versteht sich hier als ein Gefäss für das geistige Einströmen. Materie und Geist finden hier zu einem sich ergänzenden Miteinander – im Gegensatz zum trennenden, egozentrischen, eine Kapsel bildende ICH.

Wenn ältere Mensch, die in der zweiten Lebenshälfte damit begonnen haben, sich zu de-identifizieren, um sich von alten, jetzt unpassenden Identifizierungen zu lösen und sich von ihren inneren Strukturen und Zwängen ein Stück weit zu befreien, kommt wieder das Staunen des Säuglings, den sie einst waren, in ihr Gesicht. Diese Gesichter beginnen nun durchlässig und transparent zu werden.

Im Anblick von befreiten Gesichtern können wir uns selbst befreien. In ihnen kann etwas werden, was vorher noch nicht da war. Wenn unser Gesicht freier wird von eingestanzten Prägungen, können sich jene, die uns sehen und uns begegnen, sich weit eher finden, als wenn unser Gesicht, von unseren Konzepten und Vorstellungen über uns selbst festgelegt bleibt. Solche Gesichter verwandeln sich leise in ein Antlitz, in dem das Wesen der Person hindurch strömt.

Bei unserer Wesens-Werdung, bei der sich unser Seelenzentrum mehr und mehr ausweitet,
was man am besten in den Augen erkennen kann, erscheint das Gesicht als weich und belebend, trotz aller Falten, es beginnt zu scheinen und wirkt bewusst und oder unbewusst lebensspendend und frei lassend auf die Umgebung. Allmählich beginnt sich das Angesicht im Gesicht zu zeigen – oder zu erahnen.

Noch was: Wer es zulässt, gesehen zu werden, von den Augen der Wahrheit und der Liebe, wird dieses Anteil-nehmende Umfassende schrittweise integrieren und sein Gesicht wird diese Erfahrung bezeugen.

Im Angesicht, das sich im Seelenzentrum verbirgt und sich zu rechten Zeit teilweise oder ganz offenbart, kann jeder und jede ganz zu sich selber finden. Hier ist vollkommene Freiheit und Angenommensein. Nun können wir alle unsere Masken ablegen. Wir wissen, dass wir geliebt sind. Völlig getröstet atmen wir auf und neue Räume erschaffen sich.

«Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt worden bin.»

  1. Kor. 13,12

Beitragsbild: Zeichnung von Werner Binder