Ich glaube, dass die verbreitete Abspaltung von der Seele, die wir zunehmend beobachten können, die Haupt-Ursache für die globale Krise, u.a. die ökologische Problematik, darstellt. Ihre Re-Integration erscheint mir als dringlich. Wenn wir uns gegenseitig helfen, unsere Herzen zu öffnen ist dies vielleicht das Sinnvollste, was wir heute tun können, um die verhärteten inneren und äusseren Strukturen aufzuweichen, damit unsere Seelen, wie auch die Seele der Welt wieder frei atmen und kreativ wirken können.
- Die Krankheit der Welt: Seelenlosigkeit
Nichts sind wir mehr als unsere Seele: Wir leben in ihr, aus ihr sind wir körperlich geboren, in ihr geht unsere Reise dem Ursprung entgegen, aus dem wir kommen. Die Seele wird über weite Strecken verleugnet und verneint. Sie existiert nicht, so denken vor allem Natur-Wissenschaftler.
Warum, so frage ich mich oft, interessieren sich nicht mehr Menschen für die wahre, die unsterbliche Seele? Denn: Alle Menschen haben ja schon gespürt, dass es hinter den Dingen, eine unsichtbare Welt gibt, die sich zum Beispiel in Kunstwerken niederschlägt, sich in Träumen zeigt oder in Stimmungen, die uns über das Bekannte hinaustragen. Also noch einmal: Warum interessieren sich so Wenige für den manchmal doch sehr spürbaren Hintergrund unseres Daseins, den wir Seele nennen? Das Interesse an unserer Seele ist gering. Sie hat allenfalls Geltung als Bereich, in dem unsere Gefühle zu finden sind.
Das Weltbild, welches die Seele (und meistens auch den Geist) ausschliesst, der pure Materialismus, ist arm, weil eindimensional. So hoch-komplex unsere Welt auch erscheinen mag, so ist sie doch elend, verarmt, auf Weniges, meist Materielles, reduziert. Dieses Wenige, das uns bleibt, verschlingen wir mit Heisshunger, nämlich unsere physische Existenz-Grundlage.
Die Seele halten viele Menschen für ein Konstrukt, eine Einbildung, eine neurotische Vorstellung.“Die Krankheit der Welt besteht darin, dass der Einzelne seine wahre Seele nicht finden kann, und die Ursache an der Wurzel dieser Krankheit ist wieder, dass er, wenn er die äusseren Dinge ganz umfassen will, mit der wirklichen Seele der Welt, in der er lebt, nicht in Verbindung kommen kann.“ Sri Aurobindo*
Unsere Reise
Lange vor unserer physischen Existenz entstanden wir – so die mystische Sicht- aus einem Liebesgedanken Gottes, der zu unserer Seele wurde. Dieser Liebesgedanke drückt einen Aspekt Seiner umfassenden Wirklichkeit aus. Dieser Aspekt, beziehungsweise dieser Liebesgedanke ist der heilige Kern unserer inneren Wesenheit, unsere subliminale Seele.
Durch alle Bewusstseinsebenen und alle Leben hindurch speichert die Seele alle wesentlichen Erfahrungen und Erkenntnisse, die sie auf ihrem Weg der Reifung und Vervollkommnung braucht, damit sie einmal reiche Früchte trägt, als Segen für die Schöpfung und alle Lebewesen.
Die Seele bildet die Substanz höheren Wissens und Weisheit. Sie ist aber auch Empfängerin von Glückseligkeit.
Die Seele zieht es in grosser Sehnsucht zurück zu ihrem Ursprung, in den göttlichen Bereich, in dem sie geboren wurde. Also zu Gott, dem All-Einen, All-Umfassenden. Der Weg in die materielle Welt und zurück zur geistigen Welt dient der Bewusstwerdung, der Intensivierung des Lichts und der Vervollkommnung an Schönheit und Liebeskraft.
Die Seele ist unsere Reise-Begleiterin, die innere Weisheits-Lehrerin, der innere Seher.
Alle Stationen der Emanation aus der Quelle des Lichtes bis in die physische und individuelle Verkörperung des göttlichen Licht-Gedankens in den materiellen Welten, leben in unserer Seele als lebendiges Wissen, das aber vorerst weitgehend verborgen ist, bis es geweckt wird.
Die Erweckung
Durch eine Tiefen-Berührung wird unsere Seele erweckt. In Momenten, wo wir weich, offen und durchlässig sind und im Bewusstsein unserer tiefsten Sehnsucht, kann es geschehen, dass wir in der Tiefe bewegt und ergriffen werden von einem hohen lebendigen Impuls (Christus-Impuls) aus dem göttlichen Bereich.
Wir fühlen uns bewegt, berührt, weinen vielleicht oder lachen und es fühlt sich so an, als ob wir aus einem langen Schlaf erwachen würden, der uns nun eine neue, grosse lichtvolle Wirklichkeit voller LIEBE in unser Leben bringt.
Durch das kontinuierliche Interesse an unserem Innenleben, also an unserer Seele, unserer innersten Wesenhaftigkeit, entwickelt sie sich. Sie wird stärker und kann uns ihr Potential vor die inneren Augen und Ohren führen. Gleiches gilt ja für unsere Kinder, die dann seelisch wachsen, wenn wir uns auch für ihr Innenleben, ihre Wesenhaftigkeit interessieren.
Indem wir auf unsere Seele hören, entwickelt sich unsere Selbst-Wahrnehmung. Unser ganzes Wesen verfeinert sich. Es kommt der Moment, wo das innere Wesen, die Führung übernimmt, wo sich die kleine Persönlichkeit, das Ego, vollständig ins zweite Glied zurückzieht, nun nicht mehr herrscht, sondern dient.
Spätestens dann ist es uns zur Gewissheit geworden, dass diese so feine, zarte, fast hauchartige Seele die wahre Trägerin unseres Lebens ist, ausgestattet mit grosser Wirklichkeit und Wirksamkeit. Nun sind wir nicht mehr dem Hin und Her des polaren Lebens unterworfen, sondern können jeden Moment als gegeben, als ein Geschenk schätzen.
So wie wir nun unseren Körper als beseelt wahrnehmen und erkennen, dass er nicht nur durchdrungen, sondern auch von Seele umhüllt ist, so fangen wir an, auch die Erde und das Universum als von Seele durchdrungen zu erfahren.
Jeder Moment, weiss die Seele, ist uns gegeben.
*Sri Aurobindo, Das göttliche Leben, 1. Band, S. 253.
Der zweite Teil dieses Essay folgt demnächst.