Die beiden Tore: Abschied und Neu-Beginn

Die Zweiheit ist eine göttliche Anordnung, die dem Menschen gegeben wurde, um zu lernen. Zum Beispiel Beziehungsfähigkeit, die auf Unterschiedlichkeit, oder auf Gegensätzlichkeit beruht, zu lieben also, wenn es anscheinend nicht passt, versöhnlich zu sein, selbst wenn es schmerzt. In diesem Artikel will ich die übermächtigen Tendenzen des Weltgeschehens betrachten, die uns, ob es uns bewusst ist oder nicht, in Atem halten: Das Abschiednehmen und die Resonanz mit dem Neuen, das sich abzeichnet.

Das Tor des Abschieds
Viele spüren, dass die einseitige materielle Ausrichtung auf Rendite, äusseren Erfolg, Ansehen und Macht ein Ende haben muss, da wir nicht mehr verbrauchen und vernichten dürfen, als es das Wachstum erlaubt. Der Kapitalismus, der sich zum seinem wohl letzten, wankenden Höhepunkt herauf schraubt, dem Überwachungs-Kapitalismus, kommt seinem Ende nahe, da er sich selbst verschlingt.
Ebenso kommt das Prinzip des Herrschens und Beherrschens, der eisernen Kontrolle zum notwendigen Zerfall, weil Mensch und Erde sich auf die Dauer nicht der Machbarkeit unterwerfen können, weil sie lebendige Organismen sind und nicht einseitig rational steuerbar sind.
Ich glaube, dass es nicht nötig ist, die Zerfalls-Symptome aufzuzählen. Sie sind all-gegenwärtig und überall wahrzunehmen. Die Zeit ist nahe, wo auch Abgebrühte, nicht mehr in der Lage sein werden, den Zerfall zu bagatellisieren.
Manche sprechen von Ökozid.

Nun sind die anteilnehmenden Betrachter, die sehen, wie sich die Türe zum Tor des Abschieds öffnet, ihrer Trauer und ihrem Schmerz ausgesetzt. Ihr Leiden ist bewusst und es ist gepaart mit Mitgefühl. Sie geben der sterbenden Kreatur eine ursprüngliche Stimme. Sie sind erschüttert. Sie stellen sich dem Prozess des Abschieds; sie fühlen mit. Sie seien gesegnet, getröstet.

Ohne sie, kann das Neue nicht erscheinen! Ohne sie verliert die menschliche Kultur ihre Wurzeln, das Gefühl für den Ursprung, für die Basis, für die Herkunft. Ohne sie, verliert die Menschheit ihr Herz.


Das Tor des Neu-Beginns
Der Neu-Beginn der kommenden Entwicklungsphase des Menschen beinhaltet, so vermute ich, ein sich ausdehnendes, umfassendes Gefühl für das Ganze, das integrale Bewusstsein. Mein inneres Auge sieht liebende Menschen, deren Seelen vibrieren.
Die Lichtpartikel/Zellen in uns sehnen sich danach, sich auszudehnen, ihr Volumen zu vergrössern. Es gibt den Drang in den Lebewesen, sich wieder aufzurichten und den Atem frei fliessen zu lassen.
Liebeslicht wird den erneuerten, den neu-geborenen Menschen erfüllen.

Das sich langsam öffnende, Wohlwollen, Güte und Empathie verströmende Licht-Tor, wird die Herzen der Betrachter beglücken. Sie werden aber ihre Aufnahmekapazitäten erhöhen müssen, um die einströmende Lichtkraft zu fassen und zu integrieren. Sie haben ihre alte Konditionierung, also den Zwang, ihre Wesenheit zu schmälern, sie zu reduzieren und zu unterdrücken, abzulegen und zu überwinden.

Die Betrachter des goldenen Tores spüren, dass ihre Spezies vor der grossartigen Herausforderung steht, leben zu lernen.
Beim Schreiben des eben gesetzten Satzes ist mir bewusst geworden, was ich geschrieben habe und ich möchte es nochmals, ähnlich gesagt, wiederholen:

Wir Menschen stehen vor der grossartigen, schönen und anspruchsvollen Aufgabe Leben zu lernen. Dazu gehört vordringlich, dass wir es wagen, unsere Herzen zu öffnen. Es ist gut, wenn wir uns dabei helfen.

Nun denken wir Menschen ernsthaft daran, uns das Sonnensystem «untertan» zu machen und müssen feststellen, dass wir gar nicht gelernt haben, zu leben, weil wir uns zunehmend von unserer Seele abgetrennt haben. Wenn es so ist, müssen wir also Leer-Raum, Empfangs-Raum in uns schaffen, indem wir uns befreien von Gedankenmüll, der sich in uns festgesetzt hat. Das Leben liegt gleichsam unter einer Glocke aus bleischweren Gedanken, Zahlen und Messwerten. Im gereinigten Raum, kann das ursprüngliche, reine Leben uns lehren, was Leben bedeutet.

Es ist nicht eben leicht für unser Grössenselbst zuzugeben, dass wir so vieles können, nur nicht wahrhaftig leben.
Die, welche sich dem reinen Leben zuwenden seien gesegnet.

Solche Perspektiven mögen auftauchen, wenn wir den Raum hinter dem goldenen Tor, stückweise erkennen.

Dazwischen
Wenn es dem Betrachter gelungen ist, durch die sich öffnenden Tore Einblick zu nehmen, dabei berührt zu sein und gleichzeitig unerschrocken das Gesehene anzunehmen, dann wird sich zwischen den Polen des Abschiedes und des Neu-Beginns ein dynamischer hoch-intensiver Zwischen- oder Begegnungs-Raum bilden.
Dieser Zwischenraum, wird er in Liebe gehalten, wird fruchtbar werden. Im Kreis des Umarmten bildet sich neues Leben, neue Form. In diesem Fall ist es vielleicht eine Brücke, die den Übergang ermöglicht.

Ohne diese haltende Mitte, würde sich vielleicht ein Abgrund auftun.

Ich stelle mir vor, dass auf der Mitte der Brücke ein Licht-Feuer brennt. Oder: eine Person steht in der Brückenmitte und breitet seine Arme aus.

Der Prototyp des all-umarmenden, alles versöhnenden Wesens ist für mich Christus, der auch in uns lebt.

Wir Menschen sind -zumindest viele von uns- Übergangswesen, weil wir in dieser Epoche des Übergangs geboren wurden.

„Die Übergangswesen* sind Begleiter*innen, von denen gefordert ist, Spannungen auszuhalten und zu halten in Hoffnung. Sie stehen zwischen dem Alten, das sich verabschiedet und dem Neuen, das in Geburtswehen liegt. Sie empfinden und bejahen den nötigen «Spannungs-Schmerz», der sich im Prozess des Übergangs ausdrückt.
Viele Menschen – sicher auch Leser*innen dieses Blogs – spüren diese Zeit des Übergangs als eine Erschütterung und als eine Aufforderung handelnd und betend Verantwortung zu übernehmen und mehr noch: sich selbst dem Wandlungsgeschehen zur Verfügung zu stellen, denn wer wandeln will, wird gewandelt, wer das Neue ersehnt, wird erneuert. Die Übergangswesen, sind Begleiter*innen, von denen gefordert ist, Spannungen auszuhalten.“
aus meinem Blog Übergangswesen (siehe unten)

Für Übende:
Eine meditative Imagination: Du siehst die beiden, halb geöffneten Tore vor Dir. Du lässt ihren Gehalt auf Dich einwirken. Du bist ganz geöffnet, Anteil nehmend. Sobald Du die Ausstrahlung beider Tore gleichzeitig spürst, wendest Du Dich dem Beziehungsfeld der Mitte, dem Beziehungsraum, zu. Die Konzentration liegt auf Deinem Herzen. Lass die Dynamik der Mitte zu, halte die mögliche Spannung aus und höre, was die „Dritte Kraft“, die der kreativen Mitte, dir sagen möchte.- Wenn es Dir sinnvoll erscheint, wiederhole diese Meditation während Tagen einige Male.

*Vergleiche Übergangswesen, Blog vom 18. Januar 2020. Siehe unter «ältere Beiträge» unterhalb der Schlagwörter.

Beitragsbild: Aquarell WB

 

Umrunden – Umkreisen

Als ich in Nord-Deutschland an einem Kongress war, hörte ich von einem wunderbaren ur-alten Baum, ganz in der Nähe des Seminar-Hauses, einem Kraftort von besonderer Schönheit. Und so kam es, dass sich eine Gruppe von Leuten bildete, die mit einem Geomanten, auch einem Seminarteilnehmer, zu diesem Baum wanderten. Die äussersten Äste des Riesen-Baumes, der alleine in einem Feld war, berührten den Boden. Die Krone bildete eine Natur-Kathedrale und unsere Gruppe spürte schon beim Näherkommen die Kraft, die von diesem etwa 500 Jahre alten Baum ausging. Der Geomant forderte uns auf, nicht in die «Kathedrale» einzutreten, ohne vorher den Baum dreimal umkreist zu haben. Es sei nicht angezeigt, einen Kraftort direkt, verlangend und zugreifend zu betreten. Zuerst müsste der Ort begrüsst und respektiert werden und zwar dadurch, dass man ihn umrunde, bevor man ihn betrete.

Der heilige Berg Kailash im Grenzgebiet, Tibet, China, Indien darf nicht bestiegen werden. Er wird betend umrundet, förderlich für die innere spirituelle Entwicklung des Pilgers.

Im Vorbeigehen eröffnet sich der Gehalt eines Ortes oder eines Kraft-Objektes eher, als wenn wir direkt auf diesen zugehen.

Als Mose das Volk Israel durch die Wüste führte, verweilte es längere Zeit am Fuss des Berges Sinai, mitten in der Wüste. Gott rief Mose auf den Gipfel, um ihm Weisungen für die Israeliten zu überbringen. Gott sagte zu Mose:

«Zieh aber eine Grenze rings um das Volk und sprich: Hütet euch, auf den Berg hinaufzusteigen oder auch nur seinen Saum zu berühren.»           Exodus 19 , 12

Da es dem Volk verboten war, den Berg zu betreten, zeichnete Mose eine Grenze um den Berg, eine Schranke, eine Art Schwelle. Der heilige Berg war somit geschützt.

Später im Kapitel steht:

«Der Berg Sinai aber war ganz in Rauch gehüllt, weil der Herr im Feuer auf ihn herabgestiegen war. Und sein Rauch stieg auf wie der Rauch des Schmelzofens, und der ganze Berg erzitterte heftig.»

Wer die Schwelle zum Heiligen, zur Mitte, dem Zentrum, übertreten darf, wird, wenn die Zeit für ihn reif ist, eingeladen. Der Wächter, der Hüter der Schwelle, eine Engels-Gestalt, ist anwesend, wenn die Schwelle sich zeigt. Vorher hat sich der Mensch zu gedulden, hat sich vorzubereiten auf den Moment der Einkehr in den heiligen Raum, der eine Mitte bildet, wie die Sonne als Zentrum des Planetensystems. Unvorbereitet würde der Mensch weder die Hitze am Berg, noch das Beben und Zittern des Berges (des Heiligtums) überstehen.

Heilig sind auch der Zellkern und Atomkern, wie alle Bausteine des Lebens. Ganz besonders heilig ist der Wesenskern des Menschen. Auch er soll umrundet werden, aus allen Perspektiven erkannt werden, als das eine göttliche Zentrum.

Mevlana Rumi, der grosse Mystiker und Liebende, begann sich zu drehen, als er fühlte, wie sein Herz sich mit Liebe füllte. Er drehte sich, in Verzückung geraten, mitten auf der Strasse um sein eigenes Herz.

In meinem letzten Blog-Beitrage erwähnte ich, dass der Mensch ein tanzendes Wesen sei, ein um den Kern kreisendes Wesen. Alle sakralen Kreistänze der indigenen Völker zeugen davon.

Am Ende der Tage, und wenn wir gerufen sind, werden wir mit dem Kern verschmelzen. Bis dahin können wir ihn lobend umrunden.

Die zentrale Frage des Menschen heisst: Wer bin ich?
Diese Frage wird uns kaum zur endgültigen und abschliessenden Antwort führen, aber sie bringt uns auf den Weg zum Licht des Erkennens und sie öffnet die Tore zu den mächtigen Erkenntnis-Räumen grossen spirituellen Wissens (Weisheit). Die Frage öffnet uns den Weg zu unserem Herzen und zum Herzen des Universums. Die Frage bringt uns auf den Weg.

Die Frage bringt uns zum Tanzen, öffnet unser Ohr hin zum Herzen.

Da das Herz von Mose offenbar geöffnet war, wurde er von Gott auf den Gipfel des Berges gerufen. Der Gipfel ist da, wo die Seele ins Geistlicht hineinragt. Das Bild des Berges, das von einer weissen Wolk eingehüllt ist, ist dafür Sinnbild.

Abstrakt ausgedrückt: Die Vielheit der geschaffenen Welt, im Erkennen des Ursprungs, des Einen, beginnt zu tanzen und zu singen, wenn «der Duft», der aus dem Zentrum kommt, wahrgenommen worden ist.

Der Respekt und das Gefühl für die Bausteine des Lebens, für die physischen, seelischen und geistigen Zentren der Organismen fehlt heute. Die Aneignung der Kerne und der Eingriffe in sie (z.B. Gen-Manipulationen) gilt heute als üblich. Die dominanten gesellschaftlichen Prozesse und Strukturen, sind oft zerstörerisch, weil die innere Orientierung sehr schwach geworden ist und das Gefühl für das Heilige weitgehend verloren gegangen ist. Die lenkenden Kräfte haben sich vom geistigen Geschehen entfremdet. Das Gefühl für den Kern einer Sache und für den geistigen Mittelpunkt von Lebewesen -dies gilt in besonderem Masse auch für die Erde- hat sich auf gefährlicher Weise verflacht. Ohne dieses Gefühl für den schöpferischen und heiligen Mittelpunkt von Wesen und Zusammenhängen ist der Mensch orientierungslos; er richtet sich dann nur noch auf seine eigenen ego-zentrischen Bedürfnisse aus.

Es sind wohl Lektionen in Stille nötig, um das Gefühl für das, was essentiell ist, wieder aufzubauen.

Nach etwas dreissig Jahren der Reifung seines inneren göttlichen Kerns, trat Jesus in die Öffentlichkeit im Bewusstsein, sowohl seiner Anziehungskraft, wie auch im Bewusstsein seiner Ausstrahlungskraft, wodurch er einen Umkreis schuf: die zwölf Jünger fanden sich sogleich ein. Zwölf das Ganze, wie die 12 Monate ein rundes Jahr bilden, ein Vollkommenes. Christus ist der heilige Kern des mystischen Leibes, der sich um ihn bildete, wie früher, so auch heute.

Das Innerste eines lebendigen Kerns ist unsichtbar, rein geistig, unbegreiflich.

Der Meister spricht mit seinem Schüler:

«Bring dort vom Baum eine Feige.
Hier ist sie, Meister.
Öffne sie.
Meister, es ist geschehen.
Was siehst du darin?
Winzig, kleine Kerne, Meister.
Öffne einen.
Meister, es ist geschehen.
Was siehst du nun?
Meister, ich kann überhaupt nichts sehen.
Dieser allerfeinste Stoff, mein Sohn, den du nicht siehst,
ist das Selbst des ganzen Universums.
Dies ist das Wirkliche
Dies ist das Selbst
Und du bist ES.»

Barmherzigkeit

Barmherzigkeit ist eine komplexe, vielschichtige Wirklichkeit. In allen spirituellen Strömungen, die ich kenne, wird mit Nachdruck auf ihre zentrale Kraft hingewiesen. Wie schon der Name sagt (Barm-Herz-igkeit), wird sie dem Herz zugeordnet. Gott und Christus tragen oft den Bei-Namen: der Barmherzige, der All-Erbarmer.

Im Folgenden möchte ich die eminente Bedeutung vom Barmherzigkeit umkreisen, die wunderbare Wirklichkeit, die sie meint, gerade auch für unser heutige Zeit.

1997 machte ich eine drei-monatige Retraite in einem Berghaus in den Alpen. Daraus entstand das Buch «Im Atem der Barmherzigkeit», das innere Thema meines kontemplativen Rückzuges.

Nachdem ich mich mit der Wirklichkeit der Barmherzigkeit angefreundet hatte, schrieb ich in mein Tagebuch:

«Es ist ein Herzensfluss, der aus dem Ursprung kommt. Seine Wesensnatur ist Fliessen, Strömen, filigranartig.
Es ist ein Fliessen, das aus dem Ausatmen kommt: Ein zart-fliessendes, hauch-artiges Ausatmen einer behütenden, einhüllenden, mütterlichen Qualität. Es ist weich-webendes Licht in zarten Farben. Zärtlichkeit. Es schafft Räume der Geborgenheit, Heilung und Erholung. Erbarmen, das aller Heilung zugrunde liegt. Es verströmt, fliesst in alle Richtungen gleichzeitig, empfängt sich aber von oben, von wo es ins Herz fliesst und dort rundum ausfliesst.

Dieses Strömen durchwirkt den Kosmos jederzeit: mitfühlendes, heilendes Erbarmen für die Schöpfung. Wer davon berührt wird, es zulässt, ist nicht mehr einsam, fühlt sich getröstet.
Rachme (aramäisch für Barmherzigkeit) tröstet, fängt auf, bringt die Zellen des Lebens in weiches, warmes, entspanntes Pulsieren. Es ist weiches Licht, welches die Barmherzigkeit charakterisiert. Die Farben sind oft in Pastell: weiss-rosa, gold-durchwoben, manchmal ein helles Blau-Grün.

Rachme bildet die Grundlage, die «fliessenden Räume», welche die gegenwärtigen Prozesse ermöglichen, die jetzt nötig sind.
Sie ermöglichen, die jetzt stimmigen Prozesse, die der inneren Notwendigkeit des Momentes entsprechen.
Barmherzigkeit ist die Hebamme der Zeit-räumlichen Welt und verbindet diese mit der Welt in Gott, mit Seinem Heiligen Geiste.

Barmherzigkeit ist überall und immer. In ihr spricht die göttliche Stimme: ICH BIN DA.
Wer Barmherzigkeit und Erbarmen empfindet, atmet auf: Gott ist da – es ist gut.
Rachme ist die weiche Kraft des Südens, die Vertrauen bildet – Wachstumskraft.

Rachme ist die sich offenbarende Liebeskraft Gottes, Sein ICH-BIN-IMMER-DA. Sie erschüttert, schmilzt, weicht auf.
Durch alle Mauern der Welt: Sein heilendes, tröstendes Licht, welches selbst das Allerdunkelste nicht meidet, den Opfern und Tätern sich anbietet als sich selbst verschenkende Liebe, die rückhaltlos, bedingungslos alles – sich selbst – gibt und nichts zurückbehält, da sie alles ist und sich ständig erfüllt in unbegreiflicher Liebe.

Christus ist Gottes Erbarmen, die ins Dunkle herabsteigende Kraft; das Licht in der Finsternis, das nie vergeht.

Ich habe erfahren, dass das Herzensgebet (siehe Blog vom 5. Jan. 19: Atem, Teil 2 *) , in dem die Formel «Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner (unser)» solange gesprochen oder gedacht wird, bis es sich selbsttätig in unser Herz eingewobene hat und somit gleichsam sich immerzu selbst betet … die Kraft hat, uns über unsere Ego-Grenzen hinauszuführen in die kosmische Präsenz, die sich jenseits der Angst öffnet als segensreiche und heilende Gegenwart.

Das Universum ist durchwirkt und durchströmt von Barmherzigkeit, die sich auch in uns mikrokosmischen Menschenwesen widerspiegelt. Allerdings will die Barmherzigkeit in uns geweckt werden und das Herzensgebet ist eine wunderbar mystische Methode dafür. Dieses hat die Kraft, uns zu transformieren. Es ist die Kraft der göttlichen Mutter, die wir anrufen, wenn wir Barmherzigkeit, rachme oder ir-rahman sagen.

Sowohl rachme (aramäisch), wie auch Rachman (oder Rahman), arabisch, geht auf die Wort-Wurzel zurück, die Mutterschoss oder Gebärmutter bezeichnet. Ich glaube, dass das hebräische Wort für Barmherzigkeit auch auf den Mutterschoss Bezug nimmt.

Eine sehr geschätzte Leserin meines Blogs erwähnte folgenden Satz meines letzten Blog-Beitrag «Der erwachte Mensch ist ein gebärendes Wesen» und schrieb dazu:

«Das ist genau, was mit Barmherzigkeit gemeint ist!
Im Althochdeutsch bedeutet Barm: der Geborene. Barmen ist auch austragen, gebären, eng verbunden mit Mutterschoss.
Barmherzigkeit haben wir mit «mitfühlen» zu einem Gefühl heruntertransformiert – ein Jammer! Gottes Barmherzigkeit ist: Der Mutterschoss der Einheit trägt uns aus im Werden des Seins.»

Natürlich beinhaltet Barmherzigkeit auch den wichtigen Aspekt des Mitgefühls, geht aber weit darüber hinaus.

Es ist erstaunlich, aber doch nicht verwunderlich, dass offenbar in vielen Sprachen das Wort für Barmherzigkeit oder Erbarmen eine Verbindung zu Geburt, Schwangerschaft und Mutter hat, woran wir erkennen können, dass tiefes Wissen in die Sprache eingegangen ist.

Barmherzigkeit ist eine göttliche Kraft und eine sehr hohe Qualität, die das menschliche Fassungsvermögen übersteigt und nicht alleine durch Erziehung erlangt werden kann. Sie ist eine Gabe des Heiligen Geistes, ein Geschenk der göttlichen Mutter, die uns mit dieser Gabe auch den Weg in die Herzens-Geburt weist.
Die Wirklichkeit der Barmherzigkeit ist die Voraussetzung für jegliche heilende Tat. Sie schafft uns den Raum für unserer Ganzwerdung – individuell und kollektiv für unseren Menschheits-Leib.

Ausserdem bringt uns das Ereignis der Barmherzigkeit selbst in die zweite Geburt, die Geburt unseres wahren, lichten, göttlichen Wesens, das in uns hervorgerufen werden möchte – eben mit der Hilfe der Barmherzigkeit. Sie zu empfangen ist wohl die schönste Aufgabe, die uns Menschen gegeben ist. Aber diesen Weg müssen wir nicht alleine machen, da viele Wesenheit uns ihre Hilfe anbieten, wie die Bodhisvattas des Mitgefühls. Ich denke dabei an Avalokiteshvara oder Kanzeon, erleuchtete Wesen, die einzig deswegen auf Erden sind, um Hilfe, Trost und Mitgefühl den Menschen darzureichen, die bereit sind, diese Gaben zu empfangen. In den anderen Religionen haben sie andere Namen, in der christlichen Spiritualität ist es Jesus Christus, der als Inbegriff der Barmherzigkeit gilt. Er wird um Hilfe gebeten mit: Christe eleyson (Christus erbarme dich).

Barmherzigkeit kann man sich gar nicht als hoch und wunderbar genug vorstellen.
Der (gewandelte) Atem der Barmherzigkeit führt uns vielleicht an das Ufer des Meeres der Barmherzigkeit und Gnade, wo es uns gewährt werden kann, dass wir Heiligkeit atmen können, die heilige Macht des Lebens und des Menschseins. Es ist auch die liebende und mütterliche Macht, die uns die Geburt zum wahren Menschsein verleiht.

Beten wir in Hingabe aus dem Herzen und erleben wir (ich schrieb im letzten Blog darüber) wie Atem, Liebe und Licht eins werden, so kann es geschehen, dass wir aus dem «kleinen Atem», der unser egozentrisches Leben umkreist, hinaus gehoben werden in den grossen Atem der Barmherzigkeit, der von kosmischer Dimension ist und uns in Verbindung bringt mit dem göttlichen Ursprung aus dem wir kommen. Da werden wir aus der Barmherzigkeit trinken können, unseren wahren Durst stillen.

*Siehe unter «ältere Beiträg» unterhalb dem Schlagwort-Verzeichnis. Jan. 2019 anklicken und nach unten scrollen.

Beitrags-Bild: Rosenblatt in Gold geädert von W.B. 

Die Vision des Menschen

I Der Mensch in seiner Vision

Der Mensch
hat sich in seine Vision zurückgezogen,
wo er auf uns wartet,
damit wir ihn wiederentdecken.

II   Was uns rettet

Was uns rettet
ist die Erfahrung
der Schönheit
in ihrer höchsten Ausprägung.
Sie bildet die Krone aus Licht
unseres höchsten
ICH BIN.
Sie zieht uns empor.
In ihr lebt
die Vision unseres wahren Mensch-seins.
Diese Vision kann und soll
nun geweckt werden –
im reinen Herzen:
Sie offenbart uns, wer und wie wir sind.

III   Schönheit

Schönheit ist ent-zündetes Leben.
Millionen kleinster Funken
bewegen sich über deine Gestalt.,
bringen deine Seele ins Leuchten,
deine Haut ins Vibrieren,
deine Aura ins Strahlen.

Und danach:

Tau,
für deinen Durst,
der sich in Frieden verwandelt,
welcher dich begleitet
in jedem Moment
und deine Augenlider
zu kleinen Flügeln verwandelt.

IV   Wiederentdecken

Der wahre Mensch hat sich
– nach den langen Jahren der Trockenheit –
in seine Vision zurückgezogen,
wo er über uns
auf uns wartet,
damit wir ihn wieder in seiner alles bewegenden Schönheit
wahrnehmen,
uns an seine schwebende und tanzende Existenz erinnern.

V   Der Beweggrund

Die Vision des wahren Menschen
ist der Grund
auf dem sich das neue Zeitalter der Liebe erbaut.

***

Die folgende wunderbare Hymne von Tchaikovsky (Hymn of the Cherubim) kann ein Gefühl für die wahre Vision des Menschen erzeugen:

Beitrags-Bild; Cherubim, Thronengel.

Die neoliberale Ideologie und der Christus-Impuls

1.
Im kapitalistischen System geht es um die Akkumulation von Macht und Finanzen, nicht nur um Gewinn, sondern um die kontinuierliche Maximierung des Gewinns und um die Ausdehnung der Macht und des Einflussbereiches einer Elite. Eine neue Klasse ist entstanden, die der Multi-Milliardäre, des Geld-Adels. «Tatsächlich zielt der Neoliberalismus gar nicht auf «freie Märkte». Er zielt vielmehr auf eine radikale Umverteilung, und zwar von unten nach oben, von der öffentlichen in die private Hand und von Süd nach Nord». *

Wer sagt, dass der Kapitalismus überwunden werden müsse, macht sich bei Vielen unbeliebt und erntet Zweifel an seiner Gesinnung. Jene also -und es sind sehr viele Leute- die sich mit dem Kapitalismus identifizieren, finden also die Akkumulation von Macht und Vermögen bei Wenigen, den Superreichen, in Ordnung oder sogar erstrebenswert, selbst wenn sie in den Augen der Reichen zu den Verlierern gehören, den Kleinst-Konsumenten.

Wer sich als Verbraucher und Konsument sieht in einem Ausbeutungs- System, welches auch kriminelle Machenschaften nicht scheut und sich der ständigen Rendite und der Plünderung der dritten Welt und der Natur schuldig macht, wertet sich in einem unvorstellbaren Masse ab und diese Selbst-Entwertung und Selbst-Entwürdigung findet in den Dunkelkammern der Verdrängung statt. Er präsentiert sich als Mitmacher.

Verletzen wir nicht unsere Seele, wenn wir einem System zustimmen, welches Ungerechtigkeit in hohem Masse erzeugt und uns zu Verbrauchern macht?

Wer sich als einen neoliberalen Kapitalisten sieht und keinen Einspruch erhebt, wenn er als ein solcher bezeichnet wird, unterstützt die Vorherrschaft des Geldes und des materiellen Strebens auf dieser Welt und gleichzeitig wertet er sich ab, mindert sich ab zu einem der Tänzer, die ums goldene Kalb kreisen. Millionen oder gar Milliarden von Menschen entwürdigen sich auf diese Weise, indem sie ihr Menschenbild weitestgehend auf der Ebene der materiellen Gier belassen.

Ich sehe dies als kollektive Selbst-Entwertung. Die neoliberale Ideologie bestätigt, dass es okay sei, sich mit der Identität des braven Konsumenten zu begnügen, welcher die Umverteilung des weltweiten Vermögens von unten nach oben widerspruchslos hinnimmt.

Die neoliberale Weltordnung ist hinter seinen glitzernden Fassaden, ein sich selbst-entwertendes System, denn es greift die menschliche Würde an und die Integrität des Lebens schlechthin.

Im post-christlichen Zeitalter hat sich der abendländische Mensch von seinen christlich spirituellen Wurzeln weitgehend abgeschnitten und lässt sich vom Markt und seinen Ideologien treiben. Unverbunden, also bodenlos, ist er leicht manipulierbar. Er hat seine wahre, wunderbare Identität ausgetauscht gegen eine kleine, armselige, selbst-entwürdigende Identität, die seine wahre Menschlichkeit und innere Grösse unterdrückt.

Die Selbst-Entwürdigung ist eine Verletzung der Seele!

Diese Tatsache ist wohl auch die Ursache der Depressionen und Süchte, die sich so rasch ausbreiten.
Es ist eine ausgeprägte Diskrepanz festzustellen, zwischen dem äusseren smarten, selbst-inszeniertem Auftreten der Leute und ihrer inneren Einsamkeit, Verzweiflung und Depression.

2.
Nun zur christlichen Verheissung eines Lebens in Liebe, die zentrale Wurzel unserer einst christlichen Kultur, die zunehmend dem Vergessen anheimfällt:

Ich unternehme den Versuch, in Kürze die Essenz der Christus-Botschaft des Jesu so zusammen zu fassen, wie sie sich mir erschliesst, wenn ich mich nach innen wende und auf mein Christus-Selbst höre. Natürlich ist dieses Resumé subjektiv gefärbt, es trägt aber auch, wie ich vermute, allgemein-menschliche und über-persönliche Züge in sich.
Ich höre:

«Ich bin gekommen, um euch die neue, frohe Botschaft, die aus der Ewigkeit kommt, die auch in euch ist, zu verkündigen. Mein Reich der göttlichen Einheit ist nicht von dieser materiellen, flachen Welt der Trennung. Es kommt euch entgegen und wird euch erfüllen, wenn ihr bereit seid, es zu empfangen.

Ihr lebt, um zu lieben, zu verzeihen und zu heilen. Ihr lebt im Strömen der Barmherzigkeit und des Mitgefühls.
Ihr lebt, um zu teilen, sowohl euren äusseren, wie auch euren inneren Reichtum.

Ihr lebt, um zu erkennen, dass ICH bei euch und in euch bin alle Tage.

ICH BIN meint das lebendige Sein, das euch erfüllt. ICH BIN ist die Liebes-Quelle, aus der ihr seid.

Seid glücklich, feiert.

Alles vergeht. Das Vergehen enthüllt die Essenz, bringt euch in die Stille meiner unendlichen Anwesenheit, in die Gegenwart, die das ewige Leben ist.

Lebt euer Leben in Anmut, Armut und Bescheidenheit. Werdet Mitfühlende. Lebt wahrhaftig.

Alles ist da, nichts fehlt, wenn ihr euch in euren Seelengrund herablässt – im Vertrauen und in Hingabe.

Liebet euren Nächsten hingebungsvoll, wie auch euch selbst. Ihr seid das Licht und das Salz der Welt.

Wenn ihr erkennt und erlebt, dass ihr bedingungslos geliebt seid, werdet ihr eure Rüstungen (Widerstände) ablegen, nackt, verletzbar und der Machtlosigkeit ausgesetzt sein, aber mit leuchtendem Inneren friedvoll euren Lebensweg gehen und ihr werdet Spuren der Heilung und des Heilens hinterlassen.

Ihr werdet euch eurer Todlosigkeit bewusst und anfangen das Lied eurer Heilung, Wesenhaftigkeit und Auferstehung zu singen. Ihr werdet zu Wasser des Lebens.

Gebt euren äusseren Reichtum, euer Prestige und eure Ansprüche hin mit einem erlösenden Lächeln, das euch befreit und hellstes Licht in eure Seele und in die Welt zeichnet.»

3.
Neoliberalismus und echte Demokratie sind nicht kompatibel.
Unvereinbar sind der Christus-Impuls und die neoliberale Ideologie.

Ich glaube, der schmerzhafte Widerspruch zwischen der inneren Wahrheit, die wir erfahren, wenn wir stille sind und der äusseren Doktrin, die materiellen Erfolg empfiehlt, müsste ausgedrückt, müsste gesagt werden. Insbesondere von den Kirchen und religiösen Gemeinschaften. Aber auch von allen Menschen und Institution, die von einer körperlich-seelischen-geistigen Ganzheit des Menschen ausgehen. Die Zeit des Lavierens ist vorbei.

 

*Aus: Rainer Mausfeld: Warum schweigen die Lämmer. Westende-Verlag.

 

Sanftes Fliessen

Wenn ich mir die Tatsachen, wie die folgenden vor Augen halte, zieht sich in mir alles zusammen; ich fühle mich aufgewühlt und angespannt:

0.9 Prozent der Bevölkerung besitzen 43,9 Prozent des weltweiten Vermögens; 56,6 Prozent der Bevölkerung besitzen 1,8 % des weltweiten Vermögens.
Rüstung: 1,8 Billionen betrugen die Rüstungskosten im vergangenen Jahr, davon 649 Milliarden von den USA alleine.

Und dieser Problemkreis ist ja nur einer der Schrecklichsten. Die anderen sind: die Ausbeutung von Natur und Erde mit allen Folgen, wie dem Klimawandel und die extrem einseitige materielle Ausrichtung des menschlichen Bewusstseins mit allen zerstörerischen Folgen (Konsum, Verkehr, Gesundheit).

Wenn ich von solchen Missständen höre und die ersten Ohnmachtsgefühle abklingen, so möchte ich mehr helfen, aufrütteln, schreien und fange an, mich anzuspannen.

Ich habe gelernt: «Wenn du etwas erreichen willst, so musst Du dich anstrengen, zusammennehmen!»
Wenn ich unaufmerksam bin, falle ich in dieses alte Denk -und Verhaltensmuster zurück und dann bemerke ich, wie sich Spannungen in mir aufbauen, wie die Energie in meinen Kopf steigt und meine Atmung kurz und flach wird. Ich habe auch gelernt, dass ich nur mit dem Kopf die wesentlichen Dinge erreiche. Also: Panik/Angst – Anstrengung/ Anspannung – Kopfarbeit.
In dieser Reihenfolge baut sich das alte Muster auf.

Ich möchte etwas tun, helfen, unterstützen und dabei spanne ich mich an und verhindere damit (mindestens teilweise), dass ich mich mit dem Kraftstrom der universellen Liebe und Heilkraft verbinden kann. Damit diese Kräfte mich frei durchfliessen können und somit wirksam werden können, ist es nötig, dass ich entspannt und frei atme und in Verbindung bin mit dem Wesenskern in mir, also mit der Licht-Liebes-Flamme, die mir das Leben gibt, mit anderen Worten im Kontakt mit meinem Seelenzentrum bleibe.

Ich bin dabei zu lernen, mich bei Angst zu öffnen und nicht mehr, wie früher, mich zusammenzuziehen.
Ich bin dabei zu lernen Anstrengung durch Vertrauen zu ersetzen, das Schwert in die Scheide zu stecken.

Das bedeutet eine Wendung um 180 Grad. Jesus sprach von Umkehr.

Ich glaube, dass wir Menschen aufgrund unser Angst-Spannung mehrheitlich abgeschnitten vom Lebensstrom sind, abgeschnitten von allem, was wir als mikrokosmische Wesen auch sind, nämlich Erde, Sonne und Universum, Geist und Seele, und somit nicht in der Lage sind umzukehren, den Bewusstseinswandel zu vollziehen, der so dringend nötig ist.

Durchlässig sein, in zartem, sanftem Fliessen sein: Dies ist die Weise, wie sich Mensch und Erde erholen werden können. Auch unsere notwendigen Taten, unser Einsatz für eine harmonischere und gesündere Welt werden von jenem Geist sanft durchflossen sein, welchen es braucht, um uns in der Tiefe zu transformieren. Und wenn sich in dieses Fliessen auch Zorn einmischt, so schadet dies nicht, sofern dieser mit Engagement und Mitgefühle und legiert ist.
In der Haltung des sanften und hingebenden Dienens bewirkt der Mensch weit mehr, als in der angespannten Haltung des Machers. Dies erfordert eine bio-psychische Umkehr, ein Umlernen, welches Körper und Seele umfasst, insbesondere eine freiere Art der Atmung, vor allem ein gebendes, fliessendes und liebevolles Ausatmen.

 

Eine Kultur der Zärtlichkeit Teil 2

Im ersten Teil dieses zweiteiligen Blog-Beitrages äusserte ich mich primär zu den psychologischen und erdnahen Aspekten der Zärtlichkeit. Im zweiten Teil betone ich die spirituelle Seite dieser Wachstumskraft und stelle einen Bezug zu Weihnachten her.

Im Kommentar zum letzten gleichnamigen Artikel machte mich Christoph Albrecht, SJ, auf eine Text-Passage von Kurt Marti* aufmerksam, die mich aufhorchen liess und zu einem fast hörbaren «Ja, so ist es» stiess.

Hier das Zitat:

„Die vollkommene Aufmerksamkeit
Worauf weisen die Begriffe Allgegenwart und Allwissenheit Gottes hin? Vielleicht auf jene universelle, vollkommene Aufmerksamkeit, wie sie altrussische Ikonen als „das nichtschlafende Auge Gottes“ dargestellt haben. Diese universelle, zugleich engagierte Aufmerksamkeit ist weder als Auge des Weltgesetzes noch als das eines „Kosmopolizisten“ (Jan Milič Lochmann), vielmehr als vollendete Zärtlichkeit zu denken: Zärtlichkeit als intensivste Form der Aufmerksamkeit.“

Das leuchtet mir ein; es entspricht meiner inneren Erfahrung: Die Zärtlichkeit als intensivste Form der Aufmerksamkeit.
Ich erfahre Zärtlichkeit auch als eine Schicht der all-gegenwärtigen, universellen Barmherzigkeit.
In der Sphäre der Zärtlichkeit wirkt Trost und Heilung.

Wenn wir uns – zum Beispiel in einer Meditation/Kontemplation – betrachten lassen, so nehmen wir wahr, dass das göttliche Lichtauge, das ev. an eine Sonne erinnert, uns schaut und erschaut, vollkommen zärtlich, liebevoll und tröstlich. So wird es auch in vielen Berichten von Nahtod-Erfahrungen gesagt (die sich manchmal tiefen mediativen-kontemplativen Erfahrungen sehr ähnlich sind), dass eine Lichtwesenheit mit der betreffenden Person in einen Herzens-Dialog eintritt, indem sich die Betroffene oder der Betroffene völlig aufgehoben und geliebt fühlt. Es ist zärtliches Licht, das auch an das Lächeln von Buddha erinnert.
Die Begegnung mit Licht-Wesen verdichtet sich manchmal zu der Frage hin: Bin ich es selbst, der mir begegnet, also mein inneres Licht-Wesen, das in mir angelegt ist?

Dieses zärtliche Licht, so will ich es nun nennen, ist vollendete Aufmerksamkeit, vollendete Präsenz und Zugewandtheit. Es ist erfahrbar, dass es ein Zuhörendes und Anteilnehmendes in allem gibt, was ist.

Sie ist, wie im ersten Artikel schon gesagt, der Boden auf dem wir stehen und die Atmosphäre in der wir wachsen und gedeihen und uns beheimatet fühlen.

Es ist bemerkenswert, dass in kirchlichen und theologischen Kreisen eher selten von Zärtlichkeit gesprochen wird und ich frage mich, warum das so ist. Ist es vielleicht die patriarchalische Prägung dieser Kreise?

Weit öfter findet im Bereich der Mystik die Erfahrung von Zärtlichkeit Ausdruck, so etwa bei Johannes vom Kreuz. Ich zitiere hier zwei Strophen seines wunderbaren Gedichtes aus die Lebendige Liebesflamme **:

„O Flamme, von Liebe lebendig,
die du zärtlich verwundest
meine Seele in tiefster Mitte!
Da du nicht mehr quälend bist,
komm schon ans End‘, wenn’s dir gefällt;
zerreiss den Schleier zur süssen Begegnung!

Wie sanft und liebkosend
erwachst du in meinem Schoss,
wo du allein insgeheim wohnest!
Und in deinem köstlichen Hauch
von Gutem und Herrlichkeit voll,
wie zartkosend machst du mich verliebt!“

Dies ist eine Beschreibung der mystischen Weihnachten.

Zärtlichkeit ist sowohl ein Bewusstseins-Zustand, wie auch ein Gefühl und ein wundervoller Ausfluss bedingungsloser LIEBE.
Die Erfahrung von reiner Zärtlichkeit ist Grund-legend. Sie hat nichts zu tun mit falscher, sentimentaler Süsse, kitschiger Peinlichkeit oder einer hübschen Fassade.

Sie ist Ausdruck einer umfassenden Intimität, die durch Empathie und Nähe entsteht, in einem non-dualen Dialog, der die Einheit allen Lebens atmet.

*

Zärtlichkeit ist erstens eine fundamentale Kraft, die uns Menschen erdet, sowohl in unserm Körper, wie auch auf Mutter Erde. Sie ist die Kraft, die uns hier wachsen lässt, mütterliches Fluidum;

und zweitens: sie ist ebenso die Kraft, die uns mit der geistigen Welt verbindet, die uns zu Anteilnehmenden und Zugehörigen werden lässt,

und drittens ist Zärtlichkeit die Kraft, die eine Brücke bildet zwischen der Erden-Welt und der Geist-Welt, aus der wir kommen und wohin wir gehen.
Sie verbindet Himmel und Erde, die physische Welt mit der geistigen Welt.

Die Kraft der Zärtlichkeit wirkt all-gegenwärtig im Universum, wie auch auf Erden. Hier aber ist sie bedeckt von einer verwundeten und zum Teil abgestorbenen Oberfläche. Die darunter liegende Zärtlichkeit und die damit verbundene Heilkraft können wir bewusst einatmend befreien und sie ausatmend einer werdenden Kultur zärtlichen Erdenlebens zukommen lassen.
Dies ist wohl die wahre Weise, Weihnachten zu feiern.

 

*Kurt Marti, Zärtlichkeit und Schmerz, Darmstadt 81. Vergriffen.
**Johannes vom Kreuz:  Die lebendige Liebesflamme, Herder TB 5049

 

 

Die Kluft

Wenn ich nach aussen schaue, in die Welt, wie sie sich mir präsentiert, fallen mir kalte Schauer über den Rücken. Da sehe ich den Menschen, wie er sich selber reduziert auf einen Körper mit Hirn, welches denkt und sich optimieren möchte – und schon dieses Wort optimieren fügt mehr Kälte hinzu.
Menschen hinter ihren Geräten – es sind mehrheitlich Männer – zwischen Resignation und Sucht. Glitschige Oberfläche soweit das Auge reicht. Die Öffentlichkeit: Schaufenster des Kapitalismus. Ebenso die Massenmedien.

Mich friert. Jetzt vor Weihnachten noch mehr.
Ich lese, dass wir uns in einer Phase massiver militärischer Aufrüstung befinden. Seit langem und niemand scheint darüber aufgebracht zu sein – ausser Gorbatschow, der einst die Aufrüstung durchbrach und Abrüstungsverträge einleitete.

Greta Thunberg wird verunglimpft als Marionette. Was Fake ist und was nicht, ist unklar. Die Digitalisierung ist selbsttätig geworden. Wer hält die Zügel? Die Algorithmen.
Wer sind die Verschwörer und wer schreibt die Verschwörungstheorien?

Und der Mensch? Wo ist er geblieben. Verschleppt in eine Steinwüste? Der Mensch, von dem nur noch der Körper und ein unzulängliches Hirn geblieben ist, der nano-technisch und medikamentös in einem scheinbaren Gleichgewicht gehalten wird.
Der Mensch, reduziert auf Körper und rationales Denken, resigniert, auf mehr Technik wartend.

Trauer.

Ich erfahre und erlebe den MENSCHEN, strahlend im Licht, unfassbar geliebt, beschenkt von strömendem Licht, von LIEBE, in welcher er zu sich findet, aufsteht und sich erkennt in seinem endlosen Reichtum. In unfassbarer Fülle. Der Mensch, der sich in der Erde erkennt und in den himmlischen Lichtwelten, die ihn in zärtliche Lichtwellen einhüllen und beschützen und seinen Lichtkörper hervortreten lassen. Der Mensch in seinem Mitgefühl, welches ihm gegeben worden ist als Anteilhabender und als solcher verbunden mit allem was bedürftig ist und nach Leben strebt. Der Mensch in Beziehung mit allem, was lebt.

Die Kluft, von tiefer, schwerer Trauer erfüllt.

Wenn der Mensch auch die Erde ist, auf der er lebt, dann muss er sich eingestehen, dass er die Erde, auf der er lebt, verbraucht, also isst – eine Form von Kannibalismus.
Er verbraucht sich. Er ist zum Verbraucher geworden. Also beziehungslos.
Ein Selbst-Ausbeuter. Er hat seinen Körper weggegeben, überstellt an pharmazeutische und digitale Einrichtungen. Er läuft mit der Uhr, dem Pulsmesser, dem Mini-EKG-Gerät, dem Chip.
Er ist seinem Körper entfremdet. Er ist entkörpert. Bleibt da noch Eros? Weshalb dieser Hass auf den Körper, versteckt hinter Körperkult?
PS: Ist das alles übertrieben? Ja, zweifellos, doch in der Tendenz vermutlich ziemlich zutreffend.

Die Kluft aus Angst, Trauer und Einsamkeit, das Weinen von Kindern.
Die Kluft, zwischen dem Menschen, wie er gemeint ist und   dem Menschen, wie ihn Mächte (die auch in uns wirksam sind) reduzieren wollen zu einem steuerbaren Verbraucher, tut weh. Doch diese Kluft auszuhalten ist notwendig.

«Ich gebe euch alles, was ihr braucht. Es reicht, wenn ihr die Türe öffnet. Es wird euch alles zufliessen, was ihr braucht, sofern ihr es zulässt. Es ist euch alles gegeben, hingegeben, da ihr geliebt seid. Grenzenlos. So werdet dann, was ihr seid.»
In Stille empfängt der Hörende diese Botschaft, – und andere schmettern diese Botschaft an die Wand.

Die Kluft. An der dunkelsten Stelle der Schlucht in erdrückender Einsamkeit hat jemand ein Feuer entfacht.
Ein wärmendes Feuer entfacht.

Das Beitragsbild, ein Aquarell von Werner Binder zeigt, wie das Feuer allmählich den Abgrund, die Kluft, in einen Kelch verwandelt.

Gewaltfreies Leben

Dieselben Menschen, die an menschliches Leben auf dem Mars glauben, bezweifeln, dass es möglich ist, gute Medikamente ohne Tierversuche zu entwickeln. Oder ist ihr Zweifel nur vorgegeben, um an alten Zuständen festzuhalten?

Menschen lassen durch Tricks gute Produkte veralten, um neue Produkte-Palletten zu lancieren, welche grössere Gewinne versprechen.

Menschen schneiden Organe aus den Organismen anderer Menschen, um künstliche Organe oder nano-technische Vorrichtungen einpflanzen zu können – für gutes Geld.

Menschen verbrennen Wälder im Glauben dadurch neue Anbauflächen zu erhalten, um gefragte landwirtschaftliche Produkte (z.B. Palmöl) anzupflanzen und für gutes Geld zu vermarkten. Sie glauben, dass es unbedingt dieses Produkt in grossen Mengen brauche und dass dafür Wälder weichen müssen.

Brauchen wir wirklich Pestizide, von Multis entwickelt, die durch ihre Gewinne weitere Gifte erfinden?
Ist es wirklich sinnvoll, Häuser abzureissen, nur wenige Jahre nach dem sie fertiggestellt wurden, mit dem Ziel an gleicher Stelle grössere Häuser zu bauen, die mehr Rendite versprechen?
Ist es wirklich nötig, Bäume zu fällen, längt bevor sie ausgewachsen sind und Tiere zu schlachten längst bevor sie ihre Jugend erreicht haben?

Ist es so, dass immer zuerst etwas getötet werden muss, um Fortschritt zu erzielen? Ist Wachstum ohne Vernichtung nicht möglich? Ist jede Kultur von Sünden-Böcken abhängig und von ausgegrenzten Minderheiten? Weshalb kann das Vorübergehende, Alte, nicht integriert werden und ins Werdende eingebracht werden?

Kann neue Kultur nur entstehen, wenn die alte ins Ghetto verbannt wird (z.B. die Indianer)?

Kann eine neue Ära beginnen, die auf einem Rufmord oder auf Ächtung beruht?

Die Energie des Tötens: wohin geht sie? – woran bindet sich die Gewalt?
Geht sie womöglich in das sogenannte Neue ein?
Karma, der ewige Kreislauf. Karma, die Gewalt-Spirale. – Wenn das stimmt, dann geht die Gewalt an Millionen von Tieren, die bei Tierversuchen elendiglich sterben in Medikamente über, die Genesung versprechen!? Und in uns, die wir sie millionenfach schlucken.
Heilung durch Tötung – durch Gewalt?

Wenn etwas nicht durch Gewalt, Anstrengung und Verzicht erworben worden ist, so kann es nicht wertvoll sein – so glauben Viele. Alles, so sind wir erzogen worden, muss durch die Gewalt gehen. Nichts ist geschenkt. Es gibt keine wirkliche Liebe. Alles was hält, ist in Härte errungen. Dies sagt MANN uns.

Deshalb glauben dieselben Menschen, die überzeugt sind, dass sich keine guten Medikamente ohne Tierversuch entwickeln lassen, an eine Zivilisation auf dem Mars (dem Kriegs-Gott).

Ich will hier nicht sagen, dass es nie aggressive Eingriffe brauche. Was ich ausdrücken möchte, ist, dass wir in einer Kultur leben, in der Zerstörung und Tötung von Leben zu einer dunklen, nur halb-bewussten Gewohnheit, ja zu einem Gesetzt, vergleichbar mit einem finsterer Opfer-Mythos geworden ist, die fest in unserer Gesellschaft und in unseren Seelen eingeschrieben zu sein scheint.
Haltungen und Handlungsweisen, die auf Gewalt basieren wirken verunreinigend. Sie behindern den Einfluss von Liebeskraft und von geistiger Durchstrahlung. Aber wir brauchen für unserer Entwicklung als Menschen und Menschheit einfliessende Liebeskraft und geistige Durchstrahlung.

Oft träume ich von einer Kultur, wo Entwicklung gewaltlos geschieht, ohne Tötung von Lebewesen und ohne Ausbeutung, – wo Christus leben darf.
Ja, oft.

Dennoch: Tot und Opfer gehen aller substantieller Erneuerung voraus. Jenseits des finsteren Opfer-Mythos steht die tiefliegende Erkenntnis, dass das Trennende, das sich aus dem Ganzen abisolierende Prinzip, das sich im Ego manifestiert, überwunden werden will. Die Illusion der Trennung, der Eigenwille, die Eigenmacht, die sich dem Gewahrsein der umfassenden Zusammengehörigkeit entgegenstellt, soll sterben und nicht das Andere, das, was wir als fremd ausgrenzen wollen.

Im Lamm Gottes kommt die überfliessende sanfte Hingabe, die umfassende, alles berührende Zärtlichkeit in die Welt, welche die Gewaltspirale dahinschmelzen lässt.

Diese letztere Behauptung weckt im Allgemeinen eine grenzenlose Wut aus, Zweifel, Resignation oder Unglauben. In ihr fliessen ganze Ströme von erlittenen Enttäuschungen und nicht geheilter Traumata.

Wir haben die Chance, sie in die umfassende Zärtlichkeit zu legen.

 

Durchlitten, erlöst – Das Mysterium von Golgatha

Gedanken zu Karfreitag und Ostern
Ich zitiere in diesem Text ein paar Mal Rudolf Steiner, da er meiner Ansicht nach in einer umfassenden Weise die Bedeutung von Karfreitag und Ostern (das Mysterium von Golgatha) erfasst hat.
Das Wirken von Christus ist als gegenwärtig aufzufassen. Hinter dem Versuch, das Christus-Geschehen als etwas Vergangenes zu betrachten, verbirgt sich die bewusste oder unbewusste Absicht, die Christus-Kraft abzuschwächen und/oder zu verdrängen.

«Christus kann man sich nicht hoch genug vorstellen», sagte mir ein Pfarrer. Und ich glaube, er hatte recht.

«Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung. Denn in ihm wurde alles geschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, ob Throne oder Herrschaften, ob Mächte oder Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Und er ist vor allem, und alles hat in ihm seinen Bestand.»   Kol. 1, 15-17.

Dieser Absatz unterstreicht die Aussage jenes Priesters.

Vor ca. 2000 Jahren wurde der Christus als Jesus inkarniert – nach langen Zeiten der Vorbereitung in himmlischen Sphären wie auch auf Erden – durch die Propheten.

In Jesus kam konzentriertes, völlig reines, geistiges Licht auf die Erde, welches sie umwälzte.

Mit jedem Atemzug kommen wir mit der Christus-Wirklichkeit in Berührung, denn Christus, der Christus-Geist, sein Licht, ging bei seinem Tod auf Golgatha in die Erde und in den Menschheitsleib ein. Die Sonne verschmolz mit der Erde, der Logos drang in sie ein, die verzeihende Christus-Liebe durchtränkte und durchstrahlte die Aura der Erde und ihren Ätherleib.
Mit anderen Worten: Erde-Mensch wurden vergöttlicht.

Ist das zu viel? – sind diese Aussagen noch auszuhalten? Als Tatsachen hinzunehmen?

„Das Mysterium von Golgatha, das sich mit dem Kreuzestod, der Grablegung, der Höllenfahrt und der Auferstehung des Christus vollzog, ist das zentrale Ereignis der ganzen Erd- und Menschheitsentwicklung. Mit ihm fand die eigentliche Geburt des menschlichen Ichs statt.“
So Rudolf Steiner.

Seither können wir Christus als den Begleiter und Impulsgeber der menschlichen Evolution – der Menschwerdung- erkennen, sowohl in individueller wie auch in kollektiver Hinsicht.

CHRISTUS IST DER MENSCH schlechthin. Der Erstgeborene, die unmittelbare Erscheinung aus Gott. DER UNMITTELBAR GESCHAFFENE, direkt aus Gott Geborene.

„Aber damit eine übersinnliche Wesenheit wie der Christus durch den Tod gehen konnte, musste er erst auf die Erde herabsteigen. Und das ist es, was von so unermesslicher Wichtigkeit in dem Mysterium von Golgatha ist, dass eine Wesenheit, die in ihrem eigenen Reiche in der Sphäre ihres Willens niemals den Tod hätte erfahren können, hat hinuntersteigen müssen auf die Erde, um eine Erfahrung durchzumachen, die dem Menschen eigen ist, nämlich um den Tod zu erfahren. Es vereinigte sich ein Wesen, einzig in seiner Art, welches bis dahin nur kosmisch war, durch das Mysterium von Golgatha, durch den Tod des Christus, mit der Erdenevolution. Seitdem lebt es auf eine solche Weise auf Erden, ist so an die Erde gebunden, dass es in den Seelen der Menschen auf Erden lebt und mit ihnen das Leben auf Erden erfährt. Daher war die ganze Zeit vor dem Mysterium von Golgatha nur eine Zeit der Vorbereitung in der Evolution der Erde. Das Mysterium von Golgatha gab der Erde ihren Sinn. Als das Mysterium von Golgatha stattfand, wurde der irdische Körper des Jesus von Nazareth den Elementen der Erde übergeben, und von der Zeit an war der Christus verbunden mit der geistigen Sphäre der Erde und lebt darin.“ (Rudolf Steiner)

Christus ist in uns und wartet darauf erweckt, geboren zu werden. Er ist unsere innere Realität. Er ist unser Bewusstsein, unser wahres Sein, das, was wir in Wirklichkeit sind. Steiner sagte: es ist das ICH (heute würde man sagen: das höhere Selbst). Dieses manifestierte sich auf der Erde, als Jesus auf Golgatha starb und gleichzeitig den Tod überwand.

Seit Golgatha hat sich das Christusbewusstsein also mit dem Erdenleib und dem Menschenleib verschmolzen. Der Ätherleib und der physische Erdenleib sind seither von der Christus-Wirklichkeit durchströmt, vom Licht der Liebe erweckt und belebt. Die Lichtsamen sind in allem, die Lichtfunken sind gesetzt. Das eine Licht ist in der Vielfalt der Lichter gegenwärtig. Diese Lichtsamen wollen vom bewussten Menschen geweckt werden. Wir Menschen sind als Bewusstseinsträger gedacht. Es liegt an uns, ob wir bereit sind, diese Bewusstsein-Lichter, Ausdruck der göttlichen Wahrheit und Liebe, zu erkennen und in uns anzuzünden, damit die Welt, in der wir leben, ins Leuchten findet.

Bewusstes Leiden
Dieses darf niemals verwechselt werden mit selbstquälerischem Leiden oder arrogantem Mitleid, wo der Mitleidende sich über den Leidenden stellt.
Jeder Mensch, der etwas tief durchlitten hat, versteht andere Menschen, die dasselbe oder ähnliches durchlitten haben, besser als zuvor. Ähnlich ist es, wenn jemand sich durch tiefes, solidarisches Mitgefühl mit leidenden Menschen verbunden hat: er versteht sie danach, wie auch sich selbst, weit besser als zuvor.
Wer sich derart verstanden fühlt, durch echt Mitleidende, atmet auf, entspannt sich. Das tiefe Gefühl verstanden und gehört worden zu sein, bildet die Grundlage seiner Heilung.
Tiefes, vorbehaltloses Leiden und Mit-Leiden führt zum Verstehen und Verstehen, das auf Einfühlung beruht, führt zur Heilung.
Aus diesem Grund erkannte Jesus, dass es seine Aufgabe war, durch alle Schichten und Bereiche des menschlichen Daseins hindurch zu wandern: mitfühlend, mitleidend, solidarisch und stets verankert im Licht der göttlichen, hingebenden Liebe. Er hatte sich vom Leiden berühren lassen, nahm es in sich auf, wandelte es im Herzen in erlösendes Licht um und säte es segnend als Lichtsamen in die durchwanderten Bereiche des menschlichen Daseins aus. Es war ihm aufgetragen durch das innerste Wahrheitsbewusstsein alle Bereiche, auch die der Finsternis, der abgrundtiefen Grausamkeit, der Krankheit und Gier, der Unbewusstheit, liebend und mitleidend zu durchwandern, um die dort gebundenen Wesenheiten aus der Gefangenschaft zu erlösen und zu befreien.
Man kann sich fragen, warum ein Mensch in der Lage sein sollte, durch sein Mitgefühl, das Fundament für die Erlösung der gesamten Menschheit zu legen. Wohl deshalb, weil Jesus Christus eins war mit Gott, den er Vater nannte, wie er auch eins war mit der ganzen Schöpfung – ganz anders als ein Mensch der sich von allem getrennt und unterschieden fühlt.
Gott hat sich in seiner Schöpfung (dem Universum) veräussert, manifestiert; das Veräusserte ist der Sohn, die Tochter: Christus.

Dieser Weg des Vertrauens und der Erlösung ist auch der Weg der Befreiung und der Heilung, wie er in jeder ganzheitlichen Therapie gelebt sein will.

Im Falle von Jesus Christus, war es der Menschheitskörper und das Menschheitsbewusstsein, welches der Therapie bedurfte und bedarf.

Nun liegt es am Menschen, die Samen zum Keimen zu bringen, das gegebene Licht im Seelenraum und in der Welt zum Leuchten zu bringen.

Die mystische Kirche
Mit jedem Atemzug kommen wir mit der Christus-Wirklichkeit in Berührung, denn diese hat sich erdenweit verkörpert, inkarniert.
Diese Berührung (wo der göttliche Geist unsere Seele berührt) bringt uns in den gegenwärtigen Moment, in die Anwesenheit. Wir werden unserem egozentrischen Ich enthoben und tauchen in unser wahres Wesen ein.
Ostern verweist auch auf Weihnachten: An Weihnachten feiern wird die Geburt des göttlichen Lichts auf Erden; an Ostern die Geburt und Auferstehung des inneren Christus.

Das Ereignis, das Erscheinen von Jesus in der Welt, will sich nun verinnerlichen. Es ist Zeit, dass das Heils-Geschehen in der Welt zum inneren wird. Dadurch werden wir vom Betrachter zum Betroffenen, von der Beobachterin zur Anteilhabenden, zur Erfahrenden, Erlebenden. Jenes Licht am Horizont wird zur lodernden inneren Flamme der Freude und der Begeisterung.
Im sich entwickelnden Christus-Bewusstsein entsteht ein Wachstums- und Reiferaum im Seeleninnern: Hier reifen die Früchte des Lebens.

Das ist der Weg der Mystik. Das ist der Weg. ICH BIN DER WEG.

In diese Richtung wird sich wohl der neue, beginnende Zyklus des christlichen Glaubens hinbewegen.

Beitrags-Bild: Zeichnung von Werner Binder: Das Erstrahlen der Erde