Wärme-Räume

Dies ist ein Gastbeitrag von Joachim Pfeffinger

Aussenschau
Zunächst ist das Phänomen “Raum“ angesprochen. Als Architekt kann ich vieles darüber berichten, denn dessen bauliche Erstellung gehört zu meinem täglichen Brot. Dass Räume in physischem Sinne auch erwärmt und klimatisiert werden können sollen (wo es erforderlich ist), gehört zum Lebensstandart der menschlichen Zivilisation. Die Erstellung von gebauten Räumen, besser noch von Architekturräumen, hat also physisch mit der Schaffung von wärmenden und schützenden Räumen zu tun. Täglich erleben wir, wie wichtig es ist, in Räumen leben zu dürfen, die uns schützend dienen und wärmen, zuweilen auch kühlen, wenn der Wärme zu viel ist.

Indessen kann klar werden, dass physischer Raum kein „Raum“ im eigentliche Sinne ist. Verweisen wir auf „Raum“, ist in Wirklichkeit immer das gemeint was „Raum“ bildet: Seine Umhüllungen, aber nicht der Raum selbst. Was ist denn dann „Raum“ eigentlich? Umhüllungen bestehen aus Materie, die aufgrund statischer-ästhetischer-künstlerischer[1], funktionell-juristischer und ökonomischer Kriterien und Regeln „organisiert“ werden. Es kann deutlich werden, dass „Raum“, obwohl ein alltägliches Phänomen, doch etwas Geheimnisvolles und daher nicht so leicht Verständliches ist: „Raum“ ist materialistisch gesprochen jene Sphäre, die zwischen den künstlerisch gestalteten materiellen Hüllen als „Nichts“, als „Leere“ ausgespart ist. „Raum“ ist, insofern wir ihn nur physisch sehen wollen eigentlich: Nichts! Er entzieht sich sinnlicher Beobachtung. Nur bei den Umhüllungen kann ich sagen: „Schau dort, diese oder jene Proportionen und Materialien, sind schön oder ungeeignet organisiert, sie weisen schöne, eleganten oder plumpe Linienführungen auf, die Fenster und Öffnungen sind am richtigen oder falschen Ort…“, wie auch immer. Will ich Aufschluss über tatsächlichen Raum erhalten, muss ich denkend fühlen wollen, was die Umhüllung mit ihrer Gesamtcharakteristik in mir als Seelenraum seelisch bewirkt. Die seelische Reflektion in mir verweist auf „Raum“, der sich meinem Denken als gefühlter Seelenraum offenbart. Wie auch Licht sinnlich nur an Materie erfahrbar wird, Materie, die verdichtetes Licht ist, wird Seelen-Raum durch die spezifische architektonische Anordnung von Materie an seiner Umhüllung manifest. Raum und Licht selbst sind rein geistig-seelische Tatsachen, die sich der direkten sinnlichen Wahrnehmung entziehen. Architektur (als Raumkunst) beruhe auf „Schweigen und Licht“, bemerkte einst der bedeutende Architekt Louis Isidor Kahn.

Gebauter „Raum als Wärmeraum“ ist vor allem die Vorstellung eines Zustandes in der Zukunft, gewonnen aus einem neuen Denken, das „Raum“ eine Wärmequalität zuweist, die jenseits rein materieller Vorstellungen mit der Ausstrahlung von Geborgenheit und im umfassendsten Sinne als „Raum für soziales Leben“, in dem man sich geschützt und wohl fühlt, und zu kreativem Tun, Bildung und zur Ausübung des Schönen-Wahren-Guten stimuliert wird, zu tun hat. Die Erkenntnis andererseits, dass Räume seelisch warm oder kalt sind, setzt eine entsprechende Empfänglichkeit vom Betrachter und Nutzer voraus, die wiederum ausgebildet sein muss. Je sensibler ein Betrachter ist, desto mehr Nuancen wird er erkennen und spüren.

 

Innenschau
Aus Sicht der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft[2] ist es bekannt, dass ein Wesen nur dann Träger einer eigenen Seele sein kann, wenn es als physische Hülle einen Innenraum ausgebildet hat, der vom kosmischen Aussenraum abgetrennt wird. Dann erst ist es, gemäss Aristoteles, zu „selbstständigem Ortswechsel“ fähig. – Die eingewurzelte Pflanze ist eigentlich ein zweidimensionales lebendiges Wesen. Ihr physischer Organismus kommt, wie es bei allen lebendigen Wesen auf Erden der Fall ist, zwar auch durch Zellteilung zustande. Bei Pflanzen bleibt es aber bei der sich teilenden Zelle hin zu einem zuvor im Keim veranlagten Organismus, der, beeinflusst durch äussere Umstände, die die Keimesveranlagung „umzubiegen“ und abzuändern vermögen, die Organe nach aussen bildet. Die Pflanze entwickelt sich aus der Linie zur Fläche. Die Seele, der „Innenraum“ der Pflanze ist aussen, also der ganze Seelen-Kosmos um sie herum! Die Pflanze als „kosmische Antenne“ bildet lebendige Flächen (nie flach sondern immer mindestens doppelt gekrümmt) aus, die in den Umkreis ausgreifen. Beim Tier und Menschen kommt es zusätzlich zu jener geheimnisvollen Gastrulation, einem Einstülpungsprozess der Blastula, durch den der Hohlraum gebildet wird, in dem die Organe als eigener Kosmos, als Mikrokosmos, gebildet werden. Mit der Tierwelt beginnt in der Erden-Evolution überhaupt „Raum“ als Seelenraum und damit Gefühle in einem Erdenwesen zu existieren. Der Mensch als aufrecht Gehender vereinigt die Merkmale aller Erdenwesen in sich und fügt als Träger eines Ich und (s)eines Schicksals, dessen Lauf er selbst mitbestimmt, somit ein Neues und Einmaliges hinzu. Das ist ein gewaltiger Sprung in der kosmischen Entwicklung hin zur Freiheit, für den wir aber den Mineralien, Pflanzen und Tieren Dankbarkeit schulden. Diese Freiheit, die heute noch in der Individualisierungsphase des Egoismus und Narzissmus steckt, die aber nur eine Durchgangsstation hin zu höheren Entwicklungsstufen ist, zu denen sich entwicklungsfähige Menschen entwickeln können, ist allerdings mit diversen unangenehmen „Nebenwirkungen“ verbunden. Aus den vorigen Überlegungen heraus kann auf das Vorhandensein einer Seele geschlossen werden, denn wir könnten ohne Seele Raum nicht wahrnehmen und Seele kann nur „existieren“, wenn sie sich in einen belebten, physischen Körper senken kann, der ontologisch jenen Hohlraum ausgebildet hat.

Physische Wärme erhält den physischen Körper am Leben, seelische Wärme die Seele, deren Zentrum das Ich bildet. Ohne diese Wärmequalitäten könnte sich unser Ich nicht inkarnieren und inkarniert bleiben. Seelische Wärme strömt uns zweifach durch die uns umgebenden gelungenen architektonischen und die sozial gestimmten Menschen (als „Hüllenwesen“), die in tiefer geistiger Verschränkung zueinander stehen, zu. Der Mensch ist wie Architektur ein Hüllenwesen, das sich durch das innere Licht, das ihn als Wesen ausmacht und das er ausstrahlt, manifestiert, was darauf hindeutet, dass zwischen dem Menschen als geistig-seelischem und physischem Wesen und einem Architekturbau geheimnisvolle Zusammenhänge bestehen: Man könnte geradezu sagen, wenn man den Entwicklungsaspekt des Bewusstsein berücksichtigt, dass Gebäude eigentlich zu Menschen werden sollten.

Ein Menschen- und Weltbild, das sich in der Tiefe einer solchen spirituellen und wissenschaftlich fundierten Anschauung gründet, bedarf eines entsprechenden neuen Denkens, das die heute immer noch verbreitete Art des rein verstandesmässigen analytischen und verstandesmässigen Denkens, wie es vor allem in den durch ökonomische Interessen manipulierten Naturwissenschaften deutlich wird, überwindet. Dann erst werden wir einerseits soziale Menschen haben, die seelische Wärmeräume, wie oben beschrieben, in die Lebenssphäre der Mitwelt aufspannen; und andererseits wird es zu Architekturobjekten und städtebaulichen Anlagen kommen, die (bauliche) Hüllenwesen erzeugen, deren seelische Wirkung als Räume ebenfalls als wärmend und tragend empfunden werden, als Räume, die soziales Leben stimulieren und tragen, gebaute Räume[3], die dem Kosmos und der Natur der Erde Respekt zollen! Die bewusste Schaffung sozialer und architektonischer Wärmeräume steht in innigem Zusammenhang mit einem neuen, lebendigen und empfindenden Denken. Nur dann kann Bau zu Mensch und der Mensch ein Tempel des guten Sonnengeistes werden.

Neues Denken

Dass wir als aufrecht gehende Menschen auf Erden leben können bedingt, dass wir als „Geist-Ich“ uns mit „Hüllen“ umgeben, die uns „erden“. Unser Selbstbewusstsein ist dabei jenes Element, das uns mit der Erde verbindet, wir haben es auf der Erde erlangt. Ansonsten sind wir kosmische Wesen, die aus dem gesamten geistigen Kosmos heraus gebildet sind, wie auch die Erde als geistiges Wesen. Die äussere Hülle um unser Ich ist der physische Leib, der von den Hüllen des Lebens und des Gefühls durchdrungen und vom Ich gestaltet wird. Der Begriff „Mensch“ wird hier nicht nur als abgetrenntes Einzel-Wesen verstanden, das als zufällig zusammengewürfelter Algorithmus auf Erden wandelt und irgendwann im Nichts verschwindet oder womöglich als Plage „Homo Sapiens“ von der Erde als Krankheit abgeschüttelt wird[4]. “Mensch“ wird als geistiges Entwicklungswesen verstanden, das durch Widersacherkräfte irgendwann aus dem Zusammenhang mit der kosmischen Ordnung herausgelöst wurde, um frei werden zu können. Dieses Entwicklungswesen hat heute, im Zeitalter des Individualismus, einen bestimmten Bewusstseinszustand erreicht. Es kann sich aus freier Entscheidung zu einer Geistgemeinschaft mit den Göttern weiterentwickeln und dennoch das Ich-Sein erhalten, ein Zukunftszustand, der als Potenzialität keimhaft veranlagt ist. Insofern ist der Mensch (als heilige Ich-Gemeinschaft) etwas unglaublich Grosses aber eben Unfertiges! Die Weiterentwicklung liegt, im Gegensatz zu den Tieren, die ihren Instinkten folgen müssen, in unseren eigenen Händen. Sie kann auch scheitern.

Unsere physisch-seelisch-geistige Organisation ist polar aufgebaut: Im Kopf mit einem Aussenskelett sehen wir eine gegen den Himmel abgeschlossene Nerven- und Sinneswelt, die aber im Körper wirkt, in der das Gehirn in einer wässrigen Substanz schwerelos wie „tot“ schwimmt. Das Gehirn ist dabei nicht etwa der Produzent von Gedanken, wie heute spekulativ angenommen wird, sondern eine Art „Spiegelungsapparat“, der Gedanken reflektiert und bewusst macht. Obwohl der Sinnes-Nervenprozess ein synthetischer ist, denn in ihm fliessen alle Organtätigkeiten zusammen und werden verknüpft, ist unsere Denktätigkeit heute weitgehend ein analytisches und zerstörendes: Das Erfassen der Welterscheinungen in Begriffen „tötet“ sozusagen den eigentlich lebendigen Zusammenhang der Wirklichkeit ab, die lebendige Wirklichkeit wird herabgelähmt und in abstrakte Begriffe eingeschnürt. Auch die Sprache und Worte, mit denen wir diese Wirklichkeit zu erfassen suchen, zerstört: Wir sagen das Wort „Blume“ und haben von dieser einen Begriff als physischen „Gegenstand“, weil wir nicht zu erkennen vermögen, dass das eigentliche Wesen „Blume“ (das unsichtbar ist) viel tiefer und grösser ist, als wir es uns heute vorzustellen vermögen. Unser Denken ist, insofern es an das Gehirn gebunden bleibt, kalt und abstrakt. Ich spreche gerne vom „Excell-Tabellenbewußtsein“. Der Nerven-Sinnesprozess ist dabei aber nicht der, den die Neurologie heute als stoffgebundenes neuronales Netzwerk versteht. Die Stofflichkeit der Nerven und des Gehirns ist eigentlich Teil des Stoffwechselprozesses. Substanzen und alle ihre Prozesse (Ausschüttungen diverser Botenstoffe wie Dopamin aus der Nebenierenrinde usw.) sind stofflicher Natur und damit dem Stoffwechsel eingegliedert, sie haben nichts mit eigentlicher Nerventätigkeit zu tun. Wer dort Gedanken sucht, sucht nach einem Phantom und geht in die Irre. Nerventätigkeit ist ein Lichtprozess in den Zwischenräumen der Materie und damit der sinnlichen Beobachtung nicht zugänglich! Das Denken drängt dort, wo es tätig wird, die Materie weg. Das Denken ist ein Eigenwesen, das wir selbst im „reinen Denken“ beobachten können, es ist ein geistiger Prozess, der durch die materialistischen Naturwissenschaften nicht, wohl aber durch eine Geisteswissenschaft verstanden werden kann. Durch die Denktätigkeit verbinden wir die Welterscheinungen zu einem Sinnzusammenhang, der aber heute, mit der materialistischen Gesinnung als (kalter) Tötungsprozess wirkt, wie vorher dargestellt. In diesem Sinne bewirkt das abstrakte Denken, das uns auch a(nti)sozial sein lässt (die Voraussetzung des Kapitalismus) einen Abbau- und Sterbeprozess unseres Körpers und notabene auch der Natur, wie wir ja deutlich sehen können.

Im Pol des Stoffwechselsystems, das durch ein Innenskelett getragen wird, wird Materie synthetisiert und als körpereigene Substanz aufgebaut. Während der Kopf egoistisch nach innen weist und wir deshalb ein wach-geistiges Innenleben haben können, verbinden wir uns mit den Gliedmassen, die den Stoffwechsel antreiben, mit der Welt. Sie gehen nach aussen. Kosmos strömt in die Zwischenräume der Finger und der Beine. Der Stoffwechsel-Gliedmassenorganismus, der im gesamten Körper, so auch im Gehirn, wirkt, ist unser Wärmepol, in dem unser Wille (stofflich das Hämoglobin und dort das Eisen) lebt. Im warmen lebendigen Blut als dem „Saft“ der Stoffwechseltätigkeit, das polar zu den Nerven wirkt, lebt unser Ich.

 

Im Kopfprozess des Denkens sind wir wach, im Stoffwechselprozess des Wollens schlafen wir tief, auch wenn wir wach sind. Die Zerstörungen, die durch unser Gedankenleben im Wachleben verursacht werden, werden des nachts, wenn wir bewusstlos schlafen und ausserhalb von unserem Körper leben, regeneriert, denn geistig sind wir dort mit dem ganzen Kosmos verbunden. Hohe geistige Kräfte greifen dann erhaltend in unseren Organismus ein. Weil aber die Regeneration die Zerstörungen nie ganz ausgleichen kann, altern und sterben wir schliesslich, weil unser physischer Körper, wie vorher beschrieben, zerstört wird. Durch das Altern und Sterben werden wir aber weiser (als Potenzial, das wir nutzen können, Weisheit entsteht nicht automatisch), weil der Rückgang der Stoffwechseltätigkeit geistige Weiterentwicklung ermöglicht, wenn wir es zulassen. Bewusstseinssteigerungen sind mit Sterbeprozessen verbunden. Der Tod ist ein Bewusstseinstor ins Licht und in die Wärme der geistigen Welt. Tod ist Teil des Lebens.

 

Zwischen den Polen des Denkens und Wollens lebt die Gefühlswelt im rhythmischen System des Herzens und Atems, das wiederum den ganzen Organismus durchsetzt und durchpulst. Herz und Lunge wirken vermittelnd zwischen dem Wärme- und Kältepol in uns, was leicht verstanden werden kann, wenn wir das Herz genauer studieren und verstehen, wie die Atemluft im Blut in das Gehirn gelangt und den Denkprozess durchsetzt und andererseits die Tätigkeit des Zwerchfells durch die Ausdehnung der Lunge den Stoffwechsel beeinflusst (uvm.!). Die rhythmisch gegliederte Rippenstruktur, aussen liegend und dennoch nicht geschlossen, ist ebenfalls vermittelnd gebildet. Wir werden die abstrakte, kalte und asoziale Denktätigkeit dann wandeln, wenn wir aus der Mitte des Herzens, das Denken fühlend durchwärmen. Synonym dazu werden wir allmählich in jenen Regionen wach, in denen wir heute im Wachzustand des Denkens träumen und schlafen.

 

Lebendiges Denken ist empfindendes und verbindendes Denken. Es ist Gehirn-ungebunden, weil etwas aus dem geistigen Pol unseres Stoffwechsel-Gliedmassensystems, das uns mit hohen kosmisch-geistigen Kräften verbindet, wirkend wach geworden ist und zugleich das Denken in unser unser Herz gesenkt wurde: Wir werden dann zum Schauplatz kosmischer Gedanken, geistiger Kräfte. Das neue Denken ist ein fühlend inspiriertes Denken, das sich kosmischen Weltgedanken öffnet. Es verleugnet nicht die Logik und den Verstand. Wir werden sozusagen gedacht indem wir uns zu einem empfangenden Gefäss umformen. Dieser Prozess muss in Freiheit geschehen können. Dadurch werden wir allmählich sozialer und können das Gespenst des Kapitalismus, der mit dem abstrakten asozialen Denken innerlich zusammenhängt, überwinden.

 

Der Wärmeraum unseres eigentlichen geistigen Zentrums im Bauch öffnet sich, wir gebären ein höheres, lebendig denkendes Selbst und ermöglichen so dem gesamten Kosmos einen Entwicklungssprung.

Anmerkungen:

[1]     Das Thema ist sehr umfassend, daher wird hier nur darauf verwiesen, dass sich in der Architektur alle Künste versammeln: Die Baukunst, das, was Architektur bildet ist eigentlich unsichtbar, auf den Menschen bezogen ist es das Energiegerüst, das sich im Knochenbau abbildet. In dem Moment, wenn Materie geformt wird, spielt das plastische und bildhauerische (im umfassendsten Sinne) hinein. Das Malerische wirkt durch die Art der Farbgebung und wie das Gebäude gesetzt ist, das Musikalische in den Proportionen, die Poesie im Unsagbaren und schliesslich die Eurythmie/Gebärdenkunst in den Gebärden der Bauglieder. All dieses ist voll umfänglich auch beim Menschen als „Bau“ vorhanden!

[2]     Der Begründer ist Dr. Rudolf Steiner, der sie in ca. 50 Büchern, 6‘000 Vorträgen und der Inauguration verschiedener konkreter Einrichtungen des Lebens (Waldorfschulen, Demeterlandwirtschaft, Architektur, Soziale Dreigliederung und Ökonomie, Eurythmie als heilende Gebärdensprache, Bewegung der Christengemeinschaft weltweit uvm. begründet hat. In all diesen Lebensfeldern wurden seit 100 Jahren wertvolle Erfahrungen gesammelt.

[3]     Gebaute Räume erzeugen immer Räume zwischen den Hüllen als Innen- und städtebauliche Aussenräume, die auch Seelenräume sind.

[4]     Derartige Vorstellungen, die heute auch in sog. spirituellen Kreisen umhergeistern, müssen als realitätsfremd strikt zurückgewiesen werden.

Das Seelen-Lied – heilende Felder – wärmende Räume

Es spricht in mir:

Es ist wichtig, dass du das Lied,
das in dir gesungen wird, fühlst.
Es ist das individuelle Lied deiner Seele.
Es ist dein Seelen-Lied,
deine ursprüngliche Vibration
(1).

Lass deine Seele singen.
Es ist ein Lichtgesang. –
Licht und Klang
in inniger, einmaliger Verbindung.
Dadurch webst du dein Lebensfeld, dein Lebens-Umfeld
(2).

Wenn Seelenlieder im Geist der Gemeinschaft sich verbinden,
also einen Chor bilden,
entsteht ein heilendes Feld der LIEBE,
entstehen Wärme-Räume
(3),
also wärmende Räume,
welche aus der ursprünglichen Stille erweckt werden,
Seins-Räume
(vergl. Blog vom 17.8.19) Einzelner,
die in der gemeinsamen Gruppen-Vision
verbunden, vernetzt und gehalten sind
(4).
Sie bilden Energie-Felder göttlichen Ursprungs,
welche Leben regenerieren, wiederherstellen und schützen.

Im OM oder AMEN vertiefen sich die heilenden Felder der Liebe.
Sie weben sich und breiten sich aus im heilenden Geist.

Das ICH BIN (5) ist der Ursprung, die Quelle.
Daraus entströmt das LIED,
die Segnung aus Klang und Licht – das OM und das AMEN.

Das ist eine Skizze zum göttlichen Bauplan,
gemäss derer Institutionen und Gemeinschaften,
die dem Schutz, der Heilung, der Wiederherstellung und der Festigung
des Lebens dienen, aufgebaut werden können. (5)

 

Erläuterungen:

  1. Jedes Lebewesen ist die Verkörperung einer göttlichen Vibration, einer Nuance in der grossen kosmischen Symphonie des Lebens. Wenn zum Beispiel die Wale ausstürben, würde eine wichtige, vielleicht die die Ozeane miterhaltende Vibration aussterben, was ein Ereignis grösster Traurigkeit, ein unermesslicher Verlust darstellen würde. Täglich sterben viele Tier- und Pflanzenarten aus. Was für ein Verlust an Vielfalt und Reichtum (das ist der wahre Reichtum!) und wir Menschen tragen dafür die Haupt-Verantwortung.
    Die Vibration, die aus der Liebe strömt, hält die Sonne in ihrer Bahn.
    Wenn wir unser Lied singen, helfen wir uns und dem Leben auf Erden. Es ist segensreich, die eigene Vibration, das eigene Lied kennenzulernen. Dafür haben wir während der ganzen Lebensspanne die Gelegenheit dazu.
  2. Das Lebensumfeld ist das Feld unserer Persönlichkeit, vom höheren Selbst gelenkt. Ist der Mensch gegenwärtig und verbunden, so sind die einzelnen Elemente im Feld gut miteinander verwoben und das ganze Feld ist im Licht und in Harmonie. Nimmt die Präsenz ab, verdunkelt sich das Lebensumfeld, wird es störungsanfällig und die Kraft der Weisheit ermattet. Bewusster Atem hilft, die Flamme unseres Lebensfeldes lebendig zu halten.
  3. Wärme-Räume – ein Begriff, der meines Wissens Rudolf Steiner prägte – entstehen dann, wenn Menschen den Ort, an dem sie in kontemplativer Versenkung sind, einbeziehen und in ihn ausstrahlen, also ihren inneren Seins-Raum in den Ort ihrer Mediation ausdehnen. So entstehen Räume der Wärme, der Stille und der Kraft. Das können Kapellen sein, Plätze, Baumgruppen, Uferzonen, Stuben, Treffpunkte, Kulturräume, Krankenzimmer, etc. Jeder Mensch hat die Freiheit für einen bestimmten Ort Verantwortung zu übernehmen, ihn auf diese besagte Weise zu pflegen, zu «tränken», ihn seelisch-geistig aufzubauen, damit er auch für andere Menschen zu einem Ort der Sammlung werden kann. Es kann auch ein einzelner Baum sein, den du aus deinem Herzen über längere Zeit umströmst und umhüllst, so dass er zu einer Art von Wächter- und Schutz-Baum für seine Umgebung wird.
  4. Auch Energiefelder, die aus Liebesbeziehungen entstehen, haben diese wärmende und zentrierende Kraft, die heilend auf ihre Umgebung wirkt. Die gemeinsame Vision fügt die Visionen ihrer Mitglieder harmonisch zusammen. Es treffen sich also Menschen, um eine Gemeinschaft zu bilden, die eine übergreifende Vision miteinander teilen. Je stärker und bindender diese ist, und je hingebungsvoller die einzelnen Mitglieder sich seelisch-geistig in ihrer je eigenen Vision einbringen, desto eher kann sich ein starkes Energiefeld bilden, welches ausstrahlt und anziehend für die Mitwelt ist.
    Auf diese Weise könnten/sollten vor allem soziale Institutionen aufgebaut werden: Spitäler, Altersheime, Jugendheim, Sterbe-Hospize, Geburtshäuser, Kirchen, etc. Therapeutisch-spirituelle Gemeinschaften, wo sich jede und jeder (von der Putzfrau bis hin zum Direktor) mitverantwortlich fühlt für den Aufbau und die Stärkung eines gemeinsamen heilenden und entwicklungsfördernden Energiefeldes, würden die Basis für die praktisch-konkrete Arbeit bilden.
  5. ICH BIN ist ein kraftvoller Name für Gott, er verdichtet die Wirklichkeit. Ihm kann nichts beigefügt werden, weil er die Essenz des Lebens, des Seins ausdrückt und zur Quelle führt und diese ins Licht des Bewusstseins hebt. Was aus dem ICH BIN lebt, ist behütet, geschützt und gesegnet.
  6. Bauen wir die Welt auf dieser Grundlage auf, wird sie aufblühen können. In Frieden. «Doch im gegenwärtigen Moment muss die Menschheit dringend die nährende Energie des Selbst wieder ins Leben zurückatmen, bewusst die Seele der Welt mit dem Licht der eigenen Seele entzünden.» L. Vaughan-Lee

Ausrichten auf den Ursprung

Die Schule des Lebens, wenn wir das Leben so verstehen wollen, kann für uns ihr Bestes tun, wenn wir uns klar auf die göttliche, universelle Liebe und auf das Wahrheits-Bewusstsein ausrichten. Damit öffnen wir das Tor unserer Seele der göttlichen Wirkkraft und wir geben uns damit der höchsten Leitung und Begleitung hin.
Damit ist die Seele, da sie nun mit dem Ursprung verbunden ist, in der Lage, uns die nötigen Impulse und Situationen zu kreieren, die wir für die nötigen Entwicklungsschritte brauchen.
Die zahlreichen Störungs-Felder in und um uns -unerlöste Gedanken, Konzepte und Meinungen- vermögen unsere Seele anzugreifen und zu beeinträchtigen. Von diesen Störungen ausgenommen ist unser Seelenzentrum: dieses ist unverletzlich, weil es in Gott ruht.

Ich glaube, dass wir uns immer wieder neu auf das Höchste und Innerste ausrichten und innere Klärung und Reinheit erbitten sollten, damit unserer Seele den Schutz und die Orientierung zufliesst, die sie benötigt, um uns subtil und stimmig zu leiten.

Wenn wir unseren Atem bewusst auf den Ursprung, die Quelle hin, ausrichten, die sich auch im Zentrum unserer Seele befindet, wird sich diese harmonisieren und damit auch unser Körper. Das Innerste unserer Atmung ist Geist. Deshalb können wir auch von Geist-Atmung oder von Odem sprechen.
Die Verbindung zwischen Geist und Seele ist befruchtend. Aus ihr geht Leben hervor.

Durch die stetige Neu-Ausrichtung auf das höchste Ziel, durch ständige Reinigung und Klärung unserer seelischen Verfassung mit Hilfe des bewussten Atmens, welches auch eine Art von Gebet oder Meditation ist, kann uns der innere Lehrer oder die innere Meisterin, die in uns wirkt, direkt erreichen, uns fördern und für uns jene Lebensstationen und Situationen kreieren, die wir brauchen, um uns zu entfalten, hin zur Verwirklichung unseres Mensch-seins.
Natürlich ist die Frage, worin das höchste Ziel unserer Lebens-Reise besteht, von grösster Bedeutung. Die tiefste Sehnsucht in uns, drängt der Antwort zu, wie die Blume der Sonne.

Die Seele ist eine wissende Substanz. Sie trägt alle Informationen in sich, damit sich unser wahres Wesen entfalten kann. Wir können sie mit einem Licht-Gewebe vergleichen, welches ausserdem auch hoch empfänglich für Freude und die Erfahrung von Seligkeit (Glückseligkeit, Ananda) ist. Sie ist darauf angewiesen, dass wir ihr Geistatem zukommen lassen, damit sie ihr wunderbare Tätigkeit voll entfalten kann.

Wie eben gesagt, kreiert uns unsere Seele, jene Lebens-Situationen, die geeignet sind, uns zu erkennen und zu fördern. Sie führt uns aber auch in jene Bewusstseins-Ebenen, die uns jetzt zuträglich sind. Einmal ist es nötig, dass die Erde oder die Ur-Materie zu uns spricht, ein anderes Mal führt uns die Sprache des Lichtes weiter oder wir benötigen eine uns tief ansprechende menschliche Begegnung, usw. Wie auch immer: Die gereinigte Seele, die mit der Geist-Kraft in Verbindung steht, wird uns heilend und fördernd zur Seite stehen, wenn wir uns ihr öffnen. Die innere Führung kann sich nun ausdrücken und wir dürfen fest vertrauen, dass uns die richtigen Lebensumstände und Einsichten zur rechten Zeit gegeben werden, die uns liebevoll und manchmal auch fordernd, helfen, die jetzt nötigen Erfahrungen zu machen und zu integrieren.

Gefühle

Gefühle sind eine Tätigkeit der Seele, die Gemütsbewegungen erzeugen. Grundgefühls-Ströme werden als Stimmungen wahrgenommen. Farben und Töne sind mit den Gefühlen verwandt.

Gefühle sind Ausdruck unserer Lebendigkeit – ohne sie wären wir starr und tot. Gefühle korrespondieren mit Wasser, sie sind von fliessender und wechselnder Natur. Sie sind Ausdruck unserer weiblichen Seite.
In diesem Beitrag verwende ich die Worte Gefühle und Emotionen synonym, unterscheide sie also nicht.
Ich behandle hier ein komplexes Thema und ich bin mir nicht sicher, ob es mir gelingt, es verständlich zu machen.

Zwei These
Erste Behauptung: Diese lautet, dass wir nur gesund, frei und authentisch bleiben, wenn wir unsere Gefühle wahrnehmen, sie ernst nehmen und ausdrücken. Tun wir es nicht, empfinden wir uns als unlebendig, dumpf und werden früher oder später seelisch und/oder körperlich krank.
Die Tiefen-Ökologin Joanne Macy betont immer wieder, dass sie es sehr wichtig findet, unsere Reaktionen von Schmerz und Trauer über die Zerstörungsprozesse auf der Erde auszudrücken, sie nicht abzutöten und sie mit anderen Menschen zu teilen.

Zweite Behauptung: Diese lautet, dass wir uns von unseren Gefühlen de-identifizieren sollen. Es empfehle sich, uns hinter unsere Gefühle zu stellen, um uns ihrer beobachtend gewahr zu werden. Wir sollten uns nicht von ihnen hinreissen lassen, da sie Teil unseres kleinen Ichs seien. Dieses würde sich aufblähen, wenn wir uns von unseren Emotionen vereinnahmen lassen würden.

Diese zwei Thesen sind eine Art von Glaubens-Bekenntnisse. Die eher psychologisch sozialisierten Menschen, richten sich eher nach der ersten These aus, die spirituell orientierten halten sich eher an die zweite These.

Weil wir Menschen unter einer Art Zwang stehen, bei polaren Sichtweisen, uns auf die eine oder andere Seite zu schlagen, bevorzugen wir eine der zwei Seiten eifrig und neigen dazu die beiden Aspekte gegeneinander auszuspielen.

Ich halte beide Positionen für wahr und stimmig. Sie erscheinen als paradox. Sind sie dennoch vereinbar?

Im Folgenden mache ich einen kleinen Exkurs in zwei Wirklichkeits-Bereiche, in den Bereich der Welt der Formen und jenen der formlosen, absoluten Welt:

Die Welt der Formen
Gefühle, wie auch Gedanken, gehören zur Welt der Formen, wie die materielle Welt auch.
Hier ist die Vielfalt der relativen Welt.
Die Formen-Welt können wir auch als einen grossen Tanz betrachten, der wellen -oder kreisförmig verläuft. Es ist eine Welt des Kommens und des Gehens, des Erscheinens und des Verschwindens, des Auf- und Ab und des Hin- und Her.
Das Fliessende, Bewegliche ist das hervorragende Merkmal der Formenwelt, der relativen Welt.

Das Formlose, Ruhende, Immerwährende
Das Absolute, Immerwährende ist in ewiger Stille. Es ist das Bleibende, das Unerschaffene, das Unbegreifliche, die Leere, die Potentialität.
Hier ist Einheit.
Aus diesem göttlichen Bereich emaniert die Welt der Formen, die Schöpfung. Wir können auch von Ursprung und Quelle sprechen.

Zurück zu den Gefühlen:

Gefühle, entstanden aus dem ego-zentrischen Ich – Gefühle aus dem höheren Selbst
In der Welt der Formen existieren auch viele unerlöste Formen, also vom egozentrischen Ich ausgelöste Gefühle, die niederdrückend, depressiv und möglicherweise auch krankmachend wirken, wie Hass, Groll, Neid, Scham, Ekel, etc.
Gefühle (Zustände), die aus dem höheren Selbst, also direkt aus dem Geist emanieren (ausstrahlen), entfalten, führen uns dem Leben zu. Ich denke hier vor allem an Freude, Friede, Zärtlichkeit und Empathie.

Das Paradox
Die Wahrheit mag es, sich im Paradox zu verstecken.
Wenn auf der einen Seite gesagt wird, dass es nötig sei, Gefühle auszuleben, um lebendig und gesund zu bleiben, und auf der anderen Seite aufgefordert wird, sich nicht mit den Gefühlen zu identifizieren, so kann man hier von einem Paradox sprechen. Zwei, sich scheinbar nicht zu vereinigende Standpunkte stehen sich gegenüber. Das sich scheinbar Ausschliessende kann aus der Sicht der Mitte heraus zur Ergänzung werden:

Der Raum der Mitte
Aus dem Blickpunkt der Mitte, wo Weite und Ruhe ist, sind die beiden Positionen zu vereinen, ist es uns möglich, sowohl distanziert, wie auch mitfühlend und liebend in die Gefühlswelt hinein zu blicken und gleichzeitig von der Gefühlswelt involviert zu sein, die Gefühle zu leben und sie ruhig zu betrachten. Bevor diese Gleichzeitigkeit möglich ist, wird sich zuvor ein Oszillieren zwischen den beiden Zuständen einstellen.
Damit leben wir in Verbindung zum Absoluten und zur Gefühlswelt (der relativen Welt der vorübergehenden Formen). – Im Herz des Tänzers ist es still.

Die Höherentwicklung der Seele
Gelingt es uns, die Verbindung mit der geistigen Welt (mit dem Absoluten) immer öfter und besser aufrecht zu erhalten, so kann geistige Energie und LIEBE in unsere Alltagswelt und somit auch in unsere Gefühlswelt fliessen.
Dadurch bauen sich die höheren Gefühle von Freude, Friede, Seligkeit und Empathie, die auch Bewusstseinszustände sind, auf, und die ego-gesteuerte Gefühlswelt verliert an Macht und Einfluss, ohne aber zu versiegen.
Dem Menschen ist es gegeben, Übergang und Verbindung zwischen den genannten Welten zu sein. ICH BIN DER WEG, sagt das innere Christus-Selbst. Stellen wir uns diesem Fluss zur Verfügung, so kann in beide Richtungen Liebes-Energie fliessen: von der himmlischen Welt zur Erde und umgekehrt. Damit können wir Menschen der Erdenwelt «Nahrung» zukommen lassen – Nahrung, welche die Erde und die Menschheit so dringend braucht.

Und die unedlen Gefühle?
Doch auch die weniger edlen Gefühle (z.B. Neid) wollen angenommen und verstanden sein. Nur was geliebt ist, löste sich zur rechten Zeit auf, oder verwandelt sich in ein Höheres.

Im Herz des Tänzers ist es still.

 

 

Geduld

Seit ich lebe, übe ich mich in Geduld. Sie ist mir nicht in die Wiege gelegt worden; ich muss (darf) sie erarbeiten.

Geduld ist die Zeit, die es braucht, damit sich eine Vision verwirklichen kann, die Zeit, die nötig ist, damit sich das Leben erfüllen kann und im Kleinen ist Geduld die Zeit, damit sich eine Emotion oder ein Impuls voll aufbauen und entfalten kann.

In Ruhe bei dem verweilen, was ist, ist Geduld. Verweile ich zum Beispiel bei aufkommender Trauer und der sich langsam breit werdenden Bewegung, mit der sie sich aufbaut, dann komme ich langsam in die Tiefe meiner selbst und ich erkenne die Ursache meiner Trauer, die zum Beispiel darin bestehen kann, dass ich in meinem Leben zu wenig auf mein Herz gehört habe. Nur wenn ich mir die benötigte Zeit nehme, mich in meine Trauer* (oder wie immer das jeweilige Gefühl ist) zu versenken, kommt es zur nötigen, tiefen Einsicht, die zu einer Verhaltensänderung führt, zu einer Einstellungsänderung oder gar zu einem Wachstumsschub.
Das Abschneiden und Töten aufkommender Impulse und Gefühle, lange bevor sie sich in ihrer ganzen Gestalt aufbauen können, schadet uns. Es ist als, ob wir Blumen ausrupfen würden, lange vor ihrem Erblühen. Es handelt sich hier um Micro-Tötungs-Impulse, meist unbewusst, die damit zu tun haben, dass wir uns nicht vollständig erlauben, zu lieben und zu leben.

Seit Wochen höre ich immer wieder Klaviermusik von Erik Satie, der jeden Ton in sich erlauscht haben muss, bevor er ihn zu Papier gebracht hatte. Es ist langsame, perlende Musik, melancholisch und verträumt, die stark von der lebendigen Zeit der Pausen zwischen den Tönen lebt. (Erik Satie: Gymnopédies oder Gnossienne.)

Nun, da ich älter werde, akzeptiere ich meine Verlangsamung und erfahre, dass dadurch mehr Ruhe und Friede, die Früchte der Langsamkeit, aufkommen können.

Nun lehne ich zurück und atme tief ein und aus. Ich will diesen Artikel langsam und mit Geduld schreiben.

Der Druck, rasch ein Ziel zu erreichen führt zur Ungeduld, zu Stress und oft zu Gewalt. Nur schon der kontinuierliche Druck, den Menschen auf sich selbst ausüben, ist beginnende Gewalt, die krank machen kann. Ungeduld, ständiges Tempo und Gewalt bedingen sich gegenseitig.

Damit etwas Gestalt annehmen kann, braucht es Zeit. Die Zeit fliesst aus der absoluten Welt der Zeitlosigkeit in unsere zeiträumliche, relative Welt.
Zeit ist ein zartes, feines Strömen: Wachstums-Elixier. Sie fliesst in der Geschwindigkeit und in den Rhythmen, die ihr aus höherer Weisheit immanent ist. Manche verstehen Zeit als ein Attribut Gottes.

Zeit ist zart. Zeit ist natürlich, wenn sie nicht durchgeplant, chronologisch ist.

Liebe Leserin, lieber Leser: Wenn Du magst, lehne dich jetzt zurück, schliesse die Augen und denke: Ich lass mir alle Zeit, die ich brauche, um mich ganz selbst zu sein.
Atme und spreche diesen Satz ein paar Mal langsam und liebevoll zu dir selbst.

Vermutlich wirst Du eine Veränderung in Deinem Befinden und in deinen Organen fühlen. Vielleicht fühlst Du alten, sich nun lösenden Druck und aufkommende Leichtigkeit.

Ungeduld und dauernde Beschleunigung führen dazu, dass wir Mensch immer heftiger in die natürlichen Abläufe eingreifen. Bis hin zu massloser Gewalt. Die ganze Welt dreht in dieser Beschleunigungsspirale der Ungeduld, die atemlos und rücksichtslos macht. Durch die überdüngten Böden, Monokulturen und den Einsatz von Mega-Maschinen veröden Landschaft, erodieren und vertrocknen Böden, sterben Wälder. Dies als ein Beispiel von vielen.
Es ist wohl Panik, die zu ständig heftigeren Eingriffe in die Natur der Erde und des Menschen führt.

Ohne Entschleunigung keine Natürlichkeit. Ohne Verlangsamung und Geduld kein Gesundheitswesen, das auf Salutogene beruht.

Salutogenese beinhaltet die Fähigkeit, die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen, der Glaube an die eigene Wirksamkeit und der Glaube an den Sinn des Lebens. Diese Fähigkeiten entwickeln sich langsam und stetig; sie setzen Geduld voraus.

Langsamkeit und Geduld lassen uns erkennen, dass die Seele, in der wir leben, eine milde, sanfte und wissende Substanz ist. Von ihr getragen finden wir in ein friedvolles Leben, jenseits von Stress und Hetze und fernab von Gewalt.
Die Seele umhüllt und durchströmt uns zärtlich und erfüllt uns mit Seins-Seligkeit. Sie gibt uns den Schutz, den wir in dieser hektischen Welt brauchen. Durch Geduld und Geruhsamkeit wird sie uns immer zugänglicher.

Erst jetzt dürfen wir von Nachhaltigkeit sprechen. Sie baut sich auf der Ebene der Seins-Erfahrung auf.

Wenn wir also noch einmal zurücklehnen, ruhig, tief und liebevoll mit dem Satz atmen:
Ich lasse mir alle Zeit, die ich brauche, um mich ganz selbst zu sein,

werden wir vielleicht spüren können, dass sich eine heilende Energie aufbaut, die unter dem Deckel von Ungeduld und Betriebsamkeit darauf gewartet hat, erkannt und gelebt zu werden.

Ich werde nicht damit aufhören, Geduld einzuüben.

*zur Trauer: Die zur Trauer gehörende Energie-Bewegung geht meist sowohl in die Breite, wie auch in die Tiefe, verbunden auch mit einem Lösen von Spannung und Druck, oft im Bauch-Bereich. Nach einiger Zeit kann sich eine Aufwärts-Bewegung einstellen. Wenn diese Bewegungs-Gestalt abgebrochen wird, kann sich der nachfolgende Entwicklungsschritt kaum oder gar nicht einstellen. Dies gilt für alle Gefühle. Es scheint eine Zeit-Krankheit zu sein, nicht bei einem einzelnen Gefühl verweilen zu können.
E-Motion kann man auch lesen und verstehen als Energie (E) in Bewegung (Motion).

Reflexionen über das menschliche Gesicht

In den letzten Tagen und Wochen erschrak ich einige Male, als ich unvermittelt in ein Gesicht blickte, das vor mir plötzlich auftauchte, wie das oft geschieht, wenn man sich an einem viel begangenen Ort aufhält, wie zum Beispiel in einem Supermarkt. Ich erschrak jeweils über den Gesichtsausdruck, der mir wie eingemeisselt erschien und nur eines auszudrücken schien. Zum Beispiel: «Ich schlage mich hier einfach durch!» oder «Ich passe immer auf!» – oder was auch immer das betreffende Gesicht zu sagen schien.

Ich stellte dann nach einigem Nachdenken und Beobachten fest, dass es viele Menschen gibt, deren Gesichter  ihre charakteristische Art, das Leben zu empfinden und auf es zu reagieren, präzise widerspiegeln.
Es muss das Lebensgrundmuster sein, das sich da visualisiert, eindeutig eingeprägt, eingezeichnet im Gesicht, welches kaum etwas anderes zuzulassen scheint, als eben die charakter-gepanzerte Weise, sich im Leben zurecht zu finden. Da hat sich eine kleine abgeschlossene, ja abgekapselte Identität herausgebildet, eine maskenartige Persönlichkeit (Persona) mit ausschliessendem Charakter.

Danach wurde ich auch auf Gesichter aufmerksam, die nicht nur die vordergründige Reaktionsbereitschaft auf das Leben zum Ausdruck bringen, sondern auch den Erlebnis-Hintergrund. Etwa so: Vordergründiger Ausdruck: «Ich finde mich schon zurecht in dieser Welt», zweite Botschaft:» Ich bin verloren auf dieser Welt, helft mir». Die zweite, hintergründige Botschaft stellt sich gleich nach dem ersten Eindruck ein, wenn man beim Anblick des Gesichtes eine kleine Weile verbleibt.
Manche Gesichter drücken aber auch einen Facettenreichtum aus oder sie erzählen Geschichten.

Das Gesicht lässt sich auch verstehen als die sichtbare Gestalt des Menschen.

So, wie ich das Leben auffasse und auf es reagiere, drückt es sich in meinem Gesicht aus. Man könnte nun denken, dass das menschliche Gesicht, doch sehr viele Facetten des Welterlebens widerspiegeln müsste. Offenbar ist es aber häufig so, dass sich eine Art von Grund-Tenor wie ich im Leben stehe, herauskristallisiert und zu dominieren beginnt und alle anderen Lebens-Nuancen gleichsam aufsaugt und in den dominanten Rahmen stellt.

So wird das Gesicht zur Maske, zur Persona, die alles zu zeigen scheint und alles versteckt. Die ganze Vielfalt und die seelische Lebenstiefe sind maskiert. Mit anderen Worten: Wir neigen dazu, die Welt so zu sehen und zu interpretieren, wie wir es aufgrund unserer Prägungen eingeübt haben. Demgemäss färben wir die Welt ein und sehen sie in der Farbe, die wir auf sie projizieren – während die anderen Farben in Untergrund versinken.

Nun gibt es aber auch Gesichter, die nebst den eingeprägten Qualitäten, Emotionen und Reaktionen noch so etwa wie offenen Lebens-Raum ausstrahlen: Raum für das Unbegreifliche, Unerklärliche, das Zauberhafte und das Erstaunliche des Lebens. Da fühlt man Platz: dieser Mensch nimmt sich Raum und gibt Raum – da ist nicht alles festgelegt. Man spürt: dieser Mensch ist nicht völlig identifiziert mit seinem Charakter seiner kleinen Aussenpersönlichkeit, da ist Luft, da kann sich Neues finden. Da findet sich Ereignisraum, Klang-Raum.

Hier versteht sich die Person als Klangkörper, offen für den durchströmenden Geist, das Geistlicht. Per Sonare (Per-son) meint das Durch-tönende. Materie versteht sich hier als ein Gefäss für das geistige Einströmen. Materie und Geist finden hier zu einem sich ergänzenden Miteinander – im Gegensatz zum trennenden, egozentrischen, eine Kapsel bildende ICH.

Wenn ältere Mensch, die in der zweiten Lebenshälfte damit begonnen haben, sich zu de-identifizieren, um sich von alten, jetzt unpassenden Identifizierungen zu lösen und sich von ihren inneren Strukturen und Zwängen ein Stück weit zu befreien, kommt wieder das Staunen des Säuglings, den sie einst waren, in ihr Gesicht. Diese Gesichter beginnen nun durchlässig und transparent zu werden.

Im Anblick von befreiten Gesichtern können wir uns selbst befreien. In ihnen kann etwas werden, was vorher noch nicht da war. Wenn unser Gesicht freier wird von eingestanzten Prägungen, können sich jene, die uns sehen und uns begegnen, sich weit eher finden, als wenn unser Gesicht, von unseren Konzepten und Vorstellungen über uns selbst festgelegt bleibt. Solche Gesichter verwandeln sich leise in ein Antlitz, in dem das Wesen der Person hindurch strömt.

Bei unserer Wesens-Werdung, bei der sich unser Seelenzentrum mehr und mehr ausweitet,
was man am besten in den Augen erkennen kann, erscheint das Gesicht als weich und belebend, trotz aller Falten, es beginnt zu scheinen und wirkt bewusst und oder unbewusst lebensspendend und frei lassend auf die Umgebung. Allmählich beginnt sich das Angesicht im Gesicht zu zeigen – oder zu erahnen.

Noch was: Wer es zulässt, gesehen zu werden, von den Augen der Wahrheit und der Liebe, wird dieses Anteil-nehmende Umfassende schrittweise integrieren und sein Gesicht wird diese Erfahrung bezeugen.

Im Angesicht, das sich im Seelenzentrum verbirgt und sich zu rechten Zeit teilweise oder ganz offenbart, kann jeder und jede ganz zu sich selber finden. Hier ist vollkommene Freiheit und Angenommensein. Nun können wir alle unsere Masken ablegen. Wir wissen, dass wir geliebt sind. Völlig getröstet atmen wir auf und neue Räume erschaffen sich.

«Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt worden bin.»

  1. Kor. 13,12

Beitragsbild: Zeichnung von Werner Binder

 

 

Was mich freut

Die weltweiten Demonstrationen von Kindern und Jugendlichen für die Wiederherstellung eines erträglichen Klimas freut mich ungemein, ebenso, dass sachte eine Bewegung aufzukommen scheint, welche die weibliche Kraft und Sexualität aufwerten will – ich denke da auch an den Film «Female Pleasure»- Das sind gute Gründe Hoffnung aufkommen zu lassen.

Klima: Der Aufschrei junger Menschen zum Handeln jetzt
Greta Thunberg, die alles in Bewegung gebracht hat, sah sich vor einem Jahr einen Film-Beitrag über den Plastikmüll in den Meeren an, der sie aufrüttelte. Danach weinte sie oft, hörte auf zu essen, weigerte sich später in die Schule zu gehen. Stattdessen sass sie vor dem schwedischen Parlament mit einem Protest-Plakat. Sie sagt, dass sie nicht Hoffnung geben wolle, sondern Panik erzeugen wolle, so wie sie selbst in Panik sei.

Ihr Mut wirkte ansteckend. Nun demonstrieren weltweit Tausende gegen die verbreitete Ignoranz, Lethargie und Halbherzigkeit bezüglich der Umsetzung der Klimaziele, wo es doch jetzt um entschiedenes Handeln geht.
Die Ernsthaftigkeit der Lage wird in der Klima-Diskussion gerne weg-geredet: Von Rationalisierung wird in der Psychologie die nachträgliche, verstandesmässige Rechtfertigung eines aus irrationalen oder triebhaften Motiven erwachsenen Verhaltens gesprochen. Dieser Abwehr-Mechanismus ist in unserer patriarchalischen Kultur sehr weit verbreitet. Der Mechanismus «dient» der Unterdrückung und Verleugnung jener Gefühle, die der jeweilen Situation angemessen wären. «Der Verlust der Gefühle ist recht eigentlich die Neurosenform der heutigen Zeit, wo durch Kopflastigkeit, Rationalität und Objektivität sich allmählich ein Bewusstseinspatriarchat um den Preis weiblicher Werte (nicht geschlechtsspezifisch verstanden) herausgebildet hat.»*

Da brauchte es eine Greta mit dem Asperger-Syndrom, die in der Lage war, unmittelbar, auf eine gesunde Art, rücksichtslos emotional zu agieren.

Lange war ich der Meinung, dass die Jugend völlig a-politisch sei und damit hatte ich wahrscheinlich so recht, wie Unzählige, die das auch so beurteilten. Das hat sich aber jetzt fast schlagartig geändert und darüber freue ich mich riesig.
Ein wenig beschämend für uns Erwachsene ist es ja schon, dass uns eine 15-Jährige helfen musste, uns aus unserer Sprachlosigkeit zu befreien.

Weibliche Kraft – weibliche Sexualität
In meinem Artikel «Das Unglück der Spaltung und die Freude der Wiedervereinigung» äusserte ich die Ansicht, dass es dringend an der Zeit wäre, das Weibliche, Mutter Erde und die Weltseele in unser Selbst-Befinden und Bewusstsein einzubeziehen. Dazu gehört auch die weibliche Erotik und Sexualität, die weltweit gewaltsam unterdrückt wurde und wird, was der erwähnte Film «Female Pleasure» sehr eindrücklich zeigt.
Die Kirche, wie auch alle (ja, alle!) Gross-Religionen über Jahrhundert, glaubte, dass es ihr zustünde, den Menschen ihre Mündigkeit, was ihr Liebes- und Beziehungsleben, aber auch was ihre Sexualität betraf, abzusprechen – dies ganz besonders den Frauen.
Diese Meinungshoheit und Deutungsmacht der Religionen haben heute weitgehend die kapitalistischen Mächte übernommen, insbesondere alle jene Unternehmen, die den sexuellen Milliarden-Markt bedienen.

Sie sprechen sich für die alten Sexual-Konventionen aus, deren problematische Beibehaltung es ihnen erlaubt, grosse Geschäfte mit Ersatzbedürfnissen zu machen wie Schönheits-OPs, Pornografie, Web-Begegnungs-Plattformen, Kosmetik, Mode, Klatsch-Presse, etc.
Wie ich immer wieder betone, glaub ich, dass unsere Gesellschaften auf Kompensation (Ersatz) aufgebaut sind. Das Loch, das die verleugnete Seele und der drangsalierte menschlichen Körper hinterlässt, versucht man durch künstlich geschaffene Schein-Bedürfnisse und entsprechenden energie-verschleissenden Konsum zuzuschütten, wodurch wir unsere Welt verunstalten.

Es scheint die Zeit gekommen zu sein, dass Menschen, vor allem Frauen, sich nun auch in sexueller Hinsicht mündig, selbstverantwortlich und autonom fühlen, und dementsprechend leben und handeln wollen.
Das ist eine sehr gute Nachricht mit globalen Auswirkungen. Der Mensch, insbesondere die Frau, erklärt sich als mündig!

Gerechtigkeit und wahre, auf Respekt beruhende Partnerschaft zwischen Frau und Mann bilden die Grundlage für eine friedvolle und kreative Welt – die Basis für den Welt-Frieden.

Männer des Friedens werden alles dafür tun, sich für die Gleichberechtigung und Würde der Frau einzusetzen. Sie wissen, dass davon auch ihr Glück abhängt – und ihre eigene Würde.

Wie es zusammenhängt
Beim Schreiben über die beiden behandelten Themen wurde es mir immer klarer, zuerst intuitiv-emotional, dann gedanklich, wie diese miteinander in Beziehung stehen:
Ich behaupte, dass der Klimawandel und die mögliche Klimakatastrophe die Folge der unharmonischen und teilweise gestörten Beziehung zwischen Frau und Mann, zwischen männlichen und weiblichen Energien und Qualitäten sind. Der Mensch wurde als Frau und Mann geschaffen. Sie stehen sich polar und in Ergänzung gegenüber. Beide, sowohl Mann wie Frau tragen das Gegen-Geschlecht auch in sich. Individuation nach Jung meint unter anderem, dass der Mann seine weiblichen Qualitäten (Anima) und die Frau ihre männlichen Eigenschaften (Animus) entwickeln. Somit treten beide Geschlechter mit dem anderen Geschlecht in zweifacher Hinsicht, im Aussen und im Innen, in Beziehung. Dies ist ein laufender Prozess; eine Art von leichtem, elegantem Tanz. Dieser schöpferische Tanz wird in weiten Teilen der Welt unterbunden durch strikte Normen, Konventionen, welche das Verhältnis zwischen den Geschlechtern in starre, alle persönlichen und kulturelle Unterschiede übergreifende, zwanghafte Formen presst. Sehr oft auf Kosten der Frau, die sich dem Manne unterstellen soll – sozial und sexuell. Die katholische Kirche steht dafür als ein schreckliches Beispiel.

Während der liebevolle, partnerschaftliche Tanz zwischen Frau und Mann Freude, Friede und Kreativität erzeugt – davon bin ich überzeugt- bewirkt verordnete Unmündigkeit Einengung und Angst. Dadurch wird das menschliche Fundament geschwächt, denn nur die wahre, gleichberechtigte Partnerschaft, welche die mündige Sexualität einbezieht, schafft Friede und Harmonie auf der Welt und die nötige Kraft, Verletztes zu heilen.
Das Loch, das die verleugnete Seele und der Mangel an freier, mündiger Liebe und Sexualität verursacht, wird im Konsumrausch zugepflastert. Das Erzeugen und die Befriedigung von künstlich erzeugten Bedürfnissen, führt zur Ausbeutung der Erde. Natürliche Systeme kollabieren (jetzt z.B. das Insektensterben), die Erde-Atmosphäre erhitzt sich.

Die Klima-Katastrophe ist das Resultat des mangelnden Verständnisses über die ursächlichen, zentralen menschlichen Bedürfnisse.

Dies ist wohl eine wichtige, wenn auch nicht die einzige Ursache der planetaren Krise.
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*Kathrin Asper: Verlassenheit und Selbstentfremdung, S. 43, Patmos Verlag

 

Ode an das Licht

Eine Ode ist ein feierliches Lied, eine Hymne – sowohl ein meist lyrischer Tex, wie auch ein Gesang, eine Melodie, getragen von einer lobenden Emotion und von innerer Bewegtheit. Durch die Augen der Seele erlebt, gewinnt das Leben jene feierliche Dimension, die alles aus der Flachheit des Gewöhnlichen emporhebt.

Jemand wird für uns Liebeslieder singen

„Es werde Licht
und es wurde Licht.“

Als Gott zum Menschen zu sprechen begann,
wurde es Licht;
es entflammte Seinem Hauch
und ging als Seele in Seine Geschöpfe ein.

So wurde diesen das Licht gewahr
und sie liessen sich davon begeistern und
durchstrahlen. –
In freudiger Glückseligkeit,
kam der Moment,
da das Licht zu singen begann, –
und es war offenbar; dass das Eine,
All-Gegenwärtige
das Viele durchstrahlte.

Dann kam eine lange Zeitspanne,
als die Lebenden in eine tiefe Finsternis abglitten,
in Betäubung und Schmerzlosigkeit,
wo sich bleierner Schlaf auf sie legte,

…bis sich das Leben erneut zu regen begann.

***

Wie aufregend
die violette Haut der Weisen,
die sich in ihren Tränen spiegeln,
sich wiedererkennend
die Wange auf ihre Knie legen,
um die Vibration der Welt zu hören

und dabei erleben,
wie sich die Erd-Vibrationen aus Licht
in einen grossen Gesang verwandeln.
Dieser Gesang,
den nur die Hörenden vernehmen,
bringt die Erde, trotz Dunkelheit
zum Erblühen.

Wir sind Lichtwesen,
die ihr Licht nicht mehr sehen,
Sängerinnen, die ihre Klänge nicht mehr hören,
– solange, bis wir aus unruhigem Schlaf erwachen
und spüren, dass wir etwas vergessen haben –
und es wagen,
uns zu öffnen und zu erkennen,
dass uns jemand Liebeslieder singt.

In dem Moment, wo das menschliche Herz
zu empfangen und zu hören beginnt,
fängt die Vibration zu tönen an,
fängt das Licht zu singen an.

Die Zeit wird kommen,
da sich der Gesang erhebt,
wie ein Sonnenaufgang,
den wir so leuchtend und so beseligend
noch nie gesehen, noch nie erlebt haben.

 

PS: Ich glaube, dass es gut ist, wenn wir alle Gelegenheiten wahrnehmen, uns Liebeslieder vorzusingen.
Titelbild: „The looking sun“ Zeichnung von Werner Binder
  

Die Geburt – der Ton

Der folgende Text ist N.B. gewidmet

Den nachfolgenden Text verstehe ich als den Versuch einer Zusammenfassung der Substanz meiner letzten Artikel. Es ist auch der paradoxe Versuch Unerklärliches zu erfassen. – Dieser Text basiert auch auf rhythmischen Wiederholungen und auf Bilder, die kaum ins Rationale zu übersetzen sind.

Wir brauchen eine existentielle und radikale Spiritualität, die uns berührt (wie die Zärtlichkeit), ergreift (wie die Hingabe) durchströmt (wie lebendiges Wasser) und durchrüttelt (wie ein Sturm und feurige Leidenschaft), eine Spiritualität also, die nicht im Kopf, im Verstand hängenbleibt, sondern bis in die Organe und Knochen eindringt, bis ins Seelenzentrum und uns umwandelt.

Die Metamorphose – durch Vertrauen ausgelöst.

Spiritualität ist Leben, dem wir uns vorbehaltlos hingeben, ist die Bereitschaft, uns vollkommen vom Leben berühren und durchströmen zu lassen. Sie beginnt, wenn wir uns vom Verstand und vom Ego nicht mehr beherrschen lassen und aufgehört haben, zu diskutieren. Wenn wir also die Bücher schliessen, aufstehen und weinen. Weinen, weil wir gerührt, berührt sind.

Stirb und werde durch die befreiende und erlösende Kraft der Metamorphose, die uns über die Schwelle trägt, heiter wie ein Herbstblatt im Wind.
Es ist ein Fallen, ein Gleiten in allem (in Abwandlung von Rilke).


Wir brauchen eine existentielle und radikale Spiritualität – Zärtlichkeit und Hingabe.
Umwandlung, durch das Sterben hindurch, in Heiterkeit.

Die wahre – die zweite Geburt des Menschen- findet dann statt, wenn sein Herz ganz aufgeht und «die Rose» den vollen Duft zu verströmt.

Es ist ein leiser Vorgang. Bevor sich das Herz ganz öffnet ist es bewegt, «schwanger», hervorgerufen durch «die Berührung». Die Rose des Herzens beginnt zu knospen, benötigt nun zärtlichen Schutz.

Doch dann:
Wenn sich die neue Quelle gebildet hat, im Moment der Herz-Öffnung, entsteht ein Ton. Manche sagen: Ein Engel sei geboren worden.
Dieser Ton «sprüht» durch das Universum.

Das Werden des inneren, wahren Menschen ist sehr leise, in einer für das menschliche Ohr unhörbare Frequenz, eine sehr feine Schwingung, die in die Schöpfung eingeht.

Die Schwingungen aller «Neugeborenen» wirken vereinend im Leibe der Schöpfung. Es bildet sich die Gemeinschaft der Liebenden. Aus diesen Schwingungen heilender Liebe erneuert sich der Planet und der Menschheitskörper.

Ist diese Vision auszuhalten? Ich glaube, dass es innere Stärke braucht, um Visionen zu halten. Das verleiht ihnen die Kraft der Verwirklichung.

Der Menschheitskörper erneuert und regeneriert sich fundamental durch das Opfer von Menschen, die bereit geworden sind, dem abgespaltenen Weltenschmerz, dem verdrängten Leiden zu antworten. Opfer ist Darbringung.

Die Antwort des Erwachenden ist Mitgefühl, wahres Mit-Leiden im Vertrauen und im Glauben an das Wirken der heilenden Schwingung, die im «Ton», dem aufbauenden Klang lebt, der in der Stille ist.

Wer hört, wird ins Leben gerufen. Wer hört, wird. Wer hört und empfängt, wird zu dem, was er gehört und empfangen hat. Empfängt er Lebenswasser, wird er zur Quelle.

Wer die Stimme, den Ton/Klang, auf dem Grund der Seele empfindet und empfängt, wird ins Leben hinein verwandelt.

Im «Ton» schwingt der sich in Freude verwandelnde Schmerz.

Wenn Menschen in Stille und Hingabe atmen, entsteht Licht, entsteht Bewusstheit. Darin richtet sich der Licht-Mensch auf, verbunden mit der Quelle, aus der er existiert.

Wo sollen sich die neuen, so benötigten Quellen bilden, wenn nicht im Herzen des Menschen?

Wir Menschen haben die Möglichkeit und Chance, bewusst an der grossen Umwandlung teilzunehmen, um ganz Mensch zu werden, als Mitfühlende, wodurch wir zu Strahlenden werden.

Dafür ist es unerlässlich, dass wir die Schreie der Notleidenden hören, wahrnehmen, zu Herzen nehmen. Der Karfreitag geht Ostern voraus.

Der Wandlungsvorgang ist ganz leise, still, sanft; weit weg von allem Getöse.

Wenn sich eine neue grundlegende Qualität, also eine neue Quelle, gebildet hat, entsteht ein Ton, der eine Brücke zwischen Schmerz und Freude bildet – eine Brücke zwischen Hier und Dort, Himmel und Erde.

Der Erwachende ist ein Antwortender. Im Licht der Stille richtet er sich auf.


Zusammenfassung: Eine tiefgreifende Berührung kann den hingebenden Menschen so zentral ergreifen, dass es in ihm zu einem Prozess der Umwälzung kommt. Dabei öffnete sich sein Herz und er kommt in Verbindung mit der göttlichen Quelle, aus der er lebt. Kann und will er dieses erweiterte Bewusstsein und die einströmende Liebe halten, wird er vielleicht zu einer Lichtträgerin oder zu einem Träger göttlichen Wassers. Im Prozess der Rückverbindung zum Ursprung ist dabei ein Klang oder ein Ton entstanden. Die Töne/Klänge der Erwachten finden zu einer Art Chor zusammen, der heilend und regenerierend auf die ausgetrocknete Erde und die durstige Menschheit einwirkt.

Das Unglück der Spaltung und die Freude der Wiedervereinigung

Mit dem Begriff «Weltenkörper», ein Begriff von mir, den ich hier einführe, meine ich erstens die Menschheit, auch in ihrer Geschichte, zweitens unsere Erde als physischen Körper und als Ätherleib und drittens die symbiotische Verbindung, die Union Mensch, Menschheit und Erde.
Körper und Leib werden dem Weiblichen zugeordnet. Die Frau ist die Mutter – Mutter Erde. Wenn der Papst, alle Frau, die je abgetrieben haben, als Auftragsmörderinnen bezeichnet*, lässt sich das interpretieren als letztes Aufbäumen des Patriarchats gegen seinen Zerfall. Denn die Zerstörung, Verurteilung und Abspaltung von Frau, Erde und Natur wendet sich schliesslich gegen seine Urheber.
Ich glaube, dass viele Menschen wieder auf der Suche sind, nach dem Menschen-Erde-Ganzen. Das weckt Hoffnung.

Weltenkörper und Weltseele
Der Mensch hat seinen Weltenkörper und seine damit verbundene Weltseele (anima mundi) weit von sich abgespalten.
Die Spaltung zwischen seiner Individualität, seinem Dasein als Einzel-Mensch auf der einen Seite und seinem Bewusstsein als Erdenbürger, bildet einen tiefen Riss in ihm, ja eine Wunde.

Diese Spaltung ist meines Erachtens eine der Haupt-Ursachen für die anhaltende Zerstörung unserer Mitwelt, die wir als Aussenwelt betrachten.

Die Klima-Katastrophe etwa ist eine der Folgen davon. Die «kapitalistische Philosophie», wenn es diese denn gibt, ist nicht bereit, sich mit dem Schmerz an sich zu befassen, sie kompensiert ihn mittels einer ausufernden und umweltbelastenden Kompensations-Industrie, die alles mit Konsum zudeckt und erstickt, was nach Verstehen und nach wirklichen Lösungen ruft. Ist dies die tragische Konsequenz des patriarchalen Weltverständnisses, welches sich womöglich in den letzten Zügen seines Bestehens befindet?
Die Spaltung erzeugt weltweit, so spüre ich es, eine Unruhe und eine Nervosität. Es ist, als ob wir Menschen schweben würden, wurzellos, entfremdet. Dahinter ist unschwer Trauer zu spüren. Trauer über den Selbst-Verlust. Wir versuchen durch Surrogate dieses «Loch» in der Seele zu stopfen. Zum Beispiel durch Wellness-Kuren, ohne wirkliche und dauerhafte Ruhe zu finden. Auf diese Weise heilt die Ur-Wunde, hervorgerufen durch die Spaltung, nicht.
Was bleibt ist Durst. Durst nach dem, was wir abgewiesen und abgespalten haben.
Vermutlich gab es in früheren Epochen und Kulturen Völker oder Gruppen von Menschen, die ganz mit und in dem Weltenkörper lebten. Ich denke dabei an bestimmte Indianerstämme. Zum Beispiel die Pueblos oder an andere matriarchale Zivilisationen.
Es muss Zeiten gegeben haben, in denen sich der Mensch von seinem Weltenkörper abgespalten hat. Die Gründe kenne ich nicht. Sicher aber ist, dass sich der Entfremdungsvorgang in den letzten Jahrzehnten der hyper-technischen und forcierten, alles an sich reissende wirtschaftliche Entwicklung verstärkt hat. Der abgespaltene Weltenkörper hat sich nun scheinbar gegen ihn gerichtet (Klima-Katastrophe), weil er ihn «verraten» hat. Alles, was wir abspalten, drängt zurück, weil es sich wieder verbinden möchte, es in die Ganzheit zurückstrebt. Wir Menschen fühlen uns von dem, was wir auch sind, angegriffen, doch es ist in Wirklichkeit eine Projektion unserer eigenen Destruktivität und Angst.
Angst vor unserer eigenen, abgespaltenen Natur!
Der Mensch, der sich von seinem Weltenkörper abgetrennt hat, erlebt diesen als etwas Wildes und Fremdes, das er glaubt, bändigen, beherrschen und kontrollieren zu müssen.

Eine Re-Integration unseres Weltenkörpers ist dringend. Die Wunde ist offen, blutet. Heilung tut Not. Wir können nicht ohne jene Wirklichkeit existieren, die wir auch wesenhaft sind.

Viele Menschen denken, der Erde sei der Mensch egal, oder: sie würde ihn als Störenfried erleben, ohne den sie sich besser entwickeln könnte.
Diese These bezweifle ich.

Ich bin überzeugt, dass die Erde den Menschen braucht, so wie er sie.

Ich stimme der Ansicht von Rudolf Steiner zu, der behauptete, dass der geistige Mensch, sehr lange vor seiner körperlichen Inkarnation, Anlass und Quelle der Bildung der Erde und des Sonnensystems war. Sein göttlicher Geist erschuf seine eigene Lebens-Grund-Lage, unseren Heimat-Planeten.

Mensch-Erde bilden eine Zwei-Einheit – eine Dual-Union. Die Spaltung dieser Einheit ist die Ursache für unsere Menschheits-Krise, die eine Überlebenskrise ist. Es gilt deshalb, sie zu überwinden, beziehungsweise sie zu heilen.

Um diese tiefe Entfremdung und Entwurzelung zu heilen, ist es notwendig, dass wir Menschen unser Mitgefühl entwickeln. Insbesondere unser Mitgefühl zu unserer natürlichen Mit-Welt. Dieser Akt setzt einen Prozess der Selbst-Versöhnung voraus, was bedeutet, dass wir Menschen uns wieder vermehrt unserer Binnen-Natur zuwenden. Wenn wir uns liebevoll der eigenen Natur zuwenden, so werden wir dadurch auch die äussere Natur als uns verwandt erkennen können. Dadurch kann der Heilungsvorgang eingeleitet werden.

Die Binnen-Natur des Menschen
Dazu zähle ich folgende Bereiche:

  • Das Gefühl für die psycho-somatische Einheit und Integrität der eigenen Leiblichkeit.
  • Das Empfinden des Organismus und die Intuition für seine zuträgliche Ernährung.
  • Mündiges, intuitives und selbstverantwortliches sexuelles Fühlen und Handeln.
  • Das Erspüren der Balance zwischen Selbst-Anforderung und Behutsamkeit.
  • Die nötige Intuition für ein ganzheitliches, vielfältiges Alltagsleben mit sich, den Mitmenschen und der Natur.
  • Die Einsicht, dass wir körperliche, seelische und geistige Wesen sind.

Es ist insbesonders der weibliche und mütterliche Bereich unseres Menschseins, der wieder in unsere Ganzheit integriert werden müsste, die wir sind. Durch die Zurücknahme dessen, was wir ausgegrenzt und abgespalten haben, werden wir wieder in sich ruhende und verwurzelte Menschen sein können.

Dies ist meine/unsere Hoffnung: Durch meditative Atemarbeit und durch eine visionäre und praktische Rückkehr zu unserer eigenen Natur, wie zur Natur «da draussen» werden wir uns mit dem unbewusst so vermissten Weltenkörper wiedervereinigen und werden dadurch zur Ruhe des fliessenden Lebens finden. Die Wunde wird sich schliessen durch das neue Erleben einer innigen Zusammengehörigkeit zwischen innen und aussen, zwischen unserer eigenen Seele und der Weltseele, zwischen Frau und Mann. Diese Heilungsarbeit setzt voraus, dass wir unsere Zerrissenheit erkennen und wir verstehen, dass es Sinn macht, uns am Heilungsvorgang zu beteiligen.
Bei unserer Wiedervereinigung wird unser Atem gross** und unsere Ganzheit als ungeteilte Menschen umfassen – all-umarmend. Menschheit und Erde leben nun in unserem Atem-Raum. Es wird sich Frieden einstellen und Freude wird aufkommen.

*So etwas darf nicht hingenommen werden!

**vergleiche den Beitrag zu ATEM 1 + 2

Zum Titelbild: «Der blaue Planet» Bild von Werner Binder